Intellektueller Verrat

pdf der Druckfassung aus Sezession 41 / April 2011

von Karlheinz Weißmann

Wenn man die Entwicklung der Kontroverse über Recht oder Unrecht der Islamkritik auf ihren Kern prüft, findet man wenig Substanz.

Der Erfolg von Patrick Bah­ners Buch Die Panik­ma­cher spricht nicht dage­gen, eher dafür. Was bleibt, ist der erstaun­li­che Sach­ver­halt, daß der Feuil­le­ton­chef der ein­fluß­reichs­ten bür­ger­li­chen Zei­tung ein aus­ge­spro­chen kon­ven­tio­nel­les Welt­bild hat und sich sei­ne poli­ti­schen Urtei­le – abge­se­hen vom grund­sätz­li­chen Wohl­wol­len für die Reli­gi­on – im Bereich des links­li­be­ra­len main­stream bewegen.

Bah­ners pflegt zwar eine kri­ti­sche Atti­tü­de ange­sichts der »homo­ge­ni­sier­ten natio­na­len Öffent­lich­keit« und dem Popu­la­ri­täts­dik­tat des Fern­se­hens, kul­ti­viert wei­ter sei­ne Nei­gung zum Ver­que­ren und Gesuch­ten in der Argu­men­ta­ti­on, aber trotz­dem ist das, was er vor­trägt, ste­reo­typ: erwart­bar, poli­tisch-kor­rekt, dar­auf aus, zu gefal­len, nicht jeder­mann, gera­de nicht dem Abon­nen­ten sei­nes Blat­tes, aber sei­ner peer group. Das heißt er folgt dem Bedürf­nis des Intel­lek­tu­el­len nach Aner­ken­nung durch seinesgleichen.

Beson­ders deut­lich wird das an dem Inter­view, das Bah­ners Mit­te Febru­ar der Zeit gege­ben hat. Ange­spro­chen auf sei­ne Kon­tra­hen­ten – ins­be­son­de­re Thi­lo Sar­ra­zin –, äußer­te er da, daß es heu­te »tat­säch­lich seriö­se Anschluss­mög­lich­kei­ten für einen natio­na­lis­ti­schen Dis­kurs« gebe, und: »… was man in den neun­zi­ger Jah­ren ›Extre­mis­mus der Mit­te‹ nann­te, das beschreibt die bür­ger­li­che Begeis­te­rung für Sar­ra­zin sehr genau. Zwar gab es damals Aus­län­der­feind­lich­keit – mit vie­len Todes­op­fern –, aber es fehl­te die intel­lek­tu­el­le Anschluss­fä­hig­keit. Das ist heu­te anders. Es gibt wie­der ein star­kes Inter­es­se an ›Wir-hier-die-da-Unter­schei­dun­gen‹. Wir Deut­schen hier, die Frem­den da.«

Bah­ners deu­tet die aktu­el­le Aus­ein­an­der­set­zung über Islam und Inte­gra­ti­ons­fehl­schlag als Etap­pe im ewi­gen Kampf zwi­schen Auf­klä­rung und Obsku­ran­tis­mus, meint, daß gegen die Dun­kel­män­ner und ‑frau­en die Ver­nunft zu Gehör gebracht wer­den muß, Huma­ni­tät gegen Vor­ur­teil, Wohl­wol­len gegen Angst, Beson­nen­heit gegen »Panik­ma­che«. Bemer­kens­wert dar­an ist eigent­lich nur der Hin­weis auf die inne­re Hete­ro­ge­ni­tät und Geschlos­sen­heit der Pha­lanx der Islam­kri­ti­ker. Tat­säch­lich muß man die Fra­ge stel­len, was ein Arnulf Baring mit Ali­ce Schwar­zer zu tun hat, was ein Udo Ulfkot­te mit Hen­ryk M. Bro­der, was eine Necla Kelek mit Peter Sloterdijk?

Zwar gibt es je indi­vi­du­el­le Moti­ve, von spä­ter Ein­sicht bis zu per­sön­li­cher Betrof­fen­heit, aber wich­ti­ger als das ist die Tat­sa­che, daß eine jener Gene­ral­de­bat­ten statt­fin­det, die immer auch dazu füh­ren, daß die Gren­zen der Mei­nungs­la­ger in Auf­lö­sung gera­ten, alte Loya­li­tä­ten zer­fal­len und sich neue Alli­an­zen bil­den. Heu­te führt das dazu, daß lin­ke Femi­nis­tin­nen mit Bür­ger­li­chen, rech­te Sozi­al­de­mo­kra­ten mit poli­ti­schen Frei­schär­lern, Chris­ten mit säku­la­ren Juden und Mos­lems eine Front bil­den, weil sie einen gemein­sa­men Feind sehen – in die­sem Fall den Isla­mis­mus, oder eigent­lich schon: den Islam, der ein poli­ti­sches Mit­spra­che­recht verlangt.
Das klas­si­sche Modell einer sol­chen Umgrup­pie­rung war die Drey­fus-Affä­re im Frank­reich des frü­hen 20. Jahr­hun­derts. Dabei ging es nur ober­fläch­lich um die Schuld eines Offi­ziers jüdi­scher Her­kunft, im Grun­de um die Fra­ge, ob die­je­ni­gen sie­gen wür­den, die sich als Anti­patrioten, Uni­ver­sa­lis­ten und Repu­bli­ka­ner betrach­te­ten, oder die­je­ni­gen, die sich als Patrio­ten, Iden­ti­tä­re und Fran­zo­sen ver­stan­den. Die Tat­sa­che, daß in den Rei­hen der zwei­ten – ver­ein­facht: der rech­ten – Par­tei vie­le fran­zö­si­sche Intel­lek­tu­el­le ver­sam­melt waren, hat in der ers­ten – ver­ein­facht: der lin­ken – für gro­ße Unru­he gesorgt. Denn solan­ge man hof­fen konn­te, es nur mit einer igno­ran­ten Mas­se zu tun zu haben, durf­te man sich sei­ner Sache sicher sein. Unter den gege­be­nen Umstän­den aber stand man vor dem Dilem­ma, daß die Ratio­na­li­tät und die euro­päi­sche Geis­tes­tra­di­ti­on, sogar die Beru­fung auf Revo­lu­ti­on und Nati­on auch von der Gegen­sei­te in Anspruch genom­men wer­den konnte.

Der Kon­flikt kam in der Zeit des Ers­ten Welt­kriegs zum Schwei­gen, flamm­te dann aber wie­der auf, ver­schärft durch die glo­ba­len ideo­lo­gi­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen der zwan­zi­ger und drei­ßi­ger Jah­re. Die Irri­ta­ti­on der Lin­ken und des jus­te milieu dar­über, daß die his­to­ri­sche Ent­wick­lung nicht ein­fach in ihre Rich­tung ging, zeig­te deut­lich Juli­en Ben­das 1927 erschie­ne­nes Buch La tra­h­ison des clercs – zu deutsch: »Der Ver­rat der Intel­lek­tu­el­len«. Ben­da war zu dem Zeit­punkt schon ein älte­rer Herr mit einem gewis­sen Renom­mee in der Phi­lo­so­phie, aber auch ein typi­sches Pro­dukt der Drit­ten Repu­blik, das heißt ein Dok­tri­när, dem es um den Nach­weis ging, daß es für den Intel­lek­tu­el­len die Sün­de wider den Geist sei, wenn er sich von der auf­klä­re­ri­schen Tra­di­ti­on abwen­de. Er kri­ti­sier­te mit Nach­druck jene Autoren der Rech­ten, die der Über­zeu­gung waren, daß es so etwas wie eine Legi­ti­mi­tät des Par­ti­ku­la­ren gebe, daß das Volk mit gutem Grund ver­lan­ge, daß man sei­ne Über­lie­fe­rung und sein Her­kom­men ach­te, daß man sich für sein So-Sein als Fran­zo­se in Frank­reich nicht recht­fer­ti­gen müs­se. Für Ben­da war das nichts ande­res als »Irra­tio­na­lis­mus«.
Bah­ners ist an die­sem Punkt etwas zurück­hal­ten­der. Er teilt nicht Ben­das Glau­bens­feind­lich­keit. Aber ansons­ten folgt er des­sen Mus­ter, wenn er die War­nun­gen vor Land­nah­me und taqi­y­ya (der reli­gi­ös erlaub­ten Ver­stel­lung) für alar­mis­tisch hält, und den Islam­kri­ti­kern vor­wirft, daß sie die Deut­schen ver­hetz­ten, indem sie ihnen Argu­men­te zur Ver­fü­gung stell­ten, um auf eine »anschluß­fä­hi­ge« Art, ihre Iden­ti­tät zu ver­tei­di­gen. Denn Bah­ners über­trägt sei­ne Sym­pa­thie für die Mus­li­me als sol­che und deren »etwas trot­zi­gen Wil­len, auf einem Leben nach den eige­nen Regeln zu behar­ren«, aus­drück­lich nicht auf sei­ne Lands­leu­te. Sie ist nur im for­ma­len Sinn kon­ser­va­tiv, tat­säch­lich geht es um die Hal­tung des­je­ni­gen, der das Frem­de als ein exo­ti­sches genie­ßen möch­te, wäh­rend er Moder­ni­täts­ver­wei­ge­rung im eige­nen Haus als bedenk­li­chen Man­gel betrachtet.

Zu erklä­ren ist das mit der typi­schen intel­lek­tu­el­len Gön­ner­haf­tig­keit, typisch vor allem für den Links­in­tel­lek­tu­el­len, der ins­ge­heim dar­auf war­tet, daß die Mas­sen end­lich zu sich selbst kom­men – das heißt sei­ne Erkennt­nis anneh­men – und bis dahin not­ge­drun­gen oder lust­voll Erzie­her­funk­tio­nen aus­übt. Der Rechts­in­tel­lek­tu­el­le emp­fin­det dage­gen einen aus­ge­präg­ten Wider­wil­len. Denn er weiß um den nihi­lis­ti­schen Zug jeder mas­sen­haf­ten Auf­klä­rung. Das feit ihn gegen die Annah­me, daß unse­re Gat­tung oder auch nur grö­ße­re Tei­le dahin gebracht wer­den kön­nen, sich durch­gän­gig ver­nünf­tig zu ver­hal­ten. Er wit­tert außer­dem den Macht­an­spruch des Auf­klä­rers, sei­ne »bös­ar­ti­ge Men­schen­lie­be« (Edmund Bur­ke) und erin­nert an all die Fäl­le, in denen der »Freund der Mensch­heit mit sei­nen unzu­ver­läs­si­gen Moral­grund­sät­zen der Ver­schlin­ger der Mensch­heit« (Fjo­dor M. Dos­to­jew­ski) wurde.

Es mag sein, daß der Kon­ser­va­ti­ve zuerst von einer Stim­mung gelei­tet wird, dem Wunsch, die Ver­gan­gen­heit zu rächen, aber sei­ne Wert­schät­zung für das Gewach­se­ne, die Tra­di­ti­on, das Kon­kre­te erklärt sich doch wesent­lich dar­aus, daß er sie als Wider­la­ger gegen die zer­stö­re­ri­sche Kraft des Wan­dels betrach­tet. Er leug­net die­sen Wan­del nicht und auch nicht des­sen Not­wen­dig­keit, sorgt sich aber dar­um, den Men­schen ihre Bin­dung zu erhal­ten. Nicht irgend­ei­ne »Liga­tur« (Ralf Dah­ren­dorf), son­dern die an eine kon­kre­te Ord­nung, Teil jenes Gan­zen, das unwan­del­bar bleibt.
Der Rechts­in­tel­lek­tu­el­le bean­sprucht damit kein Wis­sen vom Ziel der Mensch­heits­ent­wick­lung und ver­wirft die Uto­pie, sei­ne sys­te­ma­ti­schen Nei­gun­gen sind immer schwä­cher als die des Links­in­tel­lek­tu­el­len, aber selbst­ver­ständ­lich hat er eine Theo­rie, ver­stan­den im Sin­ne des grie­chi­schen theo­ria, was soviel wie »Anschau­ung« heißt, und sei­ne Über­zeu­gun­gen sind sicher die Kon­se­quenz eines intel­lek­tu­el­len Aktes. Trotz­dem gibt es auf die­ser Sei­te des poli­ti­schen Spek­trums einen spe­zi­fi­schen »Anti­intellektualismus«, einen Wider­wil­len gegen die »Pries­ter­herr­schaft« der »Sinn­ver­mitt­ler«, von der Hel­mut Schelsky sprach, gegen die »Mund­werks­bur­schen«, wie sie Arnold Geh­len bezeich­ne­te, oder Josef Schum­pe­ter, der das Kern­pro­blem so zusam­men­faß­te, daß Intel­lek­tu­el­le Men­schen sind, »die die Macht des gespro­che­nen und des geschrie­be­nen Wor­tes hand­ha­ben; und eine Eigen­tüm­lich­keit, die sie von ande­ren Leu­ten, die das gleich tun, unter­schei­det, ist das Feh­len einer direk­ten Ver­ant­wort­lich­keit für prak­ti­sche Dinge«.

Tref­fen­der als Sar­ra­zin kann man die Schwä­che von Bah­ners Posi­ti­on kaum cha­rak­te­ri­sie­ren. Er sprach in einer das Grund­sätz­li­che berüh­ren­den Bespre­chung der Panik­ma­cher von Bah­ners als einem, »der in der aus­län­der- und gewer­be­frei­en Bon­ner Süd­stadt im Ein­fa­mi­li­en­haus auf­wuchs, im fuß­läu­fig ent­fern­ten Bon­ner Beet­ho­ven­gym­na­si­um zur Schu­le ging, sodann in Bonn und Oxford stu­dier­te und anschlie­ßend, im Alter von 22 Jah­ren, der Redak­ti­on der F.A.Z. bei­trat. Von den Stür­men des Lebens ist Bah­ners wahr­lich ver­schont geblieben«.

Daher rührt die Abs­trakt­heit sei­nes Libe­ra­lis­mus, des­sen »Reli­gi­ons­freund­lich­keit« auch nichts damit zu tun hat, die fak­ti­sche Plu­ra­li­tät der Lebens­for­men gegen­über der Rege­lungs­wut des Staa­tes zu ver­tei­di­gen, son­dern zurück­geht auf das Abse­hen von der kon­kre­ten Lage. Daß die sich zuspitzt, hat Bah­ners wohl begrif­fen, aber er fürch­tet nicht den »mole­ku­la­ren Bür­ger­krieg« (Hans Magnus Enzens­ber­ger), son­dern die Wider­le­gung sei­ner intel­lek­tu­el­len Posi­ti­on. Die »Ent­zi­vi­li­sie­rung«, die ihm schwant, hat nichts zu tun mit dem Angriff des Mor­gen- auf das Abend­land, ver­fehl­ter Ein­wan­de­rungs­po­li­tik, demo­gra­phi­schem Kol­laps, Umkip­pen von Stadt­vier­teln, Inlän­der­feind­lich­keit und Analpha­be­ti­sie­rung der Unter­schicht, son­dern mit der man­geln­den Bereit­schaft zur deut­schen Selbst­auf­ga­be und dem Wil­len eini­ger, sich der Auf­lö­sung entgegenzustemmen.

Daß er die­se Auf­lö­sung fak­tisch befür­wor­tet und jetzt schon auf die Sei­te der künf­ti­gen Sie­ger tre­ten möch­te, wür­de Bah­ners bestrei­ten. Aber das ist nicht von Belang. Er folgt nur sei­nen vie­len Vor­läu­fern, die sich auch nicht hal­ten konn­ten auf dem schma­len Grad zwi­schen den Alter­na­ti­ven. Die »Wir-hier-die-da-Unter­schei­dun­gen«, von denen Bah­ners spricht und die ihm so wider­wär­tig sind, erklä­ren sich eben nicht aus einem mehr oder min­der patho­lo­gi­schen »Inter­es­se«, son­dern aus einer poli­ti­schen Lage. Wenn die sich zuspitzt – und die Inten­si­tät der Debat­te, die Sar­ra­zin ange­sto­ßen hat, spricht dafür –, dann kommt man um eine Par­tei­nah­me nicht her­um. Dann geht es zuletzt und im ernst nicht mehr um intel­lek­tu­el­le Spie­gel­fech­te­rei­en. Juli­en Ben­da, der Mah­ner und Auf­klä­rer, der Ver­fech­ter der Ratio­na­li­tät und des Dis­kur­ses, ist ein gutes Bei­spiel für das Gemein­te. Der glü­hen­de Anti­fa­schist und Kri­ti­ker der Rech­ten ende­te als Anhän­ger des Kom­mu­nis­mus und Ver­eh­rer Stalins.

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