Verdacht und Mimikry

Ein Kommentar von Jürgen Kaube in der heutigen FAZ (16.2.2011) beschäftigt sich mit einem Aufsatz von Storchmeister Mathias Brodkorb, ...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

dem geis­ti­gen Vater der all­seits belieb­ten SPD-Anti­fa-Sei­te End­sta­ti­on Rechts. “Vom Ver­ste­hen zum Ent­lar­ven  – über ’neu-rech­te’ und ‘jüdi­sche Mimi­kry’ unter den Bedin­gun­gen poli­ti­sier­ter Wis­sen­schaft” erschien 2010 im Jahr­buch Extre­mis­mus & Demo­kra­tie, Bd.22, das von dem bewähr­ten Duo Jes­se & Backes her­aus­ge­ge­ben wird.

Kau­be nennt Brod­korbs Erkun­dung des poli­ti­schen “Mimikry”-Begriffs “bemer­kens­wert”, weil die­sem “auf­ge­fal­len” sei,

wie stark der poli­tik­wis­sen­schaft­li­che und ver­fas­sungs­schüt­ze­ri­sche Umgang mit der soge­nann­ten “Neu­en Rech­ten” von der Vor­stel­lung lebt, die­se betrei­be zur Tar­nung ihrer rechts­extre­mis­ti­schen Absich­ten poli­ti­sche Mimikry.

Die­ser Begriff sei aller­dings vor allem ideo­lo­gi­scher Natur:

Es han­de­le sich näm­lich um eine argu­men­ta­ti­ve Figur, die nicht wider­legt wer­den kön­ne. Was immer der unter Ver­dacht ste­hen­de Autor schrei­be, wer­de als Camou­fla­ge aus­ge­legt. Als der Publi­zist Karl­heinz Weiß­mann 1986 von einem Kon­ser­va­tis­mus rechts der CDU Hel­mut Kohls sogar for­der­te, er müs­se urteils­fä­hig sein, ob “der poli­ti­sche Angriff oder die poli­ti­sche Mimi­kry gefor­dert ist”, hat­te er dar­um den von Extre­mis­mus­for­schern meist­zi­tier­ten Satz der Neu­en Rech­ten pro­du­ziert. Die Bereit­schaft zu Mimi­kry, hieß es bald, sei gera­de­zu das eigent­lich Neue an ihr. Ihre Tex­te müss­ten als Tar­nun­gen dechif­friert wer­den. Man müs­se in ihnen auch lesen, was gar nicht dastehe.

Weiß­manns Aus­kunft, es han­de­le sich um eine Selbst­ver­ständ­lich­keit der poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung, zwi­schen Kon­flikt und Anpas­sung je nach Lage zu wäh­len, nützt ihm wenig. Bür­ger­lich im Erschei­nungs­bild, ver­fas­sungs­feind­lich im Kern, die­ne die Neue Rech­te mit Orga­nen wie der “Jun­gen Frei­heit” oder dem “Insti­tut für Staats­po­li­tik” als Schar­nier zwi­schen neo­kon­ser­va­ti­ven und rechts­extre­men Positionen.

Kau­be plä­diert nun dafür, sich von die­ser fixen Idee zu ver­ab­schie­den, weil sie der Wis­sen­schaft nicht för­der­lich sei:

Schwächt die­se Vari­an­te der “reduc­tio ad Hit­ler­um” (Leo Strauss) nicht die Auf­merk­sam­keit für die tat­säch­li­chen Ideo­lo­gien? Mit dem Begriff der Mimi­kry erspart sich die Extre­mis­mus­for­schung sowohl empi­ri­sche Bewei­se wie die Befas­sung mit Denk­feh­lern. Gera­de wenn sie es ernst meint und nicht eine zweit­klas­si­ge Lite­ra­tur­wis­sen­schaft sein will, soll­te sie sich das nicht leisten.

“Wenn” die Extre­mis­mus­for­schung es ernst nimmt… womit? Mit der “rei­nen” Wis­sen­schaft? Nun: hat sie denn über­haupt ein Inter­es­se dar­an? Erfüllt sie über­haupt die Vor­aus­set­zun­gen einer rei­nen, inter­es­se­lo­sen Wis­sen­schaft? Kann es denn über­haupt so etwas wie eine Extre­mis­mus­for­schung geben, die nicht zu einem gewis­sen Grad “poli­ti­siert” wäre, setzt nicht schon allein der Begriff des “Extre­mis­mus” eine poli­ti­sche Ver­or­tung voraus?

Die Ant­wort ist leicht zu fin­den: selbst­ver­ständ­lich hat die soge­nann­te Extre­mis­mus­for­schung (wie über­haupt die Poli­tik­wis­sen­schaft in Deutsch­land) einen sys­tem­sta­bi­li­sie­ren­den Impe­tus, und wer sich in ihr enga­giert, hat in der Regel ein Inter­es­se dar­an, sei­nen Platz im akzep­tier­ten Bereich des poli­ti­schen Dis­kur­ses abzu­si­chern. Ein Extre­mis­mus­for­scher wie Josef Schüßlb­ur­ner wird jeden­falls nicht so bald Auf­nah­me im Jes­se/­Ba­ckes-Olymp oder Beschäf­ti­gung als Autor des Ver­fas­sungs­schutz­be­rich­tes finden.

Kau­be ver­schweigt also den eigent­li­chen Grund, war­um sich die Vor­stel­lung einer “poli­ti­schen Mimi­kry” bis­her so gro­ßer Beliebt­heit erfreut hat. Nicht nur auf­grund eines tat­säch­li­chen Kom­pe­tenz­ver­falls des wis­sen­schaft­li­chen Per­so­nals, son­dern auch weil sie sich so her­vor­ra­gend als prak­ti­sche poli­ti­sche Waf­fe eig­net. Und als sol­che wird sie auch wei­ter­hin ein­setz­bar sein, solan­ge die poli­ti­schen Dis­kus­sio­nen auf rei­ner Schlag­wort­ebe­ne geführt wer­den, und die affek­ti­ven roten Knöpf­chen in der Gesell­schaft ver­an­kert blei­ben. Daß es für man­che Geis­ter unwi­der­steh­lich ist, die­se zu drü­cken, um sich selbst hoch­zu­ka­ta­pul­tie­ren, liegt auf der Hand. (Daß sich das jemals ändert, mag viel­leicht ange­sichts der Mecha­nis­men der öffent­li­chen Mei­nung ein from­mer Wunsch sein: erfah­rungs­ge­mäß setzt sich eine Sache lei­der sel­ten allein des­we­gen durch, weil sie fak­tisch am bes­ten belegt und ratio­nal am bes­ten begrün­det ist.)

 

In der bereits 2003 erst­mals erschie­nen Stu­die Die ‘Neue Rech­te’ – Sinn und Gren­ze eines Begriffs” hat das Insti­tut für Staats­po­li­tik die­se Stra­te­gie des “Mimikry”-Vorwurfs auf den Begriff “Herr­schaft des Ver­dachts” gebracht.  Abge­se­hen von der Ver­lin­kung mit der Begriffs­ge­schich­te der “jüdi­schen Mimi­kry”, hat Brod­korbs Auf­satz zu dem The­ma nichts bei­getra­gen, was nicht schon längst voll­stän­dig vom IfS aus­for­mu­liert wur­de. Und das war bei­lei­be nicht die ers­te kon­ser­va­ti­ve Ent­geg­nung auf die­se Art von poli­ti­sier­ter “Wis­sen­schaft”.

Allein die Tat­sa­che, daß es bis zum Jahr 2011 dau­ert, daß eine Argu­men­ta­ti­on von 2003 von der FAZ als “bemer­kens­wert” bemerkt wird, zeigt, wie effek­tiv die Stra­te­gie des “Ver­dachts” ist. Sie zielt dar­auf ab, daß bestimm­te Stim­men auto­ma­tisch dis­kre­di­tiert und schall­dicht iso­liert wer­den sol­len. Brod­korb fin­det des­we­gen Gehör und Glau­ben, weil er außer­halb des Krei­ses der “Ver­däch­tig­ten” steht, weil er ein aus­ge­wie­se­ner Lin­ker und Anti­fa­schist ist (auch wenn er inzwi­schen selbst von Tei­len der deut­schen Lin­ken miß­trau­isch beäugt wird).

Sein Ruhm ver­dankt sich bekannt­lich im wesent­li­chen der Tat­sa­che, daß die Lite­ra­tur der im Diens­te des “Kamp­fes gegen Rechts” ste­hen­den  “poli­ti­sier­ten” Wis­sen­schaft einen nicht mehr kaschier­ba­ren Grad von Min­der­wer­tig­keit und stan­dar­di­sier­ter Flach­köp­fig­keit erreicht hat­te, vor deren Hin­ter­grund er wir­ken muß­te wie ein intel­lek­tu­el­ler Pro­me­theus.  Das war wohl schon längst eine Fra­ge des aka­de­mi­schen Gewis­sens und der aka­de­mi­schen Red­lich­keit. Es ist indes­sen kaum dar­an zu zwei­feln, daß das ein­schlä­gi­ge Per­so­nal in der Regel kei­ne geziel­te Dummstell-“Mimikry” betrie­ben hat, um poli­ti­sche Macht aus­zu­üben – die­se Leu­te waren und sind ver­mut­lich tat­säch­lich so nazi­hys­te­risch, bequem­lich und erz­schlicht im Gemü­te, daß sie an ihre eige­nen fixen Ideen geglaubt haben.

Wer ein­mal ver­sucht hat, sich an den “Verfas­ser­krie­gen” von Wiki­pe­dia zu betei­li­gen, wird die­sen Mecha­nis­mus gut ken­nen. Es gibt dort die recht dehn­ba­re Klau­sel der “Repu­ta­bi­li­tät” einer Quel­le. In einem Arti­kel über die “Neue Rech­te” etwa gal­ten den zumeist links­ge­rich­te­ten Mode­ra­to­ren Pro­fi­durch­bli­cker wie Wolf­gang Ges­sen­har­ter oder die ultra­lin­ken Kampf­vo­ka­bel­mün­zer vom  Duis­bur­ger Insti­tut für Sprach- und Sozi­al­for­schung als “repu­ta­bel”, weil sie vom Medi­en­main­stream akzep­tiert wurden.

Was ein Die­ter Stein selbst zu den Anschul­di­gun­gen zu sagen hat­te, galt dage­gen als unse­ri­ös, unwis­sen­schaft­lich, uner­heb­lich, usw., und konn­te dank der Repu­ta­bi­li­täts-Klau­sel umge­hend gelöscht wer­den. Damit war die Defi­ni­ti­ons­ho­heit und Fremd­herr­schaft abge­si­chert, und wer drin­nen gefan­gen war, konn­te sich abstram­peln, wie er woll­te. Nach jah­re­lan­gem, zähen Kampf mit den Wiki-Wach­hun­den hat sich die Lage inzwi­schen etwas gebes­sert, und es wird auch der “Eigen­sicht” des als “Neue Rech­te” ange­spro­che­nen Milieus Platz eingeräumt.

Noch ein Letz­tes. In Kau­bes Kom­men­tar klingt an, daß eine Art “Ent­dä­mo­ni­sie­rung” und “Ent-God­wi­ni­sie­rung” der “Neu­en Rech­ten” und ihre nüch­ter­ne­re Betrach­tung auch ihre argu­men­ta­ti­ve Ent­zau­be­rung zur Fol­ge haben wer­de. Wenn er etwa apro­pos Benoist und dem lei­di­gen “Ethnopluralismus”-Sockenzopf (ein über­flüs­si­ger Begriffs­bal­last aus dem Jah­re Eich­bergschnee, wenn man mich fragt) bemerkt:

Eine Gesell­schaft ohne Migra­ti­on mit hübsch sepa­rier­ten “Kul­tu­ren” – wäre das nicht kuri­os genug, um auf den Ver­dacht eines dar­in ver­bor­ge­nen Faschis­mus’ ver­zich­ten zu können?

Also sind die unter den “Neu­en Rech­ten” (wer auch immer die­se sein mögen) zir­ku­lie­ren­den Vor­stel­lun­gen eher “kuri­os” als böse, kryp­ton­a­zis­tisch und faschis­tisch? Ich muß­te bei dem Satz lächeln: Kau­bes Para­phra­se des “Eth­no­plu­ra­lis­mus” ist ihrer­seits eine grob ver­zer­ren­de, der ein­schlä­gi­gen Lite­ra­tur ent­stam­men­de Dum­mi-Ver­si­on von Benoist (und Eich­berg). Ich für mei­nen Teil den­ke mir lie­ber, daß sich die Lin­ken und Libe­ra­len (was heu­te g’hupft wie g’sprungen ist) zu Recht vor dem fürch­ten, was sie hin­ter der schall­dich­ten Kau­tschuk­mau­er abzu­rie­geln ver­su­chen. Meyn geduld hat ursach…

Bild: “Jüdi­sche Mimi­kry” à la Mon­ty Python.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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