am 50. Jahrestag des Mauerfalls Demonstrationen statt: slutwalks, zu deutsch Schlampenmärsche. Aufgerufen waren sämtliche gender , „gegen die Mauern des alltäglichen Sexismus“ zu protestieren.
Der Mythos hinter dem Schlampenrummel lautet wie folgt: Ein kanadischer Polizist habe Anfang 2011 Frauen – auf einer internen Tagung vor etwa 10 Zuhörern – empfohlen, sich nicht wie Schlampen anzuziehen, um nicht Opfer sexualisierter Gewalt zu werden. Einige Studenten, nein: Studierenden, denen das zu Ohren kam, protestierten. Der Schuft entschuldigte sich zwar, doch die unerhörte Äußerung war in der Welt: Dagegen – gegen die Ineinssetzung von freizügiger Kleidung und sexueller „Willigkeit“ – begehrten die selbsternannten Schlampen Torontos im April mit dem ersten Slutwalk auf .
Vollends unverständlich ist das nicht. Ich erinnere mich selbst an sexuell konnotierte Belästigungen, denen ich mich als junge Frau zur Wehr zu setzen hatte. Tatort war meist das urbane Rhein-Main-Gebiet, Täter stets Männer aus anderer Herren Länder. Ich weiß auch noch, wie es mich ärgerte, als meine Schwiegermutter einwarf, es könnte an meiner Kleidung liegen, ihr passiere so etwas nämlich nie.
Ethnisch/religiöse Zusammenhänge kommen auch in den Motivationsbegründungen der SchlampenmärschlerInnen nicht vor. Sondern, laut den OrganisatorInnen von www. slutwalkberlin:
“Slut”, bzw. “Schlampe” steht hierbei als Begriff stellvertretend für Mechanismen, die innerhalb unserer Gesellschaft existieren, um Sexualität Regeln unterwerfen zu wollen.
Wir stellen uns gegen andere Unterdrückungsmechanismen wie Rassismus, Homo- und Trans* und Queerphobie, weil diese ebenfalls Ursachen sexualisierter Gewalt darstellen. (…)50 Jahre nach dem Bau der Mauer und knapp 22 Jahre nach dem Fall dieser, gehen Menschen solidarisch im gesamten Land auf die Straßen, weil sie Mauern wie Sexismus und Vergewaltigungsmythen innerhalb des gesellschaftlichen Systems einreißen möchten. Mauern, die schon viel länger und in zu vielen Köpfen existieren.
Im den Aufrufen (denen in Berlin angeblich knapp 2000, in Hamburg knapp 1000 „Schlampen“ folgten, die Polizei nennt niedrigere Zahlen) hieß es:
Auch, wenn es „theoretisch“ darum gehe, nackt durch Straßen und Parks laufen zu dürfen, ohne „angemacht“ zu werden, ist es nicht unbedingt erforderlich, in Reizwäsche auf den Demonstrationen zu erscheinen.
Du kannst kommen, wie du willst – ob als Frau im Kartoffelsack, als Mann im Minirock, geschlechtlos (!) im weiten Pullover oder einfach ganz bequem in deiner Jogginghose. Die Hauptsache ist, du kommst!
In den Tageszeitungen von heute finden sich nun die einschlägigen Photos: Frauen in Dessous, Schild vor der Brust („ja, ich brauchs, aber nicht von dir!“) und empörtes Gesichtchen darüber.
Die Potsdamer Neuesten Nachrichten klärten noch mal rührend affimartiv über den Sinn der Aktion auf:
Die Teilnehmer kleideten sich dabei teilweise bewusst aufreizend. Die Botschaft lautete: Jeder soll tragen dürfen, was er will, ohne dafür vorverurteilt zu werden.
Die taz schreibt, daß viele Teilnehmer erleichtert gewesen seien, endlich mal eine solche Demonstrationschance eröffnet zu bekommen:
Auf so eine Möglichkeit habe ich schon lange gewartet”, sagt die 24-jährige Sandra. Sie demonstrierte gemeinsam mit ihrem Freund Markus. Auch er wollte ein Zeichen setzen: “Ich will zeigen, dass heterosexuelle Männer genauso gegen Sexismus sein können, wie alle anderen auch”, sagt er.
Die Frollein vom renommierten blog www. maedchenmannschaft.de geben gewohnt scharfsinnig zu bedenken, daß nicht nur aufgrund sex, gender usw. diskriminiert werde hierzulande, sondern auch, ja, tragisch, aufgrund Klamotte:
Es zeigt sich auch, dass Menschen, die sich äußerst spärlich anziehen, gleich weniger ernst genommen werden, getreu dem Motto: sexy und politisch gehen ja gar nicht zusammen.
Ja, man könnte heulen! Das Berliner Schwulenmagazin Siegessäule fragte, warum sich die ProtestlerInnen sich ausgerechnet den stigamtisierenden Bergiff „Schlampe“ anverwandeln. (Da fragen die Richtigen!) Die Antwort einer der MitinitiatorInnen ist queer im umfassenden Sinne:
Das ist genau die Idee. Es gibt zwei Strategien damit umzugehen. Einige nennen sich selber Schlampe, um das zu reclaimen – um sich das selber anzueignen. Um zu sagen, wenn ich mich selber Schlampe nenne, kann das kein anderer mehr tun. Ich war die Erste. Oder es gibt die Möglichkeit des solidarischen Moments. Also zu sagen, ich würde den Begriff zwar nicht auf mich anwenden, weil der zu negativ belegt ist, aber ich unterstütze Frauen, die so bezeichnet werden. Das ist das Gegenteil zu „reclaim“ und nennt sich „embrace.“
Rekapituliere: Sobald ich mir einen Namen gebe, sei der für andere tabu. Klingt extrem einleuchtend und statt „wahnsinnig feministisch“ eher nur ersteres. Mir scheint eher, daß hier wie so oft Schwules rules, denn wikipedia erklärt:
Im Alltag wird „Schlampe“ unter homosexuellen Männern durchaus anerkennend gebraucht. Gemeint ist hier die Eigenschaft, auf viele potentielle Partner anziehend zu wirken und davon zu profitieren, gleich auf welche Art.
Klassischerweise faßt man solche oder jene Schlamperei unter dem Terminus „Risikoverhalten“.