Selbstversorgung

Nicht, daß der Wind hier auf dem Lande uns bereits einen Hauch „Vorbürgerkrieg“ zutrüge; nein, Spätsommer und Frühherbst...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

zäh­len hier zu den idyl­lischs­ten Zei­ten. Und zu den arbeit­sams­ten, denn es ist Ern­te­zeit und Schlacht­be­ginn. So übt sich die Fami­lie (wäh­rend in den umlie­gen­den Orten mitt­ler­wei­le eine Super­markt­dich­te herrscht, wie ich sie andern­orts nie erlebt habe und wie wir sie vor neun Jah­ren nicht vor­ge­fun­den haben) der­zeit flei­ßig im haus­wirt­schaft­li­chen Ernstfall-Spiel.

Wenn heu­te der infra­struk­tu­rel­le Not­fall ein­trä­te – wir hät­ten gut lachen! Das heißt, seit ein paar Mona­ten leben wir nah­rungs­mä­ßig nahe­zu aut­ark, allein Back­ge­trei­de, Milch­pro­duk­te und Honig wer­den zugekauft.

Wir zäh­len der­zeit unge­fähr 40 Enten (von denen die jüngs­ten noch zucker­sü­ße Strei­chel­tie­re sind, die ältes­ten schon fett und mit schiffs­ähn­li­chem Rumpf durch den Gar­ten wan­ken), drei Gän­se und knapp zwei Dut­zend Hüh­ner, zudem ein hal­bes Schwein, das als gan­zes bei einem Nach­barn steht. Die Ern­te aus eige­nem Anbau reicht für die Fami­lie (Fleisch haben wir mona­te­lang nur zu Fest­ta­gen ver­speist, statt des­sen reich­lich Eier­spei­sen) und für die Tie­re. Mei­ne gele­gent­li­chen Zwei­fel, ob das zumin­dest aus öko­no­mi­scher Sicht nicht unren­ta­bel sei (Gemü­se als Sai­son­wa­re ist im Super­markt spott­bil­lig), hat Kubit­schek aus­ge­he­belt: Ein paar Samen­tüt­chen kos­ten nicht viel, und der “Wert” selbst­ge­zo­ge­nen, unge­spritz­ten Gemü­ses läßt sich sowie­so nicht nur in Geld­be­trä­gen ausdrücken.

Die dank­bars­te Ern­te ist die die­ser Wochen, näm­lich der fast mühe­lo­se Gang durchs Schla­raf­fen­land, das uns umgibt. Begon­nen hat es schon Ende Juni, als wir in die Kirsch­al­leen der fuß­na­hen Umge­bung gin­gen und fast 50 Kilo hol­ten. Ent­stei­nen, ver­ba­cken und ein­ko­chen ist mit einer Hand­voll Kin­der, logisch, ein Kin­der­spiel, die freu­en sich schon ab Früh­ling immer auf die­se Zeit.

Ab Juli sam­mel­ten wir die ers­ten Pflau­men, die­se Woche waren Äpfel, Bir­nen und Quit­ten dran. Wenn die Kin­der ange­sichts der bevor­ste­hen­den Arbeit doch mal stöh­nen (das tun sie ab dem Alter, wo sie in frü­he­ren Jahr­hun­der­ten zur öko­no­misch brauch­ba­ren Grö­ße her­an­wuch­sen), wird ihnen das alt­be­kann­te Mär­chen von Frau Hol­le erzählt, wo die Bäu­me mit­leid­erre­gend spre­chen kön­nen: „ Schüt­tel mich, rüt­tel mich, mei­ne Früch­te sind längst reif!“ Die­ses Jahr äch­zen die Obst­bäu­me beson­ders und ducken sich unter ihrer Last, ein Glück, sie erleich­tern zu dürfen!

Im der­zeit in den Kinos lau­fen­den Doku­men­tar­film Tas­te the Was­te heißt es, daß min­des­tens ein Drit­tel unse­rer Nah­rungs­mit­tel in den Abfall wan­dern. Damit ist die indus­tri­el­le Pro­duk­ti­on gemeint, um den Wild­wuchs scheint´s kaum bes­ser zu ste­hen. Zu DDR-Zei­ten konn­te man für gerin­ge Pacht ein­zel­ne Stra­ßen­bäu­me beim Gemein­de­amt mie­ten, heu­te inter­es­siert die Wild­wa­re kei­nen Men­schen mehr, die Autos rol­len durch Obst­matsch. Der demo­gra­phi­sche Wan­del tut sein übri­ges: Oma hat die­se präch­ti­gen Bäu­me im Klein­gar­ten, aber was soll sie mit Zent­nern an Obst, und der quan­ti­ta­tiv beschei­de­nen Enkel­schar ist das irgend­wie halb­le­ben­dig wir­ken­de Zeug zu „unhy­gie­nisch“, außer­dem wür­den die auf­ge­kleb­ten Fin­ger­nä­gel beim Pflü­cken leiden.

Heißt für uns: nach­fra­gen, rein in die Gär­ten, rüt­teln und schüt­teln, was das Zeug hält, die schöns­ten Stü­cke gehen in gro­ßem Korb zur Oma, der Rest wan­dert in die rie­sen­haf­te, uralte Pres­se, die ein befreun­de­ter Bau­er, eben­falls ein West-Flücht­ling, samt alter­tüm­li­chem Zube­hör bereit­hält. Das sind die Son­nen­sei­ten des Nie­der­gangs, man genießt sie mit melan­cho­li­schem Bei­geschmack. Die schö­nen Fla­schen (gut 400, genug für ein Jahr also) und Käs­ten für den Saft hat vor Jah­ren der Bau­er bereit­ge­stellt: Ein Wasch­gang mit Spül­mit­tel, dann einer mit Natron­lau­ge, einer mit Zitro­nen­säu­re und einer mit hei­ßem Was­ser – seit­her müs­sen die Fla­schen vor dem Kel­tern nur noch ein­mal durch­ge­spült wer­den vom Kel­ler­staub der ver­gan­ge­nen Mona­te. Ohne Kin­der käme einem sol­cher Auf­wand den­noch über­trie­ben vor.

Mit Kin­dern, die mit­tun, hat man dop­pel­ten und drei­fa­chen Effekt: Kel­ler und Spei­se­kam­mer fül­len sich und die Zeit, die Kin­der nun mal erfor­dern, ist sinn­vol­ler aus­ge­füllt als durch diver­se Kur­se oder kon­ven­tio­nel­le Frei­zeit­ver­gnü­gun­gen. Gera­de für puber­tie­ren­de Kin­der, bei denen das Urteil „das ist doch voll sinn­los!“ ohne Gna­de als Abgren­zungs­mar­ke dient, ist sol­che Beschäf­ti­gung ein Segen!

Ein Segen auch, daß unse­re gro­ßen Kin­der ange­bis­sen haben, wir sehen Aut­ar­kie­stre­ben aller­or­ten: Auf dem Dach­bo­den trock­nen geschätzt drei­ßig Meter Apfel­rin­ge, in Tüchern aus­ge­brei­tet lie­gen aller­lei Tee­kräu­ter, in der Küche wer­den Holun­der­bee­ren ent­saf­tet, und die Über­le­gun­gen und Prak­ti­ken rei­chen gar über das Eßba­re hin­aus. Die ollen Kla­mot­ten, die uns jemand in Tüten vor die Tür gestellt hat, weil die eig­nen Kin­der groß sind, und die ich zum Alt­klei­der­con­tai­ner tra­gen will, wer­den mir abge­nom­men: „Dar­aus nähe ich was!“.

Vor kur­zem haben wir auf einem Töp­fer­markt ein paar schö­ne Sachen erwor­ben, und die Kin­der staun­ten, wie teu­er das irde­ne Zeug doch ist. Flugs hat die tech­nisch begab­te Ältes­te (mit rudi­men­tä­ren Töp­fer­kennt­nis­sen) den Bau­plan zu einer mecha­ni­schen Töp­fer­schei­be ent­wor­fen und will künf­tig fürs Geschirr sorgen.

Wie gut es sich lebt, beim Vor­bür­ger­kriegspie­len, auf dem Land, im Herbst, im Osten!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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