“Historikerstreit” oder Eine Form der Herrschaftsausübung

pdf der Druckfassung aus Sezession 14/Juli 2006

sez_nr_14von Stefan Scheil

Es soll Menschen geben, die halten Geschichtsforschung für eine Sparte der Wissenschaft.

Eine immer­hin beacht­li­che Zahl von Per­so­nen ver­dient schließ­lich ihren Lebens­un­ter­halt auf Basis die­ser Annah­me durch die Wahr­neh­mung von uni­ver­si­tä­ren Lehr- und For­schungs­auf­trä­gen. Wis­sen­schaf­ten aber beschäf­ti­gen sich bekannt­lich mit dem Fest­stel­len von Tat­sa­chen und mit dem Ver­such, die­se fest­ge­stell­ten Tat­sa­chen mög­lichst sach­lich rich­tig und effek­tiv zu inter­pre­tie­ren. Es gab jedoch auch immer Men­schen, die bestrit­ten haben, daß Geschichts­for­schung in die­sem Sinn über­haupt wis­sen­schaft­lich sein kann. Ihre Argu­men­te sind nicht leicht bei­sei­te zu schie­ben. Die Men­ge ver­gan­ge­ner Tat­sa­chen ist unend­lich groß, wich­ti­ge Ele­men­te sind für immer ver­lo­ren, die Aus­wahl eines His­to­ri­kers aus dem ver­blei­ben­den Ange­bot ent­zieht sich in die­ser Sicht zudem jeder objek­ti­ven Kri­tik. Wor­über gere­det und geschrie­ben wird, ent­schei­det dem­nach der Wil­le der Betei­lig­ten. Fra­gen der Geschichts­wis­sen­schaft wären daher Machtfragen.

Wer sich vor zwan­zig Jah­ren in deut­schen Fach­zeit­schrif­ten und Feuil­le­tons umsah, der konn­te schwer­lich einer ande­ren als der zwei­ten Posi­ti­on zustim­men. Die geis­ti­ge Welt der Bun­des­re­pu­blik sah sich auf­ge­rüt­telt von einem „His­to­ri­ker­streit” bekann­ter Intel­lek­tu­el­ler dar­über, was man sagen dür­fe und was nicht. Es ging dabei von Anfang an nicht um inhalt­li­che Klar­stel­lun­gen, son­dern um Herr­schafts­aus­übung. Wich­ti­ge Prot­ago­nis­ten der angrei­fen­den Par­tei wie Jür­gen Haber­mas oder Rudolf Aug­stein mach­ten kein Hehl aus ihrer Ahnungs­lo­sig­keit in der Sache. Sie unter­stell­ten den Opfern ihres Über­falls wie Ernst Nol­te oder Andre­as Hill­gru­ber frank und frei Din­ge, die die­se nicht gesagt hat­ten, bestrit­ten aber zum Aus­gleich man­ches, was als his­to­ri­sche Tat­sa­che schlicht und er grei­fend fest­stand. Im Krieg, auch im intel­lek­tu­el­len, bleibt die Wahr­heit als ers­tes auf der Stre­cke. Man konn­te das 1986 sehr genau beobachten.
Nun trifft es nicht zu, daß die Ver­gan­gen­heit wis­sen­schaft­li­cher Erfor­schung unzu­gäng­lich sei. Inner­halb der Gren­zen, die mensch­li­cher Erkennt­nis gezo­gen sind, läßt sich hier durch­aus objek­tiv arbei­ten. Aller­dings ist die­se Objek­ti­vi­tät ein zar­tes Pflänz­chen, das ledig­lich bei ent­spre­chen­der Pfle­ge und Selbst­dis­zi­plin gedei­hen kann und natür­lich – um im Bild zu blei­ben – etwas Nah­rung durch die mil­de Son­ne seriö­ser wis­sen­schaft­li­cher Aus­ein­an­der­set­zung benö­tigt. Das gilt prin­zi­pi­ell für alle Wis­sen­schaft, und obwohl sich die Natur­wis­sen­schaf­ten in die­ser Hin­sicht als die etwas wet­ter­fes­te­re Bran­che erwie­sen haben, bleibt an der Fest­stel­lung Lich­ten­bergs vie­les rich­tig: „Ein etwas vor­schnip­pi­scher Phi­lo­soph, ich glau­be Ham­let, Prinz von Däne­mark, hat gesagt, es gäbe eine Men­ge Din­ge im Him­mel und auf Erden, wovon nichts in unse­ren Kom­pen­di­en stün­de. Hat der ein­fäl­ti­ge Mensch, der bekannt­lich nicht recht bei Trost war, damit auf unse­re Kom­pen­di­en der Phy­sik gesti­chelt, so kann man ihm getrost ant­wor­ten: gut, aber dafür ste­hen auch wie­der eine Men­ge Din­ge in unse­ren Kom­pen­di­en, wovon weder im Him­mel noch auf der Erde etwas vorkommt!”

Auf daß sich die Zahl der letz­te­ren beacht­lich meh­ren soll­te, hat­te es schon vor dem His­to­ri­ker­streit eine denk­wür­di­ge Aus­ein­an­der­set­zung gege­ben: den Posi­ti­vis­mus­streit der sech­zi­ger Jah­re. Ging es Jür­gen Haber­mas und Co. zwan­zig Jah­re spä­ter um die Fra­ge der poli­tisch kor­rek­ten Geschichts­be­trach­tung und die Eli­mi­nie­rung stö­ren­der Tat­sa­chen aus der Dis­kus­si­on, so gab es zuvor den etwas in Ver­ges­sen­heit gera­te­nen Ver­such, auch die Natur­wis­sen­schaf­ten und vor allem die Sozio­lo­gie „kor­rekt” zu gestal­ten. Unter ande­rem wur­de von der Frank­fur­ter Schu­le und Haber­mas der Vor­wurf erho­ben, eine Kon­zen­tra­ti­on auf das Sam­meln von Fak­ten und die Prü­fung von Inter­pre­ta­ti­ons­mo­del­len, wie sie die Posi­ti­vis­ten angeb­lich vor­nah­men, habe ent­we­der kein poli­ti­sches Rück­grat oder sei über­haupt eine Moge­lei. Wert­freie Posi­ti­vis­ten neig­ten dem­nach dazu, alles Das­ei­en­de zu recht­fer­ti­gen – ergo auch die jeweils bestehen­den poli­ti­schen Ver­hält­nis­se. Da der Faschis­mus­ver­dacht schon damals die gän­gi­ge Wäh­rung war, lan­de­te man dabei als angeb­lich schla­gen­des Bei­spiel bei der „deut­schen Phy­sik”, die von völ­ki­schen Vor­den­kern vor und nach 1933 pro­kla­miert wor­den war. Ein Blick auf die Fak­ten hät­te hier bereits der Debat­te den Boden ent­zie­hen kön­nen: Die deut­sche Phy­sik war von den Posi­ti­vis­ten in der Tat nicht ernst­ge­nom­men worden.
Unter den Kon­tra­hen­ten der dama­li­gen Aus­ein­an­der­set­zung fan­den sich bekann­te Namen. Theo­dor Ador­no, Max Hork­hei­mer und Jür­gen Haber­mas auf der einen Sei­te, Hans Albert, Arnold Geh­len, Ernst Topitsch und Karl Pop­per auf der ande­ren. Im wesent­li­chen war es auch damals Jür­gen Haber­mas, der aus einer zunächst im Stil der alten Ordi­na­ri­en­uni­ver­si­tät insze­nier­ten intel­lek­tu­el­len Debat­te eine öffent­li­che mach­te. Er blieb spä­ter die­ser Metho­de durch­aus treu. Wesent­li­che Stil­ele­men­te kehr­ten daher im His­to­ri­ker­streit wie­der: Zum einen gab es den „Posi­ti­vis­mus” nie, gegen den Haber­mas damals zu Fel­de zog. Nie hat­te jemand die von ihm ange­grif­fe­nen Posi­tio­nen ver­tre­ten und die­je­ni­gen, die Jahr­zehn­te vor­her wenigs­tens eine ähn­li­che Hal­tung ein­ge­nom­men hat­ten, hat­ten sich längst wei­ter­ent­wi­ckelt. Zum ande­ren warf Haber­mas mit sei­ner künst­li­chen Zusam­men­stel­lung einer Rei­he von Per­so­nen zur ein­heit­li­chen Grup­pe voll­kom­men hete­ro­ge­ne intel­lek­tu­el­le Posi­tio­nen will­kür­lich in einen Topf.
Man konn­te die­se Metho­de im His­to­ri­ker­streit erneut erken­nen. Weder hat­ten die von Haber­mas in sei­ner Angriffs­er­öff­nung in der Zeit nament­lich atta­ckier­ten Ernst Nol­te, Micha­el Stür­mer, Klaus Hil­de­brand und Andre­as Hill­gru­ber die ihnen vor­ge­wor­fe­nen Posi­tio­nen über­haupt je ver­tre­ten, noch stell­ten sie bei nüch­ter­ner Betrach­tung eine Grup­pe dar, bei der man von Gemein­sam­kei­ten in der Sache oder gemein­sa­men geschichts­po­li­ti­schen Zie­len spre­chen konn­te. Da die Namen nun ein­mal im Raum stan­den, titu­lier­te Elie Wie­sel die vier Genann­ten den­noch im Jar­gon der mao­is­ti­schen Volks­re­pu­blik als „Vie­rer­ban­de”, was den Inten­tio­nen von Haber­mas kaum zuwi­der­lief. Haber­mas selbst mach­te immer­hin einen gewis­sen funk­tio­na­len Unter­schied zwi­schen Hil­de­brand und Stür­mer auf der einen, Nol­te und Hill­gru­ber auf der ande­ren Sei­te gel­tend. Ers­te­re hät­ten den „Revi­sio­nis­mus” der letz­te­ren „emp­foh­len”.

Die Angrif­fe ziel­ten unter die Gür­tel­li­nie. Per­sön­lich zu Her­zen nahm sie sich ins­be­son­de­re Hill­gru­ber, der nicht nur von Haber­mas, son­dern auch von Rudolf Aug­stein ins Visier genom­men wur­de. Er sah sich im Spie­gel als „kon­sti­tu­tio­nel­ler Nazi” titu­liert, wobei unge­klärt blieb, was außer der belei­di­gen­den Absicht damit gemeint sein konn­te. Neben Ernst Nol­te wur­de Hill­gru­ber zur tra­gi­schen Figur die­ses Streits, aller­dings aus völ­lig ande­rem Grund. Wäh­rend Nol­te mit sei­ner Deu­tung des Faschis­mus als eines Epo­chen­phä­no­mens einen gro­ßen und dau­er­haft irri­tie­ren­den Wurf gelan­det hat­te, hat­te Hill­gru­ber zu die­ser Zeit an sei­ner Habi­li­ta­ti­ons­schrift über „Hit­lers Stra­te­gie” gear­bei­tet und ihr eine Ten­denz gege­ben, die ob sei­nes dau­er­haf­ten Ein­flus­ses eigent­lich Haber­mas’ Lob ver­dient gehabt hät­te. Wäh­rend damals bereits das Tor zu einer dif­fe­ren­zier­ten Betrach­tung der Ursa­chen etwa des Unter­neh­mens Bar­ba­ros­sa weit offen­stand, nicht zuletzt durch die Arbei­ten des ihm wohl­be­kann­ten Phil­ipp Fabry, schlug Hill­gru­ber die­ses Tor 1965 laut kra­chend zu. Als Vehi­kel dien­ten ihm dabei Mut­ma­ßun­gen über Hit­ler­sche „Stu­fen­plä­ne” zur Welt­erobe­rung und des­sen angeb­lich „axio­ma­ti­sche Fixie­rung” auf einen Ruß­land­feld­zug. Für bei­des gab es kei­ne Quel­len­be­le­ge, das räum­te er bei­läu­fig ein. Damit hät­te die­se Posi­ti­on inner­halb der Geschichts­wis­sen­schaft eigent­lich erle­digt sein müs­sen, denn wor­über es kei­ne Quel­len gibt, dar­über läßt sich allen­falls in aller Vor­sicht spe­ku­lie­ren. Es zum Leit­fa­den einer Dar­stel­lung des Ruß­land­feld­zugs oder gar des Zwei­ten Welt­kriegs über­haupt zu machen, war ein Ver­stoß gegen ele­men­ta­re Stan­dards der Geschichts­schrei­bung und eine wis­sen­schaft­li­che Todsünde.
Den­noch setz­te Hill­gru­ber in den Fol­ge­jahr­zehn­ten die Maß­stä­be, nicht Fabry. Und genau die­se Maß­stä­be schu­fen die Basis für die völ­lig ahis­to­ri­sche Inter­pre­ta­ti­on der deut­schen Zeit­ge­schich­te unter Aus­blen­dung der zu jeder Zeit selbst­ver­ständ­li­chen Wech­sel­wir­kun­gen inter­na­tio­na­ler Poli­tik, zumal in Kriegs­zei­ten. Das von Clau­se­witz for­mu­lier­te „Gesetz des Krie­ges”, der sich wech­sel­sei­tig bedin­gen­den Stei­ge­rung der Gewalt­an­wen­dung, blieb unbe­ach­tet. Das galt für den Ruß­land­feld­zug wie für die gesam­te Pha­se der mili­tä­ri­schen und ideo­lo­gi­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen 1900 und 1945.
„Hit­ler wars”. Als dies in der zuneh­men­den Kon­junk­tur von psy­cho­lo­gi­schen und sozi­al­ge­schicht­li­chen Deu­tun­gen metho­disch denn doch zu dürf­tig schien, „war es” auch die Mili­tär­füh­rung, die Beam­ten­schaft, die Indus­trie, dann der Wider­stand des 20. Juli und in einer der letz­ten gelun­ge­nen Insze­nie­run­gen aus dem Haber­mas-Umfeld schließ­lich „die Wehr­macht”, die das Reemts­ma-Insti­tut für Sozi­al­for­schung in sei­nen Aus­stel­lun­gen als Popanz los­ge­löst von allen Wech­sel­wir­kun­gen in Bezug auf die Rote Armee vor­führ­te. Am Ende soll­ten es prak­tisch alle „gewe­sen sein”, jeden­falls soweit sie Deut­sche waren. Götz Aly trieb die Din­ge im Jahr 2005 mit Hit­lers Volks­staat auf die Spit­ze. Die Zeit rief aus die­sem Anlaß zum wie­der­hol­ten Mal den nächs­ten His­to­ri­ker­streit aus, für die­ses Mal aller­dings ver­ge­bens, denn Alys Ankla­ge des deut­schen Vol­kes als Pro­fi­teur der NS-Herr­schaft wies pas­sa­gen­wei­se eine der­art gro­tes­ke Unkennt­nis volks­wirt­schaft­li­cher Fak­ten und Zusam­men­hän­ge auf, daß die Sache ver­gleichs­wei­se still­schwei­gend ent­sorgt wurde.
Kei­nes­falls spiel­te in die­sem sich im Lau­fe der Jah­re stei­gern­den Zeit­ge­schichts­wirr­warr irgend­ein außer­halb Deutsch­lands lie­gen­des Ereig­nis eine Rol­le für den Auf­stieg des Natio­nal­so­zia­lis­mus, den Aus­bruch des Krie­ges oder irgend etwas, was in die­sem Zeit­raum geschah. In die­sem Kli­ma beging Hill­gru­ber in den Augen von Haber­mas den kaum ver­zeih­li­chen Feh­ler der Empa­thie mit den „Tätern”: „Er will sich nicht mit den Insas­sen der Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger iden­ti­fi­zie­ren, son­dern mit dem ‚kon­kre­ten Schick­sal der Bevöl­ke­rung im Osten‘.”

Dies rutsch­te dem Phi­lo­so­phie­pro­fes­sor 1986 aller­dings erst in einem Zweit­schlag her­aus, den er als Leser­brief an die FAZ geschickt hat­te. In sei­nem vor­her­ge­hen­den Arti­kel für die Zeit hat­te er noch – durch­aus beden­kens­wert – geschrie­ben, ein His­to­ri­ker sol­le sich gar nicht iden­ti­fi­zie­ren, son­dern den Über­blick behal­ten, den ihm sein Infor­ma­ti­ons­vor­sprung gegen­über den Zeit­ge­nos­sen und die zeit­li­che Distanz ohne­hin nahe­leg­ten. Sol­che Schwan­kun­gen beglei­te­ten die Haber­mas­sche Form des Argu­men­tie­rens all­zu oft. Sie lie­ßen sich selbst inner­halb ein­zel­ner Bei­trä­ge nach­wei­sen, was Klaus Hil­de­brand mit der Rou­ti­ne des mit Zita­ten arbei­ten­den His­to­ri­kers auch tat und zu dem Fazit kam, Haber­mas hät­te schwei­gen sol­len, wenn er Phi­lo­soph hät­te blei­ben wol­len. Allein, dies fruch­te­te wenig, weil es den Streit auf einer Ebe­ne auf­nahm, auf die Haber­mas weder fol­gen woll­te noch konnte.
So durf­te sich Andre­as Hill­gru­ber also in gewis­sem Sinn als irr­tüm­li­ches Opfer betrach­ten und ver­ra­ten füh­len, war er doch im Prin­zip einer der Vor­kämp­fer des von Haber­mas ange­mahn­ten, kor­rekt auf Deutsch­land fixier­ten Geschichts­bilds gewe­sen. Er ver­starb 1989 recht früh­zei­tig, aber auch als Leben­der wäre er zwei­fel­los schnell wie­der in den öffent­li­chen Geschichts­be­trieb zurück­ge­kehrt und gern auf­ge­nom­men wor­den. Ein bald nach dem Tod erschie­ne­ner Gedenk­band hob dies ange­mes­sen her­vor. Damit blieb Ernst Nol­te schließ­lich zu Recht die intel­lek­tu­el­le Haupt­fi­gur des Streits. An ihm ent­zün­de­te sich die Aus­ein­an­der­set­zung auch in den Fol­ge­jah­ren und bis heu­te immer wie­der. Dies war kein Zufall. Von der „Vie­rer­ban­de” durch­brach allein er mit sei­nen Arbei­ten über den Natio­nal­so­zia­lis­mus als Faschis­mus, der zusam­men mit ande­ren Bewe­gun­gen ein faschis­ti­sches Epo­chen­phä­no­men gebil­det habe, der als Auf­stand gegen die mensch­li­che Tran­szen­denz und als Gegen­be­we­gung zum Mar­xis­mus zu wer­ten sei, die zen­tra­le Annah­me des will­kür­li­chen deut­schen Son­der­wegs. Wäh­rend sich Haber­mas in sei­nen Aus­füh­run­gen fort­wäh­rend selbst wider­sprach, argu­men­tier­te Nol­te zudem noch auf begriff­lich hohem Niveau und unter kon­sis­ten­ter Fort­ent­wick­lung sei­ner The­sen, was Der Faschis­mus in sei­ner Epo­che und die nach­fol­gen­den Ver­öf­fent­li­chun­gen über den Euro­päi­schen Bür­ger­krieg und schließ­lich den Kau­sa­len Nexus auch für den­je­ni­gen frucht­bar und lesens­wert mach­te, der Nol­tes Ansich­ten im ein­zel­nen oder im gan­zen nicht teil­te. Er hat­te ein neu­es Para­dig­ma zur Inter­pre­ta­ti­on der jün­ge­ren euro­päi­schen Geschich­te for­mu­liert und räum­te zugleich ein, ein ein­zel­nes Para­dig­ma – also auch das sei­ne – kön­ne den kom­pli­zier­ten Geschichts­ab­lauf nie voll­stän­dig erfas­sen. Mehr kann ein His­to­ri­ker nicht leisten.

An die­sen Arbei­ten konn­te man also nicht vor­bei, und so wur­de Nol­te in man­chen Augen zum dau­ern­den Ärger­nis, da er sei­ne Ergeb­nis­se unge­rührt von allen Anfein­dun­gen ver­trat und Dif­fe­ren­zie­run­gen ver­lang­te, wo der Zeit­geist zuneh­mend gera­de­re Lini­en von Bis­marck nach Ausch­witz zog. Es wirk­te in der hek­ti­schen Umge­bung als Pro­vo­ka­ti­on, wenn er sich der ver­lang­ten letz­ten Zuspit­zung regel­mä­ßig ver­sag­te, bei­spiels­wei­se den „Kau­sa­len Nexus” zwi­schen Gulag und Ausch­witz nicht als Auto­ma­tis­mus miß­ver­stan­den sehen woll­te und in Bezug auf den Geno­zid beharr­lich die Dif­fe­renz zwi­schen „ver­steh­bar” und „ver­ständ­lich” ein­klag­te. Hier woll­ten vie­le bewußt nicht mit­ge­hen. Die Grün­de dafür lagen im Zeit­geist, der nicht an begriff­li­chen Dif­fe­ren­zie­run­gen inter­es­siert war und ist, aber auch in der Natur der publi­zis­ti­schen Kriegs­füh­rung. Als Rudolf Aug­stein ein­mal gefragt wur­de, war­um er gegen Franz Joseph Strauß mit so maß­lo­ser Pole­mik und fal­schen Anschul­di­gun­gen vor­ge­gan­gen sei, da blick­te er den Fra­ge­stel­ler ob der Nai­vi­tät die­ser Fra­ge zunächst ver­ständ­nis­los an, dann kurz zu Boden und sag­te schließ­lich: „Also wis­sen Sie, einem Geg­ner sol­cher Potenz kann man nicht mit Objek­ti­vi­tät beikommen.”
Mit Blick auf den His­to­ri­ker­streit wird man sich heu­te an den Erfolg der Haber­mas­schen Streit­stra­te­gie erin­nern, aber auch dar­an, wie man­che sei­ner Insze­nie­run­gen fehl­schlu­gen. Wer als Mei­nungs­füh­rer im öffent­li­chen Gespräch blei­ben will, der muß stets neue The­men­fel­der suchen und deren Aus­wahl ist nicht ganz belie­big, son­dern wird zum Teil von den Vor­lie­ben und Ängs­ten der Mul­ti­pli­ka­to­ren und des Publi­kums bestimmt. Jür­gen Haber­mas hat sich mit sei­nen Äuße­run­gen in den letz­ten Jah­ren zuse­hends auf das Feld der ethi­schen Fra­ge­stel­lun­gen im Zusam­men­hang mit den neu­en Mög­lich­kei­ten in Medi­zin und Gen­tech­nik kon­zen­triert. Für einen Streit muß auch ein geeig­ne­ter (will sagen: bekann­ter und bereits kri­tisch beäug­ter) Geg­ner vor­han­den sein. Vor die­sem Hin­ter­grund ist etwa das Schei­tern der Atta­cke gegen Peter Slo­ter­di­jk zu sehen, die Haber­mas 1999 aus dem Hin­ter­grund för­der­te, die aber im Ansatz stekkenblieb.
Peter Slo­ter­di­jk, wohl der ein­zi­ge deut­sche Phi­lo­soph, der den Bekannt­heits­grad von Haber­mas erreicht, hat­te in einem Rede­bei­trag von „Men­schen­parks” gespro­chen. In die­sen Parks wür­den die gen­tech­nisch zuneh­mend vor­be­halt­lich vor­ge­burt­li­cher Dia­gno­sen geneh­mig­ten und dann ver­hü­tungs­tech­nisch ord­nungs­ge­mäß zuge­las­se­nen Indi­vi­du­en in Zukunft wan­deln. Das trug ihm den Vor­wurf ein – wel­chen sonst, mag man fra­gen – „faschis­tisch” zu den­ken und der Euge­nik der Natio­nal­so­zia­lis­ten das Wort zu reden. Kaum jemand in den Redak­tio­nen griff das The­ma auf, hat­te dort doch prak­tisch jeder in den acht­zi­ger Jah­ren mit begeis­ter­ter Zustim­mung die Kri­tik der zyni­schen Ver­nunft des post­mo­der­nen Mode­phi­lo­so­phen Slo­ter­di­jk gele­sen und zeig­te wenig Nei­gung, gera­de gegen ihn die Faschis­mus­keu­le zu schwingen.
Zwei Jahr­zehn­te nach dem His­to­ri­ker­streit wird nun aller­or­ten Bilanz gezo­gen. Dabei greift natür­lich erneut die Mecha­nik des öffent­li­chen Streits, sofern es sich um eine Insze­nie­rung han­delt. Wer zum Inter­view gebe­ten oder gar zur Fern­seh­dis­kus­si­on ein­ge­la­den wird, ist per se wich­tig. Der Ein­fluß des all­zu­mensch­li­chen Ehr­gei­zes auf die Ent­schei­dung bestimm­ter Pro­fes­so­ren, sich eben­falls zu Wort zu mel­den, darf nicht unter­schätzt wer­den. Im Hin­ter­grund geht der­weil die Arbeit vor­an. Der His­to­ri­ker­streit wird in wei­te­ren zwan­zig Jah­ren sehr wahr­schein­lich als absur­des Thea­ter betrach­tet wer­den, und es wird nicht die Haber­mas­sche Posi­ti­on sein, die den Ton angibt. Intel­lek­tu­el­le Fra­gen sind eben nicht nur Machtfragen.

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