überbewertet werden soll – eine Überberwertung dieses neuerlichen Ausdrucks sogenannter sexueller Selbstbestimmung fand vielmehr via dutzender Titelphotos und ausführlicher Medienberichte statt. Der Geilheitsfaktor der Schlampen, Trampel und ihrer solidarischen Schwester und Brüder schien beträchtlich zu sein. Bei Betrachtung der Photos (die im Netz reichlich zu finden sind) und Resümmes gilt es folgendes festzuhalten:
1. Meine Erfahrung, daß sexuelle Belästigung zuvörderst ein Phänomen von Einwanderergesellschaften ist, besser gesagt, von Nicht-Autochthonen sehe ich zwar nicht explizit geteilt, aber dennoch expressis verbis: Welchen Grund sollte es sonst haben, daß die protestierenden Frauen „Don´t touch this“ oder „This is not a permission!“ auf ihre geschnürten Dekolletes schmierten und Schilder hochhielten, auf denen „No means no“ geschrieben stand oder „My little black dress does not mean yes“? Daß Werbeslogans hierzulande gern Anliehen an Anglizismen nehmen, ist bekannt. Hier geht es aber um klare Ansagen, die beim Adressaten ankommen sollen. Frau scheint davon auszugehen, daß jene, die sich Angesprochen fühlen sollen, der deutschen Sprache nicht unbedingt mächtig sind. Oder interpretiere ich das falsch? Ist die Wahl einer glatten, global verständlichen Sprache als Rückzug zu werten aus der via Teilnacktheit präsentierten Intimzone hin zu einem irgendwie „coolen Statement“?
2. Das Gros der Teilnehmer wertet die bundesweiten Märsche als Erfolg, wie auch immer man/frau zu solcher Einschätzung kommen kann. (Haben die etwa mit Gegendemos gerechnet? Mit Leuten, die Transparente hochhalten, auf denen „Schlampen sind unser Untergang“ steht? Mit Mitbürgern, die geballte Fäuste recken oder – als sogenannte Spießer – mit nackten Fingern auf halbangezogene Menschen deuten? Die Macher der online-Zeitung Rote Fahne news zitieren eine Stellungnahme aus dem Organisationsteam, wonach sich Teilnehmerinnen einen behutsameren journalistischen Umgang mit ihren zur Schau gestellten Körperteilen gewünscht hätten:
Wünschenswert wäre gewesen, wenn sich diejenigen Pressevertreter/innen und Privatfotographen, die sich über die Aufforderung des Organisationsteams, Detailaufnahmen und Einzelbilder mit den Fotografierten abzusprechen, hinweggesetzt haben, über die zentralen Anliegen der Demonstration mehr Gedanken gemacht hätten und mehr Wert auf gegenseitiges Einvernehmen gelegt hätten. …”
Klar! Weil das auf anderen Demos so üblich ist: Entschuldigen Sie bitte, dürfte ich diese Tätowierung auf dem Nacken mal von nah photographieren? Wären Sie einverstanden, daß ich diese eben aufgenommene Geste ihrerseits als Titelbild verwende?
Nicht hundertprozentig zufrieden sind auch die Leute von LesMigraS ( Lesbische/bisexuelle Migrant_innen und Schwarze Lesben und Trans*Menschen, der Antigewalt- und Antidiskriminierungsbereich der Lesbenberatung Berlin e.V.) Gemäß deren „Gewaltverständnis“ ist
„ein_e lesbische_r, bisexuelle_r Frau/Trans*Mensch nicht nur lesbisch oder bisexuell, sondern hat auch immer eine Herkunft, eine Hautfarbe, einen Körper mit einer bestimmten Befähigung oder Beeinträchtigung, eine (oder mehrere) Genderidentität(en) und befindet sich somit in Bezug auf Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen immer an verschiedenen Schnittstellen. In diesem Zusammenhang sprechen wir von Mehrfachzugehörigkeit und Mehrfachdiskriminierung.“
Beklagt wird von dieser Seite, daß „mehrfachzugehörige und vom Stigma „Schlampe“ betroffene Personen“ nicht von Anfang an beteiligt und nur kurzfristig angesprochen wurden, ob sie auch dabei sein würden. Herrje: Kein Dach ohne ach!
3. Was war noch mal Aussage und Stoßrichtung dieser bundesweiten Massenveranstaltung? Eine Banalität und eine Naivität. Banal: Wir protestieren entschieden gegen Vergewaltigung und gegen tätliche, sexuell konnotierte Übergriffe. Ja, diese Einstellung kann man teilen. Klare Kante gegen Vergewaltigung, genau wie gegen Mord, Raub, Brandschatzung Erpressung und dergleichen Schindluder. Mußte das also endlich mal demonstriert werden? Gut.
Naiv: Wir wollen auch nackt durch den Park laufen dürfen, öffentlich Reizwäsche etc. tragen, ohne schief angeschaut zu werden. Auch im Minikleid und bauchnabelfrei (trage ich nur, weil es mir ganz persönlich guttut!) verbitte ich mir sexistische Blicke; Pfiffe und Sprüche erst recht.
Camille Paglia, die grandiose, mittlerweile 64jährige US-amerikanische Reformfeministin, hat kein grundsätzliches Erbarmen mit Vergewaltigern. Sie selbst entstamme „einer heißblütigen italienischen Tradition, derzufolge es vor nicht allzu langer Zeit üblich war, einen Vergewaltiger zu erdolchen, zu kastrieren und zum Trocknen aufzuhängen.“ Väter und Brüder pflegten ihre Töchter und Schwestern vor Vergewaltigungen zu schützen. Dort aber, wo sich die alten Sippen und ländlichen Gemeinschaften aufgelöst haben, in der anonymen Lebenswelt von Großstädten namentlich, seien junge Frauen schutzlos und verletzlich.
„Der Feminismus bereitet sie auf diese Situation nicht vor. Er predigt ihnen ständig, die Geschlechter seien gleich. Er erzählt den Frauen, sie könnten tun, was sie wollten, könnten überall hingehen, könnten alles sagen, könnten sich anziehen, wie es ihnen passe. Nein, das können sie nicht. Frauen werden immer sexuell bedroht sein.“
Männer mit Anstand vergewaltigten keine Frauen, doch Paglia – die mit ihren krassen Aussagen Anfang der 1990er Jahre in den USA eine überwältigende Debatte lostrat – gibt zu bedenken, daß manche Männer töricht seien.
Paglias Erklärung, daß der feministische Blick auf Sexualität „nach Desinfektionsmittel rieche“, machte seinerzeit Schlagzeilen:
„Ihre Ansicht von Sexualität ist naiv und von Prüderie geprägt. Die Sexualität dem Feminismus zu überlassen ist so, als gäbe man in den Ferien seinen Hund zum Tierpräparator.“
Paglia, die sich als von Grund auf libertärer Charakter beschreibt und selbst wohl sämtliche Grenzen ausgetestet und überschritten hat (sie erkannte früh ihre lesbische Neigung und lebt mit einer Frau) schlußfolgerte nach riskanten Selbsterfahrungen: „Wenn alles erlaubt ist, sind die Frauen die Verlierer.“
Freudig haben die slutwalkerinnen berichtet, daß überraschend viele Männer mitmarschierten. Paglia hielt solche Entwicklungen schon vor zwanzig Jahren für peinlich. Der Feminismus mit seinem Gebot, daß jegliche erotische Annährung – der Kitzel, der im „Nein“ liegt, das eventuelle zum „Vielleicht“ und später zum „Ja“ tendieren könne – im Detail abgesprochen sein müsse, mache „ Männer zu Eunuchen“. Die Macht der Sexualität sei darum längst “aus dem weißem Mittelschichtmilieu verbannt, aber in Kulturen der Schwarzen und Hispano-Amerikaner präsent.“
Auf das lautstarke Echo des feministisch geprägten Hauptstroms reagierte Paglia so, wie man es von ihr bis heute gewohnt ist. Nicht mit Zugeständnissen, sondern indem sie trotzig nachlegte:
„Wer Freiheit will, muß auch Risiken in Kauf nehmen und Verantwortung tragen (…) Dem Opfer die Schuld zu geben ist durchaus sinnvoll, wenn das Opfer sich idotisch verhalten hat. Der Feminismus muß endlich aufwachen, und das Leben so sehen, wie es ist. Die Sexualität ist eine dunkle, unberechenbare Macht, zu deren Bewältigung verbale Patentlösungen und Jungmädchenträume nicht ausreichen.“
Paglia ging so weit, es „absurd“ zu nennen, eine Vergewaltigung als schweres Verbrechen einzustufen und mit Untaten wie Mord auf eine Stufe zu stellen. Frauen, die nach einer Vergewaltigung nicht mehr auf die Beine kämen, hätten sich in ihr Leiden hineintherapieren lassen: „Vergewaltigung macht einen nicht für immer kaputt.“ Hier vergreift sie sich meines Erachtens, nicht moralisch, aber in existentieller Hinsicht: Immerhin ist jeder vollendete Sexualtat ein potentieller Zeugungsakt, eine Sicht, die in Zeiten des „safer sex“ gern untergeht.
Nichtsdestotrotz hat Camille Paglia recht, daß jene selbsternannten Schlampen auf eine Vollkasko-Mentalität setzen, die utopischem Mädchen/Märchendenken entspricht. Frauen, die auf ihr Recht pochen, daß es möglich sein müsse „sich auf einer Party zu betrinken und mit einem Typen auf sein Zimmer zu gehen, ohne daß was passiert“, entgegnet sie: „Ach wirklich? Und wenn Du mit dem Auto nach New York City fährst, läßt du dann auch den Autoschlüssel auf der Motorhaube liegen?“ Wenn das Auto dann gestohlen werde, habe sich zwar die Polizei drum zu kümmern. Der Täter muß bestraft werden. „Aber gleichzeitig hat die Polizei – und habe ich – das recht, zu dir zusagen: ‘Du blöde Kuh, was um Himmels willen hast du dir dabei gedacht?“
Die feministischen Bedürfnisse nach einer Art „sexuellem Gesellschaftsvertrag“, formelle Übereinkünfte und saubere Grenzziehungen umfassend, nennt Paglia „totalitär und stalinistisch“. Selbst wenn das zu weit gegriffen wäre – kindlich (und eigentlich läppisch) ist die Vorstellung einer aalglatten Sexdemokratie allemal.