Demokratiesimulation und Gegenöffentlichkeit

Vor ein paar Wochen hat sich Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Gefolge des Falles Breivik mit ein paar besonders schlauen...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Vor­schlä­gen zur Prä­ven­ti­on sol­cher Unta­ten her­vor­ge­tan. Da der nor­we­gi­sche Atten­tä­ter offen­bar ein schwe­rer Inter­net-Jun­kie war und angeb­lich diver­se islam­kri­ti­sche Blogs an sei­nem Aus­ras­ten schuld sind, sol­le nie­mand mehr im Netz anonym und pseud­onym agie­ren dür­fen,  Blog­ger soll­ten von nun an “mit offe­nem Visier” argu­men­tie­ren. Dies begrün­de­te Fried­rich so:

“Poli­tisch moti­vier­te Täter wie Brei­vik fin­den heu­te vor allem im Inter­net jede Men­ge radi­ka­li­sier­ter, undif­fe­ren­zier­ter The­sen, sie kön­nen sich dort von Blog zu Blog han­geln und bewe­gen sich nur noch in die­ser geis­ti­gen Sau­ce”, sag­te Fried­rich dem “Spie­gel”. “War­um müs­sen ‚Fjord­man’ und ande­re anony­me Blog­ger ihre wah­re Iden­ti­tät nicht offenbaren?”

War­um sie dies ungern wol­len, ist jeden­falls schon mal kin­der­leicht zu beant­wor­ten: weil sie dann eben mit mas­si­vem öffent­li­chen Druck auf ihre Per­son rech­nen müß­ten, der ihre Exis­tenz­grund­la­gen bedro­hen könn­te. Ein pseud­onym­lo­ses Inter­net wäre wie die vor­hang­lo­sen Fens­ter der hol­län­di­schen Puri­ta­ner, damit Big Brot­her bes­ser ins Schlaf­zim­mer bli­cken kann, ein Mit­tel zur sozia­len und poli­ti­schen Kon­trol­le. Ein Innen­mi­nis­ter soll­te davon wenigs­tens ein biß­chen Ahnung haben, aber viel­leicht stellt sich Fried­rich hier auch mit Kal­kül düm­mer, als er ist, und die bes­se­re Kon­trol­lier­bar­keit der Abweich­ler wäre in Wirk­lich­keit Zweck der Sache.

Was aber nun die Abkehr von den Main­stream­m­e­di­en (im Blog­ger­jar­gon sagt man inzwi­schen kurz “MSM”) betrifft, so ließ der nor­we­gi­sche Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus-Ideo­lo­ge Tho­mas Hyl­land Erik­sen ähn­li­ches wie Fried­rich verlauten:

Brei­vik muß wil­lent­lich zuge­las­sen haben, sich von isla­mo­pho­bi­schen und rechts­extre­men Netz­sei­ten gehirn­wa­schen zu las­sen. Wäre er statt­des­sen gezwun­gen (sic! M. L.) gewe­sen, sei­ne Infor­ma­tio­nen durch eine Tages­zei­tung zu erhal­ten, in der sich nicht alle Geschich­ten um Euro­pas man­geln­des Selbst­be­wußt­sein und den Auf­stieg des mili­tan­ten Islam dre­hen, dann hät­te sei­ne Welt womög­lich ein wenig anders aus­ge­se­hen. Viel­leicht ist das eine Leh­re aus die­sem Wochen­en­de von Schock und Fas­sungs­lo­sig­keit, daß nicht unbe­dingt der kul­tu­rel­le Plu­ra­lis­mus eine Bedro­hung des natio­na­len Zusam­men­halts dar­stellt, son­dern der Tun­nel­blick, der durch ein selek­ti­ves Durch­stö­bern des Inter­nets entsteht.

Das vekehrt natür­lich Ursa­che und Wir­kung: in der Regel ist es die Erkennt­nis der Unzu­läng­lich­keit der eta­blier­ten Medi­en, die “radi­ka­li­sier­te, undif­fe­ren­zier­te The­sen” en mas­se pro­du­zie­ren, und ihrer Rol­le als flä­chen­de­cken­der Macht­fak­tor, die Zuflucht zu Alter­na­ti­ven suchen läßt.

Hier­mit beken­ne ich also, auch einer von die­sen schlim­men Fin­gern zu sein, die sich täg­lich “von Blog zu Blog han­geln”, weil sie die Bericht­erstat­tung der “MSM” nicht befrie­digt, die zu einem gro­ßem Teil als schier unbe­sieg­ba­res Macht­in­stru­ment fata­ler Inter­es­sen die­nen. Wenn es mei­ne täg­li­chen Blogs nicht gäbe, wären die umfas­sen­de Ver­dum­mung und Gehirn­wä­sche, das Dau­er­ge­schwätz und die mas­sen­haft ver­brei­te­ten Lügen und Pro­pa­gan­d­ab­la­sen kaum zu ertragen.

Hat Fried­rich denn wirk­lich kei­ne Ahnung, daß sich die­se dis­si­den­ten Sei­ten ihren Stoff ja nicht aus den Fin­gern sau­gen, son­dern von den sel­ben Quel­len abhän­gig sind wie alle ande­ren, sich aber den Luxus alter­na­ti­ver Kom­men­tie­rung und Kri­tik und zusätz­li­cher Infor­ma­ti­ons­be­schaf­fung erlau­ben? Es gibt die­se Aus­schließ­lich­keit “Main­stream vs. Gegen­öf­fent­lich­keit” nicht, son­dern bei­de ste­hen in einem ste­ti­gen Span­nungs­ver­hält­nis zueinander.

Dies ist ja auch der Grund, war­um ich in poli­ti­schen Din­gen grund­sätz­lich eine ideo­lo­gi­sche Pola­ri­sie­rung und Nischen­bil­dung ableh­ne.  Wäh­rend des Inter­views für die kürz­lich gesen­de­te Repor­ta­ge über die “Neue Rech­te” auf 3sat wur­de ich gefragt, war­um ich ein “neu­er Rech­ter” sei. Mei­ne Ant­wort lau­te­te sinn­ge­mäß so:  “Bin ich denn ein ’neu­er Rech­ter’? Ich habe eine Abnei­gung gegen die­se Eti­ket­tie­run­gen, denn mir ist wich­tig zu beto­nen, daß ich weder für eine extra­va­gan­te Ideo­lo­gie oder über­haupt eine durch­for­mu­lier­te Ideo­lo­gie strei­te, noch irgend­wel­che All­heil­mit­tel und Meis­ter­plä­ne in der Schub­la­de habe. Die Front ver­läuft heu­te nicht zwangs­läu­fig zwi­schen ‘Lin­ken’ und ‘Rech­ten’ und so wei­ter, son­dern zwi­schen com­mon sen­se (was mit ‘gesun­der Men­schen­ver­stand’ nur unzu­läng­lich über­setzt wird) und poli­ti­scher Kor­rekt­heit. Mit ande­ren Wor­ten, mehr als um alles ande­re geht es heu­te um eine Wirk­lich­keits­be­schrei­bung, die mehr befrie­digt, als das, was man gemein­hin vor­ge­setzt bekommt.”

Die­se Aus­sa­ge war den Machern aber wohl schon zu sub­stan­zi­ell, um in dem Husch­pfusch­bei­trag inklu­diert zu wer­den. Das gan­ze Klin­gel­wort­ge­re­de um das Bann­wort “rechts” her­um, wie es auch in dem 3sat-Bei­trag prak­ti­ziert wur­de, ver­ne­belt die Tat­sa­che, daß sich unse­re Argu­men­te und Wirk­lich­keits­be­schrei­bun­gen eben auch in einem nicht gerin­gen Maße immer wie­der in den “MSM” fin­den, und das sogar in sol­chen, die die “Rech­te” eher zu bekämp­fen suchen. Aktu­el­le Bei­spie­le dafür sind die Berich­te über Über­frem­dung in Neu­kölln im Tages­spie­gel oder über Aus­län­der­ge­walt gegen Poli­zis­ten im Spie­gel.  Der Unter­schied besteht vor allem dar­in, daß die­se Din­ge erst dort, wo die Sezes­si­on vom Tram­pel­pfad ein­setzt,  wirk­lich ehr­lich und gründ­lich kom­men­tiert und ana­ly­siert wer­den können.

Ein wei­te­rer ver­bin­den­der Bezugs­punkt der Tie­fer­boh­ren­den aller Lager scheint mir die Wahr­neh­mung zu sein, daß trotz aller gegen­tei­li­gen Paro­len und Schlag­wor­te so etwas wie eine “Demo­kra­tie” in Deutsch­land gar nicht mehr exis­tiert, geschwei­ge denn ein ech­ter poli­ti­scher Plu­ra­lis­mus. Wenn man die­ser Tage durch Kreuz­berg und ande­re Stadt­tei­le von Ber­lin geht, und sich die Wahl­pla­ka­te ansieht, dann fragt man sich, wo denn über­haupt noch die Unter­schie­de zwi­schen den Groß- wie Klein­par­tei­en bestehen. Es geht nur mehr um Nuan­cen der Kra­wat­ten­fär­bung, aber außer Kra­wat­ten gibt es nichts im Ange­bot. Man hat heu­te die groß­zü­gi­ge Wahl zwi­schen fünf lin­ken bis links­li­be­ra­len Par­tei­en, die alle­samt mit aus­tausch­ba­ren Plät­scher­slo­gans Gleich­heit, “Tole­ranz” und Eier­ku­chen (oder so) anprei­sen. Das inklu­diert natür­lich auch das, was sich heu­te CDU nennt.

Eine eth­nisch ziem­lich homo­ge­ne Aus­län­der­lob­by­par­tei wirbt mit dem Spruch “Mut zur Viel­falt” bzw. “Mut zum Mit­ein­an­der”, den aber offen­bar vor allem eher Ute statt Ayshe auf­brin­gen soll, wie die­ses sin­ni­ge Pla­kat sub­til sug­ge­riert.  CDU-Kan­di­da­ten wol­len mal wie­der die “gera­de rich­ti­ge” Mit­te sein, damit sich, Zitat, “was” ändert. Die Grü­nen geben sich beschei­den, indem sie den poli­tik­ver­dros­se­nen Skep­ti­kern ver­mel­den, sie sei­en “nicht ganz so Schei­ße wie die ande­ren” (aber bei­nah so Schei­ße offen­bar doch). Die “neue” FDP hebt sich ein klein wenig durch auf smart tuen­de Kalau­er mit wohl­tem­pe­rier­tem Milch­kaf­fee­ge­schmack ab. Auf der unters­ten Niveauebe­ne, sogar noch unter­halb der Grü­nen, vege­tie­ren die unsäg­li­chen “Pira­ten”.

Wann i, ver­stehst, wås z´reden hätt, ich wür­de einen psy­cho­lo­gi­schen Test ein­füh­ren: wenn das Wahl­ver­hal­ten eines Bür­gers nach­weis­lich von Pla­ka­ten beein­flußt wird, wird ihm das Wahl­recht entzogen.

Aber das wäre wohl, wie man in Wien sagt, “aa scho wuascht”. Wahl­pla­ka­te funk­tio­nie­ren nach dem Prin­zip von ande­ren Wer­bun­gen auch, deren künst­lich hoch­ge­trie­be­ne Begeis­te­rungs­spra­che und kin­di­sche Posen ja auch nie­mand wirk­lich ernst nimmt.

“Ob das noch Demo­kra­tie ist oder schon Demo­kra­tis­mus”, frag­te Botho Strauß schon 1993.  Heu­te liegt es offen zuta­ge, daß die­ser gan­ze Zir­kus nur mehr ein “kyber­ne­ti­sches Modell” ist, eine rei­ne Poli­tik­si­mu­la­ti­on, ein Ablen­kungs­ma­nö­ver, eine Art “dol2day” als Live-Rol­len­spiel. Inzwi­schen wer­den jen­seits die­ser Simu­la­ti­ons­wand schwerst­wie­gen­de Ent­schei­dun­gen über unser aller Zukunft getrof­fen, ohne daß irgend­je­mand auch nur einen Fun­ken Mit­spra­che hätte.

Zuletzt: ich habe die­se gan­ze Glos­se in ers­ter Linie als Vor­wand geschrie­ben, um auf einen You­tube-Kanal zu ver­wei­sen, den Felix Men­zel neu­lich im Blaue-Nar­zis­se-Blog ent­deckt hat.  Die “Clown-Uni­on” ist ein klug gemach­tes Sati­re­pro­jekt mit zum Teil sau­ko­mi­schen Car­toons im Stil von “South Park” (nicht nur von der Mach­art, son­dern mit einer ähn­lich “unsub­ti­len” Dras­tik).  Die uns umge­ben­de Gro­tes­ke und Total­re­gres­si­on, die inzwi­schen Zonen jen­seits aller Kom­men­tier­bar­keit erreicht hat, kann man kaum bes­ser atta­ckie­ren, als sie der­art dem Geläch­ter preis­zu­ge­ben. So also kann eine sub­ver­si­ve Gegen­öf­fent­lich­keit aussehen:

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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