sich also nicht bloß in sich selbst erschöpft. – Der von Carl Schmitt wesentlich geprägte Ausdruck der Politischen Romantik ist eine solche auf den Begriff gebrachte Charakterisierung. Denn Schmitt wollte eben nicht allein das historische Phänomen der Politischen Romantik schildern, sondern das Charakteristische des Romantikers als eines bestimmten politischen Typus aufzeigen – und zwar deshalb, weil er bereits als Dreißigjähriger, 1919, scharfsinnig erkannte, daß dieser Typus auch in Zukunft politisch eine verhängnisvolle Rolle spielen würde.
Der Geschichtsdenker unterscheidet sich vom bloß Gelehrten durch die Eigenschaft, die Dinge nicht nur darstellen, sondern sie in ihrem Wirkungsverhältnis begreiflich machen zu wollen. Also schafft er Begrifflichkeiten, die dazu dienen, gewissermaßen die Erreger der Geschichte zu benennen, um bestimmte, nicht von vornherein erkennbare Prozesse sichtbar werden zu lassen: »Es ist eben die Aufgabe, Klarheit zu gewinnen, sei es auch nur die Klarheit darüber, warum eine Bewegung objektiv unklar erscheint und aus der Unklarheit ein Prinzip zu machen sucht.« Das Phänomen des Romantikers war für Schmitt ein solcher Erreger, den es, wollte man dessen Wesen wirklich begreifen, zunächst von allen ihn umhüllenden Äußerlichkeiten zu lösen galt. So verstand Schmitt die Romantik ausdrücklich nicht als eine »deutsche Affäre«, wie man das noch heute etwa bei Rüdiger Safranski lesen kann, sondern drang einige Schichten tiefer und sah in ihr vornehmlich den Ausdruck demonstrativer Modernität, das heißt das Ergebnis einer beinahe notwendigen Entwicklung der modernen Psyche. Die Romantik sei im Schatten Rousseaus aus dem »Glauben an die natürliche Güte des Menschen« entstanden und habe daraus ihren unbestimmten, schwärmerischen, ausweichenden Charakter gewonnen. Denn von da an sei das Ich an die Stelle Gottes getreten und habe dadurch die Welt zum bloßen Anlaß des Menschen werden lassen. Deshalb ist Romantik nach Schmitt »subjektivierter Occasionalismus, d. h. im Romantischen behandelt das romantische Subjekt die Welt als Anlaß und Gelegenheit seiner romantischen Produktivität.«
Nach Auflösung des objektiven Absoluten zugunsten vieler subjektiver Instanzen könne dagegen alles zum Anlaß für alles werden. Oder wie Odo Marquard später formulierte: »Wir Menschen sind stets mehr unsere Zufälle als unsere Wahl«. Und in eben dieser Unberechenbarkeit des abenteuerlichen Spiels mit der Formlosigkeit liege der große Reiz der romantischen Haltung: »Aus immer neuen Gelegenheiten entsteht eine immer neue, aber immer nur occasionelle Welt, eine Welt ohne Substanz und ohne funktionelle Bindung, ohne feste Fügung, ohne Konklusion und ohne Definition, ohne Entscheidung, ohne letztes Gericht, unendlich weitergehend, geführt nur von der magischen Hand des Zufalls.«
Weil es Schmitt auf die Verdeutlichung eben dieser Zäsur im politischen Bewußtsein des modernen Menschen ankommt, muß die Politische Romantik als eine Art Gleichnis auf die politische Wirklichkeit im 20. Jahrhundert gelesen werden.
Das Verhängnisvolle des romantischen Typus bestehe nun darin, dass er in eine bestimmte überkommene Vorstellung fliehe, die ihn blind mache für Veränderungen der Realität. Also kreiere der Romantiker einen Gegensatz zum Unabwendbaren und verliere dadurch den Bezug zum real Erforderlichen zugunsten bequemer Utopien, deren schöpferisches Zentrum er selber sei. Als Beispiel für ein solches Verhalten greift Schmitt auf David Friedrich Strauß’ Schrift Der Romantiker auf dem Throne der Cäsaren (1847) zurück, die gegen König Friedrich Wilhelm IV. gerichtet war, aber vom römischen Kaiser Julian handelte: So wie dieser den alten heidnischen Glauben restaurieren wollte, obwohl die Tendenz des Christentums nicht mehr aufzuhalten gewesen sei, verweigerte sich Friedrich Wilhelm IV. den Tendenzen des 19. Jahrhunderts. Stand Julian noch an der Schwelle zu einem neuen Kollektivglauben, habe der moderne politische Romantiker jedoch jeden Bezug zu einer allgemeingültigen Instanz verloren, was ihn haltlos und Politik zur bloß beliebigen Angelegenheit mache. An die Stelle des Objektiven setze der romantische Typus das Subjekt und laufe Gefahr, dem jeweiligen Zeitgeistopportunismus zu verfallen: »Das vereinzelte, isolierte und emanzipierte Individuum wird in der liberalen bürgerlichen Welt zum Mittelpunkt, zur letzten Instanz, zum Absoluten. Die Illusion, Gott zu sein, konnte natürlich nur in pantheistischen oder panentheistischen Gefühlen Bestand haben. Sie verband sich daher in der psychologischen Wirklichkeit mit andern, weniger subjektivistischen Affekten, aber das Subjekt beanspruchte doch immer, daß sein Erleben das allein Interessante sei.«
Um diesen Anspruch durchzusetzen, wähle der Romantiker das Mittel der Ironie. »Der Romantiker weicht der Wirklichkeit aus, aber ironisch und mit der Gesinnung der Intrige«, indem er »die eine Wirklichkeit gegen eine andre ausspielt, um die jeweilig gegenwärtige, begrenzende Wirklichkeit zu paralysieren. Ironisch entzieht er sich der beengenden Objektivität und schützt sich davor, auf irgendetwas festgelegt zu werden.« – Eine Ironie, die sich jedoch niemals gegen sich selbst richtet und dadurch ihren totalitären Charakter erhält. Das erklärt, warum die großen totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts, Kommunismus, Faschismus, 68er-System, die alle eine Form der politischen Romantik darstellen, keine Späße über sich und ihre Tabuzonen duldeten und dulden. »Ihrem Wesen nach ist die romantische Ironie das intellektuelle Mittel des vor der Objektivität sich reservierenden Subjekts. … das Angriffsziel … ist eben nicht das Subjekt, sondern die objektive Realität, die sich um das Subjekt nicht kümmert.« – Vielleicht haben Phänomene wie political correctness genau darin ihre Ursache: Wo es kein Allgemeingültiges mehr gibt, muß sich das jeweils herrschende Okkasionelle durch Verbote und Einschüchterungen absichern, um wenigstens zeitweilig Gültigkeit beanspruchen zu können. So dienen dem politischen Romantiker selbst alle objektiven Werte wie Gott, Nation oder Demokratie stets nur als Mittel, wechselnde Ordnungen zu begründen. »Weder der Kosmos, noch der Staat, noch das Volk, noch die geschichtliche Entwicklung interessieren ihn ihrer selbst wegen.« Das Objekt wird austauschbar, weil es bloß auf Meinungsführerschaft beruht.
Was Schmitt beschreibt, ist also nichts anderes als jener Ablösungsprozeß der verschiedenen okkasionellen Staatsformen, wie wir sie seit 1918 bis heute erleben, und die ihrem Wesen nach dem immer gleichen Muster folgen, nämlich dem der Subjektivierung des Realen, weil sie sämtlich Geschöpfe des politischen Romantikers sind: »Mochte seine Phraseologie revolutionär oder reaktionär sein, kriegerisch oder pazifistisch, heidnisch oder christlich, niemals war er entschlossen, die Welt seines stimmungsmäßigen Erlebens zu verlassen und an dem, was sich in der gewöhnlichen Wirklichkeit ereignete, etwas zu ändern.«
Hellsichtig bemerkte Schmitt den starken politisch-romantischen Zug der philosophischen Literatur seiner Zeit. Sätze wie der folgende legen nahe, daß Schmitt, wenn er von Romantikern sprach, auch immer die Neu-Romantiker mitmeinte, die in ihren Büchern, wie einst der deswegen stark gescholtene Adam Müller, vor allem »gefühlsmäßige Gegensätze« konstruierten. Diese Gegensätze benutze der Romantiker »als schöpferisches Subjekt für sein halb ästhetisches, halb wissenschaftliches Gewebe, das dann selbst wieder ein Anknüpfungspunkt tiefsinniger Suggestionen sein kann, weil in ihm nicht gegenständliche Begriffe, sondern occasionelle Stimmungsexpressionen, Assoziationen, Farben und Klänge zu einer Mischung vereinigt sind.« – Es scheint, als bezöge sich Schmitt hier direkt auf Spenglers Untergang des Abendlandes, dessen Erfolg er für ein Symptom politischer Romantik ansehen mußte, und worin zugleich der Grund dafür liegen dürfte, warum Schmitts Beschreibung dieses Symptoms kaum jemand lesen wollte. Denn war Spenglers fast zeitgleich erschienenes Buch Mitte der 1920er Jahre bereits fünfzigtausendfach verkauft worden, ging Schmitts Kritik an dem politisch-romantischen Typus 1925 erst in die zweite, 1968 erst in die dritte Auflage.
Angesichts der scharfsinnigen Gegenwartsanalyse des frühen Schmitt wirkt sein späteres Eintreten für den Nationalsozialismus um so irritierender. Wahrscheinlich erhoffte er sich im NS-System eine Kraft, die den modernen Bann objektiver Entscheidungslosigkeit mittels neuer kollektiver Wertsetzungen durchbrechen würde. Schließlich war ihm der romantische Charakter des Nationalsozialismus nicht verborgen geblieben. Denn die Theorie der Volksgemeinschaft als organischer Einheit, in der das Individuum wieder Anbindung an ein Allgemeingültiges fände, zieht sich durch die gesamte Romantik. Sie speist sich aus den Staatsvorstellungen moderner Sehnsüchte, die sich zunächst bei Herder, dann bei Fichte, Novalis, Friedrich Schlegel oder Adam Müller, und endlich im George-Kreis und bei vielen anderen konservativen oder völkischen Verbänden fanden, und die Schmitt vor allem als Reaktion auf das »mechanische« Weltbild der Aufklärung und des Positivismus verstand. Deshalb sah er in diesem Staatsmodell ebenfalls mehr eine Okkasion, eine eher zufällig entstandene, als auf echter Entscheidung für das objektiv Notwendige gegründete Form: »Der Staat soll die ›Totalität aller menschlichen Angelegenheiten‹, der Inbegriff physischen und geistigen Lebens sein und alle Gegensätze, insbesondere den für die Gliederung des Organismus notwendigen Gegensatz der Stände (Adel, Geistlichkeit und Bürgertum), aber auch den von Person und Sache, in einer großen, lebensvollen, organischen Einheit verbinden.«
Schmitt wandte sich also auch hier gegen die Schwärmer, gegen die »Affektgestaltungen«, gegen »den großen Eindruck, der den Romantiker bewegt, nicht zu artikulieren, sondern in einem Ausdruck zu umschreiben, der einen entsprechend großen Eindruck macht.« An die Stelle moderner Showeffekte sollte die Tat des politisch Entschlossenen treten. Schmitt verlangte nach Entschiedenheit als Ausdruck der vita activa. Und was er an den Romantikern kritisierte, ist eben ihr Mangel an Entschiedenheit, und daß sie den Grundtypus des okkasionellen Opportunisten bildeten: »Während der Restauration wird für die Romantiker sogar Metternichs zentralistischer Polizeistaat organisch, dauernd, erhaltend, fest, friedlich und legitim. Genialität ist jetzt ein verdächtiges Prädikat.« – Eben diese Entwicklung nahm nach 1968 auch die Linke, als sie staatstragend wurde: Nachdem sie ihre Posten errungen hatte, sorgte auch sie, wie die politischen Romantiker von einst, für restaurative Verhältnisse, damit von nun an alles so bliebe, wie es ist. Heute verbarrikadieren sich die neuen Opportunisten und Romantiker in ihrem politisch korrekten Reglementierungsstaat, weil er ihnen jene (okkasionelle) Ordnung gibt, gegen die sie sich einst erhoben. – Das ist die Paradoxie, die Schmitt in der Moderne früh erkannte: Der moderne Staat muß Sicherheiten im Beliebigen schaffen. Eine Paradoxie, die übrigens auch in Schmitt selber aufscheint, sonst hätte er sich ihrer gar nicht so bewußt werden können. Oder, wie Hugo Ball einmal bemerkte: »Der Todfeind Romantik, als den Schmitt sich gelegentlich erweist, bekämpft in ihr die irrationale Gefahr seines eigenen schöpferischen Fonds, dessen Klärung seine Schriften sämtlich gewidmet scheinen.«
Tatsächlich war Schmitt angewidert und fasziniert zugleich von dem paradoxen Automatismus, der seit dem ersten Biedermeier alle revolutionären Kräfte charakterisiert: Immer richtet sich der Mensch in der jeweils neuen, okkasionellen Ordnung ein, wird im eigentliche Sinne passiv, indem er sich dem Herrschenden angleicht und dadurch Stabilität im Beliebigen erlangt. Auch heute: Der sonderbare Erfolg der Grünen sowie der des gesamten Gutmenschentums beruht letztlich auf den gleichen psychischen Mechanismen wie der aller totalitärer Bewegungen: Der politische Romantiker sehnt sich nach Ordnung in der Ordnungslosigkeit, die er selbst herbeigeführt hat. Das bis dahin Unnormale verfestigt sich zur Norm. »Denn keine Gesellschaft kann eine Ordnung finden ohne einen Begriff von dem, was normal und dem, was Recht ist. Das Normale ist seinem Begriff nach unromantisch, weil jede Norm die occasionelle Ungebundenheit des Romantischen zerstört.«
Hierin also bestehen die beiden Hauptprobleme und inneren Widersprüche, die Schmitt dem modernen Leben attestierte und die auch seinem eigenen Denken innewohnen: Wie kann eine verbindliche Norm und ein objektives Recht in einer Gesellschaft gefunden werden, deren soziokulturelles Selbstverständnis das des politischen Romantikers ist? Und ferner: Wie ist das Dilemma aufzuheben, einerseits dem Menschen politische Handlungen abzuverlangen, die aus klaren Entscheidungen bestehen, während das eigenmächtige, individuelle Tun andererseits als »sündhaft« aufgefaßt wird, da Schmitt der Meinung ist, »daß der einzelne Mensch nichts schaffen, nur etwas ›machen‹ kann, während das Recht, die Verfassungen, die Sprache Produkte der menschlichen Gesellschaft sind. Die Nation ist freilich ein Geschöpf Gottes.« Schmitt fordert von einzelnen die politisch notwendige Tat, ohne die Welt dabei jedoch zum Anlaß zu nehmen. Das setzt natürlich voraus, daß der Mensch weiß, was die politisch notwendige Tat sei, er seine Entscheidung also gar nicht aus eigenem Entschluß fällt, sondern weil sie ihm die einzig mögliche ist, er folglich nicht frei, sondern an das Objektive oder Absolute, an Gott gebunden handelt. Damit wird aber jede echt politische Entscheidung hinfällig, weil eben gar nicht entschieden, sondern nur einer unhinterfragbaren Instanz (Gott) gefolgt wird. Andererseits sieht Schmitt gerade in der Unterscheidungsfähigkeit die Entscheidungsfähigkeit des Menschen. Nur wo Unterscheidungen möglich sind, sei auch politisches Handeln möglich. Es kennzeichnet jedoch den religiösen wie den zivilreligiösen Staat, daß er seinen Mitgliedern alle Entscheidungen abnimmt, ihnen also gerade keine Möglichkeit mehr läßt, sich auch gegen das Entschiedene entscheiden zu können – und er die einzelnen wie das Kollektiv damit strenggenommen politisch handlungsunfähig macht.