Vesper, Ensslin, Baader revisited

In einigen Kinos läuft zur Zeit noch Andreas Veiels Film "Wer, wenn nicht wir", über die frühen Jahre von Gudrun Ensslin (seltsam maskulin: Lena Lauzenis)...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

und Bern­ward Ves­per (August Diehl). Die Basis bil­det das her­aus­ra­gen­de Buch “Ves­per, Ens­slin, Baa­der” (2003) von Gerd Koe­nen, das wie kein ande­res die psy­cho­lo­gi­sche Tie­fen­ge­schich­te der RAF erleuch­tet, ohne dabei ins Spe­ku­la­ti­ve abzugleiten.

In vie­ler Hin­sicht ist “Wer, wenn nicht wir” zum ästhe­ti­schen Gegen­stück von “Der Baa­der-Mein­hof-Kom­plex” gera­ten. Wäh­rend Uli Edel und Bernd Eichin­ger zehn Jah­re RAF im Zeit­raf­fer, als Ensem­ble­film und action­rei­che Geis­ter­bahn­fahrt durch­he­chel­ten, erzählt Vei­el die Vor­ge­schich­te des deut­schen Ter­ro­ris­mus als sich lang­sam ent­fal­ten­des Kam­mer­spiel, das sich auf sei­ne zuerst zwei, nach dem Auf­tritt von Andre­as Baa­der (Alex­an­der Feh­ling) drei Haupt­fi­gu­ren kon­zen­triert. Aller­dings gelangt auch Vei­el über ein blo­ßes “Re-Enact­ment” nicht weit hin­aus. Die Vor­zü­ge und Schwä­chen des Films hat der Alt-68er und Zeit­zeu­ge Peter Schnei­der recht gut im Tages­spie­gel zusam­men­ge­faßt.

“Wer, wenn nicht wir” bezeich­net wie schon Eichin­gers Spek­ta­kel eine Weg­mar­ke im all­mäh­li­chen Wan­del des Bil­des der RAF im Film. Nach dem Trau­ma des “deut­schen Herbs­tes” von 1977 waren die links­ge­rich­te­ten deut­schen Fil­me­ma­cher vor allem dar­auf kon­zen­triert, ihre frü­he­ren Par­tei­nah­men und Sym­pa­thien durch Idea­li­sie­rung der RAF zu recht­fer­ti­gen, vor allem wohl vor sich selbst. Immer­hin waren sie von ähn­li­chen Erfah­run­gen, Stim­mungs­la­gen, Lebens­ge­schich­ten, Uto­pien und fami­liä­ren wie sozia­len Milieus geprägt wie die Mein­hof, Meins, Ens­slin, Ves­per und Baader.

Dar­aus resul­tier­te eine Art von “Recht­fer­ti­gungs­ki­no”, von Tei­len von “Deutsch­land im Herbst” (1978) über Mar­ga­re­the von Trot­tas “Die blei­er­ne Zeit” (1981) bis zu Rein­hard Hauffs “Stamm­heim” (1985) und Mar­kus Imhoofs “Die Rei­se” (1986). Der bis ins hohe Alter vom Dämon sei­nes Vaters heim­ge­such­te Tho­mas Har­lan enga­gier­te für sein Expe­ri­ment “Wund­ka­nal” (1984), dem extrems­ten Bei­spiel aus die­sem Qua­si-Sub­gen­re, sogar einen ech­ten SS-Kriegs­ver­bre­cher, den er im Film von einem RAF-Kom­man­do ent­füh­ren und ver­hö­ren ließ. Har­lan reka­pi­tu­lier­te die links­ra­di­ka­le Vor­stel­lung vom Staat, der nach wie vor von reue­lo­sen NS-Eli­ten gesteu­ert wer­de, und frisch­te sogar den fata­len Mythos von der Ermor­dung der inhaf­tier­ten Prot­ago­nis­ten der “ers­ten Gene­ra­ti­on” durch die Staats­macht auf.

Von der qua­si-heroi­schen Idea­li­sie­rung Gud­run Ens­slins bei Mar­ga­re­the von Trot­ta und Bern­ward Ves­pers bei Mar­kus Imhoof bis zum rela­tiv neu­tral gehal­te­nen, oft auf lei­se Distanz gehen­den Por­trät Vei­els ist der Weg recht lan­ge gewe­sen, zumin­dest, wenn man ihn dar­an bemißt, daß gan­ze drei­ßig Jah­re dazwi­schen lie­gen. Die Schlüs­sel­fi­gu­ren des Links­ra­di­ka­lis­mus der Sech­zi­ger und Sieb­zi­ger Jah­re wer­den heu­te zwar all­ge­mein aus kri­ti­scher Distanz betrach­tet, sie wer­den aber immer noch nicht – im Dop­pel­sin­ne – so scharf gese­hen, wie man es könn­te, und wie sie ein Gerd Koe­nen, der einst selbst in die rote Wal­pur­gis­nacht ver­strickt war, dar­ge­stellt hat.

Das hängt vor allem damit zusam­men, daß die “ursprüng­li­chen” poli­ti­schen Moti­ve der Mein­hof & Co immer noch vage als teil­wei­se gerecht­fer­tigt oder sym­pa­thie­wür­dig gel­ten, vor allem, was ihre Axio­me in Bezug auf die NS-Ver­stri­ckung der Kriegs­ge­nera­ti­on und die wirk­li­che oder angeb­li­che “Ver­drän­gung” der NS-Zeit inner­halb der Nach­kriegs­ge­sell­schaft betrifft. (Eine an die Sech­zi­ger Jah­re anknüp­fen­de Pro­testro­man­tik wird lei­der auch im offi­zi­el­len Blog zum Film beschworen. )

Immer­hin fin­den sich Spu­ren einer skep­ti­schen Hin­ter­fra­gung der “guten Absich­ten” in “Wer, wenn nicht wir”. “Du scheinst dir den Faschis­mus gera­de­zu her­bei­zu­wün­schen”, sagt Gud­runs Vater, der von ihrem Fana­tis­mus erschreckt ist. “Was tust du, wenn er nicht kommt?” Die radi­ka­le Lin­ke also als Gefan­ge­ne eines “mobi­li­sie­ren­den Mythos”, den sie bis zur self-ful­fil­ling pro­phe­cy treibt. Als Gud­run wegen Brand­stif­tung im Gefäng­nis sitzt, sorgt eine mit­lei­di­ge Gefäng­nis­lei­te­rin, die mit ihrem mora­li­schen Eifer sym­pa­thi­siert, dafür, daß die­se bis zur Revi­si­on ihres Urteils auf frei­en Fuß gesetzt wird; dies nutz­te sie bekannt­lich zur Flucht. Ist die Gefäng­nis­lei­te­rin, die von ihrer guten, das Sys­tem “mit klei­nen Schrit­ten” ver­än­dern­den Tat über­zeugt ist, nun ein “nütz­li­cher Idi­ot” gewe­sen, ein Libe­ra­ler, der “den Mör­dern die Tür auf­schließt” (Jün­ger)?

Auch Gud­runs und Bern­wards Bezie­hung zu ihren Eltern, ins­be­son­de­re ihren Vätern, wird nicht durch ihre Bril­le gese­hen, son­dern läßt dem Zuschau­er Raum für ein eige­nes Urteil. Ves­pers Ver­hält­nis zu sei­nem Vater Will Ves­per, einem NS-treu­en “Blut-und-Boden”-Dichter, ist von einer Mischung aus Furcht, Bewun­de­rung, Selbst­täu­schung, und Nicht-Wahr­ha­ben-Wol­len geprägt, das von Ens­slin zu ihrem Vater von Ver­ach­tung, Nicht-ver­ste­hen-wol­len und ‑kön­nen und mora­li­sie­ren­der Ver­ur­tei­lung.  “Sie kön­nen immer ihren Vater Will Ves­per ver­tei­di­gen, aber nie­mals den Dich­ter”, sagt Wal­ter Jens (Ben­ja­min Sad­ler) in einer Schlüs­sel­sze­ne zu sei­nem jun­gen Stu­den­ten Bernward.

Heu­te, da wir zum Bei­spiel wis­sen, daß auch die links­li­be­ra­len Licht­ge­stal­ten der frü­hen Bun­des­re­pu­blik ihre Lei­chen im Kel­ler hat­ten, oder daß so man­cher “faschis­ti­sche Bul­le” gar für den Kom­mu­nis­mus arbei­te­te, sehen wir auch so man­che “Ursze­ne des deut­schen Ter­ro­ris­mus” (Koe­nen) in einem ande­ren Licht als jene, die mit­ten drin­nen im Dra­ma steckten.

Wirk­lich? Jedes­mal, wenn Vei­els Kino-Gud­run wie­der ein­mal ideo­lo­gisch auf­ge­putsch­te Tor­hei­ten von sich gibt (es braucht eine Wei­le, bis sie all­mäh­lich zur Paro­len her­vor­sto­ßen­den Pasio­na­ria wird), und vor lau­ter blind­wü­ti­gem Hyper­mo­ra­lis­mus aus den Näh­ten zu plat­zen droht, dann win­de ich mich inner­lich vor Pein­lich­keit bei dem Gedan­ken dar­an, wie­vie­le Kino­zu­schau­er neben mir das alles wohl gera­de für bare Mün­ze nehmen.

Wer kann aber die­se Per­so­nen im Film oder auch auf Ori­gi­nal­auf­nah­men reden hören, wie sie es taten, ohne ihre teil­wei­se beton­dum­me manich­äi­sche Hol­schnitt­den­ke und Affek­tuo­si­tät zu regis­trie­ren? Dies gilt auch und ins­be­son­de­re für Ulri­ke Mein­hof, die in gewis­sen Krei­sen ja immer noch einen Sta­tus als ernst­zu­neh­men­de Intel­lek­tu­el­le genießt. Ein schlüs­si­ges Bild der Trieb­kräf­te der RAF ergibt sich aber erst, wenn man am Lack der ideo­lo­gi­schen Phra­sen und Außen­dar­stel­lun­gen kratzt, die poli­ti­sche Tün­che bei­sei­te läßt und die neu­ro­ti­sier­te deut­sche See­le im “Land ohne Iden­ti­tät, ohne Hei­mat” (Syber­berg) freilegt.

Dann wird man auch ver­ste­hen, wie sehr die Obses­sio­nen der Prot­ago­nis­ten der RAF und der “Neu­en Lin­ken” wie der “Völ­ker­mord in Viet­nam”, der “US-Impe­ria­lis­mus”, der Mao-Fim­mel, der “Schah von Per­si­en”, die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit den Paläs­ti­nen­sern, die Par­tei­nah­me für die Black Pan­thers usw. eher mit psy­cho­lo­gi­schen Pro­jek­tio­nen und Pro­jek­ti­ons­be­dürf­nis­sen zusam­men­hin­gen, als mit kla­rer poli­ti­scher Ein­sicht. Vor allem lenk­ten sie von der Lage­er­kennt­nis der urei­ge­nen, deut­schen Pro­ble­ma­tik ab. Es war welt­frem­de poli­ti­sche Roman­tik, Flucht vor dem Schmerz und der Scham, ein Deut­scher zu sein, auch ein sich selbst über­schät­zen­der Tau­mel ange­sichts der neu­en, vor allem sexu­el­len Frei­hei­ten der gesell­schaft­li­chen Libe­ra­li­sie­rung, die über den sich rasch erschöp­fen­den Hedo­nis­mus hin­aus in eine neue, uto­pi­sche Sinn­stif­tung über­führt wer­den wollten.

Wenn Ves­pers nach­ge­las­se­ner Roman “Die Rei­se” (er nahm sich 1971, vom Dro­gen­miß­brauch in die Psy­cho­se getrie­ben, das Leben, wie spä­ter auch Mein­hof, Meins, Baa­der und Ens­slin), wirk­lich das “Tes­ta­ment einer Gene­ra­ti­on” ist, dann wirft das ein nie­der­schmet­tern­des Licht auf die­se und auf den Gehalt ihrer poli­ti­schen Ideen jen­seits des­sen, was sie an der Ober­flä­che ver­kün­de­ten. Die­se gan­ze Ver­faßt­heit hat­te aber durch­aus etwas mit einer kol­lek­ti­ven natio­na­len Men­ta­li­tät zu tun. Man muß nicht nur die Geschich­te der Ves­per und Ens­slin, son­dern auch die ihrer Eltern end­lich rich­tig erzäh­len. Die “Kul­tur der Geräusch­ar­mut und des Puri­ta­nis­mus” der Fünf­zi­ger Jah­re, von der Schnei­der in sei­ner Rezen­si­on schreibt, die “ästhe­ti­sche Wüs­te”, das “Bräun­li­che, Gelb­li­che, Geblüm­te der Tape­ten und Vor­hän­ge, die dunk­len Möbel und Schrän­ke, das Ecki­ge, Ver­klemm­te, Freud­lo­se der Woh­nun­gen und ihrer Bewoh­ner, die gelähm­ten Gesprä­che am Mit­tags­tisch” – hat man denn ihre Ursa­chen und Hin­ter­grün­de heu­te wirk­lich schon verstanden?

Es wur­de oft gesagt, die RAF-Prot­ago­nis­ten wären die Kin­der Hit­lers gewe­sen. Sie waren aber auch, und das wohl in noch stär­ke­rem Maße, die Kin­der der Re-Edu­ca­ti­on, und es ist wich­tig, zu begrei­fen, was das eigent­lich bedeu­tet. Dies wur­de von Gerd Koe­nen in fas­zi­nie­ren­der Wei­se her­aus­ge­ar­bei­tet, und Vei­els Film kann davon lei­der nur eine Ahnung geben. Immer­hin schei­nen in sei­ner Inter­pre­ta­ti­on von fer­ne noch ande­re Ingre­di­en­zen durch, die die Fähr­te erneut auf einen deut­schen Iden­ti­täts­kurs lenken.

Eine Rezen­sen­tin for­mu­lier­te das so:

Das fata­le bil­dungs­bür­ger­li­che Drei­eck jedoch, bestehend aus Intel­lek­tua­li­sie­rung (Ens­slin), Skru­pel­lo­sig­keit (Baa­der) und Depres­si­on (Ves­per) wird man nicht so ein­fach negie­ren kön­nen. Dafür ist es zu ver­traut und typisch deutsch. Viel­leicht ist das auch die eigent­li­che Pro­vo­ka­ti­on die­ses Films. Denn wer ist das, wenn nicht wir?

Lin­ke wie rech­te Scheu­klap­pen abge­legt, kann das Stu­di­um der Geschich­te der RAF mit­ten in das Herz der erkrank­ten deut­schen See­le füh­ren, viel­leicht zur Selbst­er­kennt­nis ihrer Bestand­tei­le. “Schreck­li­che Zuta­ten, sagen Sie? Ja, das ist wahr. Aber sei­en Sie ohne Sor­ge; wenn Sie wüß­ten, womit die Kuchen ande­rer Völ­ker geba­cken sind.” (Joa­chim Fer­n­au, Dis­teln für Hagen).

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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