Buchna hat gerade eine Monographie zum Thema vorgelegt (Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr. Friedrich Middelhauve und die nordrhein-westfälische FDP 1945–1953, Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Bd 101, München: Oldenbourg 2010, kart., 248 S., 24.90 €), die aus seiner Magisterarbeit hervorgegangen ist. Ein solcher Hintergrund könnte skeptisch stimmen, aber gegen die handwerkliche Seite seiner Darstellung ist wenig zu sagen. Einwände müssen aber vorgebracht werden im Hinblick auf die Art und Weise, wie Buchna dieses Thema der Zeitgeschichte insgesamt deutet und einordnet.
»Nazi-FDP« war schon die Invektive, die Theodor Heuß für seine Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen bereit hielt, und damit meinte, daß die westdeutschen Freidemokraten nicht nur die »Partei der höheren HJ-Führer« bildeten, sondern für den Versuch standen, ehemalige Funktionäre und Mitglieder der NSDAP zusammenzufassen und mit Hilfe der FDP wieder zu einem politischen Faktor zu machen. Der Vorsitzende des Landesverbands, Friedrich Middelhauve, hätte dafür nicht nur auf den eigenen Lebenslauf – ohne braune Flecken – hingewiesen, sondern auch auf die im Prinzip von allen Parteien der Nachkriegszeit geteilte Überzeugung, daß es notwendig sei, die »Ehemaligen « politisch zu integrieren, schon um die Entstehung eines schwer kalkulierbaren Unruhepotential zu verhindern.
Buchna verweist ausdrücklich auf die biographische Prägung Middelhauves durch die Erfahrung des Scheiterns liberaler Reorganisation am Ende der Weimarer Republik. Nach seiner Darstellung gehörte Middelhauve zu jenen Mitgliedern der Deutschen Staatspartei, die seit 1930 versucht hatten, durch Zusammenschluß von DDP und Jungdeutschem Orden eine Art Blutauffrischung des Liberalismus zu erreichen. Sie kamen allerdings nie so weit, daß das »bündische« Element tatsächlich eingebunden, geschweige denn eine Massenbasis gewonnen worden wäre. Aufgrund dessen wollte Middelhauve nach dem Zusammenbruch unbedingt den Rückfall in alte Fehler vermeiden und dachte an die Schaffung einer nichtlinken, überkonfessionellen Volkspartei. Diese Motivlage erklärte auch seine anfängliche Sympathie für die CDU, von der er sich erst abwandte, nachdem klar genug geworden war, wie stark de facto der Einfluß des politischen Katholizismus blieb.
Ab 1946 setzte sich Middelhauve relativ rasch im komplizierten Gründungsprozeß der FDP Nordrhein-Westfalen durch, deren Vorsitz im Landesverband und in der Landtagsfraktion er übernahm. Das gelang ihm wegen der Schwäche der Linksliberalen, aber vor allem weil er als einer der wenigen die Frage beantworten konnte, wo die Freidemokraten eine hinreichend große und stabile politische Gefolgschaft finden wollten, wenn es ihnen nicht genügte, die antisozialistische Klientelpartei des Bürgertums zu bilden. Die Idee der »Nationalen Sammlung«, der gezielte Appell an Kriegsheimkehrer, Vertriebene und diejenigen, die durch die Entnazifizierung ein teilweises oder generelles Studier- oder Berufsverbot auferlegt bekommen hatten, schien dabei durchaus erfolgversprechend. In der zweiten Hälfte der vierziger Jahre galt die FDP jedenfalls als Partei der »Generalamnestie«, wenngleich man entsprechende Forderungen im Bundesverband nicht durchsetzen konnte, der sich wegen der Koalition mit der CDU/CSU in Bonn zu einer gewissen Zurückhaltung gezwungen sah.
Mit Middelhauves Parole »Rechts ran!« gelang es, den FDP-Stimmenanteil in Nordrhein-Westfalen deutlich zu steigern – ein Sachverhalt, dem Buchna aber weniger Gewicht beimißt als den internen Vorgänge: Mit dem ehemaligen Diplomaten Ernst Achenbach nämlich, der enge Beziehungen zur Industrie hatte und erhebliche Mittel für die Partei einwerben konnte, und Werner Naumann, weiland Protegé von Joseph Goebbels und Staatssekretär im Reichspropagandaministerium, gewannen zwei Nationalsozialisten der Führungsebene Einfluß auf die Organisationsstruktur der Freidemokraten, die Middelhauves Kurs nicht nur unterstützten, sondern auch forcierten.
Jedenfalls schien es, als ob sich langfristig die »nationalen« gegen die »liberalen« Kräfte (eine damals übliche Unterscheidung) durchsetzen würden. Die Bundesorganisation, die dem Einhalt zu gebieten suchte, war relativ schwach, in den Landesverbänden Niedersachsen und Hessen gab es deutliche Sympathien für die Linie Middelhauves, und Wahlerfolge offen rechtsradikaler Parteien in der ersten Hälfte der fünfziger Jahren schienen eher für als gegen seine Strategie zu sprechen.
Die ganze Entwicklung wurde allerdings abgeschnitten durch die »Naumann-Affäre« im Januar 1953. Die britischen Besatzungsbehörden, die ihre Reservatsrechte sehr großzügig auslegten, erließen einen Haftbefehl und setzten Naumann in einer Nacht- und Nebelaktion fest. Der gegen ihn erhobene Vorwurf lautete, daß er eine Art Putsch in der FDP geplant habe, um die Partei in eine nationalsozialistische Tarnorganisation umzubilden, die dann eine neue »Machtergreifung« vorbereiten sollte. Nachdem die Briten auf Dringen der Bundesregierung das Verfahren an deutsche Stellen abgegeben hatten, wurde es nach relativ kurzer Zeit eingestellt. Soviel immerhin war deutlich geworden, daß der »Gauleiterkreis« versucht hatte, seine Position in der nordrhein-westfälischen FDP auszubauen und die Partei wenn möglich zu »übernehmen«, aber von irgendwelchen illegalen, gar hochverräterischen Absichten konnte keine Rede sein.
Buchna kann nicht umhin, diesen jämmerlichen Ausgang der ganze Affäre zu referieren, möchte aber das Bedrohungsszenario aufrechterhalten, weshalb er auf die interne Ermittlung der Freidemokraten kommt, bei der die Gegner Middelhauves letztlich seine Entmachtung erreichten. Dieses Ergebnis wird zwar unter dem Gesichtspunkt der Parteiräson, aber leider nicht unter dem des innerparteilichen Kampfs um Einfluß und Pfründen gewertet. Das hätte eigentlich nahe gelegen, zumal der Autor ausdrücklich feststellt, daß vom Naumann-Kreis niemals eine »ernsthafte Gefahr« ausgegangen sei und sich die FDP unter Middelhauve in »keine rechtsextreme«, eher in »eine große nationalistische Partei rechts von der Union« verwandelt hätte, eventuell nach dem Muster der österreichischen »Freiheitlichen«.
Bemerkenswerter als diese Feststellung sind nur noch die Anmerkungen Buchnas im Blick auf die weitere Entwicklung, vor allem den Tatbestand, daß die »Jungtürken«, die auf dem Düsseldorfer Parteitag 1956 das bürgerliche Bündnis im Land zu Fall brachten und eine erste sozialliberale Koalition installierten, aus dem Umfeld der »Nationalen« kamen (Erich Mende, Willy Weyer, Walter Scheel und in gewissem Sinn Otto Graf Lambsdorff), und daß einer der Wegbereiter der SPD-FDP-Allianz im Bund und Architekten der Neuen Ostpolitik jener Ernst Achenbach war, der zu den wichtigsten Vertrauten Naumanns gehörte und seine Parteikarriere als Mann des linken Flügels beendete. Von solchen Zickzackbewegungen möchte man heute natürlich nichts mehr wissen. In dem eingangs erwähnten Fernsehbeitrag kommt Achenbach denn auch nur als Mitverantwortlicher für die Judendeportationen im besetzten Frankreich vor.
Selbstverständlich könnte man die geschilderten Vorgänge mit dem Interesse des Historikers behandeln, der abgeklärt schildert und analysiert, wie nach dem Zusammenbruch eines Regimes die Davongekommenen unter den neuen Bedingungen ihr Leben zu führen (und zwar erfolgreich und komfortabel zu führen) suchen. Aber solche Nüchternheit ist hierzulande nicht erwartbar, wo man auch Ladenhüter der Vergangenheitsbewältigung wieder und wieder erfolgreich anbietet.