unseres Landes und – auf einer grundsätzlichen Ebene – über die Meinungsfreiheit ausgelöst. Diese Doppeldiskussion verhilft seither rechtskonservativen Wirklichkeitsbeschreibungen (Deutschenfeindlichkeit, Inkompatibilität bestimmter Ausländergruppen, Ungleichheit der Menschen usf.) zur öffentlichen Wahrnehmung.
Sarrazin hätte aber auch unter die Räder kommen können. Wer den Meinungskampf in den Medien nachvollziehen will, kann zu der Artikelsammlung Sarrazin. Eine deutsche Debatte greifen und darin – neben vielen unwichtigen Texten – die beiden FAZ-Beiträge von Frank Schirrmacher studieren. Sie lehren den Opportunismus mächtiger Journalisten und die Kunst des Sprunges ans rettende Ufer.
Denn als Sarrazin nach seiner Äußerung über das „Juden-Gen“ kurz vor dem Abschuß stand, wollte Schirrmacher staatstragend vollstrecken. Er faßte alles Denunziatorische in einem vernichtenden Beitrag zusammen – und mußte danach feststellen, daß er aufs falsche Pferd gesetzt hatte: Wissenschaftler, jüdische Intellektuelle, tausende Buchkäufer und Leserbriefschreiber sprangen Sarrazin zur Seite, bestätigten seine Fakten und trugen die Entrüstung über den Umgang mit ihm ins Internet. Schirrmacher reagierte knapp drei Wochen später, griff Merkel direkt an und setzte sich an die Spitze eines Kampfes um die Meinungsfreiheit: „Der Journalismus ist nicht dafür da, an den Rufmord grenzende Prozesse zu munitionieren …“. Was für eine Volte!
Der besprochene Band dokumentiert auch die Beiträge Berthold Kohlers zur Debatte. Im Gegensatz zu seinem Herausgeber-Kollegen Schirrmacher trat er von Anfang an mit eindeutigen Stellungnahmen an die Seite Sarrazins. Dieser Kampf um die Deutungshoheit im Innern der FAZ ist ein Thema des Beitrags „Öffentliche, veröffentlichte, quasiöffentliche Meinung“, den Karlheinz Weißmann für das Sonderheft Sarrazin lesen unserer Zeitschrift verfaßt hat. Es erschien im Oktober vergangenen Jahres als erste ernstzunehmende Sekundärliteratur über Sarrazins Buch und dokumentiert unter anderem in einer ausführlichen Chronik, auf welche Weise höchstrangige Politiker zunächst an der Verhinderung der Debatten um Sarrazin arbeiteten.
Mit ihrer Dezember-Ausgabe hat die Zeitschrift hier&jetzt auf gutem Niveau nachgezogen. Die intellektuellen Nationalisten um den NPD-Landtagsabgeordneten Arne Schimmer weisen auf einen interessanten Berührungspunkt hin: Sarrazin hat beim Thema Vererbung und IQ-Entwicklung Argumente und Untersuchungen des Intelligenzforschers Volkmar Weiss zitiert. Weiss wiederum referierte auf Vorschlag der NPD im sächsischen Landtag als Sachverständiger zum Thema „Deutsche Zukunft oder Volkstod“ (Juli 2005).
Dieser Text ist in hier&jetzt dokumentiert sowie durch ein Gespräch mit Weiss ergänzt. Klug und recht schonungslos im Blick auf die Volksromantik der eigenen Partei ist außerdem der Beitrag von Thorsten Thomsen. Er unterzieht die Thesen und Vorschläge Sarrazins einer genauen “Prüfung von rechts“, erteilt einem nationalen Sozialismus ohne Leistungsgrundierung eine Absage und kommt zu dem Schluß, daß die Rechte „sarrazinistischer“ werden müsse. Dieser Analyse gegenüber bleibt der sozialistische Nationalist Jürgen Schwab geradezu langweilig, der – wie immer – den Arbeitsmarkt abschaffen will und Sarrazin als „Oberschichtenpatrioten“ markiert.
Empfehlenswert ist auch Zur Sache Sarrazin, das wissenschaftliche Beiträge versammelt. Hingewiesen sei auf die Analyse des Mainzer Kommunikationswissenschaftlers Hans Mathias Kepplinger, der die Skandalisierung Sarrazins und ihr Scheitern beispielhaft aufschlüsselt und das Zusammenspiel von Politik und Medien nicht nur als eine Art Gesetzmäßigkeit darstellt, sondern zu einer Gefahr für die Meinungsfreiheit erklärt. Eine wie stets materialistische Analyse der Unattraktivität Deutschlands im globalen Anwerbewettbewerb akademischer Spitzenkräfte stammt aus der Feder Gunnar Heinsohns und ist ebenso deprimierend wie der grundsätzliche Abschied vom Abendland, den Walter Laqueur in Anlehnung an sein Buch über Die letzten Tage von Europa noch einmal ausspricht.
Interessant an Zur Sache Sarrazin ist nicht zuletzt der Herausgeber Jürgen Bellers. Er hat zeitgleich ein schmales Bändchen mit dem schlichten Titel Konservativ! zusammengestellt: Heft 1 der Schriften des Faches Internationale Politik an der Universität Siegen. Diese Reihe möchte „aufzeigen, daß das, was als sozial-liberlale Kultur-hegemonie gilt, nicht das einzige sein kann und auch längst nicht mehr ist“, und beschäftigt sich folgerichtig auch mit der Sezession – zwar ein bißchen ängstlich noch, aber doch gründlich.