Wollt Ihr die totale Sexdemokratie?

Ein kleiner Rückblick auf den slutwalk geheißenen Schlampenmarsch vergangener Woche sei gestattet. Nicht, daß dieses kesse Schaulaufen...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

über­be­wer­tet wer­den soll – eine Über­ber­wer­tung die­ses neu­er­li­chen Aus­drucks soge­nann­ter sexu­el­ler Selbst­be­stim­mung fand viel­mehr via dut­zen­der Titel­pho­tos und aus­führ­li­cher Medi­en­be­rich­te statt. Der Geil­heits­fak­tor der Schlam­pen, Tram­pel und ihrer soli­da­ri­schen Schwes­ter und Brü­der schien beträcht­lich zu sein. Bei Betrach­tung der Pho­tos (die im Netz reich­lich zu fin­den sind) und Resüm­mes gilt es fol­gen­des festzuhalten:

1. Mei­ne Erfah­rung, daß sexu­el­le Beläs­ti­gung zuvör­derst ein Phä­no­men von Ein­wan­de­rer­ge­sell­schaf­ten ist, bes­ser gesagt, von Nicht-Auto­chtho­nen sehe ich zwar nicht expli­zit geteilt, aber den­noch expres­sis ver­bis: Wel­chen Grund soll­te es sonst haben, daß die pro­tes­tie­ren­den Frau­en „Don´t touch this“ oder „This is not a per­mis­si­on!“ auf ihre geschnür­ten Dekol­le­tes schmier­ten und Schil­der hoch­hiel­ten, auf denen „No means no“ geschrie­ben stand oder „My litt­le black dress does not mean yes“? Daß Wer­be­slo­gans hier­zu­lan­de gern Anlie­hen an Angli­zis­men neh­men, ist bekannt. Hier geht es aber um kla­re Ansa­gen, die beim Adres­sa­ten ankom­men sol­len. Frau scheint davon aus­zu­ge­hen, daß jene, die sich Ange­spro­chen füh­len sol­len, der deut­schen Spra­che nicht unbe­dingt mäch­tig sind. Oder inter­pre­tie­re ich das falsch? Ist die Wahl einer glat­ten, glo­bal ver­ständ­li­chen Spra­che als Rück­zug zu wer­ten aus der via Teil­nackt­heit prä­sen­tier­ten Intim­zo­ne hin zu einem irgend­wie „coo­len Statement“?

2. Das Gros der Teil­neh­mer wer­tet die bun­des­wei­ten Mär­sche als Erfolg, wie auch immer man/frau zu sol­cher Ein­schät­zung kom­men kann. (Haben die etwa mit Gegen­de­mos gerech­net? Mit Leu­ten, die Trans­pa­ren­te hoch­hal­ten, auf denen „Schlam­pen sind unser Unter­gang“ steht? Mit Mit­bür­gern, die geball­te Fäus­te recken oder – als soge­nann­te Spie­ßer – mit nack­ten Fin­gern auf halb­an­ge­zo­ge­ne Men­schen deu­ten? Die Macher der online-Zei­tung Rote Fah­ne news zitie­ren eine Stel­lung­nah­me aus dem Orga­ni­sa­ti­ons­team, wonach sich Teil­neh­me­rin­nen einen behut­sa­me­ren jour­na­lis­ti­schen Umgang mit ihren zur Schau gestell­ten Kör­per­tei­len gewünscht hätten:

Wün­schens­wert wäre gewe­sen, wenn sich die­je­ni­gen Pressevertreter/innen und Pri­vat­fo­to­gra­phen, die sich über die Auf­for­de­rung des Orga­ni­sa­ti­ons­teams, Detail­auf­nah­men und Ein­zel­bil­der mit den Foto­gra­fier­ten abzu­spre­chen, hin­weg­ge­setzt haben, über die zen­tra­len Anlie­gen der Demons­tra­ti­on mehr Gedan­ken gemacht hät­ten und mehr Wert auf gegen­sei­ti­ges Ein­ver­neh­men gelegt hätten. …”

Klar! Weil das auf ande­ren Demos so üblich ist: Ent­schul­di­gen Sie bit­te, dürf­te ich die­se Täto­wie­rung auf dem Nacken mal von nah pho­to­gra­phie­ren? Wären Sie ein­ver­stan­den, daß ich die­se eben auf­ge­nom­me­ne Ges­te ihrer­seits als Titel­bild verwende?

Nicht hun­dert­pro­zen­tig zufrie­den sind auch die Leu­te von Les­Mi­graS ( Lesbische/bisexuelle Migrant_innen und Schwar­ze Les­ben und Trans*Menschen, der Anti­ge­walt- und Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­be­reich der Les­ben­be­ra­tung Ber­lin e.V.) Gemäß deren „Gewalt­ver­ständ­nis“ ist

 „ein_e lesbische_r, bisexuelle_r Frau/Trans*Mensch nicht nur les­bisch oder bise­xu­ell, son­dern hat auch immer eine Her­kunft, eine Haut­far­be, einen Kör­per mit einer bestimm­ten Befä­hi­gung oder Beein­träch­ti­gung, eine (oder meh­re­re) Genderidentität(en) und befin­det sich somit in Bezug auf Dis­kri­mi­nie­rungs- und Gewalt­er­fah­run­gen immer an ver­schie­de­nen Schnitt­stel­len. In die­sem Zusam­men­hang spre­chen wir von Mehr­fach­zu­ge­hö­rig­keit und Mehrfachdiskriminierung.“

Beklagt wird von die­ser Sei­te, daß „mehr­fach­zu­ge­hö­ri­ge und vom Stig­ma „Schlam­pe“ betrof­fe­ne Per­so­nen“  nicht von Anfang an betei­ligt und nur kurz­fris­tig ange­spro­chen wur­den, ob sie auch dabei sein wür­den. Herr­je: Kein Dach ohne ach!

3. Was war noch mal Aus­sa­ge und Stoß­rich­tung die­ser bun­des­wei­ten Mas­sen­ver­an­stal­tung? Eine Bana­li­tät und eine Nai­vi­tät. Banal: Wir pro­tes­tie­ren ent­schie­den gegen Ver­ge­wal­ti­gung und gegen tät­li­che, sexu­ell kon­no­tier­te Über­grif­fe. Ja, die­se Ein­stel­lung kann man tei­len. Kla­re Kan­te gegen Ver­ge­wal­ti­gung, genau wie gegen Mord, Raub, Brand­schat­zung Erpres­sung und der­glei­chen Schind­lu­der. Muß­te das also end­lich mal demons­triert wer­den? Gut.

Naiv: Wir wol­len auch nackt durch den Park lau­fen dür­fen, öffent­lich Reiz­wä­sche etc. tra­gen, ohne schief ange­schaut zu wer­den. Auch im Mini­kleid und bauch­na­bel­frei (tra­ge ich nur, weil es mir ganz per­sön­lich gut­tut!) ver­bit­te ich mir sexis­ti­sche Bli­cke; Pfif­fe und Sprü­che erst recht.

Camil­le Paglia, die gran­dio­se, mitt­ler­wei­le 64jährige US-ame­ri­ka­ni­sche Reform­fe­mi­nis­tin, hat kein grund­sätz­li­ches Erbar­men mit Ver­ge­wal­ti­gern. Sie  selbst ent­stam­me „einer heiß­blü­ti­gen ita­lie­ni­schen Tra­di­ti­on, der­zu­fol­ge es vor nicht all­zu lan­ger Zeit üblich war, einen Ver­ge­wal­ti­ger zu erdol­chen, zu kas­trie­ren und zum Trock­nen auf­zu­hän­gen.“ Väter und Brü­der pfleg­ten ihre Töch­ter und Schwes­tern vor Ver­ge­wal­ti­gun­gen zu schüt­zen. Dort aber, wo sich die alten Sip­pen und länd­li­chen Gemein­schaf­ten auf­ge­löst haben, in der anony­men Lebens­welt von Groß­städ­ten nament­lich, sei­en jun­ge Frau­en schutz­los und verletzlich.

„Der Femi­nis­mus berei­tet sie auf die­se Situa­ti­on nicht vor. Er pre­digt ihnen stän­dig, die Geschlech­ter sei­en gleich. Er erzählt den Frau­en, sie könn­ten tun, was sie woll­ten, könn­ten über­all hin­ge­hen, könn­ten alles sagen, könn­ten sich anzie­hen, wie es ihnen pas­se. Nein, das kön­nen sie nicht. Frau­en wer­den immer sexu­ell bedroht sein.“

Män­ner mit Anstand ver­ge­wal­tig­ten kei­ne Frau­en, doch Paglia – die mit ihren kras­sen Aus­sa­gen Anfang der 1990er Jah­re in den USA eine über­wäl­ti­gen­de Debat­te los­trat – gibt zu beden­ken, daß man­che Män­ner töricht seien.

Pagli­as Erklä­rung, daß der femi­nis­ti­sche Blick auf Sexua­li­tät „nach Des­in­fek­ti­ons­mit­tel rie­che“, mach­te sei­ner­zeit Schlagzeilen:

„Ihre Ansicht von Sexua­li­tät ist naiv und von Prü­de­rie geprägt. Die Sexua­li­tät dem Femi­nis­mus zu über­las­sen ist so, als gäbe man in den Feri­en sei­nen Hund zum Tierpräparator.“

Paglia, die sich als von Grund auf liber­tä­rer Cha­rak­ter beschreibt und selbst wohl sämt­li­che Gren­zen aus­ge­tes­tet und über­schrit­ten hat (sie erkann­te früh ihre les­bi­sche Nei­gung und lebt mit einer Frau) schluß­fol­ger­te nach ris­kan­ten Selbst­er­fah­run­gen: „Wenn alles erlaubt ist, sind die Frau­en die Verlierer.“

Freu­dig haben die slut­wal­ke­rin­nen berich­tet, daß über­ra­schend vie­le Män­ner mit­mar­schier­ten. Paglia hielt sol­che Ent­wick­lun­gen schon vor zwan­zig Jah­ren für pein­lich. Der Femi­nis­mus mit sei­nem Gebot, daß jeg­li­che ero­ti­sche Annäh­rung – der Kit­zel, der im „Nein“ liegt, das even­tu­el­le zum „Viel­leicht“ und spä­ter zum „Ja“ ten­die­ren kön­ne – im Detail abge­spro­chen sein müs­se, mache „ Män­ner zu Eunu­chen“. Die Macht der Sexua­li­tät sei dar­um längst “aus dem wei­ßem Mit­tel­schicht­mi­lieu ver­bannt, aber in Kul­tu­ren der Schwar­zen und His­pa­no-Ame­ri­ka­ner präsent.“

Auf das laut­star­ke Echo des femi­nis­tisch gepräg­ten Haupt­stroms reagier­te Paglia so, wie man es von ihr bis heu­te gewohnt ist. Nicht mit Zuge­ständ­nis­sen, son­dern indem sie trot­zig nachlegte:

„Wer Frei­heit will, muß auch Risi­ken in Kauf neh­men und Ver­ant­wor­tung tra­gen (…) Dem Opfer die Schuld zu geben ist durch­aus sinn­voll, wenn das Opfer sich ido­tisch ver­hal­ten hat. Der Femi­nis­mus muß end­lich auf­wa­chen, und das Leben so sehen, wie es ist. Die Sexua­li­tät ist eine dunk­le, unbe­re­chen­ba­re Macht, zu deren Bewäl­ti­gung ver­ba­le Patent­lö­sun­gen und Jung­mäd­chen­träu­me nicht ausreichen.“

Paglia ging so weit, es „absurd“ zu nen­nen, eine Ver­ge­wal­ti­gung als schwe­res Ver­bre­chen ein­zu­stu­fen und mit Unta­ten wie Mord auf eine Stu­fe zu stel­len. Frau­en, die nach einer Ver­ge­wal­ti­gung nicht mehr auf die Bei­ne kämen, hät­ten sich in ihr Lei­den hin­ein­the­ra­pie­ren las­sen: „Ver­ge­wal­ti­gung macht einen nicht für immer kaputt.“ Hier ver­greift sie sich mei­nes Erach­tens, nicht mora­lisch, aber in exis­ten­ti­el­ler Hin­sicht: Immer­hin ist jeder voll­ende­te Sexu­al­tat ein poten­ti­el­ler Zeu­gungs­akt, eine Sicht, die in Zei­ten des „safer sex“ gern untergeht.

Nichts­des­to­trotz hat Camil­le Paglia recht, daß jene selbst­er­nann­ten Schlam­pen auf eine Voll­kas­ko-Men­ta­li­tät set­zen, die uto­pi­schem Mädchen/Märchendenken ent­spricht. Frau­en, die auf ihr Recht pochen, daß es mög­lich sein müs­se „sich auf einer Par­ty zu betrin­ken und mit einem Typen auf sein Zim­mer zu gehen, ohne daß was pas­siert“, ent­geg­net sie: „Ach wirk­lich? Und wenn Du mit dem Auto nach New York City fährst, läßt du dann auch den Auto­schlüs­sel auf der Motor­hau­be lie­gen?“ Wenn das Auto dann gestoh­len wer­de, habe sich zwar die Poli­zei drum zu küm­mern. Der Täter muß bestraft wer­den. „Aber gleich­zei­tig hat die Poli­zei – und habe ich – das recht, zu dir zusa­gen: ‘Du blö­de Kuh, was um Him­mels wil­len hast du dir dabei gedacht?“

Die femi­nis­ti­schen Bedürf­nis­se nach einer Art „sexu­el­lem Gesell­schafts­ver­trag“, for­mel­le Über­ein­künf­te und sau­be­re Grenz­zie­hun­gen umfas­send, nennt Paglia „tota­li­tär und sta­li­nis­tisch“. Selbst wenn das zu weit gegrif­fen wäre – kind­lich (und eigent­lich läp­pisch) ist die Vor­stel­lung einer aal­glat­ten Sex­de­mo­kra­tie allemal.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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