Das Januar-Gedicht: Fontane, seltsam

Ein Fundstück zum Beginn des neuen Jahres, für das wir hier Ihnen dort alles Gute wünschen. Verfaßt hat es Theodor...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Fon­ta­ne im Jah­re 1859. Sei­nen Ton erkennt man gleich. Aber es ist doch ein kunst­lo­ses Gedicht, eher wie ein paar Merk­ver­se, ein biß­chen aus­ge­schmückt, damit man die­sen geschicht­li­chen Vor­gang wei­ter­sa­gen kann und ihn nicht vergißt.

Fon­ta­ne griff mit sei­nen Ver­sen eine Tra­gö­die am Ende des I. Ang­lo-afgha­ni­schen Kriegs (1839–1842) auf: Der bri­ti­sche Gene­ral Elphin­stone war unter Zusi­che­rung frei­en Geleits mit rund 5000 Sol­da­ten und ihren teil­wei­se am Feld­zug betei­lig­ten Fami­li­en sowie einem rie­si­gen Troß aus dem bela­ger­ten Kabul auf­ge­bro­chen, um sich nach Dscha­lal­abad durch­zu­schla­gen – ins­ge­samt waren rund 13 000 Leu­te unter­wegs. Die Kolo­nen wur­den aller­dings unent­wegt ange­grif­fen und letzt­lich in der Khurd-Kabul-Schlucht nahe Kabul voll­stän­dig auf­ge­rie­ben. Nur der Feld­arzt Dr. Wil­liam Bry­don erreich­te mit sei­nem Pferd die Gar­ni­son in Dschalalabad.

Fon­ta­ne war seit 1857 als Aus­lands­kor­re­spon­dent für ver­schie­de­ne deut­sche Zei­tun­gen in Lon­don tätig und beschäf­tig­te sich dabei mit der bri­ti­schen Kolo­ni­al­ge­schich­te. Die Nie­der­la­ge von 1842 hat­te aus dem “Gro­ßen Spiel” (dem geoi­po­li­ti­schen Rin­gen zwi­schen Ruß­land und Groß­bri­tan­ni­en) ein “Trau­er­spiel” wer­den las­sen – es war die ers­te gro­ße Nie­der­la­ge der bri­ti­schen Kolo­ni­al­ge­schich­te und eine Demü­ti­gung vor der gan­zen Welt.

Das Trau­er­spiel von Afghanistan

Der Schnee leis stäu­bend vom Him­mel fällt,
Ein Rei­ter vor Dschell­al­abad hält,
“Wer da!” – “Ein bri­ti­scher Reitersmann,
Brin­ge Bot­schaft aus Afghanistan.”

Afgha­ni­stan! Er sprach es so matt;
Es umdrängt den Rei­ter die hal­be Stadt,
Sir Robert Sale, der Kommandant,
Hebt ihn vom Ros­se mit eige­ner Hand.

Sie füh­ren ins stei­ner­ne Wacht­haus ihn,
Sie set­zen ihn nie­der an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feu­er, wie labt ihn das Licht,
Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

“Wir waren drei­zehn­tau­send Mann,
Von Kabul unser Zug begann,
Sol­da­ten, Füh­rer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschla­gen, ver­ra­ten sind.

Zer­sprengt ist unser gan­zes Heer,
Was lebt, irrt drau­ßen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Ret­tung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr ret­ten könnt.”

Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offi­zie­re, Sol­da­ten folg­ten ihm all’,
Sir Robert sprach: “Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie kön­nen uns fin­den nicht.

Sie irren wie Blin­de und sind uns so nah,
So laßt sie’s hören, daß wir da,
Stimmt an ein Lied von Hei­mat und Haus,
Trom­pe­ter blast in die Nacht hinaus!”

Da hub­en sie an und sie wurden’s nicht müd’,
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst eng­li­sche Lie­der mit fröh­li­chem Klang,
Dann Hoch­lands­lie­der wie Klagegesang.

Sie blie­sen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Lie­be rufen mag,
Sie blie­sen – es kam die zwei­te Nacht,
Umsonst, daß ihr ruft, umsonst, daß ihr wacht.

“Die hören sol­len, sie hören nicht mehr,
Ver­nich­tet ist das gan­ze Heer,
Mit drei­zehn­tau­send der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.”

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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