Freie Heroengemeinschaft

pdf der Druckfassung aus Sezession 22/Februar 2008

sez_nr_2210von Karlheinz Weißmann

Selbst einem oberflächlichen Leser Martin Heideggers und der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger fallen gravierende Veränderungen in deren Textaussagen zwischen der ersten und der zweiten Nachkriegszeit auf. Sie sind nicht mit „Reifung", dem Übergang von einem Früh- zu einem Spätwerk oder individuellen Einsichten ausreichend zu erklären, in ihnen spiegelte sich vielmehr die Massivität bestimmter historischer und individueller Erfahrungen, die zur Korrektur früherer Urteile zwang.


Wenn man trotz­dem nach einem Moment der Kon­ti­nui­tät sucht und das im „kon­ser­va­ti­ven Den­ken” fin­det, ist die­ses erklä­rungs­be­dürf­tig. Dani­el Morat, der Ver­fas­ser einer ver­glei­chen­den Unter­su­chung zur Welt­an­schau­ung Heid­eg­gers und der bei­den Jün­ger (Dani­el Morat: Von der Tat zur Gelas­sen­heit. Kon­ser­va­ti­ves Den­ken bei Mar­tin Heid­eg­ger, Ernst Jün­ger und Fried­rich Georg Jün­ger 1920–1960, Göt­tin­gen: Wall­stein 2007, geb, 592 S., 48,00 €), glaubt aber genau an eine sol­che Ver­bin­dung zwi­schen Kon­ser­va­ti­ver Revo­lu­ti­on zu Beginn und kon­ser­va­ti­ver Tra­di­ti­on am Ende der Entwicklung.
Sei­ne Deu­tung des einen wie des ande­ren Bezugs­felds weicht kaum von den übli­chen Inter­pre­ta­ti­ons­mus­tern ab. Für Morat ist die Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on einer­seits Nie­der­schlag des Deut­schen Son­der­wegs, ande­rer­seits Fol­ge der Kriegs­nie­der­la­ge von 1918. Das erklärt für ihn hin­rei­chend die Legie­rung aus Natio­na­lis­mus, Akti­vis­mus und einem Ver­such, die „gro­ße Ord­nung” durch Anknüp­fen an die Ursprungs­si­tua­ti­on – inso­fern eine kon­ser­va­ti­ve „Tat” – zu schaf­fen. Was Ernst und Fried­rich Georg Jün­ger betrifft, erfährt man wenig Neu­es, in bezug auf Heid­eg­ger ist inter­es­sant, daß die­ser sich zwar ver­spä­tet, dann aber um so ent­schlos­se­ner dem Pro­jekt einer „Revo­lu­ti­on von rechts” (so der Titel einer von Heid­eg­ger geschätz­ten Schrift Hans Frey­ers) zuwand­te. Viel­leicht erklärt die­se Ver­spä­tung auch, war­um Heid­eg­ger 1933 so ent­schlos­sen glau­ben woll­te, daß die „natio­na­le” eben die­se „Revo­lu­ti­on von rechts” sein könn­te und ver­gleichs­wei­se lan­ge brauch­te, um sei­nen Irr­tum zu begreifen.
Man hät­te sich an die­ser Stel­le eine gründ­li­che­re Refle­xi­on auf die Wir­kung von Rek­to­rats­re­de und per­sön­li­chem Ein­satz Heid­eg­gers in der ers­ten Zeit des NS-Regimes gewünscht. Etwas, das Morat im Hin­blick auf Ernst Jün­gers Arbei­ter ver­sucht, wenn­gleich man die Aus­füh­run­gen als unzu­rei­chend, teil­wei­se auch als irre­füh­rend betrach­ten muß (weder Ernst Forst­hoff noch Gott­fried Benn sind ohne wei­te­res als „Natio­nal­so­zia­lis­ten” zu apo­stro­phie­ren). Zu Recht weist er aber auf den Ein­fluß hin, den der Arbei­ter auf Heid­eg­ger aus­ge­übt hat, des­sen geschichts­phi­lo­so­phi­sche Vor­stel­lun­gen gera­de wäh­rend des Krie­ges nach­hal­tig von Ideen Jün­gers mit­be­stimmt wur­den. Eine glat­te Über­nah­me war das kaum, und die Annä­he­rung zwi­schen bei­den hat­te ihre Gren­zen immer in dem Vor­be­halt Heid­eg­gers gegen­über Jün­gers Man­gel an sys­te­ma­ti­scher phi­lo­so­phi­scher Bil­dung, wäh­rend Ernst Jün­ger sei­ner­seits an vie­len Fra­ge­stel­lun­gen Heid­eg­gers ganz des­in­ter­es­siert blieb. Er hat­te auch mit sei­ner schrof­fen Ableh­nung gegen­über dem NS-Regime schon im Jahr der „Macht­er­grei­fung” eine ande­re Aus­gangs­po­si­ti­on ein­ge­nom­men, die sich scharf von der Heid­eg­gers unter­schied, aber der sei­nes Bru­ders glich. Bei­der Weg in die „Inne­re Emi­gra­ti­on” und die bewuß­te Ver­schie­bung ihrer geis­ti­gen Inter­es­sen ins Mythisch-Zeit­lo­se – auch der Ent­schluß, „ein wenig neu­es Fleisch anzu­set­zen”, wie Jün­ger ver­merk­te – zeig­te kaum Berüh­rung mit Heid­eg­gers fort­ge­setz­tem Bemü­hen, Ein­fluß auf die Ent­wick­lung zu neh­men. Wie­der ist die Ver­zö­ge­rung kenn­zeich­nend, die erst ange­sichts der „tita­ni­schen” Umwäl­zun­gen, die sich im Krieg voll­zo­gen, zu einer voll­stän­di­gen Abkehr führte.

Die Abkehr näher­te Heid­eg­ger erneut den bei­den Jün­gers an, Fried­rich Georg noch stär­ker als Ernst, denn in des­sen Werk Die Per­fek­ti­on der Tech­nik erkann­te Heid­eg­ger Posi­tio­nen, die sei­nen eige­nen in vie­lem ent­spra­chen. Psy­cho­lo­gisch ver­ständ­lich war auch das Zusam­men­rü­cken der Ver­fem­ten, genau­er gesagt der­je­ni­gen, die zwar schlecht zur natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Intel­li­genz gezählt wer­den konn­ten, denen man aber nach­sag­te, daß sie als „Weg­be­rei­ter” des gro­ßen Bösen gedient hat­ten. In der zwei­ten Hälf­te der vier­zi­ger Jah­re inten­si­vier­ten sich die Bezie­hun­gen der „frei­en Heroen­ge­mein­schaft” (Ernst Jün­ger), und in die­se letz­te Blü­te­zeit des deut­schen Zeit­schrif­ten­we­sens fal­len sogar Plä­ne zur Grün­dung einer gemein­sa­men Publi­ka­ti­on, die von Ernst Klett ver­le­ge­risch gestützt wer­den soll­te. Zuletzt war man aber zu ein­zel­gän­ge­risch, auch zu emp­find­lich in bestimm­ten Punk­ten und leicht ver­stimmt über das ver­meint­li­che oder tat­säch­li­che Miß­ver­ste­hen hier und dort. Am 23. Juni 1949 faß­te Heid­eg­ger die Grün­de für sei­ne ableh­nen­de Hal­tung mit fol­gen­den Wor­ten zusam­men: „Das geein­te Auf­tau­chen unse­rer Namen, wenn auch nur in der Form einer stän­di­gen Mit­ar­bei­ter­schaft, wür­de zu einem Poli­ti­kum, das viel­leicht unse­re letz­te gewähr­te Posi­ti­on erschüt­ter­te oder doch end­gül­tig verwirrte”.
Die Sor­ge vor sol­cher Erschüt­te­rung erwies sich als unbe­grün­det. Zu Recht weist Morat dar­auf hin, daß für alle drei nach der Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik die Zeit der „Defen­si­ve” vor­bei gewe­sen sei. Es zeig­ten sich neue Wir­kungs­mög­lich­kei­ten. Vor allem Ernst Jün­ger und Heid­eg­ger waren hoch­ge­schätz­te Ana­ly­ti­ker des Zeit­ge­sche­hens und kamen der kul­tur­kri­ti­schen Gestimmt­heit des Bür­ger­tums ent­ge­gen, das sich mit Mühe von der Kata­stro­phe erholt hat­te und nun nach Deu­tungs­mög­lich­kei­ten such­te. Man kann Morat auch fol­gen, wenn er auf die Affi­ni­tät zwi­schen die­sem sehr mil­den Kon­ser­va­tis­mus und den eher essay­is­ti­schen Schrif­ten Heid­eg­gers sowie der Brü­der Jün­ger in den fünf­zi­ger Jah­ren hin­weist. Jeden­falls kam kei­ner von ihnen nach 1945 in Ver­su­chung, sich noch ein­mal schär­fer poli­tisch zu posi­tio­nie­ren. Gera­de das wird aber von Morat denun­ziert. Was an dem kur­zen Teil sei­nes Buches, der die Nach­kriegs­zeit behan­delt, sehr unan­ge­nehm berührt, ist der Ver­such, die Beto­nung des schick­sal­haf­ten oder epo­cha­len Cha­rak­ters der NS-Zeit bei Heid­eg­ger, Ernst und Fried­rich Georg Jün­ger als Bemü­hen um indi­vi­du­el­le „Schuld­ver­de­ckung” zu deu­ten und ihnen einen prin­zi­pi­el­len Man­gel an poli­ti­scher Lern­be­reit­schaft vor­zu­wer­fen. Sicher trifft zu, daß die „Dera­di­ka­li­sie­rung” (Jef­frey C. Herf) des deut­schen Kon­ser­va­tis­mus bei den drei­en kei­ne Aus­söh­nung mit Libe­ra­lis­mus und Demo­kra­tie bedeu­ten muß­te, aber man staunt doch über eine Nai­vi­tät, die meint, Geis­ter die­ses For­mats am Maß­stab der „Ver­west­li­chung” mes­sen zu dürfen.
Wenn sonst nicht, dann merkt man hier, daß der Ver­fas­ser der Grö­ße sei­nes Gegen­stands nicht recht gewach­sen ist, jeden­falls den Erfah­rungs­hin­ter­grund der Rede vom „Nihi­lis­mus” nicht ernst zu neh­men weiß und auch nicht die Nobles­se hin­ter der Hal­tung der Brü­der Jün­ger, die weder die Besat­zungs­mäch­te noch die „45er” als beru­fe­ne Instan­zen betrach­te­ten, vor denen man sich zu recht­fer­ti­gen hat­te; ein hal­bes Jahr nach Kriegs­en­de schrieb Fried­rich Georg Jün­ger in einem Brief ahnungs­voll: „Ich weiß recht gut, was gewe­sen ist, und ich ahne auch, was heraufkommt.”

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