Das Ende einer auf Sicherheit bedachten Banken- und Zentralbankpolitik kam für Island in den 1990er Jahren, als im Sog moderner Entwicklungen in der internationalen Finanzwelt risikoträchtige finanzielle Anlageformen zur Mode wurden. Eine Generation smarter Jungbanker begann europaweit Kunden zu akquirieren. CDOs (Collateralized Dept Obligations) und CDSs (Credit Default Swaps), von Warren Buffet treffend »finanzielle Massenvernichtungswaffen « genannt, brachten zuletzt nicht nur das Bankensystem zu Fall, sondern ganz Island an den Rand einer Katastrophe.
Man mag der Argumentation des Autors dort nicht folgen, wo er die isländische Zentralbank dafür kritisiert, daß sie anfänglich zu zögerlich und zudem falsch reagiert habe. Das Kernproblem, das die Billionen US-Dollar an frei zirkulierenden Spekulationsgeldern für eine kleine Volkswirtschaft bedeuten, liegt nicht in der Unzulänglichkeit, sondern in der Ungleichheit der Marktteilnehmer. Diese zeigt sich etwa im »Soros-Effekt,« wenn nämlich internationale »Investoren«, die auf die Kursentwicklung von Währungen wetten, dies durch »Informationen « in den Medien flankieren und dafür Summen in Stellung bringen, die den ökonomischen Ruin der betroffenen Volkswirtschaft auszulösen imstande sind. Solche Mechanismen gewichtet Jonsson nicht schwer genug. Im Zentrum der Kritik sollte aber stets ein Geld- und Bankensystem stehen, das einigen wenigen die Möglichkeiten eröffnet, hinter den Kulissen das große Rad zu drehen, um im Falle eines Scheiterns ein ganzes Volk mit seiner Arbeitsleistung für viele Generationen in Geiselhaft zu nehmen.
Aufmerken läßt Jonssons Hinweis, daß die vor Einbruch des modernen Casino-Bankwesens hohe Geburtenrate der Isländer, die während der hektischen Goldgräberstimmung merklich sank, derzeit im Zunehmen begriffen ist. Nach den Exzessen eines unwirklichen, geborgten Luxus mag so ein Leben im Normalformat zurückkehren. Kein Verständnis für Jonssons Sichtweise hat Einar Mar Gudmundsson, ein isländischer Romancier (Wie man ein Land in den Abgrund führt, München: Hanser Verlag 2010. 208 S., 16.90 €). Asgeir Jonsson benutze die Argumente eines Alkoholikers: Betrunken am Steuer zu sitzen ist in Ordnung, so lange es keiner merkt, und wenn man trotzdem am Laternenpfahl landet, ist es dessen Schuld. Die letzte Bank, die mir den Kredit verweigert, trägt Schuld an meinem Untergang.
Gudmundsson selbst reiht nun assoziativ Gedichte, Reflexionen, persönliche Begegnungen, Episoden isländischer Geschichte, Lesefrüchte und politische Bekenntnisse zu einer wirtschaftlichen »education sentimental« aneinander, und das wirkt mitunter etwas unsortiert. Kluge Beobachtungen treten dann hinter Bob Dylan-Songtexten zurück. Man ist dauernd versucht, eher Banales zu überfliegen und überliest dann auch Wichtigeres. Grundiert wird Gudmundssons Darstellung durch die Enttäuschung dessen, der an den real existierenden Sozialdemokratismus glaubte. Betrachtet man beide Darstellungen, erscheint Jonsson als der sich rechtfertigende »Gesinnungstäter«, der den Sachzwängen des Finanzsystems verhaftet bleibt und darum die entscheidende Frage vermeidet, warum eine Gesellschaft einer winzigen Clique die grenzenlose Geldschöpfung gestatten soll. Gudmundsson dagegen ist der Nachfahre des Bauers Strepsiades, der in dem Theaterstück Die Wolken von Aristophanes der drohenden Pfändung seines Gehöftes entgegensieht, und sich durch einen Crashkurs in Sophistik bei Sokrates aus seiner bedenklichen Lage manövrieren möchte, jedoch außer wolkigen (deshalb der Titel) Bemerkungen nichts Erhellendes erfährt. Als komplementäre Bestandsaufnahme sind beide Bücher lesenswert.