Das Heidegger-Jahrbuch 4 (Heidegger und der Nationalsozialismus I, Dokumente, Freiburg/ München: Karl Alber 2009. 362 S., 48 €) enthält nicht nur die für Fayes Argumentation so zentrale Übung aus dem Wintersemester 1933/34 »Über Wesen und Begriff von Natur, Geschichte und Staat«, sondern viele andere erhellende Dokumente. Herausgekommen ist eine Art Dossier, das einiges zum Verständnis der Situation 1933/34 und der folgenden Jahre beiträgt. Manches (etwa die offiziellen Schreiben aus der Rektoratszeit) wären nicht der Rede wert, wenn sich nicht Behauptungen unausrottbar hielten, Heidegger hätte hier Ungeheuerliches unternommen. In den Dokumenten findet sich nichts dergleichen. Heidegger zeigt sich als eifriger Gleichschalter, ohne jedoch aus dem Rahmen zu fallen. Man sieht Heidegger in der Rolle des Rektors, der amtliche Anweisungen weitergibt, und erlebt ihn als resignativen Briefeschreiber, der weiß, daß sein Wahrheitsbegriff im NS-Staat niemals eine Chance hatte. An den Romanisten Friedrich schreibt er im April 1939: »Was heute noch an Zukünftigem an der ›Universität‹ geleistet oder vorbereitet werden kann, ist ausschließlich Sache des Einzelnen, weil nur dieser eine Ursprünglichkeit verbürgt. Alles übrige bleibt Vordergrund, für den Tag gemacht.«
Um zu dieser Einsicht zu gelangen, brauchte Heidegger die Erfahrung des vergeblichen Versuchs, dem revolutionären Pathos der NS-Bewegung geistige Tatsachen folgen zu lassen. Damit zog er sich den Unmut seiner konservativen Kollegen zu, die offenbar gehofft hatten, mit Heidegger an der Spitze gleichmacherische Begehrlichkeiten abwehren zu können. Joseph Sauer, Kirchenhistoriker und 1932/33 Rektor der Freiburger Universität, schreibt im August 1933 in sein Tagebuch: »Heute bringen die Zeitungen die Nachricht von der radikalen Veränderung der Universitätsreform, als vorerst spezifisch badisches Kuriosum. Finis universitatis! Und das hat uns dieser Narr von Heidegger eingebracht, den wir zum Rektor gewählt haben, daß er uns die neue Geistigkeit der Hochschule bringe. Welche Ironie!«
Gegen diese Gleichschaltung formiert sich Widerstand, Heidegger verliert den Rückhalt in der Professorenschaft und gibt nach weniger als einem Jahr entnervt auf. An der Übergabe des Rektorats nimmt er schon nicht einmal mehr teil. Unterstrichen wird die marginale Rolle, die Heideggers Überlegungen zur Universitätsreform hatten, durch die Wirkung seiner Rektoratsrede Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Das Heidegger-Jahrbuch bietet zahlreiche Rezensionen dieser Rede aus Deutschland und dem Ausland. War die Aufnahme dieser Rede schon 1933/34 verhalten – mit teilweise merkwürdigen Mißverständnissen –, wird im Laufe der Jahre immer klarer, daß Heidegger und der NS nicht harmonieren. Das blieb sowohl NS-Ideologen als auch Exilanten nicht verborgen. Amtliche Schreiben und Aktenvermerke, die sich zunehmend mit kritischen (teilweise denunziatorischen) Anfragen zu Heidegger beschäftigen, runden das Bild ab. Schon im März 1934 wendet sich ein Unbekannter an Kultusminister Rust: »Von verschiedenen Seiten der Partei hört man Warnungen vor der Person von Professor Heidegger in Freiburg.« Diese Verdächtigungen, Heidegger sei stark scholastisch geprägt, setzen sich dann bis 1945 fort. Unmittelbar nach dem Krieg schlägt das Klima um, der Vorwurf wird laut, Heidegger sei ein linientreuer NS-Philosoph gewesen. Beide Einschätzungen gehen in ihrer Einseitigkeit an der Wirklichkeit vorbei. Deren Ambivalenz lassen die jetzt veröffentlichten Dokumente zumindest erahnen.
Heideggers verflixtes Jahr
pdf der Druckfassung aus Sezession 37 / August 2010
Vor etwas mehr als sechs Jahren erschien in Frankreich das Heidegger-Buch von Emmanuel Faye (zur dt. Übersetzung siehe Sezession 31), in dem Heidegger für die »Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie« verantwortlich gemacht wird. Faye konnte sich unter anderem deshalb starke Behauptungen leisten, weil man seiner Interpretation aufgrund eines Mangels Glauben schenken mußte: Viele der Zeugnisse, auf die er sich stützt, waren der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Alfred Denker und Holger Zaborowski haben Abhilfe geschaffen und die wichtigsten noch nicht veröffentlichten Texte herausgegeben.
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