In der jüngsten Ausgabe des Cicero nimmt er das System der Stellenbeschaffung für den geisteswissenschaftlichen Mittelbau aufs Korn.
Das Prinzip ist bekannt: Um eine Stelle, meist aus sogenannten Drittmitteln, zu bekommen, muß man sich ein förderungswürdiges Forschungsprojekt ausdenken, meistens nicht allein, sondern gemeinsam mit anderen. Oft entstehen so Sonderforschungsbereiche für Themen, die niemanden interessieren und von denen niemand etwas hat.
Wenn man seine Kollegen (tut mir leid, ich denke da vor allem an die Germanisten) zaghaft fragt, was sie denn eigentlich treiben, muß man damit rechnen, als Ignorant und Skeptiker dazustehen. Diese Dünnhäutigkeit ist natürlich dem Rechtfertigungsdruck geschuldet, unter den die Geisteswissenschaften sich selbst gesetzt haben, weil sie ganz normale Forschung und Wissenschaft betreiben wollen. Doch Geisteswissenschaft ist etwas anderes als Naturwissenschaft. Hier braucht es keine Forschungsgruppen, keine Arbeitsteilung und es ist kein unmittelbarer Praxiswert zu erwarten.
Gumbrecht nennt als eigentliche Aufgaben der Geisteswissenschaften Bewahren, Loben und riskant Denken. Bewahrt werden sollen Leistungen und Kontexte der Vergangenheit, die geistige Tradition. Weiterhin sollen Geisteswissenschaftler geistige Leistungen in ihrer Qualität einschätzen können und im positiven Fall loben, um andere mit der eigenen Begeisterung anzustecken.
Vor allem sollten wir den Mut haben, riskant zu denken. Ich meine damit jenes Denken, das Alternative und Provokation im Verhältnis zu den etablierten Bedeutungen, Werten und Logiken sein will, jenes Denken auch, das man aus guten Gründen im Alltag nicht praktiziert, weil es die Stabilität unserer Alltagssituationen gefährdet.
Geisteswissenschaften sind insofern eine Geheimlehre, die nur Eingeweihten zugänglich ist. Ein entsprechendes Studium lohnt sich auch heute, da wir uns nie darauf verlassen sollten, daß uns die Profis das riskante Denken abnehmen.