Botho Strauß, das “einzig Wort” – oder doch die Tat?

In der FAZ vom 23. August hat sich Botho Strauß unter dem Titel "Uns fehlt ein Wort, ein einzig Wort" grundsätzlich über...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

die Spra­che der Poli­tik und der bür­ger­li­chen Gesell­schaft über­haupt im Ange­sicht der an vie­len Fron­ten kri­sen­haf­ten Zuspit­zung der Lage geäu­ßert. Als jemand, der Zei­tun­gen nicht gründ­lich, son­dern oft erst nach Emp­feh­lung eines Arti­kels liest und im Inter­net so sel­ten wie mög­lich sich bewegt, fiel mir nach der Lek­tü­re auf, daß ich den Text von Strauß gele­sen hat­te, wie er es sich für das Lesen des ernst­haft aus­ge­spro­che­nen und auf­ge­schrie­be­nen Worts wünsch­te: In begrün­de­ter Hoff­nung auf Klä­rung jener Fra­ge, die der Autor sich zur Beant­wor­tung gestellt hatte.

Mir scheint, daß Botho Strauß eben die­se begrün­de­te Hoff­nung auf Ant­wort zum Gegen­stand sei­nes Bei­trags gemacht hat, viel­mehr: die unbe­grün­de­te Hoff­nung – denn er spricht der Poli­tik und dem bür­ger­li­chen Milieu ins­ge­samt rund­weg die Fähig­keit ab, in Kri­sen­zei­ten wie die­ser ein kla­res Wort zu fin­den. Der Vor­gang ist wohl mensch­lich-all­zu­mensch­lich: Man nimmt Äuße­run­gen aus allen mög­li­chen poli­ti­schen und “gesell­schaft­li­chen” Rich­tun­gen wahr und ver­gißt immer wie­der, wie völ­lig belang­los es ist, wenn lee­res Stroh gedro­schen wird.

Nach Botho Strauß ver­fal­len die Ver­ant­wort­li­chen beim Blick auf “die Märk­te” (den neu­en Wider­sa­cher des Vol­kes) auf

ganz alt­mo­di­sche Manö­ver der Täu­schung, Ver­schleie­rung und Falsch­aus­sa­ge – bis hin zum (noch immer unein­ge­stan­de­nen) Bruch ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­run­gen und insti­tu­tio­nel­ler Regeln.

Hin­ter den sprach­li­chen Nebel­gra­na­ten mögen sich also Ver­su­che ver­ber­gen, “die Märk­te” tat­säch­lich zu täu­schen und der Spe­ku­la­ti­on gegen ein­zel­ne Staa­ten oder eine Gemein­schafts­wäh­rung die Sicher­heit zu neh­men (Strauß gesteht der Poli­tik sol­che Lügen aus Ver­zweif­lung aus­drück­lich zu); aber sol­che Mecha­nis­men sind doch leicht zu durch­schau­en, abge­se­hen davon, daß ich an einen stil­len Hero­is­mus unse­rer Poli­ti­ker nicht glaube.

Und ich weiß nun nicht, wie­vie­le Zei­tungs­le­ser, Nach­rich­ten-Schau­er und Inter­net­kon­su­men­ten noch mit begrün­de­ter Hoff­nung auf Ant­wort lesen, schau­en und kon­su­mie­ren. Viel­leicht ist es für die meis­ten wie für mich: Man hält das hohe Staats­amt an sich für zu groß und zu – wür­dig (?), als daß es sei­ne Trä­ger nur hei­ße Luft pum­pen und scheib­chen­wei­se das wah­re Aus­maß der Kata­stro­phe mit­tei­len ließe.

Anders aus­ge­drückt: Ich den­ke immer, daß jeman­den wie Wolf­gang Schäub­le oder Ange­la Mer­kel ein Zit­tern befal­len müß­te, wenn sie sich vor Augen füh­ren, daß sie den Reich­tum des ihnen anver­trau­ten Vol­kes zum Stop­fen von Finanz­lö­chern schlam­pi­ger Län­der zu ver­geu­den im Begriff sind. Es müß­te die­je­ni­gen, die Ent­schei­dun­gen wie die nun fäl­li­ge zu fäl­len haben, ein Grau­sen vor der Ver­ant­wor­tung packen (nicht vor der blö­den, demon­tie­ren­den Oppo­si­ti­on), ein Grau­sen von Amts wegen, ein Keu­chen unter der Last sol­cher Ent­schei­dun­gen, und die­se Anstren­gungs­ge­räu­sche müß­ten hör­bar sein. War­um nicht ein ehr­li­ches Wort finden,

ein ein­zi­ges, nach­denk­li­ches Wort! Wäre jemand von Amt und Rang dazu imstan­de – es wür­de den Han­deln­den nicht nur Glaub­wür­dig­keit zurück­ge­win­nen, son­dern das The­ma, das Dilem­ma, die Kata­stro­phe für einen bemer­kens­wer­ten Augen­blick aus dem Schat­ten­reich media­ler Indif­fe­renz her­aus­ge­führt haben.

Doch auch indem ich die­ses nie­der­schrei­be, schon warnt mich was, daß ich dabei nicht blei­be. Denn ich bin mir sicher, daß Botho Strauß an die­ser Stel­le zu kurz greift, daß er das Gewicht des nach­denk­li­chen Wor­tes zu hoch schätzt: Er möch­te es schöp­fe­risch wir­ken und den Tag von der Nacht schei­den, das “Schat­ten­reich media­ler Indif­fe­renz” durch­leuch­ten sehen. Der Gegen­auf­klä­rer Strauß ist als Ergän­zer der Auf­klä­rung ganz bei sich. Das “ein­zig Wort” ent­steht als das bibli­sche Wort, wir­kungs­voll im Wort­sinn des Johan­nes-Evan­ge­li­ums, wo es “im Anfang” war …

Es ist Goe­thes Faust, der die Wir­kung des Wor­tes anzwei­felt und in sei­ner Evan­ge­li­ums­über­set­zung zunächst “Sinn”, dann “Kraft” und am Ende “Im Anfang war die Tat” notiert. Wie­vie­le Wor­te näm­lich sind nicht schon aus­ge­spro­chen wor­den in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren, kla­re Wor­te, klä­ren­de Wor­te, auf­klä­ren­de, zuletzt – man kann nicht oft genug dar­auf hin­wei­sen – durch Sar­ra­zin sogar markt­mä­ßig höchst erfolg­reich und mit Durchdringungswucht.

Der Kai­ser ist in jeder Hin­sicht nackt, etli­che “ein­zig Wor­te” haben ihn ent­blößt, aber das Mär­chen geht wei­ter: Nackt schrei­tet der Kai­ser durch die Men­ge, inmit­ten sei­ner Prä­to­ria­ner­gar­de und umge­ben von Freun­den des guten Gesprächs, die jeden “Nackt”-Rufer ein­wi­ckeln und ernst­zu­neh­men vor­täu­schen … Es kann also kaum einen Zei­tungs­le­ser geben, der das Lee­re hin­ter den Zei­len nicht wahr­nimmt – und der nicht gleich­zei­tig sieht, daß die­se Auf­klä­rung unter­halb jener Ebe­ne bleibt, auf der Kulis­se für Kulis­se vor den “gro­ßen Appa­rat”, die Staats­ma­schi­ne, gescho­ben wird.

Wir sind frei, alles zu den­ken. Schon das Sagen gilt man­chem als ver­we­ge­ne Tat, und das ist es auch, aber nur sel­ten. Wie erst, wenn man zur Tat schrei­tet, zur Kon­fron­ta­ti­on! Das ist seit Jah­ren und drin­gen­der denn je das, was in der gan­zen Flut von Rede, Gegen­re­de, Auf­klä­rung und Gegen­auf­klä­rung nicht Chi­mä­re bliebe.

Immer dann, wenn jemand mit gro­ßer Hin­ga­be han­delt, tut er es vor allem und letzt­end­lich für sich selbst. Daß er dabei oft auch einer Sache dient, wird erst im Nach­gang und auf den zwei­ten Blick deut­lich. Die­nen in die­sem Sin­ne ist “nutz­lo­ses Die­nen” (Mon­t­her­lant) und Selbst­ver­ge­wis­se­rung: Wer han­delnd sich selbst sucht, baut sich han­delnd sei­ne Stel­lung, sei­nen Ort.

Unpa­the­ti­scher gehts nicht, so ist das mit allem Exis­ten­tia­lis­mus, also auch mit sei­ner poli­ti­schen Vari­an­te, über die ich das eben Zitier­te ein­mal schrieb. Noch ein­mal Strauß also: Er ist Dich­ter, er muß das Wort wäh­len und an die Les­bar­keit der Welt erin­nern, wo er nur kann. Nur kön­nen wirs so hoch unmög­lich schät­zen und müs­sens anders über­set­zen, wenn wir vom Geis­te recht erleuch­tet sind …

 

P.S. aus Faust I

Geschrie­ben steht: „Im Anfang war das Wort!“
Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir wei­ter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmög­lich schätzen,
Ich muss es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geis­te recht erleuch­tet bin.
Geschrie­ben steht: Im Anfang war der Sinn.
Beden­ke wohl die ers­te Zeile,
Dass dei­ne Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es soll­te stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich die­ses niederschreibe,
Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf ein­mal seh’ ich Rat
Und schrei­be getrost: Im Anfang war die Tat!

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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