Maschke, Herrera, Schmitt – Blick in neue Bücher

pdf der Druckfassung aus Sezession 42 / Juni 2011

Daß der »Dutschke von Wien« und kurzzeitige Kuba-Asylant Günter Maschke seinen Lebensweg einmal eng mit dem Werk von Carl Schmitt verknüpfen würde,...

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

war noch in den sieb­zi­ger Jah­ren nicht vor­aus­zu­se­hen. Sei­ne Beschäf­ti­gung mit Schmitt war kri­ti­scher Natur, was die­sem nicht ver­bor­gen blieb. Den­noch merk­te er, daß Maschke ihn nicht in den ein­ge­fah­re­nen Glei­sen kri­ti­sier­te. Nach der ers­ten Begeg­nung Ende 1979 ent­stand daher eine freund­schaft­li­che Bezie­hung, die bis zu Schmitts Tod hielt.

Maschke ver­ant­wor­te­te seit Anfang 1980 eine eige­ne Edi­ti­on als Ver­le­ger, die vom Deut­schen Ärz­te-Ver­lag finan­ziert wur­de, und konn­te Schmitt die Zustim­mung zur Neu­ver­öf­fent­li­chung eini­ger Wer­ke, dar­un­ter den Levia­than, abrin­gen. Wäh­rend sei­ne Geld­ge­ber Land und Meer mit einem knap­pen Nach­wort von Schmitt pas­sie­ren lie­ßen, woll­ten sie die Ver­öf­fent­li­chung des Levia­than mit der Begrün­dung ver­hin­dern, es hand­le sich um ein anti­se­mi­ti­sches Werk. Nach lan­gen Ver­hand­lun­gen gab es schließ­lich einen Kom­pro­miß: Maschke soll­te in einem Begleit­text Schmitts Werk ein­ord­nen und so Miss­ver­ständ­nis­sen vor­beu­gen. Das Buch erschien dann 1982 mit einem sech­zig­sei­ti­gen Nach­wort von Maschke, mit dem Schmitt nicht so recht, der Geld­ge­ber aber ganz und gar nicht zufrie­den war: Die »Edi­ti­on Maschke« wur­de zum Jah­res­en­de 1982 eingestellt.
Maschke indes sah dar­in kei­nen Grund, Schmitt von nun an zu mei­den. Im Gegen­teil: Den ein­mal ein­ge­schla­ge­nen Weg der exak­ten Rekon­struk­ti­on der Ent­ste­hungs­si­tua­tio­nen der Wer­ke Schmitts und deren Exege­se behielt er bei. Resul­ta­te die­ser jahr­zehn­te­lan­gen Arbeit sind vor allem die äußerst umfang­rei­chen Bän­de mit Auf­sät­zen Schmitts: Staat, Groß­raum, Nomos. Arbei­ten aus den Jah­ren 1916–1969 (Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 1995) und Frie­den oder Pazi­fis­mus? Arbei­ten zum Völ­ker­recht und zur inter­na­tio­na­len Poli­tik 1924–1978 (Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2005). Nun hat Maschke einen wei­te­ren, lan­ge erwar­te­ten Text von Schmitt in sei­ner so über­aus gründ­li­chen und gelehr­ten Art und Wei­se ediert: Staats­ge­fü­ge und Zusam­men­bruch des zwei­ten Rei­ches. Der Sieg des Bür­gers über den Sol­da­ten (Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2011, XLVI, 117 S. 38 €). Es han­delt sich um einen rät­sel­haf­ten Text aus der NS-Zeit, der aller­dings nicht, wie der Levia­than, am Ende sei­nes Enga­ge­ments stand, son­dern den Anfang markiert.
Schmitt hat die­se kur­ze Abhand­lung ein­mal als den »letz­ten Ver­such« bezeich­net, der »Reichs­wehr zur Hil­fe« zu kom­men. Sie erschien im April/Mai 1934 und damit kurz vor der ent­schei­den­den Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Röhms SA und Reichs­wehr. Daß sie Ein­fluß auf die Ent­wick­lung genom­men hat, ist unwahr­schein­lich, auch wenn zahl­rei­che Rezen­sio­nen erschie­nen und ent­schei­den­de Krei­se die Schrift auf­merk­sam stu­dier­ten. Maschke hat die Bespre­chun­gen zusam­men­ge­tra­gen und erläu­tert im Vor­wort die Argu­men­ta­ti­on Schmitts. Die­ser geht in sei­ner Schrift von einem fast schon manich­äi­schen Gegen­satz aus: dem »preu­ßi­schen Sol­da­ten­staat« auf der einen und dem »bür­ger­li­chen Kon­sti­tu­tio­na­lis­mus« auf der ande­ren Sei­te, deren Wider­streit für Deutsch­lands Zusam­men­bruch am Ende des Ers­ten Welt­kriegs ver­ant­wort­lich gewe­sen sei. Kon­kret ist Schmitt der Auf­fas­sung, daß im Zuge der Eini­gungs­krie­ge es Bis­marck zwar gelun­gen sei, das Reich zu errich­ten, er die­ses Ziel jedoch mit über­mä­ßi­gen Zuge­ständ­nis­sen an die Libe­ra­len erkauft habe. Schmitt macht das an dem (oft behan­del­ten) Indem­ni­täts­er­su­chen Bis­marcks an das Preu­ßi­sche Abge­ord­ne­ten­haus fest, bei dem er sich die finan­zi­el­le Sei­te der Hee­res­re­form nach­träg­lich bil­li­gen ließ. Er sieht dar­in eine Unter­wer­fung des sol­da­ti­schen Füh­rer­staats unter den Rechts­be­griff der libe­ra­len Oppo­si­ti­on, was schließ­lich im Plu­ra­lis­mus mün­de­te. Damit sei das zwei­te Reich in eine unheil­vol­le Schief­la­ge gekom­men, in der kein ein­heit­li­cher Wil­le mehr auf­zu­brin­gen gewe­sen sei, der Lan­des­ver­tei­di­gung alles unter­zu­ord­nen. Schmitts Kon­se­quenz dar­aus war sei­ne Par­tei­nah­me für den Natio­nal­so­zia­lis­mus, von dem er sich das »revo­lu­tio­nä­re Werk einer deut­schen Staats­ord­nung« erhoff­te. Mit die­ser Hoff­nung stand Schmitt, zumin­dest bis zum 30. Juni 1934, nicht allein. Daß aus der Erhe­bung dann gera­de kein »preu­ßi­scher Sol­da­ten­staat « folg­te, hat Schmitt erst mit eini­ger Ver­zö­ge­rung begriffen.

Schmitt war ohne Zwei­fel kein rei­ner Fach­ge­lehr­ter, son­dern ein uni­ver­sa­ler Geist, ein über­aus gebil­de­ter Jurist. Er ver­faß­te nicht nur als jun­ger Mann eine glän­zen­de Inter­pre­ta­ti­on des Groß­ge­dichts Das Nord­licht von Theo­dor Däub­ler, son­dern ließ in sei­nen Schrif­ten immer wie­der und gern sei­ne umfas­sen­den phi­lo­so­phi­schen Kennt­nis­se auf­schei­nen. Die fach- und lager­über­grei­fen­de Rezep­ti­on, die Schmitt bis heu­te erfährt, hat nicht zuletzt dar­in ihren Grund: Die Phi­lo­so­phie hat von Schmitt so man­che Anre­gung erhal­ten. Stell­ver­tre­tend sei an Hans Blu­men­bergs Legi­ti­mi­tät der Neu­zeit und Her­mann Lüb­bes Arbei­ten zum Dezi­sio­nis­mus erin­nert. Des­halb ist die Fra­ge nach der Stel­lung Schmitts »bezüg­lich der Tra­di­ti­on der prak­ti­schen Phi­lo­so­phie« sinnvoll.
So lau­tet der Unter­ti­tel eines Buches, das Carl Schmitt als poli­ti­schen Phi­lo­so­phen her­aus­stel­len möch­te (Hugo Edu­ar­do Her­rera: Carl Schmitt als poli­ti­scher Phi­lo­soph, Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2010, 143 S., 78 €). Nach der prak­ti­schen Phi­lo­so­phie wird gefragt, weil in ihren Bereich nicht nur die poli­ti­sche, son­dern auch die Rechts­phi­lo­so­phie fällt. Schmitt war nun aller­dings der Über­zeu­gung, daß die Phi­lo­so­phie eher ihren Platz in der Rechts­wis­sen­schaft haben soll­te und nicht umge­kehrt: »Für mich waren Sokra­tes, Pla­ton und Aris­to­te­les pri­mär Rechts­leh­rer und nicht das, was man heut­zu­ta­ge Phi­lo­so­phen nennt«. Aller­dings argu­men­tiert Schmitt mit einem wesent­lich erwei­ter­ten Begriff der Rechts­wis­sen­schaft, wenn er dar­un­ter die »Ent­wick­lung kon­kre­ter Begrif­fe aus der Imma­nenz einer kon­kre­ten Rechts­und Gesell­schafts­ord­nung« versteht.
Die­sem Anspruch spürt Her­rera in sei­ner Arbeit nach. Dabei geht er von einer Kon­ti­nui­tät im Werk Schmitts aus, die durch die NS-Zeit zwar unter­bro­chen, aber nicht been­det wor­den sei. Die Miß­ver­ständ­nis­se, denen das Werk Schmitts bis heu­te aus­ge­setzt sei, führt Her­rera auf des­sen Metho­de (»phä­no­me­no­lo­gisch, kon­kret ope­rie­ren­de Hal­tung«) zurück. Des­halb lau­tet sei­ne The­se salo­mo­nisch, daß Schmitts Den­ken eine offen­sicht­li­che Nähe zur Tra­di­ti­on der prak­ti­schen Phi­lo­so­phie auf­wei­se, obwohl wich­ti­ge Unter­schie­de bestün­den. Das ist nun, gelin­de gesagt, wenig ver­blüf­fend und hät­te den­noch inter­es­san­te Zusam­men­hän­ge ans Tages­licht brin­gen kön­nen. Her­rera beschränkt sich aller­dings auf eine Sich­tung der Lite­ra­tur zu Schmitt. Was dabei auf der Stre­cke bleibt, ist die Ver­or­tung Schmitts im phi­lo­so­phi­schen Kon­text sei­ner Zeit. Von eini­gen Hin­wei­sen auf Heid­eg­ger abge­se­hen, wird nicht deut­lich, ob Schmitt von der Phi­lo­so­phie Anre­gun­gen auf­ge­nom­men hat. Es paßt inso­fern ins Bild, daß Her­rera Schmitts klei­ne Schrift über Die Tyran­nei der Wer­te nicht erwähnt. Dabei fin­det sich gera­de dar­in eine Aus­ein­an­der­set­zung Schmitts mit prak­ti­scher Philosophie.
Die Schrift war lan­ge ver­grif­fen und liegt jetzt erst­mals als sepa­ra­te Ver­öf­fent­li­chung vor (Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2011, 91 S., 18 €). Der Text geht auf einen Vor­trag zurück, den Schmitt im Okto­ber 1959 zum The­ma »Tugend und Wert in der Staats­leh­re« in Ebrach gehal­ten hat. Aus­gangs­punkt ist die Über­le­gung von Ernst Forst­hoff, daß »das Lega­li­täts-Sys­tem des bür­ger­li­chen Rechts­staa­tes mit einem Wort und Begriff wie Tugend nichts mehr anzu­fan­gen weiß«. Des­halb sei man, so Schmitt, im zwei­ten Reich auf den Wert als Ersatz ver­fal­len, der seit 1949 auch die Recht­spre­chung domi­nie­re. Schmitt kri­ti­siert in die­sem Zusam­men­hang auch die Wert­phi­lo­so­phie des Neu­kan­ti­a­nis­mus und setzt sich mit deren Annah­men und Kon­se­quen­zen aus­ein­an­der. Er zeigt, daß es unmög­lich ist, den Wert zu defi­nie­ren, daß Den­ken in Wer­ten sei­nen Ursprung in der Öko­no­mie hat und zwangs­läu­fig zu Ent­wer­tun­gen führt. Wer­te exis­tie­ren nicht an sich, son­dern wer­den gesetzt und müs­sen dann durch­ge­setzt wer­den, sonst sind sie wert­los. Schmitt schöpft auch hier die zahl­rei­chen Über­le­gun­gen der Phi­lo­so­phie zu die­sem The­ma nicht aus, wie Chris­toph Schön­ber­ger in sei­nem Nach­wort zeigt. Die klei­ne Schrift Schmitts bleibt aber ein bis heu­te aktu­el­ler Hin­weis auf die Gren­zen prak­ti­scher Phi­lo­so­phie, die ins­be­son­de­re von Kon­ser­va­ti­ven und ihrem Rück­griff auf »Wer­te« ger­ne ver­ges­sen werden.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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