Politische Romantik oder Vom Widerspruch des Tuns

pdf der Druckfassung aus Sezession 42 / Juni 2011

von Frank Lisson

Eine auf den Begriff gebrachte Charakterisierung erhält ihren Wert und ihre Qualität erst dadurch, daß sie ein überzeitlich relevantes Phänomen erfaßt,...

sich also nicht bloß in sich selbst erschöpft. – Der von Carl Schmitt wesent­lich gepräg­te Aus­druck der Poli­ti­schen Roman­tik ist eine sol­che auf den Begriff gebrach­te Cha­rak­te­ri­sie­rung. Denn Schmitt woll­te eben nicht allein das his­to­ri­sche Phä­no­men der Poli­ti­schen Roman­tik schil­dern, son­dern das Cha­rak­te­ris­ti­sche des Roman­ti­kers als eines bestimm­ten poli­ti­schen Typus auf­zei­gen – und zwar des­halb, weil er bereits als Drei­ßig­jäh­ri­ger, 1919, scharf­sin­nig erkann­te, daß die­ser Typus auch in Zukunft poli­tisch eine ver­häng­nis­vol­le Rol­le spie­len würde.

Der Geschichts­den­ker unter­schei­det sich vom bloß Gelehr­ten durch die Eigen­schaft, die Din­ge nicht nur dar­stel­len, son­dern sie in ihrem Wir­kungs­ver­hält­nis begreif­lich machen zu wol­len. Also schafft er Begriff­lich­kei­ten, die dazu die­nen, gewis­ser­ma­ßen die Erre­ger der Geschich­te zu benen­nen, um bestimm­te, nicht von vorn­her­ein erkenn­ba­re Pro­zes­se sicht­bar wer­den zu las­sen: »Es ist eben die Auf­ga­be, Klar­heit zu gewin­nen, sei es auch nur die Klar­heit dar­über, war­um eine Bewe­gung objek­tiv unklar erscheint und aus der Unklar­heit ein Prin­zip zu machen sucht.« Das Phä­no­men des Roman­ti­kers war für Schmitt ein sol­cher Erre­ger, den es, woll­te man des­sen Wesen wirk­lich begrei­fen, zunächst von allen ihn umhül­len­den Äußer­lich­kei­ten zu lösen galt. So ver­stand Schmitt die Roman­tik aus­drück­lich nicht als eine »deut­sche Affä­re«, wie man das noch heu­te etwa bei Rüdi­ger Safran­ski lesen kann, son­dern drang eini­ge Schich­ten tie­fer und sah in ihr vor­nehm­lich den Aus­druck demons­tra­ti­ver Moder­ni­tät, das heißt das Ergeb­nis einer bei­na­he not­wen­di­gen Ent­wick­lung der moder­nen Psy­che. Die Roman­tik sei im Schat­ten Rous­se­aus aus dem »Glau­ben an die natür­li­che Güte des Men­schen« ent­stan­den und habe dar­aus ihren unbe­stimm­ten, schwär­me­ri­schen, aus­wei­chen­den Cha­rak­ter gewon­nen. Denn von da an sei das Ich an die Stel­le Got­tes getre­ten und habe dadurch die Welt zum blo­ßen Anlaß des Men­schen wer­den las­sen. Des­halb ist Roman­tik nach Schmitt »sub­jek­ti­vier­ter Occa­sio­na­lis­mus, d. h. im Roman­ti­schen behan­delt das roman­ti­sche Sub­jekt die Welt als Anlaß und Gele­gen­heit sei­ner roman­ti­schen Produktivität.«
Nach Auf­lö­sung des objek­ti­ven Abso­lu­ten zuguns­ten vie­ler sub­jek­ti­ver Instan­zen kön­ne dage­gen alles zum Anlaß für alles wer­den. Oder wie Odo Mar­quard spä­ter for­mu­lier­te: »Wir Men­schen sind stets mehr unse­re Zufäl­le als unse­re Wahl«. Und in eben die­ser Unbe­re­chen­bar­keit des aben­teu­er­li­chen Spiels mit der Form­lo­sig­keit lie­ge der gro­ße Reiz der roman­ti­schen Hal­tung: »Aus immer neu­en Gele­gen­hei­ten ent­steht eine immer neue, aber immer nur occa­sio­nel­le Welt, eine Welt ohne Sub­stanz und ohne funk­tio­nel­le Bin­dung, ohne fes­te Fügung, ohne Kon­klu­si­on und ohne Defi­ni­ti­on, ohne Ent­schei­dung, ohne letz­tes Gericht, unend­lich wei­ter­ge­hend, geführt nur von der magi­schen Hand des Zufalls.«
Weil es Schmitt auf die Ver­deut­li­chung eben die­ser Zäsur im poli­ti­schen Bewußt­sein des moder­nen Men­schen ankommt, muß die Poli­ti­sche Roman­tik als eine Art Gleich­nis auf die poli­ti­sche Wirk­lich­keit im 20. Jahr­hun­dert gele­sen werden.
Das Ver­häng­nis­vol­le des roman­ti­schen Typus bestehe nun dar­in, dass er in eine bestimm­te über­kom­me­ne Vor­stel­lung flie­he, die ihn blind mache für Ver­än­de­run­gen der Rea­li­tät. Also kre­iere der Roman­ti­ker einen Gegen­satz zum Unab­wend­ba­ren und ver­lie­re dadurch den Bezug zum real Erfor­der­li­chen zuguns­ten beque­mer Uto­pien, deren schöp­fe­ri­sches Zen­trum er sel­ber sei. Als Bei­spiel für ein sol­ches Ver­hal­ten greift Schmitt auf David Fried­rich Strauß’ Schrift Der Roman­ti­ker auf dem Thro­ne der Cäsa­ren (1847) zurück, die gegen König Fried­rich Wil­helm IV. gerich­tet war, aber vom römi­schen Kai­ser Juli­an han­del­te: So wie die­ser den alten heid­ni­schen Glau­ben restau­rie­ren woll­te, obwohl die Ten­denz des Chris­ten­tums nicht mehr auf­zu­hal­ten gewe­sen sei, ver­wei­ger­te sich Fried­rich Wil­helm IV. den Ten­den­zen des 19. Jahr­hun­derts. Stand Juli­an noch an der Schwel­le zu einem neu­en Kol­lek­tiv­glau­ben, habe der moder­ne poli­ti­sche Roman­ti­ker jedoch jeden Bezug zu einer all­ge­mein­gül­ti­gen Instanz ver­lo­ren, was ihn halt­los und Poli­tik zur bloß belie­bi­gen Ange­le­gen­heit mache. An die Stel­le des Objek­ti­ven set­ze der roman­ti­sche Typus das Sub­jekt und lau­fe Gefahr, dem jewei­li­gen Zeit­gei­st­op­por­tu­nis­mus zu ver­fal­len: »Das ver­ein­zel­te, iso­lier­te und eman­zi­pier­te Indi­vi­du­um wird in der libe­ra­len bür­ger­li­chen Welt zum Mit­tel­punkt, zur letz­ten Instanz, zum Abso­lu­ten. Die Illu­si­on, Gott zu sein, konn­te natür­lich nur in pan­the­is­ti­schen oder panent­he­is­ti­schen Gefüh­len Bestand haben. Sie ver­band sich daher in der psy­cho­lo­gi­schen Wirk­lich­keit mit andern, weni­ger sub­jek­ti­vis­ti­schen Affek­ten, aber das Sub­jekt bean­spruch­te doch immer, daß sein Erle­ben das allein Inter­es­san­te sei.«

Um die­sen Anspruch durch­zu­set­zen, wäh­le der Roman­ti­ker das Mit­tel der Iro­nie. »Der Roman­ti­ker weicht der Wirk­lich­keit aus, aber iro­nisch und mit der Gesin­nung der Intri­ge«, indem er »die eine Wirk­lich­keit gegen eine and­re aus­spielt, um die jewei­lig gegen­wär­ti­ge, begren­zen­de Wirk­lich­keit zu para­ly­sie­ren. Iro­nisch ent­zieht er sich der been­gen­den Objek­ti­vi­tät und schützt sich davor, auf irgend­et­was fest­ge­legt zu wer­den.« – Eine Iro­nie, die sich jedoch nie­mals gegen sich selbst rich­tet und dadurch ihren tota­li­tä­ren Cha­rak­ter erhält. Das erklärt, war­um die gro­ßen tota­li­tä­ren Bewe­gun­gen des 20. Jahr­hun­derts, Kom­mu­nis­mus, Faschis­mus, 68er-Sys­tem, die alle eine Form der poli­ti­schen Roman­tik dar­stel­len, kei­ne Spä­ße über sich und ihre Tabu­zo­nen dul­de­ten und dul­den. »Ihrem Wesen nach ist die roman­ti­sche Iro­nie das intel­lek­tu­el­le Mit­tel des vor der Objek­ti­vi­tät sich reser­vie­ren­den Sub­jekts. … das Angriffs­ziel … ist eben nicht das Sub­jekt, son­dern die objek­ti­ve Rea­li­tät, die sich um das Sub­jekt nicht küm­mert.« – Viel­leicht haben Phä­no­me­ne wie poli­ti­cal cor­rect­ness genau dar­in ihre Ursa­che: Wo es kein All­ge­mein­gül­ti­ges mehr gibt, muß sich das jeweils herr­schen­de Okka­sio­nel­le durch Ver­bo­te und Ein­schüch­te­run­gen absi­chern, um wenigs­tens zeit­wei­lig Gül­tig­keit bean­spru­chen zu kön­nen. So die­nen dem poli­ti­schen Roman­ti­ker selbst alle objek­ti­ven Wer­te wie Gott, Nati­on oder Demo­kra­tie stets nur als Mit­tel, wech­seln­de Ord­nun­gen zu begrün­den. »Weder der Kos­mos, noch der Staat, noch das Volk, noch die geschicht­li­che Ent­wick­lung inter­es­sie­ren ihn ihrer selbst wegen.« Das Objekt wird aus­tausch­bar, weil es bloß auf Mei­nungs­füh­rer­schaft beruht.
Was Schmitt beschreibt, ist also nichts ande­res als jener Ablö­sungs­pro­zeß der ver­schie­de­nen okka­sio­nel­len Staats­for­men, wie wir sie seit 1918 bis heu­te erle­ben, und die ihrem Wesen nach dem immer glei­chen Mus­ter fol­gen, näm­lich dem der Sub­jek­ti­vie­rung des Rea­len, weil sie sämt­lich Geschöp­fe des poli­ti­schen Roman­ti­kers sind: »Moch­te sei­ne Phra­seo­lo­gie revo­lu­tio­när oder reak­tio­när sein, krie­ge­risch oder pazi­fis­tisch, heid­nisch oder christ­lich, nie­mals war er ent­schlos­sen, die Welt sei­nes stim­mungs­mä­ßi­gen Erle­bens zu ver­las­sen und an dem, was sich in der gewöhn­li­chen Wirk­lich­keit ereig­ne­te, etwas zu ändern.«
Hell­sich­tig bemerk­te Schmitt den star­ken poli­tisch-roman­ti­schen Zug der phi­lo­so­phi­schen Lite­ra­tur sei­ner Zeit. Sät­ze wie der fol­gen­de legen nahe, daß Schmitt, wenn er von Roman­ti­kern sprach, auch immer die Neu-Roman­ti­ker mit­mein­te, die in ihren Büchern, wie einst der des­we­gen stark geschol­te­ne Adam Mül­ler, vor allem »gefühls­mä­ßi­ge Gegen­sät­ze« kon­stru­ier­ten. Die­se Gegen­sät­ze benut­ze der Roman­ti­ker »als schöp­fe­ri­sches Sub­jekt für sein halb ästhe­ti­sches, halb wis­sen­schaft­li­ches Gewe­be, das dann selbst wie­der ein Anknüp­fungs­punkt tief­sin­ni­ger Sug­ges­tio­nen sein kann, weil in ihm nicht gegen­ständ­li­che Begrif­fe, son­dern occa­sio­nel­le Stim­mungs­ex­pres­sio­nen, Asso­zia­tio­nen, Far­ben und Klän­ge zu einer Mischung ver­ei­nigt sind.« – Es scheint, als bezö­ge sich Schmitt hier direkt auf Speng­lers Unter­gang des Abend­lan­des, des­sen Erfolg er für ein Sym­ptom poli­ti­scher Roman­tik anse­hen muß­te, und wor­in zugleich der Grund dafür lie­gen dürf­te, war­um Schmitts Beschrei­bung die­ses Sym­ptoms kaum jemand lesen woll­te. Denn war Speng­lers fast zeit­gleich erschie­ne­nes Buch Mit­te der 1920er Jah­re bereits fünf­zig­tau­send­fach ver­kauft wor­den, ging Schmitts Kri­tik an dem poli­tisch-roman­ti­schen Typus 1925 erst in die zwei­te, 1968 erst in die drit­te Auflage.
Ange­sichts der scharf­sin­ni­gen Gegen­warts­ana­ly­se des frü­hen Schmitt wirkt sein spä­te­res Ein­tre­ten für den Natio­nal­so­zia­lis­mus um so irri­tie­ren­der. Wahr­schein­lich erhoff­te er sich im NS-Sys­tem eine Kraft, die den moder­nen Bann objek­ti­ver Ent­schei­dungs­lo­sig­keit mit­tels neu­er kol­lek­ti­ver Wert­set­zun­gen durch­bre­chen wür­de. Schließ­lich war ihm der roman­ti­sche Cha­rak­ter des Natio­nal­so­zia­lis­mus nicht ver­bor­gen geblie­ben. Denn die Theo­rie der Volks­ge­mein­schaft als orga­ni­scher Ein­heit, in der das Indi­vi­du­um wie­der Anbin­dung an ein All­ge­mein­gül­ti­ges fän­de, zieht sich durch die gesam­te Roman­tik. Sie speist sich aus den Staats­vor­stel­lun­gen moder­ner Sehn­süch­te, die sich zunächst bei Her­der, dann bei Fich­te, Nova­lis, Fried­rich Schle­gel oder Adam Mül­ler, und end­lich im Geor­ge-Kreis und bei vie­len ande­ren kon­ser­va­ti­ven oder völ­ki­schen Ver­bän­den fan­den, und die Schmitt vor allem als Reak­ti­on auf das »mecha­ni­sche« Welt­bild der Auf­klä­rung und des Posi­ti­vis­mus ver­stand. Des­halb sah er in die­sem Staats­mo­dell eben­falls mehr eine Okka­si­on, eine eher zufäl­lig ent­stan­de­ne, als auf ech­ter Ent­schei­dung für das objek­tiv Not­wen­di­ge gegrün­de­te Form: »Der Staat soll die ›Tota­li­tät aller mensch­li­chen Ange­le­gen­hei­ten‹, der Inbe­griff phy­si­schen und geis­ti­gen Lebens sein und alle Gegen­sät­ze, ins­be­son­de­re den für die Glie­de­rung des Orga­nis­mus not­wen­di­gen Gegen­satz der Stän­de (Adel, Geist­lich­keit und Bür­ger­tum), aber auch den von Per­son und Sache, in einer gro­ßen, lebens­vol­len, orga­ni­schen Ein­heit verbinden.«

Schmitt wand­te sich also auch hier gegen die Schwär­mer, gegen die »Affekt­ge­stal­tun­gen«, gegen »den gro­ßen Ein­druck, der den Roman­ti­ker bewegt, nicht zu arti­ku­lie­ren, son­dern in einem Aus­druck zu umschrei­ben, der einen ent­spre­chend gro­ßen Ein­druck macht.« An die Stel­le moder­ner Show­ef­fek­te soll­te die Tat des poli­tisch Ent­schlos­se­nen tre­ten. Schmitt ver­lang­te nach Ent­schie­den­heit als Aus­druck der vita acti­va. Und was er an den Roman­ti­kern kri­ti­sier­te, ist eben ihr Man­gel an Ent­schie­den­heit, und daß sie den Grund­ty­pus des okka­sio­nel­len Oppor­tu­nis­ten bil­de­ten: »Wäh­rend der Restau­ra­ti­on wird für die Roman­ti­ker sogar Met­ter­nichs zen­tra­lis­ti­scher Poli­zei­staat orga­nisch, dau­ernd, erhal­tend, fest, fried­lich und legi­tim. Genia­li­tät ist jetzt ein ver­däch­ti­ges Prä­di­kat.« – Eben die­se Ent­wick­lung nahm nach 1968 auch die Lin­ke, als sie staats­tra­gend wur­de: Nach­dem sie ihre Pos­ten errun­gen hat­te, sorg­te auch sie, wie die poli­ti­schen Roman­ti­ker von einst, für restau­ra­ti­ve Ver­hält­nis­se, damit von nun an alles so blie­be, wie es ist. Heu­te ver­bar­ri­ka­die­ren sich die neu­en Oppor­tu­nis­ten und Roman­ti­ker in ihrem poli­tisch kor­rek­ten Regle­men­tie­rungs­staat, weil er ihnen jene (okka­sio­nel­le) Ord­nung gibt, gegen die sie sich einst erho­ben. – Das ist die Para­do­xie, die Schmitt in der Moder­ne früh erkann­te: Der moder­ne Staat muß Sicher­hei­ten im Belie­bi­gen schaf­fen. Eine Para­do­xie, die übri­gens auch in Schmitt sel­ber auf­scheint, sonst hät­te er sich ihrer gar nicht so bewußt wer­den kön­nen. Oder, wie Hugo Ball ein­mal bemerk­te: »Der Tod­feind Roman­tik, als den Schmitt sich gele­gent­lich erweist, bekämpft in ihr die irra­tio­na­le Gefahr sei­nes eige­nen schöp­fe­ri­schen Fonds, des­sen Klä­rung sei­ne Schrif­ten sämt­lich gewid­met scheinen.«
Tat­säch­lich war Schmitt ange­wi­dert und fas­zi­niert zugleich von dem para­do­xen Auto­ma­tis­mus, der seit dem ers­ten Bie­der­mei­er alle revo­lu­tio­nä­ren Kräf­te cha­rak­te­ri­siert: Immer rich­tet sich der Mensch in der jeweils neu­en, okka­sio­nel­len Ord­nung ein, wird im eigent­li­che Sin­ne pas­siv, indem er sich dem Herr­schen­den angleicht und dadurch Sta­bi­li­tät im Belie­bi­gen erlangt. Auch heu­te: Der son­der­ba­re Erfolg der Grü­nen sowie der des gesam­ten Gut­men­schen­tums beruht letzt­lich auf den glei­chen psy­chi­schen Mecha­nis­men wie der aller tota­li­tä­rer Bewe­gun­gen: Der poli­ti­sche Roman­ti­ker sehnt sich nach Ord­nung in der Ord­nungs­lo­sig­keit, die er selbst her­bei­ge­führt hat. Das bis dahin Unnor­ma­le ver­fes­tigt sich zur Norm. »Denn kei­ne Gesell­schaft kann eine Ord­nung fin­den ohne einen Begriff von dem, was nor­mal und dem, was Recht ist. Das Nor­ma­le ist sei­nem Begriff nach unro­man­tisch, weil jede Norm die occa­sio­nel­le Unge­bun­den­heit des Roman­ti­schen zerstört.«
Hier­in also bestehen die bei­den Haupt­pro­ble­me und inne­ren Wider­sprü­che, die Schmitt dem moder­nen Leben attes­tier­te und die auch sei­nem eige­nen Den­ken inne­woh­nen: Wie kann eine ver­bind­li­che Norm und ein objek­ti­ves Recht in einer Gesell­schaft gefun­den wer­den, deren sozio­kul­tu­rel­les Selbst­ver­ständ­nis das des poli­ti­schen Roman­ti­kers ist? Und fer­ner: Wie ist das Dilem­ma auf­zu­he­ben, einer­seits dem Men­schen poli­ti­sche Hand­lun­gen abzu­ver­lan­gen, die aus kla­ren Ent­schei­dun­gen bestehen, wäh­rend das eigen­mäch­ti­ge, indi­vi­du­el­le Tun ande­rer­seits als »sünd­haft« auf­ge­faßt wird, da Schmitt der Mei­nung ist, »daß der ein­zel­ne Mensch nichts schaf­fen, nur etwas ›machen‹ kann, wäh­rend das Recht, die Ver­fas­sun­gen, die Spra­che Pro­duk­te der mensch­li­chen Gesell­schaft sind. Die Nati­on ist frei­lich ein Geschöpf Got­tes.« Schmitt for­dert von ein­zel­nen die poli­tisch not­wen­di­ge Tat, ohne die Welt dabei jedoch zum Anlaß zu neh­men. Das setzt natür­lich vor­aus, daß der Mensch weiß, was die poli­tisch not­wen­di­ge Tat sei, er sei­ne Ent­schei­dung also gar nicht aus eige­nem Ent­schluß fällt, son­dern weil sie ihm die ein­zig mög­li­che ist, er folg­lich nicht frei, son­dern an das Objek­ti­ve oder Abso­lu­te, an Gott gebun­den han­delt. Damit wird aber jede echt poli­ti­sche Ent­schei­dung hin­fäl­lig, weil eben gar nicht ent­schie­den, son­dern nur einer unhin­ter­frag­ba­ren Instanz (Gott) gefolgt wird. Ande­rer­seits sieht Schmitt gera­de in der Unter­schei­dungs­fä­hig­keit die Ent­schei­dungs­fä­hig­keit des Men­schen. Nur wo Unter­schei­dun­gen mög­lich sind, sei auch poli­ti­sches Han­deln mög­lich. Es kenn­zeich­net jedoch den reli­giö­sen wie den zivil­re­li­giö­sen Staat, daß er sei­nen Mit­glie­dern alle Ent­schei­dun­gen abnimmt, ihnen also gera­de kei­ne Mög­lich­keit mehr läßt, sich auch gegen das Ent­schie­de­ne ent­schei­den zu kön­nen – und er die ein­zel­nen wie das Kol­lek­tiv damit streng­ge­nom­men poli­tisch hand­lungs­un­fä­hig macht.

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