Über die Schwierigkeiten der Umerziehung (Normalismus 1)

von Adolph Przybyszewski

Als Herr K. in sein Dorf zurückkam, bemerkte er an sich wieder einmal eine Verachtung jener Masse, ...

… die er zuvor in einer Groß­stadt tage­lang an sich hat­te vor­bei­zie­hen las­sen. Dabei fiel ihm auf, daß er mit den ein­zel­nen Leu­ten daheim auf dem Land sicher gut aus­kom­men wür­de, wenn er sie erst ein­mal ken­nen­ge­lernt hät­te. Es sind ja ganz nor­ma­le Leu­te, die sich hier & jetzt aus­rich­ten an dem, was als nor­mal gilt. Läßt sich aber mit die­sen Leu­ten über­haupt “Staats­po­li­tik” machen?

Ob sich mit die­sen Leu­ten eine Revo­lu­ti­on machen lie­ße, das hat­te bereits Ende der 1960er Jah­re die Intel­li­gen­te­ren unter den Neo­mar­xis­ten umgetrieben:

Wenn es um die Befrei­ung der Mensch­heit geht
lau­fen sie zum Friseur.
Statt begeis­tert hin­ter der Vor­hut herzutrippeln
sagen sie: jetzt wär ein Bier gut.
Statt um die gerech­te Sache
kämp­fen sie mit Krampf­adern und mit Masern.
Im ent­schei­den­den Augenblick
suchen sie einen Brief­kas­ten oder ein Bett.
Kurz bevor das Mil­le­ni­um ausbricht
kochen sie Windeln.
An den Leu­ten schei­tert eben alles.

(H. M. Enzens­ber­ger: Über die Schwie­rig­kei­ten der Umerziehung)

Der Ein­wand, es sei müßig, lang­wei­lig oder gar kon­tra­pro­duk­tiv, sich mit den Über­le­gun­gen und Fra­ge­stel­lun­gen jener lin­ken Alt­vor­de­ren der heu­ti­gen bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Gesell­schaft aus­ein­an­der­zu­set­zen, ist gefähr­lich: Alle gro­ßen his­to­ri­schen Tat­sa­chen, und zumin­dest für die Deut­schen ist 1968 eine sol­che Tat­sa­che, haben bekannt­lich die Ten­denz, “sich sozu­sa­gen zwei­mal” zu ereig­nen: “das eine Mal als Tra­gö­die, das ande­re Mal als Far­ce” (MEW 8, S. 115). Eine ’neue Rech­te’ soll­te jeden­falls nicht als Far­ce der “neu­en Lin­ken” enden oder in gärt­ner­kon­ser­va­ti­ves Lamen­tie­ren ver­fal­len wollen.

Enzens­ber­ger schien sei­ner­zeit Zwei­fel an der Revo­lu­ti­ons­wil­lig­keit der “nor­ma­len” Leu­te zu haben; daß sich mit ihnen ein Staat machen ließ, davon ging er ins­ge­heim wohl aus. In sei­ner Ver­tei­di­gung der Nor­ma­li­tät wies er näm­lich dar­auf hin, daß der Natio­nal-Sozia­lis­mus mit sei­nen rigi­den Nor­mie­rungs­phan­ta­sien als groß­an­ge­leg­ter Ver­such ver­stan­den wer­den kön­ne, in Deutsch­land “rei­nen Tisch zu machen”: Daß aber die­se “Rech­nung Hit­lers (und Mor­genthaus) den­noch nicht auf­ge­gan­gen ist”, dar­an sei­en eben jene nor­ma­len Leu­te, die “Trüm­mer­frau­en, Heim­keh­rer, Ami-Fräu­leins” usw., die “Bast­ler, Schre­ber­gärt­ner und Häus­le­bau­er” schuld gewe­sen, “eine schwei­gen­de Mehr­heit, die dar­auf bestand, Deutsch­land wie­der herzustellen.”

Warn­te Enzens­ber­ger damit zwar vor einer “Ver­ach­tung der Nor­ma­li­tät”, galt ihm eine “Anbe­tung” der­sel­ben als noch arm­se­li­ger. Heu­te jeden­falls ist die Fra­ge berech­tigt, ob es eine sol­che “schwei­gen­de Mehr­heit” noch gibt, die dar­auf besteht, “Deutsch­land wie­der her­zu­stel­len”, wenn die tabu­la rasa droht. Trip­pelt denn die “Vor­hut” in eine Rich­tung, die für “die Leu­te” ein­mal nor­mal sein kann, oder ver­läuft sie sich ins Nir­wa­na “irgend­wel­cher Außenseiter”?

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