KLEINE-HARTLAGE: Leider bleibt die grundsätzliche Kritik an der Politik der forcierten Masseneinwanderung, unabhängig vom Thema »Islam«, noch immer ohne entscheidende Resonanz, vor allem in den bedeutenden Medien. Zwar gewinnt die Islamkritik auch dort allmählich an Boden, aber von einer qualifizierten Debatte, die ja zugleich eine Debatte über die Grundlagen unserer eigenen Kultur sein müßte, ist man noch weit entfernt. Solche kritischen Positionen werden nur dort vertreten, wo auch die Akzeptanz der Islamkritik am weitesten fortgeschritten ist, also in der Sphäre einer rechtsalternativen Gegenöffentlichkeit, zu der ich neben der Jungen Freiheit Ihre Zeitschrift und vor allem diverse Netzforen zähle.
SEZESSION: In Ihrem Buch Das Dschihad-System thematisieren Sie die Verklammerung von Einwanderungs- und Islamisierungsdebatte. Sind Sie da ein Vordenker?
KLEINE-HARTLAGE: Die Diskussion über das angemessene Verhältnis von Immigrationsund Islamkritik steckt noch in den Anfängen, verspricht allerdings spannend zu werden: Idealtypisch sind die beiden Extrempositionen die der liberalen Islamkritik auf der einen Seite – Masseneinwanderung sei unproblematisch, solange keine Muslime einwandern – und die der Nur- Immigrationskritik auf der anderen, die die Islamisierung gar nicht als eigenständiges Problem sieht, sondern, wenn überhaupt, als vernachlässigenswerten Unterpunkt einer allgemeinen Überfremdungsproblematik.
Ich halte beide Positionen für gleichermaßen naiv: Es stimmt schon, daß Masseneinwanderung, auch wenn sie nicht muslimisch ist, auf die Dauer die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft auflöst – das muß man der liberalen Islamkritik entgegenhalten. Es ist aber – und das geht an die Adresse der Nur-Immigrationskritiker – ein großer Unterschied, ob man etwas in Wasser auflöst oder in Salzsäure. Der Islam ist die Salzsäure.
SEZESSION: Damit meinen Sie die Aggressivität, die in der missionarischen Aufladung des Politischen liegt und zu Heiligem Krieg und Terrorismus führen kann und geführt hat?
KLEINE-HARTLAGE: Das meine ich zwar auch, aber ich halte es für falsch, Islamkritik auf die Themen »Islamismus« und »Terrorismus« einzugrenzen. Islamisten, erst recht Terroristen, sind radikale Minderheiten innerhalb der islamischen Gemeinschaft. Es gäbe diese Minderheiten aber nicht, wenn sie nicht in der islamischen Gesellschaft über einen mächtigen Resonanzkörper verfügten. Die Idee, daß der Islam eine allumfassende Lebensordnung ist, die auch in der Politik, im Recht, im Familienleben unmittelbar zu verwirklichen ist, wurde von den Islamisten weder erfunden noch zurechtgebogen, sondern gehört zu den Grundlagen des Islam.
SEZESSION: Sind diese Grundlagen nach zwanzig Jahren in Köln oder Berlin nicht verwässert?
KLEINE-HARTLAGE: Man macht sich im Allgemeinen zu wenig klar, wie grundlegend sich das islamische Wertesystem vom abendländischen unterscheidet: Der Islam ächtet nicht die Gewalt, er regelt sie. Er geht nicht von der Gleichheit aller Menschen vor Gott aus, sondern von der Minderwertigkeit der Ungläubigen. Er erkennt keine Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten im Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen an – die »Ungläubigen« sind von vornherein im Unrecht. Entsprechend definiert er die islamische Gemeinschaft als primären Bezugspunkt sozialer Solidarität – unter Abgrenzung von den Ungläubigen. Und er macht die Konsolidierung und Ausbreitung des Islam als eines Gesellschaftssystems zum Letztmaßstab für Gut und Böse. Wer ein solches Wertesystem von Kindesbeinen an verinnerlicht hat, braucht nicht einmal besonders fromm zu sein, um sich so zu verhalten, wie dieses System es fordert. Integration im Sinne von Assimilation wird ihm wenig attraktiv erscheinen: Gerade weil Muslime aus Gemeinschaften kommen, die auf hohe kollektive Durchsetzungsfähigkeit angelegt sind, haben sie ein feines Gespür für die Auflösungs- und Degenerationserscheinungen unserer Gesellschaft.