dem Feld rodet ein übertrieben großes Gefährt Kartoffeln, das Land ist flach, der Boden wird in langen Staubfahnen vom Wind erodiert. „Hier fehlen Hecken, hier fehlen Alleebäume, Windbremsen, die den Abtrag verhindern“, sage ich. „Bleib mir mit Deinem grünen Gewäsch vom Leibe“, sagt einer. „Ökofritze, Vollidiot.“
Er darf so sprechen, er darf mich gleich duzen, ich erfahre es später, er ist Großbauer und in der CDU. Er ist nicht konservativ, nicht rechts, sondern einer von denen, die aus der Ackerkrume ein totes Substrat gemacht haben, zwanzig Leuten in den Kuhställen und auf den Feldern Arbeit geben und neu gepflanzte Bäumchen ebenso plattwalzen wie Differenzierungen und Argumente, die ihnen im Wege stehen. CDU: Das ist für diese Leute das Pragmatische, das Technokratische, das Wirtschaftsfreundliche.
Lorenz Jäger muß solche Leute gemeint haben, als er am 5. Oktober in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sein „Adieu, Kameraden, ich bin ein Gutmensch“ rief und damit aller Öffentlichkeit signalisierte, daß er fortan „nicht mehr unter Rechten“ sein wolle. Vielleicht saß er mit einem solchen Bauern zusammen, der irgendwie rechts wirkte, während einer der Traktoren am Feldrain jede Vielfalt zu Tode spritzte. Jäger hat sich aus dem Gespräch gemerkt, daß man gegen den Atomausstieg und für die landwirtschaftliche Fleisch- und Milchfabrik sein muß, wenn man „rechts“ ist, natürlich für den Irakkrieg und gegen die Grünen (und eine weitere, von der Tagesstimmung abhängige Anzahl von „Vollidioten“).
Und leider hat Jäger beim Blick auf den Wahlkampf des CDU-Abweichlers René Stadtkewitz die Binsenweisheit nicht begriffen, daß man auf Wahlplakaten und in Bierzelten nicht Adorno auslegen, sondern die Hoffnungen und Ängsten der Wähler mit ein paar griffigen Vokabeln bespielen muß, um Prozentpunkte einzufahren.
Diesen totgespritzten Parteien-Feldrain präsentierte Jäger den Lesern seines Feuilletons nun als das Gesamtbiotop rechter Daseinsäußerungen in Deutschland. Das ist ein starkes Stück, denn er weiß, daß es anders ist: Gegen jede Wahrscheinlichkeit und gegen die geballten Erziehungsbemühungen einer nicht-rechten, nicht-konservativen Lehrer‑, Politiker- und Publizisten-Generation gibt es eine artenreiche, rechte Landschaft in Deutschland – Lorenz Jäger kennt sie genau, zumal er selbst eines der feinen Gewächse dieses Milieus nicht nur beschnuppert, sondern auch gegossen hat.
Dieses Gewächs ist der Karolinger Verlag mit Sitz in Wien, Jäger hat dort zwei Bücher verlegen lassen, Bücher über zugegebenermaßen ein wenig abseitige Themen. Sie befinden sich bei Karolinger jedenfalls in guter Gesellschaft, sie stehen neben der „Bibliothek der Reaction“, und Karolinger ist zudem jener Verlag, der für ein deutsches Publikum den elitären Geheimtip Nicolás Gómez Dávila entdeckte. Auch Martin Mosebach verlegte dort bereits, und ehrlich: Hat es ihm geschadet?
Man sollte mit dem „rechten Milieu“ so verfahren wie mit allem Organischen: es von einem Zentrum her zu den sich verwischenden Rändern hin beschreiben. Dieses Zentrum erfaßt man am besten, indem man den von Gottfried Benn beschriebenen „Orangenstil“ anwendet: Fruchtstück um Fruchtstück ist die Orange um die weiße, zähe Wurzel, den Phänotyp, angeordnet und auf ihn bezogen.
Diese Wurzel: das ist das Historische, die daraus zu erfassende konkrete geschichtliche Lage des konkreten deutschen Volkes jenseits aller Utopien; das ist die Frage nach der Lebens- und der Meinungsvielfalt; die gute rechte Toleranz, der „nichts menschliches fremd ist“, die den Mensch als „riskiertes Wesen“ (Arnold Gehlen) für erziehbar hält, aber von jedem Experiment hin zum „neuen Menschen“ die Finger läßt; die Beschreibung des Daseins als Dienst (Claus von Stauffenberg); der Stolz auf das Eigene und die Pflicht, es zu verteidigen; der Respekt vor dem Schicksal, und gerade deshalb ein trotziges „Man tut was man kann“; das Ordnungsdenken, das Ernstfalldenken (Carl Schmitt), die Verantwortungsethik, das „in der Lage leben“, das Leistungsprinzip.
Fruchtstücke? Nur ein paar, exemplarisch:
+ der DDR-geborene Thorsten Hinz, der in der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ Gesellschaftsdeutungen von großer prognostischer Kraft vorlegt und den manche Entwicklungen, die unser Land nimmt, an seine Erfahrungen hinter der Mauer erinnern. Hat Kamerad Jäger in der FAZ dessen “Psychologie der Niederlage” besprochen, oder die “Literatur aus der Schuldkolonie”?;
+ der Historiker Karlheinz Weißmann mit seinem Werk. Er hat beispielsweise eine „Kurze Geschichte der konservativen Intelligenz nach 1945“ vorgelegt und darin einen rechten Resonanzraum aufgespannt, in dem sich selbstverständlich ein Lorenz Jäger tummelt;
+ das „Institut für Staatspolitik“, das Jahr für Jahr hunderte Studenten zu seinen Akademien versammelt und in dem der Geschäftsführer Erik Lehnert jüngst einen Band über die „Schlüsselwerke“ konservativer Denker herausgegeben hat;
+ die „Junge Freiheit“ um den Blattgründer Dieter Stein, bei dem Lorenz Jäger jene „Sehnsucht nach Maßstäben“ hätte befriedigen können, wenn er denn je gründlich gelesen hätte;
+ Martin Lichtmesz, der hier im Netz-Tagebuch grandiose Traktate über „unsichtbare Gegner“ oder die „verschleppte Gewalt“ veröffentlicht, demnächst ein Buch mit Essays des norwegischen Bloggers Fjordman herausgibt und bei alledem ständig ein Metathema bearbeitet: die Hilflosigkeit des warnenden Intellektuellen vor der verantwortungslosen Politik, die in unserem Land fast alles geschleift hat, was zur „Verteidigung des Eigenen“ noch taugen könnte.
Von Lichtmesz, den ich, seit ich ihn kenne, neben mir in den Trümmern der deutschen Identität wühlen höre, zurück in den Abschiedstext von Lorenz Jäger. Er schreibt dort:
„Nein, ich bin nicht mehr dabei, please count me out. Es war eine schöne Zeit, diese vergangenen zehn Jahre unter Rechten, ich gestehe es. Vor allem aber war sie bequem.“
Das möchte ich mir einrahmen: Daß es bequem war bei uns. Und ich werde folgendes in den Bilderrahmen ritzen: „Bequem war es für Jäger nur, weil er nie wirklich bei uns war.“
Jäger hat den Ernst der Lage nie begriffen, er hat unseren Ernst nie begriffen und hat die weiße, zähe Wurzel der Orange nie freigelegt: jene Überzeugung, daß es für uns Deutsche ein „Wir“ und ein „Nicht-Wir“ gebe (mit aller Unschärfe an den Rändern und allen historischen Einverleibungen wiederum!), und daß die große, nationale Aufgabe darin bestehe, dieses Wir in Form zu halten, es durchzuhalten und dafür zu sorgen, daß unsere Leute eine deutsche Zukunft haben.
Unser Land ist dabei, diese Selbstverständlichkeit zu verspielen, und es ist nicht Lorenz Jäger, der zuerst darunter zu leiden haben wird. Der Publizist Michael Paulwitz (noch solch ein Orangen-Fruchtstück von rechts) hat jüngst ein Buch über „Deutsche Opfer, fremde Täter“ vorgelegt: Warum fehlt einem Jäger die Empathie, sich „Junge Männer auf Feindfahrt“ (Frank Schirrmacher) vorzustellen? Er müßte doch nur einmal den Stadtteil in Frankfurt wechseln.
„Lachen konnte man immer“, schreibt Jäger. Ja worüber denn, „immer“? Natürlich, er saß mit uns in Gesprächen voller „magischem Realismus“ (Ernst Jünger). Ich hoffe aber, er hat nie heimlich gelacht, wenn er sich von mir erzählen ließ, wie das so ist, wenn man ein rechtsintellektuelles Verlagsprogramm macht und eine Zeitschrift führt – mit der Pflicht, jedem Autor, der noch etwas mit sich vorhat, ein Pseudonym zu empfehlen.
Jetzt jedenfalls, „nach Sarrazin“, jetzt, wo die Wahrnehmung einsetzt, weil die Wirklichkeit sich in den Bereichen Bildung, Überfremdung, Geschlechterpolitik, Demographie, Staatskrise so entwickelt, wie wir Rechtsintellektuellen es seit Jahren prognostizieren: Jetzt plötzlich sieht Jäger, daß nicht alles Spielerei und Melancholie, ein bißchen Davila und ein bißchen Kulturkritik war. Und jetzt versucht er – aus welchen Gründen auch immer – die Artenvielfalt im rechten Milieu als eine Magerweide aus Kleinstparteien, amerikanischen Blogger und Stimmenfangniveau darzustellen.
Wir treiben unsere Projekte ins Unbequeme hinein weiter, mit einem für Jäger nicht nachvollziehbaren Kontakt zu denjenigen, für die das Leben kein intellektuelles mal hier, mal da ist, sondern vor allem „das Gewicht der Wirklichkeit“. Der nun Scheidende würde uns diese Anstrengungsbereitschaft gerne absprechen. Wir waren nie “Kameraden”, und es ist schade für Lorenz Jäger, daß er nie wirklich dabei war: Es geht jetzt nämlich erst los.
Beseelt
Wie wäre es wenn Sie Herr Kubitschek alle Kritiker durch Taten widerlegten, indem Sie eine Reformation auf dem Weg der Vernunft anstreben im Sinne der Akzeptanz der Vernunftfähigkeit ihrer Adressaten und Mitmenschen und sich von allen dumpfen, niederen, in die Irre führenden Gefühlsappellen ("amerikanische Blogger" & Co.) distanzieren würden. Die zu Tage getretene Verengung der Perspektive auf xxxx-Bashing auch auf dieser Internetseite müsste dann freilich - unter Inkaufnahme sinkender Klickzahlen - und zu Gunsten einer Rückkehr zum Blick auf das Ganze aufgegeben werden. Haben Sie dazu das Vermögen?
Ahoi
antwort kubitschek:
die vernunft hat ihren platz, der gefühlsappell hat seinen platz, die differenzierung kann eine stärke sein, die pauschalierung bleibt in manchen fragen und antworten unerläßlich, und wenn sich fronten bilden, dann ist der einzelne, leidende, getroffene nur für den sanitäter interessant, nicht aber für die kombatanden.
aber: dies alles ist nicht das thema meines textes.