Geschichtspolitik im AA

pdf der Druckfassung aus Sezession 39 / Dezember 2010

von Stefan Scheil

Die Amtszeit der 1998 etablierten Regierung Fischer/Schröder hat auf dem Gebiet der Geschichtspolitik tiefe Spuren hinterlassen. Dazu gehört eine Ausrichtung auf die Allein- und Kollektivschuldthese für den Zweiten Weltkrieg, wobei das ganze Ausmaß dieser Fixierung erst jetzt langsam zum Vorschein kommt. In direktem Zusammenhang damit steht der jüngst vorgelegte Bericht einer Historikerkommission über das Auswärtige Amt in der NS-Ära, den Fischer noch als Minister in Auftrag gegeben hat und der in den Feuilletons der Republik als fundierte Anklageschrift gefeiert wird (Eckart Conze u.a. [Hrsg.]: Das Amt und die Vergangenheit – Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München: Blessing 2010. 880 S., 34.95 €).

Bedau­er­li­cher­wei­se, denn er ist in bedeu­ten­den Tei­len eine Mär­chen­ge­schich­te. Dabei ist weni­ger wich­tig, wenn hier zum x‑ten Mal die Behaup­tung kol­por­tiert wird, Hit­ler habe 1936 einen unwil­li­gen Joa­chim von Rib­ben­trop als Bot­schaf­ter nach Lon­don geschickt, weil Rib­ben­trop eigent­lich lie­ber Staats­se­kre­tär wer­den woll­te. Tat­säch­lich hat­te Rib­ben­trop um den Lon­do­ner Pos­ten gebe­ten, obwohl er nach Hit­lers Wil­len Staats­se­kre­tär im Aus­wär­ti­gen Amt hät­te wer­den sol­len. Lon­don und der Ver­such, zu einem deutsch-eng­li­schen Bünd­nis zu kom­men, schie­nen ihm wich­ti­ger zu sein und waren es wohl auch. Natür­lich erfährt man dann in Das Amt nichts von dem betrüb­li­chen Abschluß­be­richt Rib­ben­trops als Bot­schaf­ter, in dem er fest­stell­te, statt eines Bünd­nis­ses sei ein eng­li­scher Angriffs­krieg gegen Deutsch­land mit­tel­fris­tig so gut wie sicher, wenn nicht über­haupt schon beschlos­se­ne Sache.

Um eben dies zu ver­hin­dern, ernann­te Hit­ler ihn dann zum Außen­mi­nis­ter, und Rib­ben­trop hol­te Ernst von Weiz­sä­cker auf den Pos­ten des Staats­se­kre­tärs ins AA, womit man dann zum nächs­ten Punkt der Gerüch­te­kü­che kommt. Es war nicht oder nicht nur Weiz­sä­cker, der »für Groß­deutsch­land und gegen den gro­ßen Krieg« war, denn dies stell­te den Kon­sens in der Füh­rung des Amts und des Staa­tes dar. Will man sei­nen Auf­zeich­nun­gen glau­ben, dann über­hol­te Staats­se­kre­tär Weiz­sä­cker dabei sei­nen Minis­ter Rib­ben­trop sogar gele­gent­lich rechts außen. Das gilt etwa für den Jah­res­wech­sel 1938/39, als Weiz­sä­cker notier­te, Hit­ler und Rib­ben­trop die sofor­ti­ge Redu­zie­rung Polens auf einen Puf­fer­staat emp­foh­len zu haben. Dies geschah zu einem Zeit­punkt, als Kanz­ler und Minis­ter den pol­ni­schen Staat als Bünd­nis­part­ner auf Basis der bestehen­den Gren­zen umwarben.

Weil dies in Das Amt nicht erwähnt wird (wohl weil es jen­seits des Hori­zonts der ver­ant­wort­li­chen Wis­sen­schaft­ler liegt), kommt es im wei­te­ren zu kaum faß­ba­ren Fehl­leis­tun­gen. So hat Hit­ler nicht, wie auf Sei­te 135 ohne jeden Beleg­ver­such behaup­tet wird, eine Woche nach dem Ein­marsch in Prag »von Polen die Rück­ga­be Dan­zigs und des Kor­ri­dors« ver­langt. Ein­mal davon abge­se­hen, daß jeder his­to­risch Halb­ge­bil­de­te weiß, daß Dan­zig 1939 gar nicht zu Polen gehör­te, hat Deutsch­lands Dik­ta­tor damals im Gegen­teil intern und extern bekräf­tigt, Polens gegen­wär­ti­ge Gren­zen aner­ken­nen, also auf den Kor­ri­dor aus­drück­lich ver­zich­ten zu wol­len. Dies war wei­ter­hin die Basis, auf der er einen Aus­gleich mit Polen such­te, auch wenn dies, wie Goeb­bels genau in die­sen Tagen in sein Tage­buch schrieb, einen »Biß in den sau­ren Apfel « bedeutete.

Das Amt arbei­tet sich in die Kriegs­zeit vor, auch hier Feh­ler über Feh­ler: Der Krieg sei von Deutsch­land »ohne Kriegs­er­klä­rung« begon­nen wor­den, erfährt man. Das wird ver­mut­lich dar­an lie­gen, daß er recht­lich von den West­mäch­ten mit einer Kriegs­er­klä­rung begon­nen wur­de und zwar trotz des am 2. Sep­tem­ber 1939 in Lon­don von einem Ver­tre­ter des Aus­wär­ti­gen Amts im Auf­trag von Rib­ben­trop und Hit­ler gemach­ten Ange­bots, die deut­schen Streit­kräf­te aus Polen wie­der zurück­zu­zie­hen. In die­sem Zusam­men­hang ist das Kapi­tel über das »Son­der­kom­man­do Küns­berg« inter­es­sant, mit dem das AA ver­such­te, belas­ten­de Akten der Gegen­sei­te in die Hän­de zu bekom­men. Das Amt macht dar­aus in zügi­gen Schrit­ten den Auf­trag, in ganz Euro­pa sil­ber­ne Löf­fel zu steh­len, oder wie es dort heißt, einen »Raub aller­größ­ten Aus­ma­ßes« durch­zu­füh­ren. Die tat­säch­li­chen Akten­fun­de in Prag, War­schau, Nor­we­gen und Frank­reich wer­den mit kei­nem Wort erwähnt, so wenig wie die dar­aus resul­tie­ren­den Publi­ka­tio­nen des Aus­wär­ti­gen Amts, in denen nach­ge­wie­sen wur­de, daß die West­mäch­te den Krieg nicht nur erklärt hat­ten, son­dern ihn im Rah­men einer Stra­te­gie der Kriegs­aus­wei­tung auf kür­zes­tem Weg auf neu­tra­le Län­der in Skan­di­na­vi­en und dem Bal­kan aus­wei­ten woll­ten – gegen deren Wil­len. Die in War­schau sicher­ge­stell­ten und vom AA ver­öf­fent­lich­ten »pol­ni­schen Doku­men­te zur Vor­ge­schich­te des Krie­ges« zwan­gen auch die USRe­gie­rung zu einem jahr­zehn­te­lang auf­recht­erhal­te­nen fal­schen Demen­ti, weil sie deren akti­ve Rol­le zwei­fels­frei – und anhand ech­ter Doku­men­te – erken­nen lie­ßen. Von all­dem schweigt Das Amt und nimmt die­se Doku­men­ta­tio­nen nicht ein­mal in die Biblio­gra­phie auf, obwohl sie für die recht­li­che und mora­li­sche Beur­tei­lung deut­scher Diplo­ma­ten die­ser Ära von über­ra­gen­der Bedeu­tung sind.

Im Brenn­punkt der übri­gen Dar­stel­lung der NS-Zeit steht die Rol­le des Aus­wär­ti­gen Amts bei der Ver­fol­gung und Ermor­dung der euro­päi­schen Juden. Neue Doku­men­te von bedeu­ten­der Aus­sa­ge­kraft kann die Kom­mis­si­on hier­zu nicht vor­le­gen, wes­halb sich ihre Lei­ter in meh­re­ren Inter­views über die Archiv­pra­xis des Aus­wär­ti­gen Amts beschwert haben. Dahin­ter ste­hen offen­bar Mut­ma­ßun­gen über zurück­ge­hal­te­nes Mate­ri­al, die den spär­li­chen Ertrag ent­schul­di­gen sol­len. Die­se Sach­la­ge hat die Kom­mis­si­on nicht dar­an gehin­dert, eine umfas­sen­de Ver­schär­fung des Urteils über das Aus­wär­ti­ge Amt vor­zu­neh­men. In meh­re­ren Inter­views – nicht im Bericht – war vom AA als ver­bre­che­ri­scher Orga­ni­sa­ti­on die Rede. Grund­la­ge sind bei­spiels­wei­se Spe­ku­la­tio­nen über die Ver­brei­tung des Wis­sens von Mas­sen­tö­tun­gen im Amt. Nach­weis­lich abge­zeich­net wor­den sind ent­spre­chen­de Berich­te der Ein­satz­grup­pen des SD aus dem Jahr 1941 von einer Hand­voll Per­so­nen, dar­un­ter Staats­se­kre­tär Weiz­sä­cker. Es »wider­sprä­che jeder Lebens­er­fah­rung«, so war aus der Kom­mis­si­on zu hören, wenn dar­über unter Kol­le­gen nicht umfas­send gespro­chen wor­den sei. Glück­li­cher­wei­se hat jedoch kei­ner der betei­lig­ten Wis­sen­schaft­ler eine Lebens­er­fah­rung, wie das so ist, wenn man als Funk­ti­ons­trä­ger eines Total­staats in ein Staats­ver­bre­chen ein­ge­weiht wird, das man selbst weder geplant noch ange­ord­net oder aus­ge­führt hat. Ob Reden über sol­che Din­ge üblich war, darf man zumin­dest bezweifeln.

Dies betrifft in noch höhe­rem Maß das Wis­sen um Ver­nich­tungs­la­ger. Es gibt kei­nen ein­zi­gen Beleg dafür, daß irgend jemand im Aus­wär­ti­gen Amt belast­ba­re Infor­ma­tio­nen über sol­che Lager hat­te. Auch die Kom­mis­si­on kann kei­nen sol­chen Beleg vor­wei­sen. Selbst Mit­ar­bei­ter im AA wie Hel­muth James von Molt­ke, die ent­spre­chen­de Gerüch­te gehört hat­ten, sie glaub­ten und aktiv nach Bele­gen such­ten, konn­ten nichts in Erfah­rung brin­gen. Das Aus­wär­ti­ge Amt betei­lig­te sich in der Tat an der Ent­rech­tung, sta­tis­ti­schen Erfas­sung und Depor­ta­ti­on der euro­päi­schen Juden. Dies geschah mit der Begrün­dung von Sicher­heits­po­li­tik und Arbeits­zwang vor den Augen der deut­schen und der Welt­öf­fent­lich­keit und unter Feder­füh­rung des Reichs­si­cher­heits­haupt­amts der SS. So war es auf der Wann­see­kon­fe­renz fest­ge­legt wor­den, an der das AA – ohne Wis­sen des Minis­ters – durch den Unter­staats­se­kre­tär Mar­tin Luther ver­tre­ten war, der Rib­ben­trop erst im Spät­som­mer 1942 inhalt­lich vage wis­sen ließ, daß da eine Kon­fe­renz statt­ge­fun­den habe. Chris­to­pher Brow­ning hat vor mehr als drei­ßig Jah­ren nach­ge­wie­sen, daß es im Aus­wär­ti­gen Amt vor allem der umtrie­bi­ge Luther war, der als direk­ter Ansprech­part­ner von Adolf Eich­mann fun­gier­te und die Juden­ver­fol­gung offen­bar als Kar­rie­re­chan­ce begriff.

Von all die­sen Per­so­nen spiel­te nach 1945 selbst­re­dend nie­mand mehr eine Rol­le im Aus­wär­ti­gen Amt, wenn sie über­haupt über­lebt hat­ten. Das Grund­an­lie­gen des zwei­ten Teils des Kom­mis­si­ons­be­richts, das AA nach 1945 im Sinn der frü­her von Ost-Ber­lin aus­ge­hen­den Kam­pa­gnen als Hort ver­kapp­ter Natio­nal­so­zia­lis­ten dar­zu­stel­len, beschränkt sich daher not­wen­di­ger­wei­se auf die drit­te Gar­ni­tur abwärts. Daß im neu­ge­grün­de­ten Amt auch Per­so­nen wirk­ten, die NSDAP-Mit­glied gewe­sen waren oder einen SS-Rang gehabt hat­ten, ist eben­falls kei­ne Neu­ig­keit. Die umfas­sen­de Ver­dam­mung die­ser Per­so­nen allein auf­grund die­ser Tat­sa­che kann nur befür­wor­ten, wer von den oben geschil­der­ten Zusam­men­hän­gen der inter­na­tio­na­len Poli­tik vor 1939 nichts weiß und nichts wis­sen will. Man­che Diplo­ma­ten ergrif­fen nach 1945 die Chan­ce, ein demo­kra­ti­sches deut­sches Staats­we­sen auf­zu­bau­en. Etwas ande­res geht auch aus dem Bericht nicht her­vor, den man wohl zu den erstaun­lich erfolg­rei­chen Anstren­gun­gen rech­nen darf, die­sem Staats­we­sen unter Zuhil­fe­nah­me von Tot­schwei­gen und Falsch­be­haup­tun­gen einen ahis­to­ri­schen Schuld­kult zu verpassen.

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