Ihm seien nur ein paar Fetzen aus dem Mammutartikel auf Seite eins des Feuilletons ins Auge gefallen, antwortete Kubitschek. Die hätten so nach ultimativer Würdigung geklungen.
Gut, überlegte ich, dafür muß man nicht unbedingt gestorben sein.
Vielleicht hat sie schon wieder das Bundesverdienstkreuz umgehängt bekommen, zwei hat sie schon, es gäbe da noch die Stufe des Großkreuzes, dessen bislang nur Kohl und Adenauer (mithin noch keine einzige Frau!) sich als würdig erwiesen.
Aber nein: Alice Schwarzer hat bloß wieder Autobiographisches verfaßt, „Lebenslauf“ betitelt. Ah, es gibt also nach zwei Biographien (einer feindlichen, einer freundlichen), einer selbstverfaßten autobiographischen „Zwischenbilanz“, einer erst kürzlich erschienen Kurzautobiographie („Journalistin aus Passion“), intimen Briefwechseln und Gesprächsbänden, einer mit Persönlichem durchsetzten Emma-„Biographie“ noch Mitteilungsbedarf!
Genau so ist es, und zwar in „fünfzehn glänzenden Kapiteln“, wie die hochbeglückte Rezensentin, Philosophieprofessorin Petra Gehring, jubelt . Nun ist es schon in Ordnung, wenn eine mit Gender-Themen affirmativ vertraute Publizistin (die mir noch durch ihren ebenfalls in der FAZ gedruckten, unsäglichen Verriß eines genderkritischen Gabriele- Kuby-Buches in Erinnerung ist) ein Buch über den Klee lobt. Lob und Tadel sind ja der Kern des Rezensionswesen. „Buchkritik“ wird man diese hagiographische Schwarmrede aber kaum heißen dürfen, soviel wird ersichtlich auch dem, der das ellenlang besprochene Buch nicht kennt, aber all die Schilderungen von Schwarzers kuchenbackendem, zärtlichen Großvater und der exzentrischen, unerschrockenen Großmutter schon dutzendmal gelesen hat.
Die Oma („Mama“ genannt) haßt das Heimatland, preist die einrückenden Amerikaner als Befreiung und ist so niedlich, mit der kleinen Alice „in feierlichem Ritual“ Mickymaus-Hefte zu lesen. Cool andererseits: „Ein GI, der die gutaussehende Mutter bedrängen will (will!), wird standrechtlich erschossen.“
Das Mädchen gibt sich in der Schule als Rebellin – logisch – und ist faul, ein Besuch der höheren Schule scheitert aber nicht daran, sondern an den Finanzen, auch das hat die Schwarzer, als gäbe es Rechtfertigungsbedarf, schon zigmal aufgeschrieben. Rezensentin Gehring (in durchgängig seltsamer, wohl glückstrunkener Sprache): „1970 unterscheidet Schwarzers Taschenkalender zwei separate Stichworte: ‘Linke’ und ‘Frauen’.“ Die Jahre, die sich an Schwarzers „Ich habe abgetrieben“- Kampagne 1971 anschließen, seien eine „atemberaubende Lektüre“. Der tolle TV-Streit mit Esther Vilar (die sich nach Anfeindungen aus Schwarzers Lager übrigens gezwungen sah, das Land zu verlassen), habe „den geschlechterpolitischen Streit unter Frauen im Fernsehen salonfähig“ gemacht; völlig super, das alles. Für Schwarzer habe dann „eine intensive, aber auch schwere Beziehung zur und mit der deutschen Frauenbewegung“ begonnen. Mit „diskreter Leichtigkeit“, die unsere „Leserin nur bewundern kann“, wird nun auch Schwarzers bis dato offenes Geheimnis, ihre lesbische Neigung, „offengelegt“. Gehring, abermals kryptisch beglückt, hierzu: „Schweigen ist kein Gold, aber auch Reden ist nur Silber.“
Groß auch dieser Sachverhalt, nämlich: „Schwarzer kommuniziert Positionen.“ Sowohl Stasi als auch der französische Geheimdienst haben Schwarzer anwerben wollen, aber „das kann sie weglachen, wie Männerinteressen überhaupt.“ Stellt sich die Frage, welche Frauenmannschaft sie als Werbeträgerin für die BILD angeworben hat? Hochpathetisch läßt Gehring ihren Hymnus enden:
„Die Frauenbewegung wurde von denjenigen auf den Weg gebracht, welche den unwiderstehlichen Geschmack des Freiseins bereits gekostet hatten. Welche ihn auf der Zunge haben, auf den Lippen tragen. Welche lieben, zu Aufbrüchen, zur Arbeit und zu dröhnendem lachen (!) sich hinreißen lassen. Und denen das Unglück der anderen (Vilar? Eva Herman?) immer wieder ein wortloser Auftrag ist.“
Herrje, was hat diese göttingleiche Schwarzer nicht alles zu tun! Bücher im Akkord schreiben, Unglück verhindern, Preisreden halten, die BILD-Werbetrommel rühren, Jurys beisitzen, Ehrungen entgegennehmen, hin und wieder auch noch Talk-Formate. Gut, daß ihr mit der oft als konservativ gescholtenen FAZ ein so solider Helfer zur Seite steht, der Vorabdrucke, Positionsbestimmungen, Reden und schwärmerische Großrezensionen willig abdruckt!
Empfehlung: nicht kaufen, in drei Jahren kommt die nächste Autobiographie. Vielleicht erfahren wir dann endlich mehr über die Kichenrezepte des Großvaters …