Kaum sechzig Bücher waren ihm gewidmet, als er 1985 starb. Mittlerweile sind es bereits 430. Zugleich wächst weltweit die Anzahl der Übersetzungen. Zur Zeit wird Schmitts Gesamtwerk sogar in Peking herausgeben. Und während der letzten drei Jahre fanden Kolloquien über sein Leben und Werk der Reihe nach in Los Angeles, in Belo Horizonte (Brasilien), in Beira Interior (Portugal) und in Warschau, in Buenos Aires, in Florenz und in Krakau statt. Man kann also ohne Übertreibung von einer Renaissance der Theorien Carl Schmitts sprechen. Aber mit welchen Folgen?
Zuerst muß auf den Aspekt der Aktualität hingewiesen werden. Genauer gesagt, darauf, daß das Denken Schmitts ein Raster zur Analyse und Interpretation anbietet, dessen Wert sich angesichts bestimmter Geschehnisse und bedrückender Tendenzen des aktuellen Weltgeschehens immer wieder von Neuem erweist. In dieser Hinsicht fesseln vor allem drei Themenkomplexe die Aufmerksamkeit der Beobachter: die Entwicklung des Terrorismus, der Erlaß von Ausnahmegesetzen, um dieses Phänomen in Griff zu bekommen, und schließlich die Evolution des Krieges, die mit einer radikalen Transformation des internationalen Rechts einhergeht.
In seiner Theorie des Partisanen analysiert Schmitt die Gestalt des irregulären Kombattanten, der sich der Legalität der Obrigkeitsmächte durch neuartige Formen des Kampfes widersetzt, die er, aus den Umständen abgeleitet, als legitim betrachtet. Der Partisanenkrieg – manchmal als «kleiner Krieg« bezeichnet – hat seit den im 19. Jahrhundert gegen die Truppen Napoleons gerichteten Volksaufständen, vor allem in Deutschland und Spanien, nicht aufgehört, sich weiterzuentwickeln. Das Zeitalter der Dekolonialisation brachte eine Vervielfachung der Guerillakriege. Heute sind diese asymmetrischen Kriege zur Regel geworden. Die Hauptakteure der Konflikte, die in der Welt stattfinden, sind nicht mehr allein die Staaten, sondern infra- oder para-staatliche Einheiten, deren Angehörige keine Uniformen tragen. Und wenn die Staaten zu allen Zeiten den Partisanen als »Terroristen« denunziert haben, dann ist es heute der Terrorist, der die Tradition des Partisanenkrieges weiterführt.
Der Unterschied zwischen alten und neuen Partisanen ist eng mit der Globalisierung verknüpft. Auch der Terrorismus hat sich entortet. Carl Schmitt schreibt dem Partisanen einen »tellurischen« Charakter zu, was für den Terroristen nicht mehr zwingend gilt. Denn dieser operiert oft genug nicht mehr innerhalb der Grenzen eines einzelnen Staates. Der »planetare Terrorismus« bewegt sich im Gegenteil von einem Land zum anderen, die ganze Erde ist sein Aktionsfeld. Davon abgesehen, treffen jedoch auf den Terroristen sämtliche Charaktermerkmale zu, die Schmitt für den Partisanen anführt: die Irregularität, die gesteigerte Intensität des politischen Engagements, ein ausgeprägter Sinn für eine Legitimität, die quer zu einer Legalität steht, die als institutionalisierte Ungerechtigkeit oder Unordnung wahrgenommen wird.
Schmitt schreibt: »Beim heutigen Partisanen verwischen und überkreuzen sich meistens die beiden Gegensatzpaare von regulär-irregulär und legal-illegal.« Weiter macht er darauf aufmerksam, daß »in dem Teufelskreis von Terror und Gegenterror … die Bekämpfung des Partisanen oft nur ein Spiegelbild des Partisanenkampfes selbst« sei.
In der Konfrontation mit der Irregularität müssen die Staaten selbst auf irreguläre Methoden des Kampfes zurückgreifen. Sie können dabei ihren eigenen Gesetzen zuwiderhandeln, indem sie Sondermaßnahmen ergreifen, wie etwa jene, die in den USA nach den Attentaten des 11. September 2001 in Kraft traten (Patriot Act, die Einrichtung des Lagers von Guantánamo und andere).
Nun kennt man die grundlegende Rolle, die der Ausnahmezustand (oder der Ernstfall) im Denken Schmitts spielt. Der Ausnahmezustand ist für ihn die politische Entsprechung zum Wunder in der Theologie: ein gewaltsames Ereignis, das gegen die »Naturgesetze« verstößt. Schmitt wirft hier den liberalen Verfassungslehrern und den Anhängern des juristischen Positivismus vor, das politische Leben in einem Land als bloße Angelegenheit von durch die Verfassung festgelegten Normen und Regeln zu denken, ohne zu sehen, daß im voraus festgelegte Normen auf den Ausnahmezustand nicht anwendbar sind, da dieser seiner Natur nach unvorhersehbar ist. Der Ausnahmezustand kann ebensowenig vorausgesehen werden wie die Mittel, die notwendig sind, um ihn unter Kontrolle zu bringen. Nur eine souveräne Autorität ist dazu in der Lage. »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« Umgekehrt bedeutet das Wissen darum, wer im Notfall entscheidet, im selben Zug das Wissen, wo sich die Souveränität befindet.
Im Gegensatz zu dem, was manche Autoren meinten behaupten zu können, macht dies Carl Schmitt jedoch nicht zum »Vater« jener Sondermaßnahmen, die in den westlichen Ländern unter dem Vorwand des »Krieges gegen den Terror« die bürgerlichen Freiheiten einschränken und eine Überwachungsgesellschaft errichten. Tatsächlich muß der Ausnahmezustand definitionsgemäß die Ausnahme sein – und das ist er heute von Tag zu Tag weniger.
Die Evolution des Krieges und des internationalen Rechts ist ein anderes bedenkenswertes Thema. Mit den »humanitären Kriegen«, deren Zeugen wir heute sind, wandeln sich die Kriege in Polizeiaktionen, die die Souveränität der Staaten verletzen. Wie Carl Schmitt dargestellt hat, sind sämtliche traditionellen Unterscheidungen zwischen Hinterland und Front, Kombattanten und Zivilisten, regulären und irregulären Truppen, Polizei und Armee, Außenpolitik und Innenpolitik nach und nach aufgelöst worden. In einem Zeitalter, in dem der »heiße Friede« den »kalten Krieg« abgelöst hat, verschwindet letztendlich die Grenze zwischen Krieg und Frieden: Wenn die Waffen schweigen, dann wird der Krieg mit Propaganda und »Umerziehung« fortgeführt. Man verliert sogar aus den Augen, dass das Ziel des Krieges der Frieden ist.
Die Arbeiten von Carl Schmitt, insbesondere Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff (1938), lassen verstehen, daß die »humanitären Kriege«, die diskriminierende Kriege sind, zu einem großen Teil eine Rückkehr zur Vorstellung eines »gerechten Krieges« im Sinne der mittelalterlichen Theologie bedeuten.
Um die Beziehungen zwischen den Staaten zu regeln, begriff das alte Völkerrecht (ius publicum europaeum), das nach dem Westfälischen Frieden den Glaubenskrieg beendete, den Krieg als Krieg, in dem jedem Teilnehmer sein Recht zugestanden wurde: justus hostis (der gerechte, das heißt: der legitime Feind), und nicht justa causa (die gerechte Sache).
Dies erlaubte es, den Krieg in einem bestimmten Rahmen zu hegen, woraus sich auch die Wichtigkeit eines ius in bello (Recht im Kriege) ableitet. Der diskriminierende Krieg, der den »gerechten Krieg« des Mittelalters wieder auferstehen läßt, ist ein Krieg, in dem diese Errungenschaften verlorengehen. Der Feind ist nicht mehr ein Gegenspieler, der unter anderen Umständen genausogut ein Verbündeter sein könnte. Er ist zum absoluten Feind geworden. Verteufelt, kriminalisiert, als Figur des Bösen hingestellt, ist er ein Feind der Menschheit, der nicht nur geschlagen, sondern ausradiert werden muß. Infolgedessen darf jegliches Mittel – wirtschaftliche Sanktionen, Bombardierung der Zivilbevölkerung etc. – gegen ihn angewandt werden, denn Friedensverhandlungen mit ihm stehen außer Frage, es sei denn auf der Grundlage einer bedingungslosen Kapitulation.
Schmitt zeigt, daß die ideologischen und »humanitären« Kriege der Moderne – die den Feind moralisch disqualifizieren, statt ihn als Gegner anzuerkennen, dem man auch, wenn man ihn bekämpft, seine Gründe zugesteht – den Verlauf von Religionskriegen angenommen haben. Sie zeigen den gleichen erbarmungslosen und totalen Charakter.
In seinem Bestreben, eine neue Theorie des internationalen Rechts auf der Basis des »konkreten Ordnungsdenkens« zu entwickeln, verkannte Schmitt jedoch nicht, daß das ius publicum europaeum nicht wiederherzustellen war: Die alte eurozentrische Ordnung, die auf rein staatlichen Grundlagen beruhte, war verschwunden. Deshalb sprach er sich für eine «Verräumlichung« der politischen Auseinandersetzungen aus, im Geiste des alten Prinzips cujus regio, ejus religio. Daraus erwuchs seit 1938 seine Theorie des »Großraums«, die von den Ideologen der SS, insbesondere Werner Best und Reinhard Höhn, scharf kritisiert wurde. Schmitt betonte, daß Europa sich als Großraum mit dem Deutschen Reich als natürlichem geopolitischem Mittelpunkt organisieren und mit einem Gegenstück zur Monroe-Doktrin ausstatten müsse, die es den Vereinigten Staaten seit 1823 erlaubte, jegliche fremde militärische Präsenz im nord- und südamerikanischen Raum zu untersagen. Hier bezog Schmitt Stellung für ein Pluriversum, eine multipolare Welt, gegen ein Universum, eine Welt, die durch die Vorherrschaft einer einzigen Supermacht geeinigt würde. Auch dies ist eine Alternative von höchster Aktualität.
Seine Ansichten gipfeln in dem großen Buch aus dem Jahre 1950, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, in dem sich Schmitt auch mit der neuen Weltordnung befaßt, die dem Zerfall des Systems von Jalta folgen würde. Dieses wiederum hatte 1945 das westfälische Modell und die eurozentrische Staatenordnung abgelöst, die im Gefolge der Entdeckung Amerikas entwickelt worden war.
Manche Autoren meinen jedoch, daß sich im Werk Carl Schmitts noch weitere äußerst aktuelle Betrachtungen fänden. Für eine Anzahl von »Linksschmittisten« – wie Danilo Zolo, Chantal Mouffe, Gopal Balakrishnan und noch einige andere –, besteht das größte Verdienst Schmitts darin, aufgezeigt zu haben, daß schon der Begriff »liberale Demokratie« ein Widerspruch in sich selbst ist. Der liberalen parlamentarischen Demokratie feindlich gesinnt, die er wie Donoso Cortés auf die »ewige Diskussion« zurückführte, attackierte Schmitt den Liberalismus und die Demokratie auf eine Weise, die an Rousseau erinnern mag, insbesondere in seiner Kritik der Repräsentation.
Im Grunde oligarchischer Natur, negiert die Repräsentation die Souveränität des Volkes. Schmitt hält dagegen an einer Demokratie des plebiszitären Typus fest, das heißt an einer partizipativen und direkten Demokratie. In einer demokratischen Gesellschaft, schreibt er, müssen die Entscheidungen der Regierenden den Willen der Regierten ausdrücken. Diese Übereinstimmung ist das Kennzeichen der Demokratie. Die Abstimmung (oder die »Akklamation«) ist nichts anderes als ein Mittel, sie zu bestätigen. Daher ist nicht die Freiheit das demokratische Prinzip, sondern die Gleichheit: Die Bürger mögen unterschiedliche Fähigkeiten haben, aber insofern sie Bürger sind, sind sie, politisch gesehen, Gleiche.
Andere wiederum sind – und das nicht ohne Grund – der Meinung, daß der Gegensatz, den Carl Schmitt zwischen Land und Meer aufstellte, es auch erlaubt, die Tiefenstruktur der Postmoderne zu verstehen, die Zygmunt Bauman als »flüssige Modernität« definiert hat. In einem kleinen Buch mit dem Titel Land und Meer entwickelte Schmitt 1942 eine Dialektik des Tellurischen und Maritimen, deren Ableitungen weitreichend sind. Das Politische impliziert eine Grenze, es steht also auf der Seite der Erde. Das Meer kennt keine Grenzen, sondern nur Strömungen und Gegenströmungen. Es steht also auf der Seite des Handels und der Wirtschaft. Tellurische Logik und maritime Logik tauchen in der Geopolitik wieder auf, in der jahrhundertealten Auseinandersetzung zwischen Seemächten (gestern Großbritannien, heute die Vereinigten Staaten) und Kontinentalmächten (Europa).
Und schließlich ist es wichtig zu betonen, daß die Unterscheidung Freund-Feind, dieses zentrale Leitmotiv des Schmittschen Denkens, sich nicht allein auf eine potentielle Bedrohung reduzieren läßt. Sie begründet auch konkret die politische Existenz eines Volkes. »Volk« impliziert eine substantielle Identität, die in solcher Weise geteilt wird, daß die Mitglieder der politischen Gemeinschaft, wenn notwendig, bereit sind, für ihre Fortexistenz zu kämpfen und zu sterben. Staatsbürgerschaft und politische Gemeinschaft müssen zusammenfallen. Der Ursprung der Verfassungen liegt nicht im Gesellschaftsvertrag, sondern im Willen eines bestehenden Volkes wie auch der politischen Gemeinschaft, als verfassungsgebende Macht aufzutreten und über die konkrete Form seiner kollektiven Existenz zu bestimmen.
Der Kritik zum Trotz, der er wohlgemerkt weiterhin ausgesetzt ist, sind es all diese hier nur kurz abgehandelten Gründe, die Carl Schmitt mit Fug und Recht im Urteil der bedeutenden Geister aller Lager in den Rang des »letzten großen Klassikers« (Bernard Willms) erheben, an die Seite eines Machiavelli, eines Hobbes, eines Locke oder eines Rousseau.