– unterstützt von zahllosen Kombattanten – seine Deutungshoheit beim Blick auf die jüngere deutsche Geschichte durch. Als Verlierer ging Ernst Nolte vom Feld. Ihm war es um die Sache gegangen, Habermas jedoch um Geschichtspolitik.
Sezession-Autor Siegfried Gerlich hat schon 2005 einen Gesprächsband mit Ernst Nolte veröffentlicht (Einblick in ein Gesamtwerk, Übersetzungen erschienen in Italien und Frankreich) sowie 2009 die grundlegende Werkbiographie Ernst Nolte. Portrait eines Geschichtsdenkers. Aus dem Gespräch seien zwei Abschnitte zitiert, sie dokumentieren Noltes Einschätzung der großen Auseinandersetzung.
GERLICH: Ist der Historikerstreit von Ihnen vorsätzlich provoziert worden, oder waren Sie von Habermas’ offensiver Reaktion auf Ihren initialen Beitrag und der folgenden Eskalation der Debatte überrascht?
NOLTE: Daß dieser Streit eine Intention von mir gewesen wäre, muß ich entschieden verneinen. Er begann ja gerade in dem Augenblick, als ich von der deutschen Linken wieder zu Gnaden aufgenommen werden sollte. So wurde ich zu den ‘Frankfurter Gesprächen’ eingeladen, um über das Thema ‘Vergangenheit, die nicht vergehen will’ zu sprechen, was ein geradezu klassisches linkes Thema war. Allerdings dachte ich anders darüber, als man wohl erwartet hatte, und jedenfalls wurde mir der Vortrag wieder entzogen. Daraufhin schickte ich ihn an Joachim Fest, der ihn annahm und am 6. Juni 1986 in der FAZ erscheinen ließ. Wenig später erschien in Israel etwas Kritisches dazu, aber den ersten gewichtigen negativen Beitrag lieferte Jürgen habermas. Und seitdem bin ich, wenn man so will, von diesem Historikerstreit nich mehr losgekomen. Wenn ich den Streit also gewiß nicht geplant hatte, so muß ich allerdings einräumen, daß er nicht ohne sachlichen Grund ausgebrochen ist. Im Grunde hatte ich ja schon 1980 in meinem Aufsat Zwischen Geschichtslegende und Revisionismus? etwas ganz Ähnliches gesagt, was in der Sache auf eine ausgeprägte Historisierung des Nationalsozialismus hinauslief. Hätte man bereits diesen Artikel ernstgenommen, so hätte man sich gleich sagen können: der Mann ist für die Linke nicht mehr zurückzugewinnen.GERLICH: Können Sie Hintergründe und Verlauf des Historikerstreits kurz schildern?
NOLTE: Der ganze Historikerstreit war ein mixtum compositum. Es fing damit an, daß die Bundesregierung ein Museum für Deutsche Geschichte eröffnen wollte. Und das paßte sehr vielen, insbesondere vielen Linken nicht, die befürchteten, dadurch würde die deutsche Geschichte in ein zu positives Licht gestellt. Durch diesen politischen Hintergrund bekam die ganze Sache eine aktuelle Brisanz, die ein Artikel eines einzelnen Historikers gar nicht hätte haben können. Ohne diese Vorgeschichte wäre ‘der Historikerstreit’ wohl kaum zu einem allbekannten Terminus geworden. Als erster wurde Michael Stürmer angegriffen, weil er die Konzeption der Bundesregierung am entschiedensten vertrat: ‘Geschichte in geschichtslosem Land’. Und die Museumsgründung sollte aus dem geschichtslosem Land wieder ein geschichtsbezogenes Land machen. Der nächste Angriff richtete sich gegen Andreas Hillgrubers Publikation Zweierlei Untergang, eine Buchbindersynthese von zwei ohne jeden Zusammenhang entstandenen Aufsätzen: Der eine über das Ende des europäischen Judentums war völlig orthodox und auf einer großen Tagung von Holocaustforschern bereits vorgetragen worden. In dem anderen Aufsatz Die Zerschlagung des Deutschen Reiches allerdings hat er auch aus seinem persönlichen Leben erzählt, und das war während des Krieges das Leben eines normalen deutschen Soldaten an der Ostfront gewesen. Über die Abwehrkämpfe im Osten sagte Hillgruber daher ungefähr das, was damals Millionen deutscher Soldaten empfunden hatten: “Wir verteidigen die Heimat. Wir haben kene Angriffsabsichten gegen die Sowjetunion oder die Russen. Wir verteidigen schlicht unsere Mütter, unsere Väter, unsere Kinder, und ermöglichen es der Bevölkerung der östlichen Gebiete sich in den Westen zu retten.” Das auszusprechen galt schon als etwas Schlimmes. Und dann kam ich mit meinem Artikel in der FAZ. Damit gelangte eine ganz andere Dimension ins Spiel, weil hier die Frage anders gestellt wurde – und weil Auschwitz ein Thema war. Das war natürlich der empfindlichste aller Punkte: daß ich hier, und sei es nur als Frage, angedeutet habe, daß möglicherweise die Motive der nationalsozialistischen Massenmörder immerhin verstehbar waren, weil sie nämlich andere Massenmörder im Auge hatten, denen gegenüber sie Angst, Haß und Erbitterung empfanden. Und das konnte zu einer anderen Auffassung des Nationalsozialismus im ganzen führen, den ich keineswegs apologetisch weißwaschen wollte; den ich aber doch in einer umfassenderen, nicht exklusiv deutschen Sichtweise beurteilt wissen wollte. Und so richtete sich der Zorn nicht ohne Grund ganz überwiegend gegen meinen Artikel.
In seiner Biographie verweist Gerlich darauf, daß Nolte mit einer Erwartung in den Streit gegangen sei, die auf die Kommunikationstheorie von Jürgen Habermas baute: dem anderen zuhören, eigene Argumente prüfen, Fehler zugeben, Formulierungen nachbessern, kurz – herrschaftsfrei um die Wahrheit ringen. Jedoch: Dem war natürlich nicht so:
Nolte selbst hätte eine herrschaftsfreie Kommunikation durchaus begrüßt, allerdings hielt er eine solche nur für möglich “als wissenschaftliche Erörterung unter gleichmäßig qualifizierten und orientierten Wissenschaftlern oder aber als Stammtischgerede über Fragen allgemeinster Bedeutung”. Zwar wurden von einigen Historikern auch qualifizierte Einwände gegen Nolte vorgebracht, aber die lautesten Stimmen der Gegenseite waren nicht einmal solche von Historikern, und so verfiel der Streit wirklich zuweilen auf Stammtischniveau.
Manchmal fragt man sich, warum nicht dieser einzige Streit ausgereicht hat, um Habermas und seine Methoden ad absurdum zu führen. Oder anders ausgedrückt: Habermas hat sein Kommunikationsmodell durch seinen Sieg im “Hysterikerstreit” (Immanuel Geis) selbst beerdigt.
Das Gesprächsbändchen Gerlich/Nolte wird derzeit reduziert für 5 € angeboten (früher: 12 €).
Und mehr Informationen zu Gerlichs Nolte-Biographie findet man hier.