gesagt haben. Leider taugt der im Bereich der politischen Auseinandersetzung so unentbehrliche Begriff “Dummheit” nicht als diskursanalytische Kategorie. So müssen wir uns mit anekdotischer Evidenz begnügen, und mit Mutmaßungen, um das Phänomen der “Herrschaft des Verdachts” in den Griff zu bekommen.
Volkmar Wölk, auch bekannt unter dem nom de plume “Jean Cremet”, ist alles andere als ein dummer Kerl. Lange bevor es einen Mathias Brodkorb gab, ist er unter der Masse der Berufsantifanten durch einen vergleichsweise sachlichen Tonfall und ein stupendes Detailwissen über die “faschistische Ideologie” aufgefallen, das in Deutschland wohl allenfalls von Karlheinz Weißmann übertroffen wird.
Ich persönlich habe geradezu sentimentale Gefühle für ihn, hat er doch unvergessenermaßen Mitte der Neunziger Jahren uns verirrten, tabubruch-süchtigen Jung-Grufties lustige Ideen eingeblasen und spannende Fährten gelegt, auf die wir von alleine in dieser Form kaum gekommen wären. (Diese teilweise “self-fulfilling prophecy” war aber nur die eine Seite einer wesentlich vertrackteren Geschichte.)
Wölk war parteipolitisch für die PDS ebenso wie heute für die Linke aktiv, benutzt als Autorenpseudonym den Namen eines französischen Kommunisten und Sowjet-Spions, und hat am 30. 3. in Berlin einen Vortrag im Willi-Münzenberg-Saal an der Rosa-Luxemberg-Stiftung gehalten, jener passionierten Dame, die Deutschland nach dem Vorbild Lenins in einen revolutionären Bürgerkrieg stürzen wollte, und von der der schon eingangs zitierte August Bebel sagte, er habe bei ihren Reden unweigerlich auf seine Stiefelspitzen sehen müssen, “ob diese nicht im Blut wateten.”
Ich weiß nicht, ob all diese gehäuften Kommie-Namen Herrn Wölk schon zum “extremen Linken” und blutrünstigen Bolschewiken machen, der womöglich einen Spartakusaufstand und den Bau von Umerziehungslagern ausheckt. Jedenfalls findet er ebenso wie viele seiner Parteigenossen den Kommunismus schick genug, um sich aus seinem Fundus reichlich zu bedienen. Und genau hier kommt seiner Klugheit etwas Fatales in die Quere: der Mann hat eine klare politische Agenda, und wie in allen Kriegen gehört die geistige Redlichkeit zu deren ersten Opfern.
Momentan tingelt Wölk mit einer Aufklärungs‑, oder besser: “Entlarvungs“tour über den sozialdemokratischen Diversanten Mathias Brodkorb durch die Lande:
“Endstation rechts” hat sich in den vergangenen Jahren zu einer der wichtigsten Internet-Informationsplattformen über die extreme Rechte entwickelt. (…) Kopf hinter dem Unternehmen ist der mecklenburg-vorpommernsche SPD-Landtagsabgeordnete Matthias Brodkorb. Doch im Gegensatz zum ebenfalls sozialdemokratischen “Blick nach rechts” ist “Endstation rechts” heftig umstritten. Eigene Recherchearbeit findet kaum statt. Brodkorb & Co. sind eifrige Verfechter der Extremismusdoktrin. Als “rechtsextrem” abgehandelt werden nur die NPD und die Kameradschaften, die “Neue Rechte” und Projekte in der Grauzone dagegen vor dem Extremismusvorwurf in Schutz genommen und zum Teil sogar hofiert. So finden Debatten der AutorInnen mit Exponenten der extremen Rechten (z.B. Karlheinz Weißmann vom Institut für Staatspolitik) in den Kommentarspalten statt. Brodkorb wiederum wird von der bürgerlichen Presse gegen den gemeinen “Antifaschismus” in Anschlag gebracht; FAZ-Überschrift: “So intelligent kann Antifaschismus sein”. Volkmar Wölk wird Ideologie und Politik des Endstation-Herausgebers kritisch beleuchten.
So schnell geht das! Eben noch hat Brodkorb im “Jahrbuch für Extremismus und Demokratie” eine Kritik am Modus des “Entlarvens” in der “politisierten Wissenschaft” veröffentlicht, nun wird er prompt von links mit exakt denselben Methoden und “Diskursmustern” angegriffen, die er in seinem Aufsatz beschrieben hatte.
Nun hat Wölk lustigerweise selbst unter Beweis gestellt, daß er anders kann, wenn er nur will, als er nämlich eine Dissertation von Clemens Heni über Henning Eichberg (ein heute linksgerichteter ideologischer Großvater der “Neuen Rechten”) aus weitgehend identischen Gründen wie Brodkorb verrissen hat:
Heni beschreibt in seiner Dissertation immer wieder die Andockversuche Eichbergs bei der politischen Linken und deren Publikationsorganen. Er sieht darin allerdings fälschlich lediglich ein taktisches Manöver. (…) Statt des scharfen Skalpells nutzt Clemens Heni unterschiedslos das Fallbeil. Er sucht Belege für Nationalismus, Antisemitismus und Antiamerikanismus und findet sie natürlich – immer und bei jedem, besonders auf der politischen Linken. Jenseits von intellektueller Redlichkeit werden Aussagen entkontextualisiert und enthistorisiert. Ist dies geschehen, kann das Fallbeil in Aktion treten. Die betreffende Person oder Gruppierung ist „entlarvt“.
Cremet/Wölk kritisiert hier also eine Melodie, die nicht nur wir Sezessionisten, sondern alle, die heute rechts von der gegenwärtigen CDU stehen, nur allzu gut kennen.
Im nächsten Akt des Dramas meldete sich der sagenumwobene Eichberg himself auf ER zu Wort, und unterstützte emphatisch Brodkorbs Stoßrichtung:
Jeder Einwand, der gegen die Annahme einer Verschwörung erhoben wird, gerät selbst in den Verdacht, Teil dieser Verschwörung zu sein. Die Politik des Verdachts ist empirisch unwiderlegbar.
Angesichts dieser Hintergründe hat es eine gewisse Komik, daß Cremet/Wölk in der Kommentarspalte unter dem Artikel mit dem üblichen “Verdächteln” loslegte:
Nur der Korrektheit halber: er gehört nicht der “dänischen Linkspartei” an, sondern der Sozialistischen Volkspartei. Und: er rechnete sich also der “politischen Rechten” zu. Geht es noch schwammiger? Ist damit seine damalige Mitgliedschaft in der CDU gemeint? Zählt dazu seine Autorenschaft für “Nation Europa” des SS-Manns Arthur Ehrhardt? Zählt dazu seine Vordenkerrolle für die damalige (nationalrevolutionäre) Neue Rechte? Wäre er im letzteren Fall nicht bereits damals für Mathias Brodkorb als Gesprächspartner akzeptabel gewesen, da seiner Ansicht nach ja die “Neue” Rechte nicht extremistisch ist?
Meine Vermutung: sein detailierter Verriß von Henis Methoden hat seinen Impetus nicht in einer Ehrenrettung Eichbergs. Man kann leicht erraten, warum er sich hier so ins kritische Zeug gelegt hat:
Er (Heni) sucht Belege für Nationalismus, Antisemitismus und Antiamerikanismus und findet sie natürlich – immer und bei jedem, besonders auf der politischen Linken.
Was nun Wölk für Eichberg gelten lassen will (oder je nachdem, wie es gerade opportun ist, auch nicht), will er dem Rest der unter “Neue Rechte” schubladisierten Personal, also der “Jungen Freiheit”, Weißmann usw. nicht zugestehen. Ich bin hier vielleicht nicht ganz up-to-date, aber in dem Band “Jenseits des Nationalismus” (1999) hat der kommunistophile Wölk jedenfalls das “neu” in “Neue Rechte” noch in Anführungsstriche gesetzt, weil sich dahinter nichts anderes als der alte “faschistische” Wein in neuen Schläuchen befände. Dabei geht er im Endeffekt, trotz des größeren Detail- und Kontextwissens, auch nicht viel anders vor als der von ihm kritisierte Heni.
Zum zweiten Teil meiner Geschichte: Wölks Vortrag mit dem spaßigen Titel “Endstation Brodkorb” stand als öffentliche Veranstaltung auf der Netzseite der Rosa-Luxemburg-Stiftung ausgeschrieben. Von dem beigefügten Caveat fühlte ich mich nicht angesprochen:
Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die neonazistischen oder rassistischen Parteien oder Organisationen angehören, der Neonazi-Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.
Ich ging also hin, gespannt wie ein Flitzebogen, und bereit, mich über Brodkorbs nun endlich enttarnte Evilness aufklären zu lassen. Bisher habe ich ja kaum ein gutes Haar an ER gelassen, aber vielleicht ist mir was entgangen, und ich bin auf die gefinkelte Storchenmimikry hereingefallen, die zur Zeit ein paar arglose Sozis zur fiesen totalitären Bewegung nach dem Muster von “Die Welle” trimmt.
Leider betrat ein offenbar antifantisch inspirierter Mensch den Saal, der mich vom Sehen kennt. Der ging natürlich schnurstracks petzen. Ein Endfünfziger mit grauem Bart, von dem ich zunächst dachte, er wäre Volkmar Wölk himself, gab mir höflich (und subtil an meinen Sinn für fair-play appellierend) zu verstehen, daß dies hier als links-interne Veranstaltung gedacht wäre, die eigentlich nicht richtig öffentlich sei, und daß sich die Anwesenden in ihrer freien Meinungsäußerung beeinträchtigt fühlen könnten, wenn der Feind mithört.
Ich ahnte, daß nun jede weitere Diskussion zwecklos sein würde, empfand es aber als Ehrensache, den Boden noch ein paar Minuten zu halten. Haben Sie denn etwas zu verbergen? Haben Sie Angst vor einer kritischen Berichterstattung? Wovor haben Sie denn überhaupt Angst? Neinneinnein, wir haben nichts zu verbergen, wir haben keine Angst. Was nun angesichts der Geheimnistuerei nicht gerade überzeugend klang.
Inzwischen fing ein ergrauter, langhaariger älterer Herr an, die Verhörplatte abzuspielen, was besonders erheiternd war und mich unweigerlich an das Zitat von Bebel erinnerte. Er hielt triumphierend eine JF hoch. “Na, zeig uns doch, auf welcher Seite du hier etwas geschrieben hast.” Es war eine ältere Ausgabe, ich konnte mich nicht erinnern, ob da überhaupt etwas von mir drinnen stand. “Keine Ahnung.” – “Keine Ahnung?? Nun steh doch dazu, was du für die JF und die Sezession machst”, entlarvte er mich schneidig. “Na, hier steh ich doch, und ich steh auch dazu.” – “Ja, weil die JF angeblich nicht neurechts, sondern rechtskonservativ ist, wie??” entlarvte er mich ein weiteres Mal. “Das ist mir doch egal, wie Sie es nennen, irgendeine Schublade werden Sie schon finden.”
Inzwischen war der ganze, kleine Saal (es waren wohl nicht mehr als 20–30 Leute) Zeuge des Dramoletts und heizte sich langsam auf. Böse, kalte, humorlose Blicke trafen mich, ein paar pöbelten los: “Hau doch ab! Geh doch einfach!”, und der Begleiter des Neigungspetzers drohte mir “eins in die Fresse” an. Mir kam der Gedanke, eine kleine Abstimmung vorzuschlagen (“Wer dagegen ist, daß ich bleibe, hebe jetzt bitte die Hand”), aber das wäre wohl nicht so doll der Knüller gewesen.
Vermutlich hätten die Veranstalter nicht das Recht gehabt, mich hinauszuschmeißen. Ich hatte aber nun keine Lust, das ganze weiter eskalieren zu lassen. Wahrscheinlich hätte schon meine bloße diabolische Anwesenheit allen die Laune verdorben und in Schnappatmung versetzt. So gemein wollte ich dann doch nicht sein. Indessen ist das alles symptomatisch, und es geschah nicht nur, weil ich ein schlechter Rechter bin (welche simple Bezeichnung ich allen anderen Über‑, Unter‑, Neben-Klassifizierungskategorien vorziehe).
Ich frage mich zum Beispiel warum Wölk, wenn er schon unter dem Banner seiner Rosa und ihrer (bekanntlich binnenlinks gemeinten) Freiheit der Andersdenkenden referiert, nicht einfach den Genossen Brodkorb selbst einlädt und ihn fragt, “Mensch, Matze, was ist da los? Erklär doch mal.” Stattdessen zieh er es vor, einen Zickenkrieg zu eröffnen und eifersüchtig seinen Sandkasten und seine Lieblings-Spielsachen wie “Neue-Rechte-Enttarnung” zu verteidigen.
Ich glaube keine Sekunde, daß Brodkorb, der auch bei wohlwollendster Betrachtung eine unheilbar linke Socke ist, seine kritischen Artikel schreibt, weil er so nett zu uns Rechten und Konservativen sein will. Ich kann mir gut vorstellen, daß er sieht, wie gewisse Ideen und Fixierungen auch innerhalb der Linken verdummend und vergiftend wirken, wie ja durch Wölk wieder einmal prima unter Beweis gestellt. (Daß sie gegen die Rechte immer noch effektiver wirken, als offene, echte, rationale Auseinandersetzungen, steht auf einem anderen Blatt.)
Man will aber nicht miteinander reden, stattdessen bunkert man sich in klandestinen Verdächtigungs-Workshops ein, und entfernt alles, was von außen kommt, wie einen Bazillus, an dem man sich anstecken könnte, wenn er bloß anwesend ist und bloß zuhört, vielleicht sogar bloß existiert, irgendwo.
Wann immer ich mit den Entlarvungs-Affekten konfrontiert war, waren die Angst und die Unsicherheit der Betreffenden mit den Händen zu greifen. Es ist seltsam, verrückt und irgendwie auch komisch. Ich kann nicht sagen, wovor sie soviel Angst haben. Daß ihre Vorurteile nicht passen, daß sie hören müssen, was sie nicht verstehen oder nicht hören wollen, daß irgendetwas in Unruhe gebracht wird, was mit ihrem Selbstbild zu tun hat? Ich weiß es nicht, ich weiß aber auch, daß das häufig tatsächlich mit einer Art von Dummheit zu tun hat. Im Fall von Volkmar Wölk kann ich nur wiederholen, daß das hier gewiß nicht zutrifft, sondern vermutlich Methode hat. Schade für ihn, denn vielleicht hätte ich einige Dinge über seinen Vortrag zu sagen gehabt, die für ihn (und wen es sonst noch betrifft) von großem Interesse hätten sein können.
(Update: 13. 4. 2011)