Wenn man trotzdem nach einem Moment der Kontinuität sucht und das im „konservativen Denken” findet, ist dieses erklärungsbedürftig. Daniel Morat, der Verfasser einer vergleichenden Untersuchung zur Weltanschauung Heideggers und der beiden Jünger (Daniel Morat: Von der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1920–1960, Göttingen: Wallstein 2007, geb, 592 S., 48,00 €), glaubt aber genau an eine solche Verbindung zwischen Konservativer Revolution zu Beginn und konservativer Tradition am Ende der Entwicklung.
Seine Deutung des einen wie des anderen Bezugsfelds weicht kaum von den üblichen Interpretationsmustern ab. Für Morat ist die Konservative Revolution einerseits Niederschlag des Deutschen Sonderwegs, andererseits Folge der Kriegsniederlage von 1918. Das erklärt für ihn hinreichend die Legierung aus Nationalismus, Aktivismus und einem Versuch, die „große Ordnung” durch Anknüpfen an die Ursprungssituation – insofern eine konservative „Tat” – zu schaffen. Was Ernst und Friedrich Georg Jünger betrifft, erfährt man wenig Neues, in bezug auf Heidegger ist interessant, daß dieser sich zwar verspätet, dann aber um so entschlossener dem Projekt einer „Revolution von rechts” (so der Titel einer von Heidegger geschätzten Schrift Hans Freyers) zuwandte. Vielleicht erklärt diese Verspätung auch, warum Heidegger 1933 so entschlossen glauben wollte, daß die „nationale” eben diese „Revolution von rechts” sein könnte und vergleichsweise lange brauchte, um seinen Irrtum zu begreifen.
Man hätte sich an dieser Stelle eine gründlichere Reflexion auf die Wirkung von Rektoratsrede und persönlichem Einsatz Heideggers in der ersten Zeit des NS-Regimes gewünscht. Etwas, das Morat im Hinblick auf Ernst Jüngers Arbeiter versucht, wenngleich man die Ausführungen als unzureichend, teilweise auch als irreführend betrachten muß (weder Ernst Forsthoff noch Gottfried Benn sind ohne weiteres als „Nationalsozialisten” zu apostrophieren). Zu Recht weist er aber auf den Einfluß hin, den der Arbeiter auf Heidegger ausgeübt hat, dessen geschichtsphilosophische Vorstellungen gerade während des Krieges nachhaltig von Ideen Jüngers mitbestimmt wurden. Eine glatte Übernahme war das kaum, und die Annäherung zwischen beiden hatte ihre Grenzen immer in dem Vorbehalt Heideggers gegenüber Jüngers Mangel an systematischer philosophischer Bildung, während Ernst Jünger seinerseits an vielen Fragestellungen Heideggers ganz desinteressiert blieb. Er hatte auch mit seiner schroffen Ablehnung gegenüber dem NS-Regime schon im Jahr der „Machtergreifung” eine andere Ausgangsposition eingenommen, die sich scharf von der Heideggers unterschied, aber der seines Bruders glich. Beider Weg in die „Innere Emigration” und die bewußte Verschiebung ihrer geistigen Interessen ins Mythisch-Zeitlose – auch der Entschluß, „ein wenig neues Fleisch anzusetzen”, wie Jünger vermerkte – zeigte kaum Berührung mit Heideggers fortgesetztem Bemühen, Einfluß auf die Entwicklung zu nehmen. Wieder ist die Verzögerung kennzeichnend, die erst angesichts der „titanischen” Umwälzungen, die sich im Krieg vollzogen, zu einer vollständigen Abkehr führte.
Die Abkehr näherte Heidegger erneut den beiden Jüngers an, Friedrich Georg noch stärker als Ernst, denn in dessen Werk Die Perfektion der Technik erkannte Heidegger Positionen, die seinen eigenen in vielem entsprachen. Psychologisch verständlich war auch das Zusammenrücken der Verfemten, genauer gesagt derjenigen, die zwar schlecht zur nationalsozialistischen Intelligenz gezählt werden konnten, denen man aber nachsagte, daß sie als „Wegbereiter” des großen Bösen gedient hatten. In der zweiten Hälfte der vierziger Jahre intensivierten sich die Beziehungen der „freien Heroengemeinschaft” (Ernst Jünger), und in diese letzte Blütezeit des deutschen Zeitschriftenwesens fallen sogar Pläne zur Gründung einer gemeinsamen Publikation, die von Ernst Klett verlegerisch gestützt werden sollte. Zuletzt war man aber zu einzelgängerisch, auch zu empfindlich in bestimmten Punkten und leicht verstimmt über das vermeintliche oder tatsächliche Mißverstehen hier und dort. Am 23. Juni 1949 faßte Heidegger die Gründe für seine ablehnende Haltung mit folgenden Worten zusammen: „Das geeinte Auftauchen unserer Namen, wenn auch nur in der Form einer ständigen Mitarbeiterschaft, würde zu einem Politikum, das vielleicht unsere letzte gewährte Position erschütterte oder doch endgültig verwirrte”.
Die Sorge vor solcher Erschütterung erwies sich als unbegründet. Zu Recht weist Morat darauf hin, daß für alle drei nach der Gründung der Bundesrepublik die Zeit der „Defensive” vorbei gewesen sei. Es zeigten sich neue Wirkungsmöglichkeiten. Vor allem Ernst Jünger und Heidegger waren hochgeschätzte Analytiker des Zeitgeschehens und kamen der kulturkritischen Gestimmtheit des Bürgertums entgegen, das sich mit Mühe von der Katastrophe erholt hatte und nun nach Deutungsmöglichkeiten suchte. Man kann Morat auch folgen, wenn er auf die Affinität zwischen diesem sehr milden Konservatismus und den eher essayistischen Schriften Heideggers sowie der Brüder Jünger in den fünfziger Jahren hinweist. Jedenfalls kam keiner von ihnen nach 1945 in Versuchung, sich noch einmal schärfer politisch zu positionieren. Gerade das wird aber von Morat denunziert. Was an dem kurzen Teil seines Buches, der die Nachkriegszeit behandelt, sehr unangenehm berührt, ist der Versuch, die Betonung des schicksalhaften oder epochalen Charakters der NS-Zeit bei Heidegger, Ernst und Friedrich Georg Jünger als Bemühen um individuelle „Schuldverdeckung” zu deuten und ihnen einen prinzipiellen Mangel an politischer Lernbereitschaft vorzuwerfen. Sicher trifft zu, daß die „Deradikalisierung” (Jeffrey C. Herf) des deutschen Konservatismus bei den dreien keine Aussöhnung mit Liberalismus und Demokratie bedeuten mußte, aber man staunt doch über eine Naivität, die meint, Geister dieses Formats am Maßstab der „Verwestlichung” messen zu dürfen.
Wenn sonst nicht, dann merkt man hier, daß der Verfasser der Größe seines Gegenstands nicht recht gewachsen ist, jedenfalls den Erfahrungshintergrund der Rede vom „Nihilismus” nicht ernst zu nehmen weiß und auch nicht die Noblesse hinter der Haltung der Brüder Jünger, die weder die Besatzungsmächte noch die „45er” als berufene Instanzen betrachteten, vor denen man sich zu rechtfertigen hatte; ein halbes Jahr nach Kriegsende schrieb Friedrich Georg Jünger in einem Brief ahnungsvoll: „Ich weiß recht gut, was gewesen ist, und ich ahne auch, was heraufkommt.”