Die Soldatin Matijevic mit dem Wilkomirski-Syndrom

von Felix Springer

Als der Schriftsteller Daniel Ganzfried 1998 der Öffentlichkeit die Unwahrheiten in den Holocausterinnerungen des „Binjamin Wilkomirski“...

ali­as Bru­no Dös­sek­ker auf­zeig­te, lös­te das eine leb­haf­te Debat­te über das Ver­hält­nis von Erin­ne­rungs­li­te­ra­tur, his­to­ri­scher Wahr­heit und Medi­en­be­trieb aus. Mit dem Erschei­nen von Danie­la Mati­je­vics Buch „Mit der Höl­le hät­te ich leben kön­nen“ gibt es jetzt erneut Anlass dazu.

Die Autorin erzählt dar­in ihre Erleb­nis­se als Sol­da­tin im Ein­satz im Koso­vo. Wie Wil­ko­mir­skis Publi­ka­ti­on „Bruch­stü­cke. Aus einer Kind­heit 1939–1948“ erhält auch Mati­je­vics Buch sei­ne Bri­sanz aus der scho­nungs­lo­sen Schil­de­rung von Sze­nen grau­sams­ter Gewalt und nack­ter Not. So berich­tet sie, deut­sche Sol­da­ten sei­en so schlecht ver­sorgt gewe­sen, dass sie Hun­de ver­spei­sen muss­ten. Nach Gefecht und Mas­sa­ker habe sie mit ihren Kame­ra­den „knie­tief“ in Lei­chen gestan­den und vor ihren Augen habe die Erschie­ßung eines klei­nen Jun­gen stattgefunden.

Die­se Bil­der sind als wir­kungs­voll bekannt: Das ver­zwei­fel­te Ver­spei­sen von Unap­pe­tit­li­chem, das Waten durch Lei­chen und die Tötung unschul­di­ger Kin­der fin­den sich auch bei Wil­ko­mir­ski. Der erin­ner­te sich dar­an, aus Hun­ger Rat­ten geges­sen zu haben, im Labor von Dr. Men­ge­le durch ver­spritz­te Hirn­mas­se gekro­chen zu sein und im KZ der Hin­rich­tung sei­nes bes­ten und ein­zi­gen Freun­des bei­gewohnt zu haben. Dabei erga­ben sowohl Ganz­frieds Recher­chen als auch die Nach­for­schun­gen des damit beauf­tra­gen Zür­cher His­to­ri­kers Ste­fan Mäch­ler, dass der gebür­ti­ge Schwei­zer Bru­no Dös­sek­ker nicht nur die Per­son des Bin­ja­min Wil­ko­mir­ski, son­dern auch sei­ne Holo­caust-Bio­gra­phie selbst erfun­den hat, es han­del­te sich um „die ver­in­ner­lich­te Bil­der­samm­lung eines Men­schen, dem die Phan­ta­sie durch­ge­brannt ist“ (Ganz­fried).

In der Fol­ge geriet vor allem der Medi­en- und Kul­tur­be­trieb und des­sen unre­flek­tier­ter Umgang mit Holo­caust­li­te­ra­tur in die Kri­tik. Dazu ist mitt­ler­wei­le wahr­lich genug gesagt wor­den. Beein­dru­cken muss aber auch die Beharr­lich­keit, mit der Bru­no Dös­sek­ker an „sei­nem“ Wil­ko­mir­ski fest­hielt – bis heu­te kann nie­mand mit Sicher­heit sagen, ob es sich in die­sem Fall um einen beson­ders dreis­ten Betrü­ger oder um ein bedau­erns­wer­tes Opfer „fal­scher“ Erin­ne­run­gen han­delt. Liest man Mäch­lers Stu­die „Der Fall Wil­ko­mir­ski“, so scheint es sehr plau­si­bel, dass Dös­sek­ker sich infol­ge einer „Memo­ry-Reco­very-The­ra­pie“ gedank­lich in eine Alter­na­tiv­rea­li­tät flüch­te­te, die es ihm ermög­licht hat, die öffent­li­che Aner­ken­nung als bemit­lei­dens­wer­tes Opfer zu bekom­men, nach der er sich sehn­te. Dafür spricht auch, dass die his­to­risch unwah­re Bio­gra­phie des Wil­ko­mir­ski vie­le Par­al­le­len zu der his­to­risch wah­ren Bio­gra­phie des Bru­no Dös­sek­ker auf­weist – nur wird sie eben in die Grau­sam­kei­ten einer Holo­caust­ge­schich­te ein­ge­bet­tet. Die patho­lo­gi­sche Sehn­sucht, als Opfer öffent­li­che Aner­ken­nung zu erfah­ren, fand so den Namen „Wil­ko­mir­ski-Syn­drom“.

Auch die ehe­ma­li­ge Sol­da­tin Mati­je­vic scheint davon betrof­fen. In der ver­gan­ge­nen Woche berich­te­te die FAZ sehr detail­liert über die offen­sicht­lich erfun­de­nen Erleb­nis­se der Danie­la M. Die gelern­te Ret­tungs­sa­ni­tä­te­rin war zwar tat­säch­lich als Sani­täts­sol­da­tin im Koso­vo im Ein­satz, ihre trau­ma­ti­schen Erleb­nis­se sind aber alle­samt erfun­den. Die Beweis­last ist dabei so erdrü­ckend, dass kein Mensch, der auch nur über ein Min­dest­maß an Reflek­ti­ons­ver­mö­gen ver­fügt, ernst­haft davon aus­ge­hen kann, damit dau­er­haft durch­zu­kom­men. Ähn­lich wie Wil­ko­mir­ski beschränkt sich Mati­je­vics Ver­tei­di­gung dar­auf, ihren Kri­ti­kern mit Empö­rung oder Ver­schwö­rungs­vor­wür­fen zu begeg­nen. Die Offen­sicht­lich­keit der Unwahr­heit steht in so augen­fäl­li­gem Kon­trast zu ihrem selbst­be­wuss­ten Auf­tre­ten, dass sich eine kli­ni­sche Erklä­rung auf­drängt. Die Frau hat sogar einen Vete­ra­nen­ver­band gegrün­det, in des­sen Namen sie mehr­fach im öffent­lich-recht­li­chen Fern­se­hen sprach und des­sen Netz­prä­senz nicht beson­ders geeig­net ist, den Ver­dacht der Selbst­in­sze­nie­rung zu zer­streu­en. Das wie­der­um erin­nert an den Fall der „Lau­ra Gra­bow­ski“ ali­as „Lau­ren Strat­ford“ ali­as Lau­rel Will­son, die sich zuerst als Über­le­ben­de eines angeb­li­chen Sata­nis­ten-Kul­tes, spä­ter auch als Holo­caust-Über­le­ben­de im Namen von Opfer­ver­bän­den durch die ame­ri­ka­ni­sche Medi­en­land­schaft schummelte.

Im „Fall Wil­ko­mir­ski“ brauch­te es drei Jah­re bis die Wahr­heit an die Öffent­lich­keit kam und noch ein­mal ein Jahr, bis der Ver­lag das Buch aus dem Ver­kauf nahm. Mati­je­vics „Mit der Höl­le hät­te ich leben kön­nen“ steht jetzt seit etwas mehr als einem hal­ben Jahr in den Buch­lä­den und der Hey­ne-Ver­lag lis­tet es noch immer als „Sach­buch“. Man kann nur hof­fen, dass sich das bald ändert – denn jedem trau­ma­ti­sier­ten Sol­da­ten leis­tet die­se pein­li­che Gru­sel­ge­schich­te einen Bärendienst.

Der Fall “Wil­ko­mir­ski” ist über­i­gens der Auf­hän­ger für die in 2. Auf­la­ge erschie­ne­nen Stu­die “Unse­re Ehre heißt Reue”. Der Schuld­stolz der Deut­schen, die das Insti­tut für Staats­po­li­tik erar­bei­tet hat.
Und über weib­li­che Sol­da­ten und die Fra­ge nach ihrer Belast­bar­keit im All­ge­mei­nen han­delt die gera­de eben erschie­ne­ne Stu­die Die Frau als Sol­dat.

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