für die unglaublich freche Titelseite vom 13. August zu 50 Jahre Mauerbau. Über einem Bild mit bewaffneten NVA-Soldaten steht da auf rotem Hintergrund “Wir sagen einfach mal DANKE”, und dann wird katalogisiert, was die Genossen an der DDR anheimelt und an der Wessirepublik so richtig ankotzt:
DANKE
für 28 Jahre Friedenssicherung in Europa
für 28 Jahre ohne Beteiligung deutscher Soldaten an Kriegseinsätzen
für 28 Jahre ohne Hartz IV und Erwerbslosigkeit
für 28 Jahre ohne Obdachlosigkeit, Suppenküchen und »Tafeln«
für 28 Jahre Versorgung mit Krippen- und Kindergartenplätzen
für 28 Jahre ohne Neonaziplakate »GAS geben« in der deutschen Hauptstadt
für 28 Jahre Geschichtswissenschaft statt Guidoknoppgeschichtchen
für 28 Jahre Club Cola und FKK
für 28 Jahre ohne Hedgefonds und Private-Equity-Heuschrecken
für 28 Jahre ohne Praxisgebühr und Zwei-Klassen-Medizin
für 28 Jahre Hohenschönhausen ohne Hubertus Knabe
für 28 Jahre munteren Sex ohne »Feuchtgebiete« und Bild-Fachwissen
für 28 Jahre Bildung für alle
Das ist nicht nur so lustig, als hätte es sich die Titanic ausgedacht, es ist auch unendlich erfrischend angesichts des unsäglichen Geschwafels und der wohlfeilen Instrumentalisierungen, die in den letzten Tagen von all diesen Endstufeprodukten von 60 Jahren BRD zu hören waren. Da stehen sie nun triumphierend vor den Trümmern der Berliner Mauer und der DDR wie japanische Touristen und klopfen sich auf die Schultern: Was sind wir doch nun so viel schlauer als früher, und so viel bessere Menschen, der Sinn der Geschichte erfüllt sich endlich in der “bunten Republik” und unseren Schwammgesichtern!
Den Vogel schoß natürlich wieder das Schaf im Wulffspelz ab, das auch diesmal die Gelegenheit nicht ausließ, mal eben gewohnt subtil zu seinem Lieblingsthema abzubiegen:
Er betonte: „Die Erinnerung an die Leben erstickende Mauer mahnt uns, die Offenheit unserer heutigen Welt und die Präsenz des Fremden in ihr auszuhalten, auch wenn es häufig anstrengend sein mag.“ Offenheit und die Bereitschaft einer Gesellschaft, sich zu verändern, würden am Ende belohnt. „All dies erfordert Mut.“ Der Bundespräsident betonte, das Streben nach „mehr wirklicher Freiheit“ bedeute Entfaltungsmöglichkeiten für jeden. Die nach Deutschland gekommenen müssten besser integriert werden. „Mehr aus sich zu machen, muss tatsächlich allen möglich sein.“
Wenn ich solches jeder Beschreibung spottendes Gedreschdönse lese, dann wünsche ich mir nicht nur auf der Stelle die Mauer und die NVA zurück, sondern frage mich überhaupt, ob die Osterweiterung der BRD (“D‑Mark-Imperialismus” nannte das Habermas damals) auf das Gebiet der DDR von 1990ff wirklich eine so doll gute Idee war.
Der Kommunismus hat sich kulturell gesehen weitaus weniger destruktiv ausgewirkt, als das westliche System. Nicht, daß er sich keine Mühe gegeben hätte: aber selbst auf diesem Gebiet hat er es nur zum Trabi gebracht. Im Gegenteil zeigt sich heute, daß der Kommunismus in Osteuropa trotz aller “Fortschritts”-Rhetorik eher eine konservierende, fast schon katechontische Wirkung hatte, die einen sogar die DDR in einem rührend verklärten Licht erscheinen läßt. Der Schaden an der Substanz der Völker ging nirgendwo so tief wie im Westen. In Breslau fahren heute ganze Armadas von Kinderwägen mit blonden Babies durch die Stadt, geführt von jungen Müttern, die sonntags in die Kirche gehen, den Papst lieben, sogar wenn er Deutscher ist, und den Sozialismus hassen.
Wenn Deutschland heute so wäre wie Polen, wäre es ein viel glücklicheres Land. Und wenn ganz Deutschland heute so wäre wie die ehemaligen Gebiete der DDR, wäre es ein viel deutscheres Land. In dem 3sat-Bericht über die Sezession wurde behauptet, ich träume “vom gesellschaftlichen Umbruch, der in Ostdeutschland seinen Anfang nehmen soll”. Wie die Macher darauf kommen, weiß ich nicht, aber die Idee ist gar nicht verkehrt. Kubitschek und Kositza wissen schon, warum sie zu Wahl-Ossis wurden. Schon lange frage ich mich, ob die Mauer ironischerweise nicht eher doch ein “anti-antifaschistischer”, auf jeden Fall aber ein “anti-antideutscher Schutzwall” war. Ich mochte die Ossis und ihre Mentalität immer sehr gern. Es ist etwas in ihrer Seele erhalten geblieben, das den Westdeutschen durch Konsumismus, Liberalismus und Amerikanismus gründlich zerstört wurde.
Ein aus der DDR stammender Bekannter schreibt mir heute:
Ich war kürzlich in Leipzig, Altenburg, Halle und – als Endziel – bei meiner Schwester, die ganz idyllisch in einem vogtländischen Dorf wohnt. Es war ein Auftanken! Mitteldeutschland verfügt über einen beträchtlichen kulturhistorischen Reichtum, immer noch.
Es gab und gibt freilich Tendenzen, die schlechten Seiten der DDR zu verharmlosen und zu rechtfertigen, vor allem weil diese ja recht reibungslos ins BRD-System überführt wurden: der Gesinnungsdruck, der ideologische Antifaschismus, die okkupierten Geschichtsbilder, der parteiliche und mediale Einheitsmatsch, der Glaube an die erzieherische Allmacht des Staates usw. Aber schon Armin Mohler hat in der zweiten Auflage seines “Nasenrings” aus dem Jahr 1991 davor gewarnt, die Reflexe und Druckmittel der “Vergangenheitsbewältigung” nun die auf die DDR auszudehnen.
Nun trifft die Junge Welt eine “political correctness”-Keule aus einem unerwarteten Eck. Die JF berichtet:
31 Künstler, Politiker, Schriftsteller, Bürgerrechtler, Wissenschaftler und Maueropfer haben die Führung der Linkspartei in einem offenen Brief aufgefordert, sich von der Tageszeitung Junge Welt (JW) zu distanzieren. Am Ende des zweiseitigen Schreibens werden Gesine Lötzsch, Klaus Ernst und Gregor Gysi aufgefordert, der JW keine Interviews mehr zu geben und in ihr keine Anzeigen mehr zu schalten.
Dergleichen “Distanzierungs”-Gemecker und Zeigefingerschwingen haben wir auf dem rive droite zigmal erlebt, und schon allein aus dieser Erfahrung heraus applaudiere ich beinah reflexartig, von der richtigsten aller Seiten aus, solidarisiere mich hiermit ausnahmsweise mit den roten Genossen und beglückwünsche sie zu der gelungenen Provokation, deren es in der vermerkelwulfften Republik leider allzuwenige gibt.
Toni Roidl
Danke, Lichtmesz. Freue mich jedesmal, neues von meinem Lieblingsautor der Sezession zu lesen! Blumenstrauß!