Schmitt lesen

 pdf der Druckfassung aus Sezession 42 / Juni 2011

von Thor von Waldstein

Was sind die Ursachen der Schmitt-Renaissance, die seit gut zwei Jahrzehnten in der Wissenschaft, aber auch in dem politischen Feuilleton weltweit zu beobachten ist?

Wie kommt es, daß ein deut­scher, im Kai­ser­reich sozia­li­sier­ter Staats­recht­ler, des­sen Haupt­wer­ke vor 65 bis 95 Jah­ren erst­mals ver­öf­fent­licht wur­den, im 21. Jahr­hun­dert in den west­li­chen Demo­kra­tien, aber auch in Süd­ame­ri­ka und Asi­en, ein sol­ches, nach­ge­ra­de gespens­tisch anmu­ten­des Aktua­li­täts­in­ter­es­se erfährt? Und für eine Repu­blik wie die BRD, »die sich seit ihrer Ent­ste­hung im ideo­lo­gi­schen Kriegs­zu­stand mit dem Drit­ten Reich befin­det« (Hel­mut Qua­rit­sch), kommt die ban­ge Fra­ge hin­zu: War­um liest man sogar ein­zel­ne apo­kryph ver­schlüs­sel­te Schrif­ten Schmitts aus der NS-Ära heu­te – hor­ri­bi­le dic­tu – in der Regel mit grö­ße­rem Erkennt­nis­ge­winn als die vie­len bun­ten Suhr­kamp-Paper­backs aus den seli­gen 1970er Jah­ren? Was ist eigent­lich alles schief­ge­lau­fen in 50 Jah­ren dia­log­be­rei­tem Gemein­schafts­kun­de­un­ter­richt, in dem alle For­men von »Kon­flikt­lö­sun­gen« jen­seits des Schmitt­schen Hori­zonts durch­ex­er­ziert wur­den? Was hat Carl Schmitt, das Jür­gen Haber­mas nicht hat? Und wel­che Rück­schlüs­se läßt der bis­wei­len sur­rea­le Schmitt-Hype auf das poli­ti­sche Wir­kungs­ge­fü­ge unse­rer Tage zu?

Wer Ant­wor­ten auf die­se Fra­gen sucht, soll­te den wiki­pe­di­ös auf­be­rei­te­ten Kon­sum von Sekun­där- und Ter­ti­är­quel­len über Schmitt mei­den und sich dem Werk selbst zuwen­den. Die nach­fol­gen­den Zei­len wol­len dem­ge­mäß zur Pri­mär­lek­tü­re anre­gen und ver­heh­len nicht die Über­zeu­gung ihres Ver­fas­sers, daß der Leser, der die polit-mora­lin­säu­re­hal­ti­gen Nebel­schwa­den unse­rer Tage durch­sto­ßen will, nach wie vor kaum etwas Effek­ti­ve­res tun kann, als sich mit dem Werk des »jüngs­ten Klas­si­kers des poli­ti­schen Den­kens« (Ber­nard Will­ms) zu befas­sen. Wer sich indes unbe­fan­gen auf die Gedan­ken­welt die­ses »simp­len Plet­ten­bour­geois« (Schmitt über Schmitt) ein­läßt, läuft schnell Gefahr, von sei­ner Art zu den­ken und zu argu­men­tie­ren ein­ge­nom­men zu wer­den. Die­se Fas­zi­na­ti­on, die von nicht weni­gen sei­ner Schrif­ten aus­geht, hängt nicht zuletzt mit Schmitts eigen­wil­lig fluo­res­zie­ren­dem, mit Apho­ris­men und Begrif­fen jon­glie­ren­dem Stil zusam­men, der so gar nicht zu dem pas­sen will, was man ansons­ten aus dem juris­ti­schen Schrift­tum zu ken­nen meint. Der Köl­ner Rechts­an­walt Gün­ther Krauss schil­dert in sei­nen lesens­wer­ten Erin­ne­run­gen an Carl Schmitt, wie er 1930 in Mün­chen, auf einer Park­bank des Eng­li­schen Gar­tens sit­zend, von die­sem Stil gefan­gen wur­de: »Dort las ich Carl Schmitts ›Ver­fas­sungs­leh­re‹ von 1928, einen unbe­zähm­ba­ren Wis­sens­durst in mir, den azur­blau­en baye­ri­schen Him­mel über mir … Carl Schmitt erzeug­te nicht tie­ri­schen Ernst – im Gegen­teil: die schöns­ten Pas­sa­gen führ­ten zu genuß­rei­chen Pau­sen, wie auch die fran­zö­si­sche Küche groß ist durch die Pau­sen zwi­schen den ein­zel­nen Gän­gen. Nur der ers­te Anfang, beson­ders die meh­re­ren Defi­ni­tio­nen des Wor­tes Ver­fas­sung, mach­te Schwie­rig­kei­ten, doch sehr bald kam man zum vol­len Genuß die­ser unge­wöhn­li­chen Lek­tü­re. Wer Carl Schmitt sagt, sagt Form. Sie erwuchs aus einer wohl­ge­füg­ten Ord­nung, deren Stren­ge man nicht ver­spür­te. Klar­heit ver­ei­nig­te sich mit Tie­fe.« Ein ande­rer Schü­ler Schmitts, Ernst Forst­hoff, fasst in einem Brief vom 5. Juli 1958 anläß­lich Schmitts 70. Geburts­tag zusam­men, was er sei­nem Leh­rer und Freund für sei­nen wei­te­ren Lebens­weg ver­dank­te: »Es wird mir bewußt, daß es jetzt 35 Jah­re her ist, als ich im Som­mer­se­mes­ter 1923 zum ers­ten Mal zu Ihren Füßen saß und erst durch Sie, im fünf­ten Semes­ter, also reich­lich spät, aber noch nicht zu spät, erfuhr, was es bedeu­tet, ein Jurist zu sein – oder damals noch: zu wer­den. Daß Sie mich bald dar­auf als Ihren Schü­ler auf­nah­men, wur­de Wen­de und Glück mei­nes Lebens«. Ein wei­te­rer wich­ti­ger Schü­ler Schmitts, Ernst Rudolf Huber, sah »die beson­de­re wis­sen­schaft­li­che Gabe Schmitts« dar­in, »neue Ten­den­zen und Struk­tu­ren unter der Ober­flä­che alter Sys­te­me und hin­ter den Mas­ken und Schlei­ern her­kömm­li­cher For­meln zu spü­ren und durch begriff­li­che Fas­sung an das Licht und in das Bewußt­sein zu heben«. Wie dies bei allen Schrift­stel­lern über­ra­gen­den Rangs, von Machia­vel­li bis Max Weber, von Hob­bes bis Speng­ler, der Fall ist, gerät auch die Befas­sung mit Schmitts Wer­ken für vie­le Leser zu einer unmit­tel­ba­ren per­sön­li­chen Erfah­rung. Wenn die Erkennt­nis Ernst Jün­gers rich­tig ist, daß man­che Bücher wie Impf­stof­fe wir­ken, nach deren Lek­tü­re man gegen bestimm­te geis­tig-poli­ti­sche Des­in­for­ma­tio­nen gewapp­net ist, dann gehö­ren vie­le Wer­ke Schmitts in die ers­te Rei­he die­ser intel­lek­tu­el­len Abwehr­stof­fe. Das galt schon in den 1920er, 1950er und 1980er Jah­ren, und das gilt erst recht für das flach­wur­zeln­de Polit­in­fo­tain­ment unse­rer Tage, bei dem man – in der Wis­sen­schaft wie in der Pra­xis – gele­gent­lich den Ein­druck gewin­nen muß, daß nicht nur die Beob­ach­ter, son­dern auch die Akteu­re nicht mehr wis­sen, was Poli­tik im eigent­li­chen Sin­ne bedeu­tet. Bei Schmitt indes kommt man auch als 19jähriger Dritt­se­mes­ter bei der Beant­wor­tung der Fra­ge nach dem Wesen des Poli­ti­schen mit Sie­ben­mei­len­stie­feln vor­an: »Für Schmitts Stil sind sei­ne Blitz­auf­nah­men typisch. Ein Blitz und dann kom­men die­se groß­ar­ti­gen For­mu­lie­run­gen, die kei­ner ver­gißt. Es blitzt im Dun­keln … und man hat den Ein­druck, alles gese­hen zu haben.« (Robert Hepp) Gleich­wohl ist man gut bera­ten, Schmitt nicht als »Schmit­tia­ner« zu lesen. Denn, so könn­te man – in Abwand­lung eines Wor­tes von Tho­mas Mann über Fried­rich Nietz­sche – for­mu­lie­ren, wer Carl Schmitt »eigent­lich« nimmt, wört­lich nimmt, wer ihm glaubt, ist ver­lo­ren. Die viel­ge­rühm­te »latei­ni­sche Klar­heit« (Nico­laus Som­bart) die­ses Autors ist also nur eine Sei­te sei­nes Wer­kes. Mit dem glei­chen Recht kann man, wie dies Gün­ter Maschke jüngst getan hat, Schmitt als einen »oft schein­kla­ren Schrift­stel­ler« bezeich­nen, bei dem sich, je öfter man sei­ne Schrif­ten liest, »des­to häu­fi­ger … Fra­gen ein(stellen), Fra­gen, die immer neue, gewag­te­re Fra­gen gebä­ren.« Erich Schwin­ge hat­te Carl Schmitt schon 1930 als die »Sphinx unter den moder­nen Staats­recht­lern« titu­liert, und vie­les spricht dafür, daß die Rät­sel um sein Werk, zu dem welt­weit pro Woche (!) eine Mono­gra­phie bzw. Dis­ser­ta­ti­on erscheint, auch in den kom­men­den Jahr­zehn­ten nicht auf­ge­löst wer­den kön­nen. Genau dar­in muß ein Schlüs­sel für die erstaun­li­che geis­ti­ge Wir­kungs­macht gese­hen wer­den, die von Schmitts Werk unver­än­dert ausgeht.
Wie erschließt man sich das Schmitt­sche Ideen­ter­rain am bes­ten? Wo fängt man an? Wel­che Bücher sind zen­tral für das Ver­ständ­nis sei­nes Wer­kes, wel­che Schrif­ten kann man (einst­wei­len) ver­nach­läs­si­gen? Hier gehen die Ansich­ten weit aus­ein­an­der, so daß der nach­fol­gen­de Ver­such, ein­zel­ne Stel­len des Schmitt­schen Wer­kes stär­ker, ande­re Quel­len schwä­cher aus­zu­leuch­ten, kei­nen Anspruch auf All­ge­mein­gül­tig­keit erhe­ben kann. Schmitts wich­tigs­tes Werk – dar­in dürf­ten Schmitt-Ken­ner unter­schied­lichs­ter Her­kunft fast una voce zustim­men – bleibt Der Begriff des Poli­ti­schen, das als Auf­satz 1927 und in Buch­form zuerst 1932 erschien. Mit die­sem Buch, das sei­ne umstrit­te­ne Poli­tik­de­fi­ni­ti­on ent­hält, hat er sei­nen Ruf als poli­ti­scher Schrift­stel­ler begrün­det, der auf nicht ein­mal ein­hun­dert Sei­ten die Grund­struk­tu­ren des Poli­ti­schen frei­legt. Dabei steht der Staat als »einer in sich befrie­de­ten, ter­ri­to­ri­al in sich geschlos­se­nen und für Frem­de undurch­dring­li­chen, orga­ni­sier­ten poli­ti­schen Ein­heit« im Zen­trum eines Buches, des­sen theo­re­ti­sche Prä­ge­kraft nicht ver­ges­sen machen soll­te, daß es dem Autor um etwas ganz Kon­kre­tes ging, näm­lich dar­um, die den Deut­schen nach 1918 zuge­mu­te­ten poli­ti­schen Fes­seln abzu­strei­fen und gera­de das deut­sche Volk, »des­sen Bedürf­nis nach lega­lem Schein stär­ker ist als sein poli­ti­scher Sinn«, über das auf­zu­klä­ren, auf was es in poli­ti­cis nach Schmitt ankommt: »Solan­ge ein Volk in der Sphä­re des Poli­ti­schen exis­tiert, muß es, wenn auch nur für den extrems­ten Fall, über des­sen Vor­lie­gen es aber selbst ent­schei­det, die Unter­schei­dung von Freund und Feind sel­ber bestim­men. Dar­in liegt das Wesen sei­ner poli­ti­schen Exis­tenz. Hat es nicht mehr die Fähig­keit oder den Wil­len zu die­ser Unter­schei­dung, so hört es auf, poli­tisch zu exis­tie­ren. Läßt es sich von einem Frem­den vor­schrei­ben, wer sein Feind ist und gegen wen es kämp­fen darf oder nicht, so ist es kein poli­tisch frei­es Volk mehr und einem ande­ren poli­ti­schen Sys­tem ein- oder unter­ge­ord­net … Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Wil­len hat, sich in der Sphä­re des Poli­ti­schen zu hal­ten, ver­schwin­det das Poli­ti­sche nicht aus der Welt. Es ver­schwin­det nur ein schwa­ches Volk.« Die Pola­ri­sie­rung, die bis heu­te mit dem Namen Carl Schmitt ver­bun­den ist, geht ganz maß­geb­lich auf die­ses schma­le Buch zurück, in dem der Autor den pole­mi­schen Cha­rak­ter des Poli­ti­schen her­aus­ar­bei­tet und sich damit als »Zer­stö­rer huma­ni­ta­ris­ti­scher Illu­sio­nen« (Gün­ter Maschke) betä­tigt. Das haben ihm die Lord­sie­gel-Bewah­rer eben die­ser poli­tik­frem­den, mit »Mensch­heit« und ande­ren Erbau­lich­kei­ten aus dem Wör­ter­buch der 1789-Ideo­lo­gen auf­ge­bla­se­nen Illu­sio­nen nie verziehen.

Schmitts Offen­le­gung des poli­ti­schen Wir­kungs­ge­fü­ges wur­zelt ent­schei­dend in sei­ner Ableh­nung roman­ti­schen Den­kens. Zum Ver­ständ­nis von Schmitts Poli­tik­theo­rie unver­zicht­bar ist daher die Lek­tü­re sei­ner erst­mals 1919 erschie­ne­nen Schrift Poli­ti­sche Roman­tik. Die sti­lis­ti­sche Bril­lanz die­ses Wer­kes ver­an­laß­te Ernst Bloch zu dem pro­phe­ti­schen Satz: »Die­ser unbe­kann­te jun­ge Mann hat alle Aus­sich­ten, einer der meist­be­stoh­le­nen Autoren der nächs­ten Jahr­zehn­te zu wer­den.« Die Poli­ti­sche Roman­tik ist aber nicht nur eines der schöns­ten Bücher Schmitts, in dem der Ver­fas­ser sei­ne vir­tuo­se Beherr­schung der euro­päi­schen Geis­tes­ge­schich­te unter Beweis stellt; die­sem nur schein­bar »unju­ris­ti­schen« Buch Schmitts kommt des­we­gen eine Schlüs­sel­rol­le in sei­nem Werk zu, weil er sich dar­in gegen die Ver­ab­so­lu­tie­rung des Ästhe­ti­schen eben­so wen­det wie gegen die vie­len ande­ren Ersatz­my­then des homo oeco­no­mic­us: »Vie­le Arten meta­phy­si­scher Hal­tung exis­tie­ren heu­te in säku­la­ri­sier­ter Gestalt. Für den moder­nen Men­schen sind weit­hin an die Stel­le Got­tes ande­re, und zwar irdi­sche Fak­to­ren getre­ten: die Mensch­heit, die Nati­on, das Indi­vi­du­um, die geschicht­li­che Ent­wick­lung oder auch das Leben als Leben sei­ner selbst wegen, in sei­ner gan­zen Geist­lo­sig­keit und blo­ßen Bewe­gung. Die Hal­tung hört dadurch nicht auf, meta­phy­sisch zu sein.« Der Roman­ti­ker mache aus allem nur einen Anlaß, er mache »alles zum Vehi­kel sei­nes roman­ti­schen Inter­es­ses« und erwei­se sich damit zum natür­li­chen Feind jeder von Men­schen geform­ten Ord­nung. Die Schmitt­sche Kri­tik der Roman­tik, die »psy­cho­lo­gisch und his­to­risch ein Pro­dukt bür­ger­li­cher Seku­ri­tät« sei, wird damit zur Keim­zel­le sei­ner Kri­tik des Libe­ra­lis­mus, in dem der gott­los ver­lo­re­ne Ein­zel­mensch zum Maß der Din­ge wer­de: »Das ver­ein­zel­te, iso­lier­te und eman­zi­pier­te Indi­vi­du­um wird in der libe­ra­len bür­ger­li­chen Welt zum Mit­tel­punkt, zur letz­ten Instanz, zum Abso­lu­ten.« Der Roman­ti­ker negie­re »die wich­tigs­te Quel­le poli­ti­scher Vita­li­tät, der Glau­be an das Recht und die Empö­rung über das Unrecht«, um – getreu sei­ner »pflan­zen­haf­ten Natur« – alles zu ver­ste­hen, alles zu ver­zei­hen und alles zum Mate­ri­al ästhe­ti­scher Beob­ach­tun­gen zu machen. Die Radi­ka­li­tät, mit der Schmitt Adam Mül­ler als pro­to­ty­pi­schen Roman­ti­ker regel­recht abser­viert, hat viel zu tun mit der eige­nen roman­ti­schen Pha­se Schmitts, die maß­geb­lich von sei­ner Schrift über Theo­dor Däub­lers Nord­licht gekenn­zeich­net wird. 1916, mit­ten in der euro­päi­schen Tra­gö­die des »pity of war« (Niall Fer­gu­son), unter deren dunk­lem Stern wir heu­te noch ste­hen, hat­te Schmitt in einer hagio­gra­phisch ver­klär­ten Inter­pre­ta­ti­on von Däub­lers Haupt­werk den »Geist des mecha­nis­ti­schen Zeit­al­ters« ange­pran­gert, »der alles auf die For­mel sei­nes Bewußt­seins bringt und kei­ne Geheim­nis­se und kei­nen Über­schwang der See­le gel­ten läßt.« In sei­nem Däub­ler-Buch läßt der 28jährige, frisch habi­li­tier­te Jurist noch ein­mal ganz unju­ris­tisch sei­ner Ver­ach­tung auf die Moder­ne und dem von ihr her­vor­ge­brach­ten »erkal­te­ten Men­schen des 20. Jahr­hun­derts« (Karl Wolfs­kehl) frei­en Lauf: »Die Men­schen sind arme Teu­fel gewor­den … Sie inter­es­sie­ren sich für alles und begeis­tern sich für nichts.« Das kul­tur­pes­si­mis­tisch durch­wirk­te Buch ver­rät weni­ge Jah­re vor dem Beginn der stei­len Kar­rie­re des Wei­ma­rer Staats­rechts­pro­fes­sors viel von Schmitts inne­rem katho­li­schen Roman­ti­zis­mus, sei­nen urmo­nis­ti­schen Träu­men und sei­ner Abscheu vor dem »ver­ruch­ten Tausch« (Theo­dor W. Ador­no) und dem von ihm aus­ge­lös­ten, hoh­len »Dies­seits-Akti­vis­mus« einer Mas­sen­ge­sell­schaft, die durch all den äuße­ren Tand ihre inne­re Lee­re nicht ver­ber­gen kann. Man muß nicht so weit gehen, das Däub­ler-Buch als »Mani­fest des Anti­li­be­ra­lis­mus« (Hen­ning Rit­ter) zu bezeich­nen, die meta­ju­ris­ti­sche Grund­me­lo­die der Schmitt­schen Denk­struk­tu­ren ist aber aus kaum einem ande­ren Werk so klar her­aus­zu­hö­ren wie aus die­ser Hom­mage an sei­nen Freund Däub­ler. Des­sen 1898 begon­ne­nes Nord­licht ver­mag auch heu­te noch viel von dem see­li­schen Phan­tom­schmerz zu ver­mit­teln, das einen ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ten Euro­pä­er erfas­sen muß, wenn er sich den moder­nis­ti­schen Alp­traum und all das, was der Mensch in ihm ver­lo­ren hat, vor Augen führt.
Von die­sem Schmerz geprägt ist auch eine ande­re wich­ti­ge Schrift, die Schmitt um die Jah­res­wen­de 1922/23 in kaum zwei Tagen schrieb: Römi­scher Katho­li­zis­mus und poli­ti­sche Form. Nach der Lek­tü­re die­ser sti­lis­tisch ein­sa­me Höhen beschrei­ten­den Schrift hat­te Hugo Ball geschrie­ben, der in Bonn leh­ren­de Schmitt sei als Katho­lik »eine Art neu­er Kant«, der »für Deutsch­land mehr (bedeu­te) als das gan­ze übri­ge Rhein­land, die Koh­len­gru­ben mit inbe­grif­fen. Ich habe sel­ten eine Phi­lo­so­phie mit so viel Span­nung gele­sen wie die sei­ne, und es ist doch die Phi­lo­so­phie der Rech­te. Aber die­se Phi­lo­so­phie ist für die deut­sche Spra­che und Red­lich­keit ein gro­ßer Tri­umph. Er ist genau­er wie sogar Kant und streng wie ein spa­ni­scher Groß­in­qui­si­tor, wo es sich um die Ideen han­delt.« Und in der Tat: Als »homo catho­li­cus« (Piet Tom­mis­sen) erteilt Schmitt dem öko­no­mis­tisch- mate­ria­lis­ti­schen Geist der Zeit, der jeg­li­chen Begriff von Reprä­sen­ta­ti­on ver­lo­ren habe, eine an Schär­fe kaum zu über­bie­ten­de Abfuhr. Dem »klein­li­chen Schnitt intel­lek­tu­el­ler Klein­ka­pi­ta­lis­ten«, denen jede äuße­re Form, jedes Pathos der Auto­ri­tät abhan­den gekom­men sei, setzt er das Reprä­sen­ta­ti­ons­bild der katho­li­schen Kir­che ent­ge­gen, die nach Schmitt als »wah­re Erbin der römi­schen Juris­pru­denz« allein in der Lage sei, die alles zer­fres­sen­den Herr­schafts­an­sprü­che der Öko­no­mie in ihre Schran­ken zu wei­sen. Gäbe die Kir­che ihre Rol­le als Kon­ter­part der Geld­aris­to­kra­tie auf, so ver­lö­re sie all das, was sie aus­ma­che und was sie im 20. Jahr­hun­dert dann nach und nach tat­säch­lich ver­lo­ren hat: »Lie­ße die Kir­che sich her­bei, nicht mehr als die see­len­vol­le Pola­ri­tät der See­len­lo­sig­keit zu sein, so hät­te sie sich selbst ver­ges­sen. Sie wäre das erwünsch­te Kom­ple­ment des Kapi­ta­lis­mus gewor­den, ein hygie­ni­sches Insti­tut für die Lei­den des Kon­kur­renz­kamp­fes, ein Sonn­tags­aus­flug oder Som­mer­auf­ent­halt des Groß­städ­ters.« Die­se wahr­haft pro­phe­ti­schen Sät­ze unter­strei­chen, dass man neben Schmitts Däub­ler-Buch als roman­tisch-expres­sio­nis­ti­schem Pfei­ler sei­nes Denk­ge­bäu­des den »römi­schen Katho­li­zis­mus« als theo­lo­gisch-katho­li­sches, bis­wei­len auch katho­li­zis­ti­sches Fun­da­ment sei­nes Wer­kes kaum in sei­ner Bedeu­tung über­schät­zen kann. Nicht umsonst wur­de gera­de die­se Schrift einer der wesent­li­chen Angriffs­punk­te, denen Schmitt 1936 aus dem »Amt Rosen­berg« und sei­ner nur noch als kuri­os zu bezeich­nen­den Ultra­mon­tan­pho­bie aus­ge­setzt war.
Kom­men wir zu den im enge­ren Sin­ne des Wor­tes juris­ti­schen Schrif­ten Schmitts: Neben sei­ner Habi­li­ta­ti­ons­schrift von 1914, Der Wert des Staa­tes und die Bedeu­tung des Ein­zel­nen, deren rechts­phi­lo­so­phi­sche Soli­di­tät viel zu dem anset­zen­den aka­de­mi­schen Ruhm sei­nes Autors bei­getra­gen hat, ist in die­sem Zusam­men­hang die Ver­fas­sungs­leh­re von 1928 an ers­ter Stel­le zu nen­nen, Schmitts sys­te­ma­tischs­tes, von einer traum­wand­le­risch siche­ren gedank­li­chen Rein­heit und geis­ti­gen Archi­tek­tur gepräg­tes Werk. Die­ses Buch, das 1948 – welch selt­sa­me zeit­li­che Koin­zi­denz – bei der Staats­grün­dung Isra­els eben­so Pate stand wie bei den weit­ge­hend fremd­be­stimm­ten »Bera­tun­gen« auf Her­ren­chiem­see, ent­hält wesent­li­che Ele­men­te der Leh­re Schmitts von dem Staat als der poli­ti­schen Ein­heit eines Vol­kes. In der Schmitt­schen Staats­leh­re zen­tra­le Begrif­fe wie Volk, Ver­fas­sung, Reprä­sen­ta­ti­on, Homo­ge­ni­tät, öffent­li­che Mei­nung, Sou­ve­rä­ni­tät, Dik­ta­tur, Par­la­men­ta­ris­mus und Föde­ra­lis­mus wer­den ein­ge­hend erör­tert. Die his­to­ri­sche Ent­wick­lung Deutsch­lands von 1815–1848 dient Carl Schmitt als lay­out für sei­ne berühm­te Unter­schei­dung von Demo­kra­tie und Libe­ra­lis­mus. Ohne das Ver­ständ­nis die­ses Unter­schie­des kommt man auch heu­te nicht aus, will man die regel­mä­ßig im Selbst­lob ersti­cken­den Beschrei­bun­gen des poli­ti­schen Sys­tems der BRD, wie sie nicht nur an poli­tik­wis­sen­schaft­li­chen Fakul­tä­ten dar­ge­bo­ten wer­den, auf ihre Stich­hal­tig­keit über­prü­fen. In dem Spie­gel, den Schmitt dem par­la­men­ta­ris­tisch gepräg­ten Staat des 19. Jahr­hun­derts ent­ge­gen­hält, kann man unschwer auch staat­li­che Struk­tu­ren des 21. Jahr­hun­derts bzw. das, was von ihnen nach den Stahl­bä­dern des Libe­ra­lis­mus noch übrig­ge­blie­ben ist, erken­nen: »Das Bestre­ben des bür­ger­li­chen Rechts­staa­tes geht (aber) dahin, das Poli­ti­sche zurück­zu­drän­gen, alle Äuße­run­gen des staat­li­chen Lebens in einer Rei­he von Nor­mie­run­gen zu begren­zen und alle staat­li­che Tätig­keit in Kom­pe­ten­zen, d.h. genau umschrie­be­ne, prin­zi­pi­ell begrenz­te Zustän­dig­kei­ten zu ver­wan­deln. Dar­aus ergibt sich bereits, dass das Bür­ger­lich-Rechts­staat­li­che nur einen Teil der gesam­ten Staats­ver­fas­sung aus­ma­chen kann, wäh­rend ein ande­rer Teil die posi­ti­ve Ent­schei­dung über die Form der poli­ti­schen Exis­tenz ent­hält.« Sei eine Nati­on, also ein »im prä­gnan­ten Sin­ne zu poli­ti­schem Bewußt­sein erwach­tes, akti­ons­fä­hi­ges Volk«, zu einer sol­chen Ent­schei­dung nicht (mehr) in der Lage, ver­lie­re es die Fähig­keit, sein poli­ti­sches Schick­sal als hand­lungs­fä­hi­ges Sub­jekt selbst zu bestimmen.

Der bür­ger­li­che Rechts­staat sei des­we­gen so pro­ble­ma­tisch, weil er die indi­vi­du­el­le Frei­heit des ein­zel­nen gegen die poli­ti­sche Ein­heit eines Vol­kes in Stel­lung brin­ge. Das libe­ra­lis­ti­sche Grund­prin­zip, die Unkon­trol­lier­bar­keit des zen­tri­fu­gal-aso­zi­al struk­tu­rier­ten Indi­vi­du­ums, füh­re zunächst zu einer Ero­si­on der zen­tri­pe­tal-sozi­al gepräg­ten staat­li­chen Sub­stanz und dann zu einer Zer­stö­rung des Poli­ti­schen. Wer aber wie das libe­ral-bür­ger­li­che Ver­fas­sungs­ide­al nur die Mit­tel und die Metho­den der Kon­trol­le des Staa­tes, nicht aber den Staat als poli­ti­sche Ein­heit selbst orga­ni­sie­re, dür­fe sich über die Auf­lö­sung des Poli­ti­schen und den Ver­lust der staat­li­chen Hand­lungs­fä­hig­keit nicht wundern.
In Schmitts Schrift Die geis­tes­ge­schicht­li­che Lage des heu­ti­gen Par­la­men­ta­ris­mus (1923) kann man nach­le­sen, war­um – eine wei­te­re wesent­li­che Unter­schei­dung – der Par­la­men­ta­ris­mus, schon nach dem Ers­ten Welt­krieg ein ideen­po­li­ti­scher Laden­hü­ter der Extra­klas­se, wenig bis nichts mit Demo­kra­tie zu tun hat, jeden­falls einer Demo­kra­tie, bei der – getreu dem grie­chi­schen Vor­bild – das Volk herrscht und nicht selbst­er­nann­te »Demo­kra­ten«: »Es kann eine Demo­kra­tie geben ohne das, was man moder­nen Par­la­men­ta­ris­mus nennt und einen Par­la­men­ta­ris­mus ohne Demo­kra­tie; und Dik­ta­tur ist eben­so­we­nig der ent­schei­den­de Gegen­satz zur Demo­kra­tie wie Demo­kra­tie der zu Dik­ta­tur.« Schmitts Par­la­men­ta­ris­mus­kri­tik im enge­ren Sin­ne ist nicht unbe­dingt ori­gi­nell, älte­re Klas­si­ker wie Proudhon und Michels haben mit­un­ter die grö­ße­re Schär­fen­tie­fe erreicht. Wich­tig ist die 90-Sei­ten-Schrift aber für das Ver­ständ­nis von Hegel, Marx und dem, was Karl Löwi­th als den revo­lu­tio­nä­ren Bruch im Den­ken des 19. Jahr­hun­derts bezeich­net hat. In einer prä­gnan­ten Aus­ein­an­der­set­zung mit Sor­el hat Schmitt außer­dem die Grund­li­ni­en sei­ner poli­ti­schen Mytho­lo­gie skiz­ziert, die er als eigen­stän­di­ges Werk fort­füh­ren woll­te, wozu es indes nie kam.
Schmitts Hüter der Ver­fas­sung von 1931 ent­hält sei­ne Kri­tik an dem plu­ra­lis­ti­schen Par­tei­en­staat in der Aus­prä­gung der Wei­ma­rer End­pha­se. Unter Plu­ra­lis­mus ver­steht Carl Schmitt dabei »die Macht meh­re­rer sozia­ler Grö­ßen über die staat­li­che Wil­lens­bil­dung«. Ero­die­re der Staat im Libe­ra­lis­mus durch die Spreng­kraft, die von dem unkon­trol­lier­ten, ich-ver­pan­zer­ten Indi­vi­du­um aus­ge­he, so erschei­ne der Staat im Plu­ra­lis­mus als Beu­te eben­so unkon­trol­lier­ba­rer wirt­schaft­li­cher oder nicht wirt­schaft­li­cher pres­su­re groups. Jede plu­ra­lis­ti­sche Grup­pe bean­spru­che für sich und ihre Inter­es­sen das Zep­ter der Lega­li­tät, um die jeweils ande­re Grup­pe der Ille­ga­li­tät und Ver­fas­sungs­wid­rig­keit zu zei­hen und sie in eine poli­ti­sche Hors-la-loi-Posi­ti­on (eine »außer­halb des Geset­zes«) zu drän­gen. Zwi­schen die­sen Mühl­stei­nen des plu­ra­lis­ti­schen Kamp­fes um die Lega­li­tät wer­de dann am Ende der Staat und »die Ver­fas­sung selbst zerrieben.«
Ein Buch, das in die­ser klei­nen, mit dem unver­meid­ba­ren Mut zur Lücke ope­rie­ren­den tour d’horizon durch Carl Schmitts Werk sicher nicht feh­len darf, ist schließ­lich der Nomos der Erde. Es ist die Frucht einer ein­ge­hen­den Befas­sung mit dem euro­päi­schen Völ­ker­recht, auf die Schmitt im Jah­re 1936 nach sei­nem eben­so kur­zen wie geschei­ter­ten Ritt auf dem brau­nen Tiger sei­nen wis­sen­schaft­li­chen Schwer­punkt ver­legt hat­te. Der Rang des euro­päi­schen Völ­ker­rechts sei – so die Kern­the­se Schmitts – davon gekenn­zeich­net, daß es ihm an der Wen­de vom 15. zum 16. Jahr­hun­dert gelun­gen sei, den Krieg zu hegen: »Das Wesen des euro­päi­schen Völ­ker­rechts war die Hegung des Krie­ges. Das Wesen sol­cher Krie­ge war ein geord­ne­tes, in einem geheg­ten Raum vor Zeu­gen sich abspie­len­des Mes­sen der Kräf­te. Sol­che Krie­ge sind das Gegen­teil von Unord­nung. In ihnen liegt die höchs­te Form der Ord­nung, deren mensch­li­che Kraft fähig ist … Die Besei­ti­gung oder Ver­mei­dung des Ver­nich­tungs­krie­ges ist nur dadurch mög­lich, daß eine Form für das Mes­sen der Kräf­te gefun­den wird. Die­ses wie­der­um ist nur dadurch mög­lich, daß der Geg­ner als Feind auf glei­cher Ebe­ne, als jus­tus hos­tis aner­kannt wird. Damit ist die Grund­la­ge einer Hegung gege­ben … Eine Ein­he­gung, nicht die Abschaf­fung des Krie­ges war bis­her der eigent­li­che Erfolg des Rechts, war bis­her die ein­zi­ge Leis­tung des Völ­ker­rechts.« Die­se geheg­te Welt sei am Ende des 19. Jahr­hun­derts und dann in einem fina­le furio­so der beson­de­ren Art, im Ers­ten Welt­krieg, in sich zusam­men­ge­bro­chen. Seit­her herr­sche der »dis­kri­mi­nie­ren­de Kriegs­be­griff«, geprägt von dem (Irr-)Glauben, daß der Kriegs­geg­ner ein zu ver­nich­ten­der Ver­bre­cher sei, gegen den – tan­tum licet in bel­lo ius­to – jedes Mit­tel erlaubt sei. In der Welt, in der wir leben, in der ein »war to end all wars« (Frank­lin Del­ano Roo­se­velt) den ande­ren ablöst und in der das Völ­ker­recht nur noch als Mas­ke dient, hin­ter der rechts­feind­li­che Impe­ri­al­struk­tu­ren ihre Macht­an­sprü­che ver­fol­gen, ist Schmitts Nomos von bestechen­der Aktua­li­tät. Das Buch kann aber auch des­we­gen als Klas­si­ker ange­se­hen wer­den, weil es Geis­tes­ge­schich­te mit Geo­po­li­tik paart und mit die­ser geis­tes­geo­gra­phi­schen Metho­de die gänz­lich ver­schie­de­ne Auf­fas­sung, die Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pä­er einer­seits und anglo­ame­ri­ka­ni­sche See­mäch­te ande­rer­seits von Recht haben (Land und Meer), prä­zi­se her­aus­ar­bei­tet. Dabei erfah­ren die Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka und ihr im 19. Jahr­hun­dert ange­mel­de­ter und im 20. Jahr­hun­dert ein­ge­lös­ter Anspruch, das alte Euro­pa und eine aus römi­schen Quel­len gespeis­te, euro­pa­zen­trisch gepräg­te Rechts­ord­nung abzu­lö­sen, eine ein­ge­hen­de Betrach­tung. Das erst jüngst wie­der ein­drucks­voll demons­trier­te »hang him high«-Straf- und Völ­ker­rechts­ver­ständ­nis der USA und deren cal­vi­nis­tisch-puri­ta­nisch gepräg­tes Bewußt­sein von der eige­nen Aus­er­wählt­heit wer­den hier­bei einer Kri­tik unter­zo­gen, bei der lite­ra­ri­sche Gewandt­heit und juris­ti­sche Prä­zi­si­on in einer Wei­se amal­ga­miert wer­den, wie sie für Carl Schmitt typisch ist.

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