zählen hier zu den idyllischsten Zeiten. Und zu den arbeitsamsten, denn es ist Erntezeit und Schlachtbeginn. So übt sich die Familie (während in den umliegenden Orten mittlerweile eine Supermarktdichte herrscht, wie ich sie andernorts nie erlebt habe und wie wir sie vor neun Jahren nicht vorgefunden haben) derzeit fleißig im hauswirtschaftlichen Ernstfall-Spiel.
Wenn heute der infrastrukturelle Notfall einträte – wir hätten gut lachen! Das heißt, seit ein paar Monaten leben wir nahrungsmäßig nahezu autark, allein Backgetreide, Milchprodukte und Honig werden zugekauft.
Wir zählen derzeit ungefähr 40 Enten (von denen die jüngsten noch zuckersüße Streicheltiere sind, die ältesten schon fett und mit schiffsähnlichem Rumpf durch den Garten wanken), drei Gänse und knapp zwei Dutzend Hühner, zudem ein halbes Schwein, das als ganzes bei einem Nachbarn steht. Die Ernte aus eigenem Anbau reicht für die Familie (Fleisch haben wir monatelang nur zu Festtagen verspeist, statt dessen reichlich Eierspeisen) und für die Tiere. Meine gelegentlichen Zweifel, ob das zumindest aus ökonomischer Sicht nicht unrentabel sei (Gemüse als Saisonware ist im Supermarkt spottbillig), hat Kubitschek ausgehebelt: Ein paar Samentütchen kosten nicht viel, und der “Wert” selbstgezogenen, ungespritzten Gemüses läßt sich sowieso nicht nur in Geldbeträgen ausdrücken.
Die dankbarste Ernte ist die dieser Wochen, nämlich der fast mühelose Gang durchs Schlaraffenland, das uns umgibt. Begonnen hat es schon Ende Juni, als wir in die Kirschalleen der fußnahen Umgebung gingen und fast 50 Kilo holten. Entsteinen, verbacken und einkochen ist mit einer Handvoll Kinder, logisch, ein Kinderspiel, die freuen sich schon ab Frühling immer auf diese Zeit.
Ab Juli sammelten wir die ersten Pflaumen, diese Woche waren Äpfel, Birnen und Quitten dran. Wenn die Kinder angesichts der bevorstehenden Arbeit doch mal stöhnen (das tun sie ab dem Alter, wo sie in früheren Jahrhunderten zur ökonomisch brauchbaren Größe heranwuchsen), wird ihnen das altbekannte Märchen von Frau Holle erzählt, wo die Bäume mitleiderregend sprechen können: „ Schüttel mich, rüttel mich, meine Früchte sind längst reif!“ Dieses Jahr ächzen die Obstbäume besonders und ducken sich unter ihrer Last, ein Glück, sie erleichtern zu dürfen!
Im derzeit in den Kinos laufenden Dokumentarfilm Taste the Waste heißt es, daß mindestens ein Drittel unserer Nahrungsmittel in den Abfall wandern. Damit ist die industrielle Produktion gemeint, um den Wildwuchs scheint´s kaum besser zu stehen. Zu DDR-Zeiten konnte man für geringe Pacht einzelne Straßenbäume beim Gemeindeamt mieten, heute interessiert die Wildware keinen Menschen mehr, die Autos rollen durch Obstmatsch. Der demographische Wandel tut sein übriges: Oma hat diese prächtigen Bäume im Kleingarten, aber was soll sie mit Zentnern an Obst, und der quantitativ bescheidenen Enkelschar ist das irgendwie halblebendig wirkende Zeug zu „unhygienisch“, außerdem würden die aufgeklebten Fingernägel beim Pflücken leiden.
Heißt für uns: nachfragen, rein in die Gärten, rütteln und schütteln, was das Zeug hält, die schönsten Stücke gehen in großem Korb zur Oma, der Rest wandert in die riesenhafte, uralte Presse, die ein befreundeter Bauer, ebenfalls ein West-Flüchtling, samt altertümlichem Zubehör bereithält. Das sind die Sonnenseiten des Niedergangs, man genießt sie mit melancholischem Beigeschmack. Die schönen Flaschen (gut 400, genug für ein Jahr also) und Kästen für den Saft hat vor Jahren der Bauer bereitgestellt: Ein Waschgang mit Spülmittel, dann einer mit Natronlauge, einer mit Zitronensäure und einer mit heißem Wasser – seither müssen die Flaschen vor dem Keltern nur noch einmal durchgespült werden vom Kellerstaub der vergangenen Monate. Ohne Kinder käme einem solcher Aufwand dennoch übertrieben vor.
Mit Kindern, die mittun, hat man doppelten und dreifachen Effekt: Keller und Speisekammer füllen sich und die Zeit, die Kinder nun mal erfordern, ist sinnvoller ausgefüllt als durch diverse Kurse oder konventionelle Freizeitvergnügungen. Gerade für pubertierende Kinder, bei denen das Urteil „das ist doch voll sinnlos!“ ohne Gnade als Abgrenzungsmarke dient, ist solche Beschäftigung ein Segen!
Ein Segen auch, daß unsere großen Kinder angebissen haben, wir sehen Autarkiestreben allerorten: Auf dem Dachboden trocknen geschätzt dreißig Meter Apfelringe, in Tüchern ausgebreitet liegen allerlei Teekräuter, in der Küche werden Holunderbeeren entsaftet, und die Überlegungen und Praktiken reichen gar über das Eßbare hinaus. Die ollen Klamotten, die uns jemand in Tüten vor die Tür gestellt hat, weil die eignen Kinder groß sind, und die ich zum Altkleidercontainer tragen will, werden mir abgenommen: „Daraus nähe ich was!“.
Vor kurzem haben wir auf einem Töpfermarkt ein paar schöne Sachen erworben, und die Kinder staunten, wie teuer das irdene Zeug doch ist. Flugs hat die technisch begabte Älteste (mit rudimentären Töpferkenntnissen) den Bauplan zu einer mechanischen Töpferscheibe entworfen und will künftig fürs Geschirr sorgen.
Wie gut es sich lebt, beim Vorbürgerkriegspielen, auf dem Land, im Herbst, im Osten!