Geschichte in den Medien als „Kultur-Über-Ich“

Wer die für die meisten wohl angenehme „Erfahrung des transzendentalen Einsseins mit allen anderen empfindungsfähigen Geschöpfen“ (Aldous Huxley) machen möchte,...

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

muß das mythi­sche Geschichts­bild sei­ner Zeit tei­len. Ande­rer­seits droht Gewis­sens­angst, weil die Ide­al­for­de­run­gen des „Kul­tur-Über-Ich“ (Sig­mund Freud) nicht befolgt wur­den. Die­ser aus­gren­zen­de Mecha­nis­mus ist im Umgang mit dem Drit­ten Reich beson­ders wirk­mäch­tig, so daß es bereits eine Grenz­über­schrei­tung ist, wenn man in die­sem Zusam­men­hang von bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Mythen spricht.

Zieht man eine wis­sen­schaft­li­che Defi­ni­ti­on des Mythos her­an, zeigt sich jedoch sehr schnell, wie berich­tigt die Rede davon ist. Der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Her­fried Mün­k­ler hat in sei­nem Buch Die Deut­schen und ihre Mythen drei Ele­men­te des Mythos unter­schie­den. Jeder bestehe aus nar­ra­ti­ver Varia­ti­on, iko­ni­scher Ver­dich­tung und ritu­el­ler Insze­nie­rung. Ste­hen dabei Nar­ra­tio­nen im Mit­tel­punkt, wür­den eher gesell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen in nächs­ter Zeit zu erwar­ten sein. Über­wie­gen jedoch die iko­ni­schen und ritu­el­len Ele­men­te ver­fes­ti­ge sich der sta­tus quo. Mün­k­ler mut­maßt, daß in der Gegen­wart die iko­ni­sche Ver­dich­tung gegen­über der nar­ra­ti­ven Varia­ti­on domi­nant wer­de. Dies dürf­te ins­be­son­de­re an der Omni­prä­senz der Fern­seh­bil­der, aber auch an der Ein­falls­lo­sig­keit des Print­jour­na­lis­mus liegen.

Lei­der ist Mün­k­ler nun zu fei­ge, mit die­sem theo­re­ti­schen Fun­da­ment die Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus ins Visier zu neh­men. Anschei­nend darf sich in Deutsch­land nur der ehe­ma­li­ge grü­ne Außen­mi­nis­ter Josch­ka Fischer erlau­ben, Ausch­witz als Grün­dungs­my­thos der Bun­des­re­pu­blik zu bezeich­nen. In Die Deut­schen und ihre Mythen geht es um die Nibe­lun­gen, Dok­tor Johann Faust, Luther, Preu­ßen, die Wäh­rungs­re­form in der BRD sowie selbst um so lächer­li­che Kam­pa­gnen wie „Du bist Deutsch­land“. Die Idee, daß auch nega­ti­ve Ereig­nis­se im Nach­hin­ein mythisch auf­ge­la­den wer­den kön­nen, ver­mei­det der Poli­to­lo­ge jedoch.

An den Jubi­lä­ums­in­sze­nie­run­gen zu „70 Jah­re Unter­neh­men Bar­ba­ros­sa“ las­sen sich den­noch alle Ele­men­te des Mythos nach­wei­sen. Die nar­ra­ti­ve Varia­ti­on ist in der gesam­ten Erin­ne­rungs­kul­tur rela­tiv gering, was auf eine Ver­fes­ti­gung des sta­tus quo schlie­ßen läßt. Gro­ße ritu­el­le Insze­nie­run­gen beschrän­ken sich auf Maga­zi­ne und Zeit­schrif­ten sowie ein paar Fern­seh­do­ku­men­ta­tio­nen, in denen alle­samt sehr ähn­li­che Pathos­for­meln zum Ein­satz kom­men. Die Bild­spra­che (iko­ni­sche Ver­dich­tung) schließ­lich ist einer­seits geprägt von ana­chro­nis­ti­schen Archiv­bil­dern (z.B. Pan­zer), die wenig Aus­sa­ge­kraft haben und nur als Bil­der­tep­pich ver­wen­det wer­den kön­nen, weil sich mit ihnen weder die eine noch die ande­re The­se (z.B. Prä­ven­tiv­krieg) bele­gen läßt. Ande­rer­seits set­zen die Medi­en, die in der Erin­ne­rungs­kul­tur als „Mytho­mo­to­ren“ wir­ken, zuhauf Sinn­bil­der von Adolf Hit­ler ein, die sei­nen bösen Cha­rak­ter bele­gen sol­len. Damit dies auch wirk­lich deut­lich wird, hat DER SPIEGEL ein Bild des Füh­rers von einem Reichs­par­tei­tag in Nürn­berg ein­ge­setzt, auf dem er mit Hit­ler­gruß vor Haken­kreuz­fah­nen und einer Men­schen­mas­se zu sehen ist. Hit­ler ist dar­auf ohne jeg­li­che Regung oder gar Wort­ge­walt zu sehen, den­noch wählt DER SPIEGEL die Bild­un­ter­schrift: „Der ‚Füh­rer‘ tobt und brüllt, um Gesprächs­part­ner zu beeindrucken“.

In den gegen­sei­ti­gen Über­trump­fungs­wett­be­werb, wer es schafft, Hit­ler am schlimms­ten dar­zu­stel­len, steigt auch der Cice­ro ganz weit oben ein. Dies ist die­ser Tage nicht ganz ein­fach, weil auch die The­se des His­to­ri­kers Rolf-Die­ter Mül­ler, ein Über­fall auf die Sowjet­uni­on sei bereits für 1939 geplant gewe­sen, ein Anwär­ter auf die vor­ders­ten Plät­ze ist. Aber das „Maga­zin für poli­ti­sche Kul­tur“ hat noch mehr zu bie­ten. Der in Deutsch­land leben­de Pole Wies­law Sme­tek hat ein Cover gezeich­net, auf dem Hit­ler die Welt­ku­gel mit einer Zan­ge zer­bricht. Dies ist eine Anspie­lung auf die Titel­sto­ry von Jochen Thies über die Welt­erobe­rungs­plä­ne Hit­lers: „Neben dem Russ­land­feld­zug, der im Okto­ber (1941, Anmerk. FM) been­det sein wür­de, lie­fen Pla­nun­gen für eine Zan­gen­ope­ra­ti­on, um die bri­ti­sche Posi­ti­on im Nahen Osten zum Ein­sturz zu brin­gen.“ Wie kon­kret die­se Plä­ne waren, kann Thies nicht bele­gen. Sei­ne The­se von der Welt­erobe­rung stützt er auf zwei wack­li­ge Indi­zi­en. Zum einen auf ein Zitat Hit­lers, wonach er „die domi­nie­ren­de Stel­lung auf der Welt“ haben möch­te. Von Sta­lin sowie unzäh­li­gen US-Prä­si­den­ten sind ähn­li­che Wor­te zu fin­den. Zum ande­ren auf die archi­tek­to­ni­schen Plä­ne des Drit­ten Rei­ches und die Erin­ne­run­gen von Albert Speer aus dem Jahr 1969. Die­se Jah­res­zahl unter­schlägt Thies selbst­ver­ständ­lich, sonst könn­ten womög­lich all­zu vie­le auf die Idee kom­men, er habe nichts Neu­es zu berichten.

Der Bogen in die Gegen­wart, um die unge­bro­che­ne Aktua­li­tät von Hit­ler zu bewei­sen, muß des­halb anders geschla­gen wer­den. Die immer ähn­li­chen Geschich­ten über das Drit­te Reich sind dazu wenig geeig­net. Sie sor­gen eher dafür, daß sich Geschichts­po­li­tik zur for­mel­haf­ten Erin­ne­rungs­re­li­gi­on mit eini­gen völ­lig über­höh­ten Iko­nen ent­wi­ckelt. Die SPIEGEL TV-Doku­men­ta­ti­on über den „bar­ba­ri­schen Krieg im Osten“ zeigt sehr anschau­lich das Dilem­ma: Der Erzäh­ler der Doku muß als Ver­kün­der der Wahr­heit auf­tre­ten und spricht aus dem Nichts sofort von einem „Über­fall“, ohne ihn zu die­sem Zeit­punkt bele­gen zu kön­nen. Die­sem Signal­wort, das die Nie­der­träch­tig­keit der Absich­ten und spä­te­ren Ver­bre­chen vor­weg­nimmt, folgt ein Bil­der­tep­pich der Kriegs­hand­lun­gen ohne Aus­sa­ge­kraft. Wer hier wen ange­grif­fen hat und war­um, bleibt unklar.

Schließ­lich muß der Vor­schlag­ham­mer aus­ge­packt wer­den und Bil­der des Grau­ens von Mas­sen­tö­tun­gen sol­len den Zuschau­er scho­ckie­ren. Doch die­se Schre­cken­si­ko­nen haben einen gewal­ti­gen Nach­teil. Der Medi­en­wis­sen­schaft­ler Götz Groß­klaus betont, daß „Bil­der kör­per­lo­sen toten Raums (z.B. das bom­bar­dier­te Dres­den 1945, Anm. FM) – und Bil­der ‚raum­lo­ser‘ toter Kör­per (Erschie­ßun­gen an der Ost­front, Anm. FM)“ „auf bedroh­li­che Wei­se latent blei­ben“. Das Gedächt­nis kann die­se Bil­der nicht bewäl­ti­gen, weil sie unvor­stell­bar sind und der Mensch sich aus anthro­po­lo­gi­schen Grün­den ein Grund­ge­fühl „onto­lo­gi­scher Sicher­heit“ (Antho­ny Gid­dens) bewahrt, das durch die­se Ein­drü­cke des Schre­ckens gestört wird. Er kann des­halb nicht anders, als die­se Bil­der zu verdrängen.

Aus die­sem Grund braucht es eine über­ge­ord­ne­te Instanz, die zwangs­läu­fig beleh­rend die geschichts­po­li­ti­sche Aus­sa­ge­ab­sicht über­bringt. Die­se meta-nar­ra­ti­ve Funk­ti­on über­neh­men in der Regel Exper­ten, die das his­to­ri­sche Ereig­nis ein­ord­nen und – so wird es dem Zuschau­er ver­kauft – objek­tiv bewer­ten. Zwei Exper­ten der SPIEGEL TV-Doku­men­ta­ti­on sind beson­ders inter­es­sant: zum einen der Sozi­al­psy­cho­lo­ge Harald Wel­zer und zum ande­ren der Hit­ler-Bio­graph Ian Kers­haw. Wel­zer hat im letz­ten Jahr in einem Auf­satz für die Zeit­schrift Aus Poli­tik und Zeit­ge­schich­te (25–26/2010, S. 16–23) sei­ne Zie­le einer „historisch-moralische(n) Bil­dung“ skiz­ziert. Er möch­te Per­sön­lich­kei­ten för­dern, „die sich gegen­über mas­sen- oder völ­ker­mör­de­ri­scher Gewalt wider­stän­dig ver­hal­ten kön­nen“. Das ist ein durch­aus löb­li­ches Ziel und wäre mit einer Erzie­hung zu Mut und Prin­zi­pi­en­treue zu bewerk­stel­li­gen. Wel­zer hat aber ande­res im Sinn und will Demo­kra­tie­fä­hig­keit ein­üben las­sen sowie die Ent­wick­lung von Zivil­cou­ra­ge vor­an­trei­ben. Er beruft sich dabei auf einen brei­ten Kon­sens auf der inter­na­tio­na­len Holo­caust-Kon­fe­renz in Stock­holm aus dem Jahr 2000. Wenn Wel­zer also bei SPIEGEL TV das Wort als Exper­te ergreift, so steht für ihn nicht die Fra­ge, „wie war das wirk­lich und war­um?“, im Vor­der­grund, denn „Erin­ne­rung schreibt sich immer nach den Erfor­der­nis­sen der Gegen­wart um“. Sie sei „gegen­wär­tig, refle­xiv und poli­tisch“. Das bedeu­tet, nicht etwa das „Unter­neh­men Bar­ba­ros­sa“ ins Blick­feld zu neh­men, son­dern „sich den Poten­tia­len, Hand­lun­gen und Ori­en­tie­run­gen zu wid­men, die Aus­gren­zungs­ge­sell­schaf­ten ent­ste­hen und Geno­zi­de mög­lich wer­den lassen.“

Die Agen­da des Pro­gramms der Geschichts­po­li­tik umfaßt für Wel­zer „Herr­schafts­an­sprü­che und Mecha­nis­men zur Herr­schafts­sta­bi­li­sie­rung aus neu oder wie­der ‚erfun­de­nen Tra­di­tio­nen‘“ für das „zukünf­ti­ge Euro­pa“. Gemein­sa­mer Refe­renz­punkt soll eine „inter­na­tio­na­le Iko­no­gra­fie des Holo­caust“ sein. Wel­zer scheint aber zu wis­sen, daß die­se Iko­no­gra­phie immer latent blei­ben wird, des­halb schlägt er vor, im (kol­lek­ti­ven) Gedächt­nis das Bild einer „gehoffte(n) Zukunft“ zu imple­men­tie­ren. Im Klar­text: Die Ver­gan­gen­heit ist so zu erzäh­len, wie sich der Exper­te die Zukunft wünscht.

Ian Kers­haw führt die­sen Befehl aus, indem er im Cice­ro mit der Titel­sto­ry über Hit­lers Welt­erobe­rungs­plä­ne gegen „Euro­pas brü­chi­gen Frie­den“ zu Fel­de zieht. Das fast ganz­sei­ti­ge Bild dazu: Ein unga­ri­scher Neo­na­zi mit einer täto­wier­ten Glat­ze. Mit Blick auf den Erfolg rechts­po­pu­lis­ti­scher Par­tei­en in meh­re­ren Staa­ten kommt Kers­haw zu der Ein­sicht, daß der „Ras­sis­mus bei wei­tem nicht über­wun­den“ ist. „Und ange­sichts der in die­sen Län­dern unheil­vol­len und gar nicht lan­ge zurück­lie­gen­den Geschich­te von Ras­sen­hass und Faschis­mus stellt sich die Fra­ge: Wie gefähr­lich ist die­ser neue Ras­sis­mus?“ Zunächst ist dies eine bös­wil­li­ge Unter­stel­lung, da z.B. die EU-kri­ti­schen „Wah­ren Fin­nen“ in keins­ter Wei­se mit Frem­den­feind­lich­keit koket­tie­ren. Aber Kers­haw fin­det einen Trick, mit dem er auch sie indi­rekt mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus in Ver­bin­dung brin­gen kann. Er ver­gleicht näm­lich die Ban­ken­kri­se von 2008 und die bis heu­te anhal­ten­de des Euro mit den Bedin­gun­gen, „die Hit­ler und den Natio­nal­so­zia­lis­mus in Deutsch­land an die Macht gebracht hat­ten“. Zwar gibt Kers­haw spä­ter noch zu, daß die Bedin­gun­gen für einen neu­er­li­chen Faschis­mus heu­te eher ungüns­tig sind, aber „ein stil­les Stoß­ge­bet wäre gleich­wohl angebracht“.

Zurück zu den ers­ten Tei­len die­ser Analyse:

Ein­lei­tung: Der 70. Jah­res­tag des „Unter­neh­men Bar­ba­ros­sa“ in den Medien

Teil 1: Zur intel­lek­tu­el­len Beherrsch­bar­keit der Geschich­te oder: Wozu brau­chen wir einen „Live­ti­cker“ zum 22. Juni 1941?

Teil 2: Geschich­te als Psy­cho­gramm oder: Wie ner­vös war Hit­ler? Und wie stolz darf ein Rus­se nach einer Ver­ge­wal­ti­gung sein?

Und hier geht es zum kapla­ken-Band von Ste­fan Scheil: Prä­ven­tiv­krieg Bar­ba­ros­sa. Fra­gen, Fak­ten, Antworten

 

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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