Nichts für Kinder: Wickie auf großer Fahrt

Mir ist nicht klar, wen der gerade in den Kinos angelaufene Film Wickie auf großer Fahrt begeistern soll.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Even­tu­ell: extrem fern­seh­erfah­re­ne soge­nann­te Kids, eine Kli­en­tel, die ich nicht so gut ken­ne. Kin­der im her­kömm­li­chen Sin­ne wer­den sich gru­seln, Jugend­li­che und Erwach­se­ne lang­wei­len. Jedoch, der bom­bas­ti­sche Mist­film läuft, und aus den Super­markt­pro­spek­ten die­ser Woche grinst mir Wickie allent­hal­ben ent­ge­gen: Von Hand­tü­chern, Bett­wä­schen, Tassen.

Es gibt ja zahl­rei­che Grün­de, war­um ein Kind als „Angst­ha­se“ gilt. Mag sein, es wur­de über­vor­sich­tig erzo­gen und traut sich des­halb wenig zu. Viel­leicht hat­te es schlicht wenig Gele­gen­heit, sei­nen Mut zu erpro­ben. Oder es hat schlech­te Erfah­run­gen gemacht mit ris­kan­tem Ver­hal­ten in kind­li­chen Bezü­gen und wech­selt daher die Stra­ßen­sei­te, bevor Hund, Kat­ze oder der grim­mig schau­en­de gro­ße Jun­ge den Weg kreu­zen. Nicht zu ver­ges­sen jene Furcht­sam­keit, die man­chem klei­nen Men­schen in die Wie­ge gelegt wur­de – schon unter Säug­lin­gen bar jeder dezi­dier­ten Sozia­li­sa­ti­on sind Drauf­gän­ger von Schüch­ter­nen unter­scheid­bar – dann ist es eine Temperamentsfrage.

Neh­men wir die­se drei Kin­der, die eher der Kate­go­rie Rauf­bold zunei­gen, „Zim­per­lie­se“ jeden­falls hät­te sie kei­ner je zu schimp­fen gewagt: Eine furcht­lo­se fünf­jäh­ri­ge, eine gera­de­zu toll­küh­ne Acht- sowie ein gewöhn­lich mit Schram­men über­sä­ter Sie­ben­jäh­ri­ger. In den Stand von Pres­se­ver­tre­tern erho­ben – Con­stan­tin als Film­ver­leih hat Kin­der aus­drück­lich ein­ge­la­den -, mit einem Kalt­ge­tränk und gro­ßen Bril­le ver­sorgt dür­fen sie sich vor dem offi­zi­el­len Film­start das neue Aben­teu­er eines bekann­ter­ma­ßen muti­gen Jun­gen anschau­en: Wickie, der nord­län­di­sche Kin­der­held, geht auf gro­ße Fahrt. Gedreht wur­de das Aben­teu­er in 3‑D-Tech­nik, daher die Brille.

Weil Wickies Vater ent­führt wur­de, muß der Sohn das Kom­man­do über­neh­men. Gern tut er das nicht, denn er ist ers­tens längst nicht so mutig und ent­schei­dungs­freu­dig wie das mit­se­geln­de, glut­äu­gi­ge Skla­ven­mäd­chen, und zwei­tens weiß er, daß demo­kra­tisch getrof­fe­ne Ent­schei­dun­gen ziel­füh­ren­der sind: Wenn alle ihre Mei­nung äußern, sei die Wahr­schein­lich­keit höher, daß man den rich­ti­gen Weg wäh­le. Doch so weit sind die hemds­är­me­li­gen Hor­noch­sen aus der Beleg­schaft noch nicht. Drum rasen sie mit ihrem Schiff von einer Gefahr in die nächste.

Kei­ne hal­be Stun­de ist ver­gan­gen, und Wickie hat schon drei­mal dem Tod direkt ins Auge geblickt. Ein­mal, als er mit sei­ner Hor­de auf der Wal­kü­ren­in­sel lan­de­te und sogleich von deren knapp beklei­de­ten Ein­woh­ne­rin­nen fest­ge­setzt wur­de. Die Wikin­ger ste­hen gefes­selt auf einem Fels­grat, unten tobt das Meer, um mit ihren zer­schmet­ter­ten Leich­na­men zu spie­len. Bib­bernd und glot­zend steht die Wikin­ger­schar: „Ihr seid so anders als die Frau­en, die wir ken­nen! War­um seid ihr so schön?“ „Viel Sport und kein Fleisch“, lau­tet die (ganz zart zeit­geis­tig ange­hauch­te) Ant­wort, doch das Lie­bes­an­sin­nen der Nord­man­nen wei­sen die mul­ti­kul­tu­rel­len Man­ne­quin-Wal­kü­ren ent­schie­den zurück – solch patri­ar­cha­li­scher Objek­ti­vie­rungs­ver­such macht die Wei­ber (unter Füh­rung von Top­mo­del Eva Pad­berg) nur noch furioser.

Die zuschau­en­den Kin­der der­weil ver­ste­hen nur Bahn­hof und sind froh, daß Frau­en­ver­ste­her Wickie die Lage ent­schärft. Die „Wal­kü­ren“ opfern am Ende gar ihre Biki­nis, um das zer­schlis­se­ne Segel der Ein­dring­lin­ge zu fli­cken. Jedoch: durch­ge­at­met wird nicht, weder auf sei­ten der Film­han­deln­den noch auf jener der klei­nen Zuschau­er. Selbst klei­ne­re Zwi­schen­fäl­le wer­den hier zum bedroh­li­chen Skan­dal, etwa wenn einem Besat­zungs­mit­glied unter bar­ba­ri­schen Schrei­en ein eit­ri­ger Zahn gezo­gen wird. Und schon steht wie­der das Leben auf dem Spiel: Der schreck­li­che Sven und sei­ne fins­te­ren Man­nen pla­nen nicht weni­ger, als die Wikin­ger einen Kopf kür­zer zu machen. Daß die Mann­schaft ver­sucht, die Situa­ti­on mit­hil­fe eini­ger Erwach­se­nen­scher­ze zu ent­span­nen, ent­las­tet die mit­schau­en­de Mut­ter gar nicht.

Mitt­ler­wei­le drän­gen sich drei Kin­der auf ihrem Schoß. Soviel haben die Kin­der bis dahin kapiert: Es geht dar­um, Wickies Vater aus den mör­de­ri­schen Klau­en Svens zu ret­ten und gleich­zei­tig in den Besitz eines magi­schen Amu­letts zu kom­men. Flüs­tert der Sohn: „Wenn ich das Amu­lett hät­te, ich hät­te nur einen Wunsch: hier raus­zu­kom­men.“ „Aus Svens Ker­ker?“ „Nein. Aus dem Kino.“ Wer den Film­trai­ler gese­hen hat, kennt noch wenigs­tens zwei wei­te­re Situa­tio­nen, aus denen Wickies Leu­te nur unter Todes­ge­fahr ent­kom­men. Dem Erwach­se­nen ist klar, wer hier über­le­ben und sie­gen wird. Das schma­le Welt­wis­sen der Kin­der reicht nicht für sol­che Vorwegnahme.

Wer hin­rei­chend Fern­seh- und Com­pu­ter­spiel­erfah­rung hat, mag auch als Vor- und Grund­schü­ler roh genug sein bezie­hungs­wei­se über eine solch dicke Haut ver­fü­gen, um sol­che Grenz­si­tua­tio­nen als anre­gen­den Ner­ven­kit­zel wahr­zu­neh­men. Ande­re Kin­der, und mögen sie im rea­len Leben noch so uner­schro­cken sein, tau­chen hier tief in ein schier uner­schöpf­li­ches Reser­voir an Alb­träu­men ein. Vier Pres­se­ver­tre­ter ver­lie­ßen die Vor­schau vor dem Ende der ers­ten Film­hälf­te. Der neue Wicki-Film ist ohne Alters­be­schrän­kung freigegeben.

(Mit leich­ten Ände­run­gen erst­mals erschie­nen in JF 40/11)

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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