die Sprache der Politik und der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt im Angesicht der an vielen Fronten krisenhaften Zuspitzung der Lage geäußert. Als jemand, der Zeitungen nicht gründlich, sondern oft erst nach Empfehlung eines Artikels liest und im Internet so selten wie möglich sich bewegt, fiel mir nach der Lektüre auf, daß ich den Text von Strauß gelesen hatte, wie er es sich für das Lesen des ernsthaft ausgesprochenen und aufgeschriebenen Worts wünschte: In begründeter Hoffnung auf Klärung jener Frage, die der Autor sich zur Beantwortung gestellt hatte.
Mir scheint, daß Botho Strauß eben diese begründete Hoffnung auf Antwort zum Gegenstand seines Beitrags gemacht hat, vielmehr: die unbegründete Hoffnung – denn er spricht der Politik und dem bürgerlichen Milieu insgesamt rundweg die Fähigkeit ab, in Krisenzeiten wie dieser ein klares Wort zu finden. Der Vorgang ist wohl menschlich-allzumenschlich: Man nimmt Äußerungen aus allen möglichen politischen und “gesellschaftlichen” Richtungen wahr und vergißt immer wieder, wie völlig belanglos es ist, wenn leeres Stroh gedroschen wird.
Nach Botho Strauß verfallen die Verantwortlichen beim Blick auf “die Märkte” (den neuen Widersacher des Volkes) auf
ganz altmodische Manöver der Täuschung, Verschleierung und Falschaussage – bis hin zum (noch immer uneingestandenen) Bruch vertraglicher Vereinbarungen und institutioneller Regeln.
Hinter den sprachlichen Nebelgranaten mögen sich also Versuche verbergen, “die Märkte” tatsächlich zu täuschen und der Spekulation gegen einzelne Staaten oder eine Gemeinschaftswährung die Sicherheit zu nehmen (Strauß gesteht der Politik solche Lügen aus Verzweiflung ausdrücklich zu); aber solche Mechanismen sind doch leicht zu durchschauen, abgesehen davon, daß ich an einen stillen Heroismus unserer Politiker nicht glaube.
Und ich weiß nun nicht, wieviele Zeitungsleser, Nachrichten-Schauer und Internetkonsumenten noch mit begründeter Hoffnung auf Antwort lesen, schauen und konsumieren. Vielleicht ist es für die meisten wie für mich: Man hält das hohe Staatsamt an sich für zu groß und zu – würdig (?), als daß es seine Träger nur heiße Luft pumpen und scheibchenweise das wahre Ausmaß der Katastrophe mitteilen ließe.
Anders ausgedrückt: Ich denke immer, daß jemanden wie Wolfgang Schäuble oder Angela Merkel ein Zittern befallen müßte, wenn sie sich vor Augen führen, daß sie den Reichtum des ihnen anvertrauten Volkes zum Stopfen von Finanzlöchern schlampiger Länder zu vergeuden im Begriff sind. Es müßte diejenigen, die Entscheidungen wie die nun fällige zu fällen haben, ein Grausen vor der Verantwortung packen (nicht vor der blöden, demontierenden Opposition), ein Grausen von Amts wegen, ein Keuchen unter der Last solcher Entscheidungen, und diese Anstrengungsgeräusche müßten hörbar sein. Warum nicht ein ehrliches Wort finden,
ein einziges, nachdenkliches Wort! Wäre jemand von Amt und Rang dazu imstande – es würde den Handelnden nicht nur Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, sondern das Thema, das Dilemma, die Katastrophe für einen bemerkenswerten Augenblick aus dem Schattenreich medialer Indifferenz herausgeführt haben.
Doch auch indem ich dieses niederschreibe, schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe. Denn ich bin mir sicher, daß Botho Strauß an dieser Stelle zu kurz greift, daß er das Gewicht des nachdenklichen Wortes zu hoch schätzt: Er möchte es schöpferisch wirken und den Tag von der Nacht scheiden, das “Schattenreich medialer Indifferenz” durchleuchten sehen. Der Gegenaufklärer Strauß ist als Ergänzer der Aufklärung ganz bei sich. Das “einzig Wort” entsteht als das biblische Wort, wirkungsvoll im Wortsinn des Johannes-Evangeliums, wo es “im Anfang” war …
Es ist Goethes Faust, der die Wirkung des Wortes anzweifelt und in seiner Evangeliumsübersetzung zunächst “Sinn”, dann “Kraft” und am Ende “Im Anfang war die Tat” notiert. Wieviele Worte nämlich sind nicht schon ausgesprochen worden in den vergangenen 20 Jahren, klare Worte, klärende Worte, aufklärende, zuletzt – man kann nicht oft genug darauf hinweisen – durch Sarrazin sogar marktmäßig höchst erfolgreich und mit Durchdringungswucht.
Der Kaiser ist in jeder Hinsicht nackt, etliche “einzig Worte” haben ihn entblößt, aber das Märchen geht weiter: Nackt schreitet der Kaiser durch die Menge, inmitten seiner Prätorianergarde und umgeben von Freunden des guten Gesprächs, die jeden “Nackt”-Rufer einwickeln und ernstzunehmen vortäuschen … Es kann also kaum einen Zeitungsleser geben, der das Leere hinter den Zeilen nicht wahrnimmt – und der nicht gleichzeitig sieht, daß diese Aufklärung unterhalb jener Ebene bleibt, auf der Kulisse für Kulisse vor den “großen Apparat”, die Staatsmaschine, geschoben wird.
Wir sind frei, alles zu denken. Schon das Sagen gilt manchem als verwegene Tat, und das ist es auch, aber nur selten. Wie erst, wenn man zur Tat schreitet, zur Konfrontation! Das ist seit Jahren und dringender denn je das, was in der ganzen Flut von Rede, Gegenrede, Aufklärung und Gegenaufklärung nicht Chimäre bliebe.
Immer dann, wenn jemand mit großer Hingabe handelt, tut er es vor allem und letztendlich für sich selbst. Daß er dabei oft auch einer Sache dient, wird erst im Nachgang und auf den zweiten Blick deutlich. Dienen in diesem Sinne ist “nutzloses Dienen” (Montherlant) und Selbstvergewisserung: Wer handelnd sich selbst sucht, baut sich handelnd seine Stellung, seinen Ort.
Unpathetischer gehts nicht, so ist das mit allem Existentialismus, also auch mit seiner politischen Variante, über die ich das eben Zitierte einmal schrieb. Noch einmal Strauß also: Er ist Dichter, er muß das Wort wählen und an die Lesbarkeit der Welt erinnern, wo er nur kann. Nur können wirs so hoch unmöglich schätzen und müssens anders übersetzen, wenn wir vom Geiste recht erleuchtet sind …
P.S. aus Faust I
Geschrieben steht: „Im Anfang war das Wort!“
Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muss es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Dass deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh’ ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!