Schmitts Schüler

pdf der Druckfassung aus Sezession 42 / Juni 2011

von Erik Lehnert und Karlheinz Weißmann

Altmann, Rüdiger (1922–2000)
Altmann studierte nach dem Militärdienst in Frankfurt a. M., Berlin und Marburg Rechtsund Staatswissenschaften sowie Soziologie.

In letz­te­rem Fach wur­de er von Wolf­gang Abend­roth pro­mo­viert. Aber obwohl sein Dok­tor­va­ter als Zen­tral­fi­gur der »hei­mat­lo­sen Lin­ken« galt, wand­te sich Alt­mann dem bür­ger­li­chen Lager zu und grün­de­te 1954 mit dem zehn Jah­re jün­ge­ren Johan­nes Gross die RCDS-Zeit­schrift Civis; 1956 über­nahm er die Lei­tung der CDU-nahen Aka­de­mie Eichholz.
Daß die­se Tätig­keit einem beweg­li­chen Kopf wie Alt­mann nicht genüg­te, war schon erkenn­bar, als 1958 ein Buch mit Bei­trä­gen von ihm und Gross unter dem Titel Die neue Gesell­schaft erschien, das mehr oder weni­ger deut­li­che Hin­wei­se auf den Ein­fluß Carl Schmitts ent­hielt, der unter Pseud­onym auch als Autor an Civis betei­ligt gewe­sen war. Alt­mann hat­te den »Avan­cier­rie­sen« (Han­no Kes­t­ing) im ver­bo­te­nen Reich des Geis­tes bei einem Gene­sungs­ur­laub im letz­ten Kriegs­jahr an der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät gehört, dann aber kei­nen Kon­takt mehr gehabt. Der kam erst 1955 wie­der zustan­de, wobei Schmitts Wert­schät­zung durch die Geschick­lich­keit, mit der Alt­mann ihn zum Zweck der Anspie­lung – nicht die offe­ne Bezug­nah­me – nutz­te, nicht gemin­dert wur­de, ganz im Gegenteil.
Die­se Art Kryp­to-Schmit­tis­mus spiel­te auch eine Rol­le für die bei­den fol­gen­den Bücher Alt­manns – Das Erbe Ade­nau­ers (1960) und Das deut­sche Risi­ko (1962) –, mit denen er sich einer CDU nach Ade­nau­er als Ana­ly­ti­ker emp­fahl. Tat­säch­lich soll­te er zum engs­ten Bera­ter­kreis von Lud­wig Erhard gehö­ren und lan­cier­te den Begriff »For­mier­te Gesell­schaft«, ein Ter­mi­nus, des­sen Anklang an Schmitts Begriff­lich­keit sicher kein Zufall war.
Aller­dings hat­te Alt­manns Wunsch nach Nähe zur Macht immer etwas Spie­le­ri­sches. Die­se Unernst­haf­tig­keit erklärt auch, war­um er sein kon­ser­va­ti­ves Image nach dem raschen Schei­tern Erhards nutz­te, um sich trotz des poli­ti­schen Kli­ma­wech­sels den Ein­fluß­rei­chen wei­ter inter­es­sant und ange­nehm zu machen. Eine Anpas­sungs­fä­hig­keit, die ihm ohne Zwei­fel auch bei sei­ner beruf­li­chen Kar­rie­re zustat­ten kam. Zwi­schen 1963 und 1978 über­nahm er die Posi­ti­on eines stell­ver­tre­ten­den Haupt­ge­schäfts­füh­rers des Deut­schen Indus­trie- und Han­dels­ta­ges. Wäh­rend die­ser Zeit hat er wei­ter, mehr oder weni­ger inten­siv, publi­zis­tisch gear­bei­tet und bemer­kens­wert oft The­men und Stich­wor­te Schmitts auf­ge­nom­men und aus­ge­walzt. Sei­ne teil­wei­se bril­lan­ten Tex­te – von der »scharf-zar­ten Bemer­kungs­ga­be« des Freun­des hat Gross gespro­chen – kenn­zeich­ne­te aller­dings eine resi­gna­ti­ve Atti­tü­de, die es Alt­man erlaub­te, sich poli­tisch nicht fest­zu­le­gen. Daß der CDU-Mann ein aus­ge­spro­che­ner Ver­äch­ter Hel­mut Kohls war, ließ sich natür­lich in das Wohl­wol­len der Gegen­sei­te aus­mün­zen, und kenn­zeich­nend ist auch, daß Alt­mann sei­nen Nach­laß der Fried­rich-Ebert-Stif­tung übergab.

Arndt, Hans Joa­chim (1923–2004)
Zu den prä­gen­den Erfah­run­gen der frü­hen Jah­re Arndts gehör­ten der Auf­stieg des NS-Regimes und dann vor allem die Kriegs­zeit. Arndt dien­te in der Mari­ne als Offi­zier, geriet in Gefan­gen­schaft und sah sich nach der Nie­der­la­ge gezwun­gen, die Lauf­bahn des Berufs­sol­da­ten auf­zu­ge­ben. Er begann ein Stu­di­um der Sozio­lo­gie und ging im Som­mer­se­mes­ter 1950 und im Win­ter­se­mes­ter 1951/52 nach Hei­del­berg, wo er dann bei Alfred Weber pro­mo­viert wur­de. In des­sen Umfeld hat­te sich zu dem Zeit­punkt ein »Carl-Schmitt-Fan-Club« (Dirk van Laak) gebil­det, zu dem Arndt Kon­takt über Rein­hart Koselleck und Han­no Kes­t­ing fand, die ihn dann in Ver­bin­dung zu Schmitt wie Armin Moh­ler brachten.
Arndt enga­gier­te sich auch in der nord­rhein-west­fä­li­schen FDP, die mit ihrem Kurs der »natio­na­len Samm­lung« eine gewis­se Anzie­hungs­kraft auf die jun­ge rech­te Intel­li­genz der Bun­des­re­pu­blik aus­üb­te. Dar­über hin­aus deku­vrier­te er sich aber nicht. Er hat zur Begrün­dung immer ange­ge­ben, daß die tota­le Nie­der­la­ge von 1945 eine kla­re Unter­schei­dung zwi­schen résis­tance und col­la­bo­ra­ti­on unmög­lich mach­te. Bis zum Beginn der sieb­zi­ger Jah­re mied Arndt jeden­falls kla­re Posi­ti­ons­be­stim­mun­gen und ver­öf­fent­lich­te vor allem zu Manage­ment­fra­gen; auch die Uni­ver­si­täts­kar­rie­re trat er erst rela­tiv spät an: Im Zuge der Bil­dungs­expan­si­on erhielt er 1968 einen neu­ge­schaf­fe­nen Lehr­stuhl für Poli­tik­wis­sen­schaft an der Uni­ver­si­tät Heidelberg.
Die ent­schei­den­de Ände­rung trat erst ein, als Arndt zehn Jah­re spä­ter eine Mono­gra­phie unter dem Titel Die Besieg­ten von 1945. Ver­such einer Poli­to­lo­gie für Deut­sche (1978) vor­leg­te, in der er von einer an Schmitt geschul­ten »kon­kre­ten Lage­ana­ly­se« aus­ging. Im Kern han­del­te es sich sei­ner Mei­nung nach dar­um, daß die Poli­to­lo­gie kei­nen Anspruch auf Wis­sen­schaft­lich­keit erhe­ben kön­ne, da sie von einer vor­ge­ge­be­nen Dog­ma­tik aus­ge­hen müs­se und wei­ter den ehe­ma­li­gen Sie­ger­mäch­ten als Kon­zept die­ne, ihre Umer­zie­hungs­maß­nah­men auf Dau­er zu stellen.
Das Buch Die Besieg­ten von 1945 sorg­te zwar in der Zunft für einen gewis­sen Unmut, aber eine ech­te Reso­nanz fand es nicht. Arndt nahm das mit Erbit­te­rung zur Kennt­nis und quit­tier­te spä­ter nur noch mit Genug­tu­ung, dass Pana­jo­tis Kon­dy­lis – den er als sei­nen Schü­ler betrach­te­te – den Faden auf­nahm und »die illu­si­ons­lo­ses­te poli­ti­sche Grund­la­gen­phi­lo­so­phie« schrieb, »die nach dem zwei­ten Welt­krieg in deut­scher Zun­ge ver­öf­fent­licht wurde«.

Böcken­för­de, Ernst-Wolf­gang (*1930)
Ohne Zwei­fel hat Ernst-Wolf­gang Böcken­för­de, der »Ein­stein des Staats­rechts« (Süd­deut­sche Zei­tung), unter allen Nach­kriegs­schü­lern Carl Schmitts die beein­dru­ckends­te Kar­rie­re gemacht. Bereits 1953, mit drei­und­zwan­zig Jah­ren, wur­de er in kur­zem Abstand zum Dr. iur., dann zum Dr. phil. pro­mo­viert. Immer­hin dau­er­te dann die Fer­tig­stel­lung der Habi­li­ta­ti­on bis 1964. Aller­dings erhielt Böcken­för­de sofort einen Ruf auf den Lehr­stuhl für öffent­li­ches Recht, Ver­fas­sungs- und Rechts­ge­schich­te sowie Rechts­phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg, 1969 wech­sel­te er nach Bie­le­feld, 1977 nach Frei­burg i. Br. Zwi­schen 1971 und 1976 gehör­te Böcken­för­de der Enquete­kom­mis­si­on des Bun­des­ta­ges zur Ver­fas­sungs­re­form an, zwi­schen 1983 und 1996 amtier­te er als Bundesverfassungsrichter.
Böcken­för­des Inter­es­se an Schmitt wur­de über das Col­le­gi­um Phi­lo­so­phi­cum Joa­chim Rit­ters in Müns­ter geweckt. Das war nicht unge­wöhn­lich, Anlaß zu Irri­ta­tio­nen gab eher sei­ne SPD-Mit­glied­schaft, die für einen beken­nen­den Katho­li­ken in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik kaum die Regel war, und die Tat­sa­che, daß er sich trotz­dem und rela­tiv deut­lich auf Schmitt bezog. Einer brei­te­ren Öffent­lich­keit ent­hüll­te sich die­ser Zusam­men­hang aller­dings kaum. Die­sen Sach­ver­halt kann man deut­lich an der Debat­te über den Auf­satz able­sen, den Böcken­för­de 1960 im katho­li­schen Hoch­land ver­öf­fent­lich­te und in dem er sich dezi­diert kri­tisch mit der Hal­tung des Zen­trums zur Macht­über­nah­me Hit­lers aus­ein­an­der­setz­te. All­ge­mein wur­de die­ser Text als Bei­trag zu der mit Vehe­menz ein­set­zen­den »Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung« betrach­tet, aber Schmitt regis­trier­te ihn mit Wohl­wol­len, weil hier – anders als in der sonst übli­chen, mehr ver­schlei­ern­den als ent­de­cken­den Art – die Posi­ti­on des Katho­li­zis­mus im Jahr 1933 behan­delt und deut­lich die Zwangs­la­gen her­aus­ge­ar­bei­tet wur­den, die sei­ne eige­ne Posi­ti­on rela­ti­vie­ren konnten.
Böcken­för­de woll­te mit sei­nem Text kei­ner Recht­fer­ti­gung Schmitts Vor­schub leis­ten, aber es ergab sich wie in ande­ren Fäl­len eine Art Par­al­le­li­tät der Argu­men­ta­ti­on. Beson­ders deut­lich wur­de das immer dann, wenn Böcken­för­de zur Ver­tei­di­gung der Kern­staat­lich­keit ansetz­te, die er gegen die Begehr­lich­kei­ten der Gesell­schaft – vor allem der Wirt­schaft – geschützt wis­sen woll­te. Dar­aus resul­tier­ten zuletzt noch sei­ne schar­fen Stel­lung­nah­men zur euro­päi­schen Inte­gra­ti­on und die Ableh­nung des Tür­kei­bei­tritts; vor allem aber geht es um das, was man schon als Böcken­för­de-Theo­rem bezeich­net hat, zusam­men­ge­fasst in der For­mel: »Der frei­heit­li­che, säku­la­ri­sier­te Staat lebt von Vor­aus­set­zun­gen, die er selbst nicht garan­tie­ren kann.« Man erkennt unschwer den Ein­fluß der Leh­re Schmitts von der Bedeu­tung Poli­ti­scher Theologie.

Forst­hoff, Ernst (1902–1974)
sie­he Sezes­si­on 38, Sei­te 28

Freund, Juli­en (1921–1993)
Freund stamm­te aus klei­nen Ver­hält­nis­sen in Loth­rin­gen. Unmit­tel­bar nach der Beset­zung Frank­reichs schloß er sich der Résis­tance an, was ihm mehr­fa­che Fest­nah­me und Inhaf­tie­rung ein­trug, der er sich schließ­lich durch die Flucht ent­zog. Nach dem Ende des Krie­ges nahm er sein unter­bro­che­nes Stu­di­um wie­der auf und unter­rich­te­te dann als Gym­na­si­al­leh­rer. Erst nach dem Abschluß sei­ner Dis­ser­ta­ti­on (bei Ray­mond Aron) kehr­te er in den aka­de­mi­schen Bereich zurück. Er über­nahm einen Lehr­stuhl für Poli­tik­wis­sen­schaft an der Uni­ver­si­tät Straß­burg und setz­te sich lei­den­schaft­lich für den Aus­bau sei­nes Faches ein, wand­te sich aber zuletzt ange­sichts des Leis­tungs­ver­falls und der Vor­herr­schaft der Lin­ken ent­täuscht von der Hoch­schu­le ab und trat bereits 1979 in den Ruhestand.
Als poli­tisch ver­däch­tig galt er natür­lich auch wegen sei­ner offe­nen Sym­pa­thie für die Nou­vel­le Droi­te; eine Son­der­stel­lung hat­te er in der fran­zö­si­schen Gesell­schafts­wis­sen­schaft aber von Anfang an gehabt, wegen sei­nes aus­ge­präg­ten Inter­es­ses an der deut­schen Geis­tes­ge­schich­te. Noch irri­tie­ren­der war nur sei­ne Sym­pa­thie für Carl Schmitt, den er außer­dem per­sön­lich kann­te und mit dem er lan­ge – zwi­schen 1959 und 1982 – in einem sehr herz­li­chen Brief­wech­sel stand. Schmitt hat noch stär­ker als Weber oder etwa Geor­ges Sor­el Ein­fluß auf Freunds Ver­ständ­nis der Geschich­te und des Poli­ti­schen genom­men. Schon in sei­ner Dok­tor­ar­beit war es um die Bedeu­tung des Fein­des und der Feind­fä­hig­keit ganz im Sin­ne der von Schmitt vor­ge­nom­me­nen Unter­schei­dung gegangen.

Kes­t­ing, Han­no (1925–1975)
sie­he Autoren­por­trät in die­sem Heft

Koselleck, Rein­hart (1923–2006)
Koselleck war einer der ein­fluß­reichs­ten His­to­ri­ker der Nach­kriegs­zeit. Sein Anse­hen ist bis heu­te groß, was auch mit der Wahr­neh­mung eines stren­ge­ren Theo­rie­be­zugs zu tun hat, wel­cher der Dis­zi­plin sonst man­gelt. Es bleibt aller­dings die Fra­ge, ob die Kon­zen­tra­ti­on Kosellecks auf theo­re­ti­sche Fra­gen nicht auch dem Zweck dien­te, sich von gewis­sen Gefah­ren­zo­nen der Geschichts­schrei­bung fern­zu­hal­ten. Daß er die­se kann­te, gut kann­te, war schon sei­nem genia­len Erst­ling Kri­tik und Kri­se (1959) zu ent­neh­men, der sich mit dem Vor­lauf der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on befaßt und dabei vor allem die ideo­lo­gi­schen Mineu­re behan­delt, die seit dem Beginn des 18. Jahr­hun­derts den Unter­grund des alten Euro­pa und der neu­en Staat­lich­keit zer­stört hat­ten. The­ma und Vor­ge­hens­wei­se waren nach­hal­tig durch Schmitt ange­regt, den Koselleck wäh­rend sei­ner Hei­del­ber­ger Stu­di­en­zeit über Nico­laus Som­bart ken­nen­ge­lernt hatte.
Die The­se, der Auf­stand der »Zwi­schen­ge­wal­ten« habe jenen »Bür­ger­krieg« aus­ge­löst, »unter des­sen Gesetz wir heu­te noch leben«, hat selbst­ver­ständ­lich Miß­trau­en geweckt, und Haber­mas warf Koselleck erwar­tungs­ge­mäß vor, den Fort­schritt »in Ver­ruf« zu brin­gen, aber sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Kar­rie­re hat das nicht gescha­det. 1965 erhielt er einen ers­ten Ruf nach Bochum, drei Jah­re spä­ter nach Hei­del­berg, in dem­sel­ben Jahr über­nahm er auch einen Sitz in der Grün­dungs­kom­mis­si­on der Uni­ver­si­tät Bie­le­feld. Ein ortho­do­xes Mit­glied der »Bie­le­fel­der Schu­le« ist Koselleck selbst­ver­ständ­lich nicht gewor­den, aber es gelang ihm in den sieb­zi­ger und acht­zi­ger Jah­ren stets, bei der intel­lek­tu­el­len Lin­ken den Ein­druck zu erwe­cken, daß er dazugehöre.
Wie wenig das tat­säch­lich zutraf, kann man sei­nem wis­sen­schaft­li­chen Haupt­werk ent­neh­men, der sich über Jahr­zehn­te erstre­cken­den Her­aus­ga­be des Hand­buchs Geschicht­li­che Grund­be­grif­fe. Denn es ging Koselleck dar­um, daß alle »Grund­be­grif­fe« kein Wesen an sich hät­ten. Sie näh­men viel­mehr teil am »seman­ti­schen Kampf, um poli­ti­sche oder sozia­le Posi­tio­nen zu defi­nie­ren und kraft der Defi­ni­tio­nen auf­recht­zu­er­hal­ten oder durchzusetzen«.
Neben den Geschicht­li­chen Grund­be­grif­fen ist auch noch auf die von Koselleck mit­her­aus­ge­ge­be­ne Rei­he »Poe­tik und Her­me­neu­tik« hin­zu­wei­sen, an der Wis­sen­schaft­ler ver­schie­de­ner Dis­zi­pli­nen mit­wirk­ten. 1980 erschien ein Band zum The­ma »Nie­der­gang«. In dem abschlie­ßen­den Essay befaß­te Koselleck sich mit der Fra­ge, inwie­weit die Wahr­neh­mung von Fort­schritt und Deka­denz auf his­to­ri­schen oder per­spek­ti­vi­schen Illu­sio­nen beru­he, wie sehr bei­de Dia­gno­sen vom Betrach­ter abhän­gig sei­en und nicht sel­ten das, was für den einen Fort­schritt bedeu­te für den ande­ren als Abstieg erschei­ne und umge­kehrt. Er ver­wies dar­auf, daß schon Rous­se­au und – schär­fer – Nietz­sche die­sen Sach­ver­halt genutzt hät­ten, um, wie Koselleck Nietz­sche zitiert: »Dem, was ent­ar­tet und abster­ben will, das Ver­lan­gen zum Ende ein­zu­ge­ben«. Dann setz­te er hin­zu: »Aber bre­chen wir hier ab«.

Mar­ti­ni, Win­fried (1905–1991)
sie­he Sezes­si­on 38, Sei­te 40f

Maschke, Gün­ter (*1943)
sie­he Inter­view sowie Sezes­si­on 38, Sei­te 41 f

Moh­ler, Armin (1920–2003)
sie­he Bio­gra­phie von Karl­heinz Weißmann
(Edi­ti­on Antai­os 2011)

San­der, Hans-Diet­rich (*1928)
San­der kam erst 1967 in direk­ten Kon­takt zu Schmitt, den Moh­ler ver­mit­telt hat­te. Zuvor hat­te er in West­ber­lin stu­diert, war dann eini­ge Jah­re Dra­ma­turg in Ost­ber­lin, um dann 1957 end­gül­tig nach West­deutsch­land über­zu­sie­deln. Dort war er, mit einer län­ge­ren Unter­bre­chung, bis 1968 Redak­teur der Welt, bei der er sich nach dem Tod Hans Zeh­rers zuneh­men­den Schwie­rig­kei­ten aus­ge­setzt sah. Er knüpf­te dar­auf­hin an sei­ne For­schun­gen zur Revo­lu­ti­ons­theo­rie an und wur­de von Hans-Joa­chim Schoeps mit einer Arbeit über »Mar­xis­ti­sche Ideo­lo­gie und all­ge­mei­ne Kunst­theo­rie« pro­mo­viert. Schmitt hat die­se Arbeit mit vie­len Rat­schlä­gen beglei­tet, und San­der dankt ihm dafür im Vor­wort. Bei­de führ­ten zwi­schen 1967 und 1981 einen umfang­rei­chen Brief­wech­sel (erschie­nen bei Antai­os, Schnell­ro­da 2008), in dem Schmitt immer wie­der Anre­gun­gen gab und hier wirk­lich als ein aka­de­mi­scher Geburts­hel­fer wirk­te. Er warn­te San­der davor, die Juden­fra­ge in der Gegen­wart zu erör­tern, was San­der den­noch tat, als er der zwei­ten Auf­la­ge sei­ner Dis­ser­ta­ti­on ein Corol­la­ri­um zum »Ort­lo­sen Mar­xis­mus« anhäng­te. Damit mani­fes­tier­te sich San­ders Außen­sei­ter­po­si­ti­on, die er nicht nur in der Öffent­lich­keit, son­dern auch inner­halb von Schmitts Schü­ler­schaft ein­nahm. Anfang der acht­zi­ger Jah­re ant­wor­te­te Schmitt nicht mehr auf die Brie­fe von San­der. Die Grün­de sind rät­sel­haft. San­der ver­mu­tet, daß es sei­ne Radi­ka­li­tät war, mit der er das Ver­hält­nis von Par­tei und Staat unter­su­chen woll­te, die Schmitt an sei­ne nie geschrie­be­ne »All­ge­mei­ne Staats­leh­re« erin­nert hät­te. San­der hat die­ses Pro­jekt, das er mit »Gast­mahl des Levia­than« über­schrieb, bis heu­te nicht voll­enden kön­nen. Aller­dings blieb er der ein­mal gewähl­ten Fra­ge­stel­lung treu, indem er die Zeit­schrift Staats­brie­fe her­aus­gab, die in den neun­zi­ger Jah­re wohl das inter­es­san­tes­te Theo­rie­or­gan von rechts gewe­sen ist.

Schroers, Rolf (1919–1981)
Schroers lern­te Schmitt 1955 ken­nen, als er Lek­tor des Ver­la­ges Kie­pen­heu­er & Witsch war, und blieb seit­dem in regem brief­li­chen Aus­tausch mit ihm. Der Sohn eines Gene­rals hat­te als Kriegs­heim­keh­rer in Müns­ter unter ande­rem Ger­ma­nis­tik und Geschich­te stu­diert und ver­such­te, sich zunächst als frei­er Schrift­stel­ler und Über­set­zer durch­zu­schla­gen. Sein Erst­ling von 1949, eine bio­gra­phi­sche Stu­die über T. E. Law­rence, brach­te ihn in die Grup­pe 47, von der er sich spä­ter lös­te und ihr vor­warf, ledig­lich eine lin­ke Inter­es­sen­ge­mein­schaft dar­zu­stel­len, die ande­re Welt­an­schau­un­gen kon­se­quent aus­ge­grenzt und dif­fa­miert habe. Er betei­lig­te sich in der Fol­ge an zahl­rei­chen Pro­jek­ten und Neu­grün­dun­gen von Zeit­schrif­ten, denen oft­mals kei­ne lan­ge Lebens­dau­er beschie­den war. Anfang der sech­zi­ger Jah­re schrieb er par­al­lel zu Schmitt an einem Buch über die Gestalt des Par­ti­sa­nen, das 1961 erschien. Schmitt nimmt in sei­ner Theo­rie des Par­ti­sa­nen (1963) dar­auf Bezug. Da der erhoff­te Erfolg als Schrift­stel­ler aus­blieb, sah sich Schroers nach einer fes­ten Anstel­lung um und schloß sich den Libe­ra­len an. Dort wur­de er 1965 Chef­re­dak­teur der Zeit­schrift libe­ral und war von 1968 bis zu sei­nem Tod Direk­tor der Theo­dor-Heuss-Aka­de­mie in Gum­mers­bach. Als FDP-Mit­glied ließ er sich zwei­mal als Direkt­kan­di­dat für den Bun­des­tag auf­stel­len, ohne aller­dings ein Man­dat zu errin­gen. Sei­ne Par­tei­nah­me für Schmitt, die sich nicht zuletzt in sei­nem Werk mit zahl­rei­chen Refe­ren­zen nie­der­schlug, sorg­te für Irri­ta­tio­nen, hat­te aber kei­ne nega­ti­ven Fol­gen für Schroers. Die Figur des Par­ti­sa­nen eig­ne­te sich offen­bar beson­ders gut, um die Schran­ke, die um Schmitt von links errich­tet wor­den war, zu durch­bre­chen. So kam auch der Sino­lo­ge und Mao­ist Joa­chim Schi­ckel (1924–2002), von 1952 bis 1982 Redak­teur beim Nord­deut­schen Rund­funk, über den Par­ti­sa­nen 1970 mit Schmitt ins Gespräch .

Sei­fert, Jür­gen (1928–2005)
Sei­fert hät­te die Bezeich­nung als »Schü­ler« Schmitts wohl nur mit star­ken Vor­be­hal­ten akzep­tiert, denn er war zeit sei­nes Lebens ein dezi­dier­ter Lin­ker und der »Links-Schmit­tis­mus« immer eine merk­wür­di­ge, min­des­tens heik­le Sache. Sei­fert gehör­te zwar auf­grund sei­ner Her­kunft zum Bür­ger­tum, das sich aller­dings durch die Fol­gen des Zwei­ten Welt­kriegs ent­mach­tet und ent­eig­net sah. Der Sohn eines Minis­te­ri­al­rats sah sich nach 1945 zuerst gezwun­gen, als Land­ar­bei­ter, dann als Werk­zeug­ma­cher sein Brot zu ver­die­nen, bevor er ein Stu­di­um auf­neh­men konnte.
Sei­fert beleg­te Jura und Phi­lo­so­phie in Müns­ter, wo er in Kon­takt zum Umfeld des berühm­ten Col­le­gi­um Phi­lo­so­phi­cum Joa­chim Rit­ters kam. Bei einem von den Brü­dern Böcken­för­de orga­ni­sier­ten Vor­trag lern­te er Schmitt 1955 per­sön­lich ken­nen und begann, sich inten­siv mit des­sen Posi­tio­nen aus­ein­an­der­zu­set­zen. Was ihn dabei vor allem anzog, war das ant­ago­nis­ti­sche Poli­tik­ver­ständ­nis und der Hin­weis auf die Gren­zen des Rechts­po­si­ti­vis­mus. Bei­des kom­bi­nier­te Sei­fert in sei­nen eige­nen Vor­stel­lun­gen von Sozia­lis­mus, die sich mit dem Kurs der SPD nach dem Godes­ber­ger Pro­gramm nur schwer zum Aus­gleich brin­gen lie­ßen. Als Mit­glied des SDS wur­de Sei­fert aus der Mut­ter­par­tei aus­ge­schlos­sen, beug­te sich aber nicht und gewann eine gewis­se Bekannt­heit als Kri­ti­ker der For­mier­ten Gesell­schaft wie der Not­stands­ge­set­ze, die er zurück­wies, auch und gera­de weil er sie als Aus­fluß Schmitt­scher Vor­stel­lun­gen betrach­te­te, die vom geg­ne­ri­schen Klas­sen­stand­punkt ihre Logik bezogen.
In der Atmo­sphä­re der sech­zi­ger Jah­re waren sol­che Stel­lung­nah­men durch­aus noch nicht kar­rie­re­för­dernd, und Sei­fert erhielt erst 1971 einen Lehr­stuhl an der Uni­ver­si­tät Han­no­ver, bezeich­nen­der­wei­se nicht an der rechts‑, son­dern an der sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Fakul­tät. In der Fol­ge­zeit hat er vor allem durch sei­nen vehe­men­ten Kampf gegen »Berufs­ver­bo­te« und die Anti-Ter­ror-Gesetz­ge­bung von sich reden gemacht und sogar den – nicht ganz unbe­grün­de­ten – Ver­dacht der Sym­pa­thie mit der RAF auf sich gezo­gen. Zu beto­nen ist aller­dings, daß Sei­fert ein vehe­men­ter Befür­wor­ter des Rechts auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung auch im Hin­blick auf sei­ne poli­ti­schen Geg­ner war und die öffent­li­che Debat­te als wich­tigs­tes Sti­mu­lans eines demo­kra­ti­schen Gemein­we­sens betrachtete.

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