ündete; fascio – „Bund” war vielmehr die übliche Bezeichnung …
… der italienischen Linken für „Bewegungen” ohne Parteicharakter. Die ersten „Faschisten” im engeren Sinn gehörten zu Mussolinis Fasci d’ Azione Rivoluzionaria, den „Revolutionären Aktionsbünden”, die er 1915 gebildet hatte, um die linken „Interventionisten” Italiens zu sammeln. Vorangegangen war ein dramatischer Frontenwechsel, bei dem er, der als sozialistischer Führer gerade noch mit dem Generalstreik für den Fall des Kriegseintritts Italiens gedroht hatte, vom radikalen Gegner zum ebenso radikalen Befürworter der Parteinahme wurde.
Die Nation, so lautete jetzt seine Forderung, müsse auf der Seite der Entente gegen die „reaktionären” Mittelmächte kämpfen, im Krieg werde das Proletariat gestählt für die kommenden Auseinandersetzungen und beweisen, daß es zur Führung des Landes fähig und berufen sei.
Die fascisti wandten sich gegen alle Befürworter der Neutralität, ganz gleich, ob sie sozialistische, liberale oder christliche Motive ins Feld führten. Eine Weltanschauung im eigentlichen Sinn besaßen sie nicht, aber eine tiefe Verachtung für Bürgerlichkeit und Pazifismus, was gut zur ideologischen Prägung Mussolinis paßte, die stärker von Nietzsche, der Lebensphilosophie überhaupt und den Ideen Sorels als von einer Schulung an Marx oder anderen Klassikern der Arbeiterbewegung bestimmt war.
Die Entscheidung für den Interventionismus zog den Bruch Mussolinis mit der sozialistischen Partei Italiens nach sich, als deren kommender Führer – duce – ihn viele schon betrachtet hatten. Bei Ende des Krieges war seine Zukunft entsprechend unsicher. In die frühere politische Heimat konnte er nicht zurückkehren, ein Übertritt auf die Gegenseite lag ihm fern und nur der tumultuarische „Nachkrieg” eröffnete ihm eine Perspektive. Unter dem Eindruck der beiden „roten Jahre” 1919 / 1920, als an den Mauern der Städte “Viva Lenin!” stand, die Arbeiter die Fabriken besetzten und rote Fahnen aufzogen und sich die sozialistische Partei der Kommunistischen Internationale anschloß, sammelte Mussolini seine alten und neue Anhänger, nicht nur, um einen italienischen Oktober zu verhindern, sondern auch, um die Ablösung der schwachen bürgerlichen Ordnung durch eine starke, nationalistische zu erreichen.
Der Ur-Faschismus war dabei nicht konterrevolutionär, sondern propagierte eine andere Revolution, verknüpfte den Wunsch nach Größe des Vaterlandes und „Verteidigung des Sieges” mit radikaldemokratischen und radikalsozialistischen Ideen, verlangte die Herabsetzung des Wahlalters, die Emanzipation der Frauen, die Einführung von Räten in den Betrieben, die Sozialisierung der Industrie, die Enteignung der Kirche und die Beseitigung des Königtums. Zeev Sternhell hat davon gesprochen, daß dieser Faschismus im Grunde aus einer “Revolte linker Nonkonformisten” entstand, die an der Verbürgerlichung des Proletariats litten, eine neue revolutionäre Kraft suchten und diese im Nationalismus fanden.
Der Versuch, sozialistische und nationalistische, eher „linke” und eher „rechte” Elemente zu verschmelzen, war deshalb ein Merkmal aller faschistischen Bewegungen, typisch wie die Tatsache, daß die Verschmelzung nie vollständig gelang, daß der Faschismus als Bewegung immer stärker auf die linke Programmatik setzte, während der Faschismus als Regime den Akzent in die Gegenrichtung verschob. Das heißt aber nicht, daß die linken Konzepte in Italien nach dem „Marsch auf Rom” ganz verschwunden wären. Sie wurzelten zu tief in der Geschichte des italienischen Faschismus, und die war eng mit der des italienischen Sozialismus verwoben. Allerdings reagierte die Parteilinke enttäuscht auf Mussolinis Anpassungskurs und die Schwächen des Korporativsystems. In den dreißiger Jahren träumte sie von einem „neuen Faschismus”, der das Kapital zum Feind erklären und den Faschismus zur Sache der Arbeiter machen sollte.
Erfolg hatten die Dissidenten damit nicht, da das Regime auf den Ausgleich mit den alten Eliten setzte. Es war deshalb folgerichtig, daß einer der führenden Köpfe des „neuen Faschismus”, Tullio Cianetti, zu den Frondeuren gehörte, die am 25. Juli 1943 die Absetzung Mussolinis durch den Großrat der Partei erzwangen. Das Ergebnis – eine Art gezähmter Faschismus – stellte Cianetti aber noch weniger zufrieden als das System Mussolini und er wechselte erneut die Seiten, stellte sich der „Italienischen Sozialrepublik” zur Verfügung, die im Norden unter deutschem Schutz für einige Monate existierte. Cianetti hoffte wie viele Linksfaschisten, mit dem „Programm von Verona” wieder an das von 1919 anschließen zu können und das Proletariat zu gewinnen. Die faschistische Republik als „Produktivstaat” plante tatsächlich die Übernahme von Großunternehmen in Arbeiterregie und entwickelte eine Agitation, die den Krieg zum erweiterten Klassenkampf zwischen den haves – den Westmächten – und den have nots – Italien und Deutschland – stilisierte.
Bemerkenswerter Weise pflegte die faschistische Linke in den dreißiger Jahren Sympathie für das NS-Regime, als Mussolini noch Distanz zu Deutschland hielt. Unter den Anhängern des „neuen Faschismus” glaubten viele, daß jenseits der Alpen die Macht der Arbeitgeber gebrochen sei und bewunderten die deutsche Wohlfahrtspolitik. Dabei waren die entschiedenen National-Sozialisten von Hitler längst aus der Partei gedrängt worden (Otto Strasser, Walter Stennes, Ernst Röhm), und eine innerparteiliche Opposition duldete er anders als Mussolini nicht. Nur wer zur Unterordnung bereit war, konnte bleiben, etwa Joseph Goebbels, der einmal mit der KPD geliebäugelt und Hitler einen „kleinen Bourgeois” geschimpft hatte, sich aus Opportunismus anpaßte, aber den „totalen Krieg” sofort als Möglichkeit begriff, sein braunes Jakobinertum doch noch umzusetzen.
Die Vorstellung vom Krieg als Revolution hatte schon die Faschisten der ersten Stunde beschäftigt, sie spielte auch für die Interpretation des Zweiten Weltkriegs eine Rolle. Als die deutschen Truppen Brüssel besetzten, begrüßte sie de Man mit den Worten, daß ihnen gelungen sei, woran der belgische Proletarier scheiterte: die Beseitigung der bürgerlichen Herrschaft. Und Jacques Doriot, derFührer des faschistischen Parti Populaire Française (PPF), erklärte nach der Niederlage Frankreichs, die kommende “Nationale Revolution” müsse die Revolution von 1789 fortsetzen und vollenden.
Es spielte bei de Man wie bei Doriot eine Rolle, das sie ähnlich vielen Führern des italienischen (Roberto Farinacci, Sergio Panunzio), französischen (Georges Valois, Marcel Déat, Pierre Laval), spanischen (Onésimo Redondo) und englischen Faschismus (Oswald Mosley) ursprünglich von der Linken kamen und diese Vergangenheit nie ganz abstreiften. Im Prinzip gilt der Befund auch für den deutschen Fall (Otto Strasser, Roland Freisler, in gewissem Sinn Goebbels), und die neuere Forschung hat überzeugend nachgewiesen, daß selbst Hitler – entgegen seiner Fama und der Auffassung seiner Hauptbiographen – nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs vorübergehend mit der Linken sympathisierte und im revolutionären München als Gefolgsmann von USPD oder Mehrheitssozialdemokratie galt.
Bezeichnend ist schließlich, daß der massive Antikommunismus der Faschisten oft mit einer verdeckten Sympathie für das feindliche System einherging. Selbstverständlich blieb nicht verborgen, wie sehr der “Sowjetpatriotismus” des “Großen Vaterländischen Krieges” faschistischen oder eigentlich national-sozialistischen Entwürfen ähnelte. Das erklärt zum Teil, warum es nach dem Zusammenbruch der faschistischen Regime nicht nur zu opportunistischen Anpassungen kam, sondern auch zu echten Bekehrungen. Der Führer der marginalen “Allrussischen Faschistischen Partei” etwa, Konstantin Rodzewski, stellte sich 1946 freiwillig den sowjetischen Behörden und meinte, er habe nun erst begriffen, daß Stalin dieselben Ziele verfolge wie er, daß Stalinismus eigentlich Faschismus sei. Genützt hat die Konversion nicht, Rodzewski wurde hingerichtet.
Glimpflicher ging es für jene Repräsentanten des NS-Regimes ab, die sich in der Nachkriegszeit der DDR zur Verfügung stellten. Das Spektrum reichte von Vincenz Müller, General der Wehrmacht und Ritterkreuz-Träger, der die „Kasernierte Volkspolizei” (KVP) aufbaute und zum stellvertretenden Innenminister ernannt wurde, über Siegfried Dallmann, NS-Studentenführer in Thüringen, 1950 bis 1952 Finanzminister des Landes Brandenburg, ab 1967 Präsident der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands” (NDPD), die man für die „Ehemaligen” geschaffen hatte, bis zu Karl Kurt Hampe, „Alter Kämpfer”, Parteichef von Görlitz, später für die „Entjudung” der Presse in Sachsen zuständig, dann Chefredakteur der National-Zeitung der NDPD. Die SED hatte schon seit 1947 versucht, die „kleinen Nazis” mit dem Argument zu gewinnen, daß das, was der „Faschismus” an sozialer Gerechtigkeit nicht habe erreichen können, nun vom Kommunismus verwirklicht werde; ihr prononciert nationaler Kurs mag zu der Vorstellung beigetragen haben, hier werde nur mit anderem Wortschatz, anderer Fahnen- und Uniformfarbe fortgesetzt, was 1933 begonnen wurde. Anfang der fünfziger Jahre hatten von den 5833 SED-Funktionären, die in den DDR-Ministerien beschäftig waren, immerhin 940 ein NSDAP-Parteibuch besessen. In einzelnen Bezirksverbänden der Partei lag der Anteil der „Ehemaligen” bei mehr als dreißig Prozent.
Ohne Zweifel war die deutsche Situation auf Grund der Spaltung und der Blockkonfrontation eine besondere, aber der Blick auf Italien zeigt doch überraschende Ähnlichkeiten. Vor allem intellektuelle Linksfaschisten schlossen sich nach dem Zusammenbruch dem Kommunismus an, von Giorgio Strehler und Paolo Grassi über Curzio Malaparte und Ignazio Silone bis zu Felice Chilanti. Selbstverständlich haben Stalinisten auf solche und andere Bekehrungen nur hingewiesen, wenn ihnen das taktisch klug erschien und immer hervorgehoben, daß davon der prinzipielle Unterschied zum Faschismus unberührt bleibe. Dessen linken Ursprung wollte man vergessen machen. Das war in den Zeiten des Kampfes anders gewesen. 1936, als das faschistische Regime von Dauer und der Antifaschismus zur Ohnmacht verurteilt schien, hatte das Zentralkomitee des PCI einen Appell an die Faschisten veröffentlicht, in dem es unter anderem hieß: „Italienisches Volk! Faschisten der alten Garde! Jungfaschisten! Die Kommunisten machen sich das faschistische Programm von 1919 zu eigen, das ein Programm des Friedens, der Freiheit, der Verteidigung der Arbeiterinteressen ist, und sagen euch: Kämpfen wir zusammen für die Verwirklichung dieses Programms.”
Die Abbildungen von oben nach unten: Broschüre des italienischen Korporationsministeriums in deutscher Sprache, wahrscheinlich 1940er Jahre, abgebildet ist der “Hof”, auf dem Mussolini aufgewachsen war; Aufnahmen von Veranstaltungen Doriots, nachdem er die Kommunistische Partei Frankreichs verlassen und einen großen Teil seiner proletarischen Anhänger im PPF gesammelt hatte; Klebezettel der NSDAP von 1930.