Dramatisch ist die Lage im Nahen Osten, vor allem im Irak: Dort lebten unter dem zwar diktatorischen, jedoch konsequent säkularen Regime Saddam Husseins rund 1,2 Millionen Christen. Ihre Zahl ist aufgrund eines beispiellosen Exodus auf derzeit rund 300 000 gesunken.
Open Doors, ein Hilfswerk für verfolgte Christen (www.opendoors-de.org), erstellt Jahr für Jahr einen Weltverfolgungsindex. Für 2011 stehen auf den ersten zehn Plätzen acht Staaten, in denen der Islam die Religion der Mehrheitsbevölkerung ist. Die Beeinträchtigungen reichen vom Verbot, eine Bibel zu besitzen, über Festnahmen und Todesstrafen für Konvertiten bis hin zu systematischen Folterungen und Morden. Auf Platz eins des Index steht jedoch das nichtislamische, sondern atheistisch-kommunistische Nordkorea. Es folgen der Iran, Afghanistan, Saudi-Arabien und Somalia. Ebenfalls auf der Liste der 50 gefährlichsten Länder für Christen taucht die Türkei auf (Platz 30). Ihr wird vorgeworfen, daß sie christlichen Kirchen keine Rechtsgeschäfte, etwa den Erwerb neuer Grundstücke, erlaubt und ausländischen Christen häufig eine Arbeitsund Aufenthaltsgenehmigung verweigert.
Das Christentum ist mit rund 2,2 Milliarden Gläubigen die weltweit größte Religionsgemeinschaft (Moslems: rund 1,4 Milliarden) und gleichzeitig die am stärksten verfolgte Gruppe. Der Umgang der Hilfsorganisationen mit der Tatsache ist in zweifacher Hinsicht erstaunlich: Während etwa Amnesty International nach dem jüngsten Anschlag auf koptische Christen in Ägypten davor warnte, die Christenverfolgung als Phänomen überzubewerten, bemüht sich Open Doors in geradezu panischer Vorsicht darum, nicht islamkritisch zu wirken. So wurde die Bitte unserer Zeitschrift um Abdruckgenehmigung für eine Graphik abgelehnt. Die Pressestelle von Open Doors begründete dies in einem Telefongespräch damit, daß man für die Attentäter beten und keinesfalls im Islam den Hintergrund für Christenverfolgungen suchen wolle, und zwar auch dann nicht, wenn der eigene Weltverfolgungsindex diesen Zusammenhang mehr als nahelege. Vielmehr gehe es um den Dialog und eine entwaffnende Friedfertigkeit. Man könne sich beim Blick auf die Sezession nicht sicher sein, daß auch dort diese Linie vertreten würde.
Chronik markanter Fälle 2010
Ägypten – 6. Januar
Sechs christliche Kopten und ein Wachmann kommen bei einer Schießerei nach einer Weihnachtsmesse ums Leben. Drei Muslime hatten wahllos auf die Besucher der Messe geschossen, nachdem diese die St.-Johannes-Kirche in Nag Hammadi verließen. Trotz vorheriger Warnungen lehnte die Polizei den verstärkten Schutz der Kirche ab. Einer der mutmaßlichen Täter, Mohammed Ahmed Hussein, soll bereits vorher Verbrechen begangen haben. Er wurde jedoch nicht verhaftet, weil er in Kontakt zu einflußreichen Mitgliedern der Regierungspartei steht.
Nigeria – 7. März
Das Gebiet um die Hauptstadt Jos des zentralnigerianischen Bundesstaates Plateau ist immer wieder Schauplatz blutiger Angriffe von Muslimen auf Christen. In der Nacht des 7. März greifen Hunderte Muslime die drei Dörfer Dogo Nahawa, Zot und Rastat an, in denen hauptsächlich christliche Berom wohnen. Laut Berichten wurden unter »Allahu Akbar«-Rufen (»Allah ist größer«) binnen weniger Stunden mehr als 500 Christen getötet – darunter auch Schwangere und Kinder. Die Gegend um Jos ist die Schnittstelle des islamistischen Nordens und christlichen Südens Nigerias. Regelmäßig kommt es hier zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Hunderten Toten. Bereits im Januar 2010 und November 2008 hatte es größere Gewaltwellen gegeben. Gegenüber der Tagesschau erklärte Corinne Dufka von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zu diesen Massakern: »Nicht ein einziger, der damals getötet oder Gewalttaten verübt hat, wurde zur Verantwortung gezogen. Wir sind der festen Überzeugung, daß die Straflosigkeit diesen Teufelskreis der Gewalt hervorbringt.«
Nordkorea – Mitte Mai
23 Christen versammeln sich in einer Hausgemeinde in Kuwal-dong (Provinz Pyongan) zu einem Gottesdienst. Die Polizei entdeckt ihn und bringt die Gruppe in das Arbeitslager Nr. 15 in Yodok (Kwan-li-so). Die drei mutmaßlichen Leiter der Gruppe werden sofort zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die Hilfsorganisation Open Doors schätzt, daß in Nordkorea von den 400 000 Christen etwa 70 000 in Arbeitslagern einsitzen und zum Teil gefoltert werden. Nordkorea belegt 2011 zum neunten Mal in Folge Platz eins im Weltverfolgungsindex von Open Doors.
Pakistan – 21. Juni
Muslime ermorden eine Frau und ihre vier Kinder. Der zurückgebliebene Familienvater Jamshed Masih, ein Polizeioffizier, war zuvor in die islamische Provinz Punjab versetzt worden. Der geistliche Führer dieser Provinz, Maulana Mahfooz Khan, wollte ihn dort nicht dulden. Er soll gesagt haben: »In dieser Kolonie hat noch niemals ein Nicht-Muslim wohnen dürfen. Wir wollen in unserem Ort keinen Abschaum.« Zu dem Mord an der Familie Masih kommt es, als der Sohn in einem Geschäft die Frage nach seiner Religion wahrheitsgemäß beantwortet. Daraufhin macht sich ein Mob aus der Nachbarschaft, der von Khan angeführt wird, auf den Weg zum Haus der Familie Masih und tötet sie. Der Vater, Jamshed Masih, und die Polizei kommen zu spät und können die Gewalttat nicht mehr verhindern. Zu einer Anzeige gegen Khan wegen Mordes kommt es nicht. Die örtlichen Behörden weigern sich, diese aufzunehmen.
Irak – 31. Oktober
Der Al Qaida nahestehende Terroristen besetzen die syrisch-katholische Sajjidat-al-Nadscha-Kirche in Bagdad und nehmen Geiseln. Als die Polizei eintrifft, zünden die Attentäter ihre Sprengstoffgürtel und reißen 58 Menschen mit in den Tod. Weitere 60 Menschen werden verletzt.
Im Irak verüben immer wieder fundamentalistische Muslime Anschläge auf Christen. Open Doors zufolge kam es 2010 zu mindestens 90 Morden. Im Mai sterben bei einem Attentat auf einen Bus drei christliche Studenten, 180 werden verletzt. In der zweiten Februarwoche finden in der nordirakischen Stadt Mosul systematische Hinrichtungen von Christen statt. Über vier Tage wird jeweils einer erschossen. Mittlerweile leben im Irak nur noch etwas mehr als 300 000 Christen. 1991 waren es noch mehr als doppelt so viele. Im Weltverfolgungsindex belegt der Irak Platz 8 (Vorjahr: 17).
Nigeria – 24. Dezember
Am Heiligen Abend detonieren Bomben in Jos, in Maiduguri werden Kirchen mit Handfeuerwaffen angegriffen. 38 Christen kommen ums Leben. Ein Augenzeuge berichtet der Nachrichtenagentur Reuters: »Hier brennen Häuser, und verletzte blutüberströmte Menschen werden von Freunden und Angehörigen ins Krankenhaus geschleppt. « Zu den Anschlägen und Angriffen bekennt sich eine bisher unbekannte »Gruppe der Anhänger der Sunna für Mission und Dschihad «. In Maiduguri sind seit August somit mehr als 50 Christen Opfer religiös motivierter Angriffe geworden.
Die Anschläge vom Heiligen Abend lösen Unruhen aus, bei denen rund 50 Christen und Moslems ums Leben kommen. Die Zahl der Opfer auf beiden Seiten erhöht sich für das Jahr 2010 damit auf rund 500.
Ägypten – 31. Dezember/1. Januar 2011
Das Jahr endet für die Kopten, wie es begonnen hat: 20 Minuten nach Mitternacht detoniert vor der christlichen Saints Church in Alexandria eine Autobombe. 21 Menschen sterben, mehr als 40 werden verletzt. Der ägyptische Staatspräsident Muhammad Husni Mubarak betont unmittelbar nach dem Anschlag auf die christlichen Kopten, daß dieser die Handschrift ausländischer Täter trage. In der Folge brechen in Alexandria Unruhen aus, die von aufgebrachten Kopten getragen werden.