Politische Theologie von links

pdf der Druckfassung aus Sezession 42 / Juni 2011

von Johannes Ludwig

In theologischen Fachkreisen hat sich nach dem Erscheinen von Carl Schmitts Studie über die Politische Theologie (1922) rasch eine Auffassung durchgesetzt,...

die sich bis heu­te hält: Schmitts Hin­weis, daß reli­giö­se oder reli­gi­ons­ar­ti­ge Über­zeu­gun­gen immer die Grund­la­ge poli­ti­scher Über­zeu­gun­gen bil­de­ten, sei falsch. Schmitt hat sei­ne Kri­ti­ker noch zu Leb­zei­ten wider­legt, den­noch hält sich die »Legen­de von der Erle­di­gung jeder poli­ti­schen Theo­lo­gie« (Carl Schmitt) gera­de in der Theo­lo­gie hartnäckig.

Es gibt jedoch eine cha­rak­te­ris­ti­sche Aus­nah­me: die von Johann Bap­tist Metz begrün­de­te »Neue Poli­ti­sche Theo­lo­gie«. Metz ist katho­li­scher Theo­lo­gie und gehör­te in den sieb­zi­ger Jah­ren zu denen, die der kryp­to­kom­mu­nis­ti­schen »Theo­lo­gie der Befrei­ung« grund­sätz­lich wohl­wol­lend gegen­über­stan­den. Deren ins Auge sprin­gen­den Pro­ble­me – die Legi­ti­mie­rung ter­ro­ris­ti­scher Gewalt und die Ten­denz zur Ver­wech­se­lung von Sozi­al­po­li­tik mit der Errich­tung des Got­tes­rei­ches – ver­such­te er zu ent­ge­hen, ohne sei­ne Sym­pa­thie für das befrei­ungs­theo­lo­gi­sche »Anlie­gen« auf­zu­ge­ben. In eine Außen­sei­ter­po­si­ti­on geriet Metz aber weni­ger damit als mit sei­ner Ver­wen­dung des Begriffs »Poli­ti­sche Theo­lo­gie«, der eben als durch Carl Schmitt dis­kre­di­tiert galt.
Mitt­ler­wei­le gibt es aber eine gan­ze theo­lo­gi­sche Schu­le, die sich auf Metz beruft und sich kon­se­quent »Neue Poli­ti­sche Theo­lo­gie« nennt. Seit 1996 geben Schü­ler von Metz ein Jahr­buch Poli­ti­sche Theo­lo­gie her­aus. Des­sen fünf­ter und neu­es­ter Band ist 2008 erschie­nen (Jür­gen Manemann/ Bernd Wacker (Hrsg.): Poli­ti­sche Theo­lo­gie – gegen­ge­le­sen, Ber­lin 2008). Er bie­tet eine Rei­he von Auf­sät­zen zu Ein­zel­aspek­ten poli­ti­scher Theo­lo­gie; in den meis­ten Fäl­len aber – wie es sich für eine »rich­ti­ge« Schu­le auch gehört – nicht zum Zweck der Ana­ly­se, son­dern der Selbst­ver­ge­wis­se­rung. Den trau­ri­gen Höhe­punkt bil­det ein Ver­riß von Mar­tin Mose­bachs Häre­sie der Form­lo­sig­keit (zuletzt Mün­chen 2007), dem vor­ge­wor­fen wird, einer anti­de­mo­kra­ti­schen Selbst­ent­mün­di­gung des Gläu­bi­gen in der Lit­ur­gie das Wort zu reden. Immer­hin kom­men in dem Band aber auch Außen­ste­hen­de zu Wort, so etwa der Neu­tes­ta­ment­ler Klaus Ber­ger, der in einem kur­zen Bei­trag gegen die The­se vom not­wen­dig into­le­rant-gewalt­tä­ti­gen Mono­the­is­mus zu Fel­de zieht.
Der Haupt­bei­trag des Jahr­buchs stammt von Bernd Wacker und Jür­gen Mane­mann, zwei Schü­lern von Metz, die den Ver­such unter­neh­men, »Poli­ti­sche Theo­lo­gie« begriffs­ge­schicht­lich ein­zu­ord­nen und sich dabei auch mit dem eige­nen Ver­hält­nis zu Carl Schmitt beschäf­ti­gen. Schmitt, so die Autoren, habe letzt­lich bloß eine ideo­lo­gi­sche Begrün­dung für sei­ne reak­tio­nä­re poli­ti­sche Posi­ti­on gesucht und in der Behaup­tung gefun­den, daß Theo­lo­gie und Poli­tik struk­tur­ana­log sei­en, daß also meta­phy­sisch-reli­giö­se Über­zeu­gun­gen die eigent­li­che Grund­la­ge für poli­ti­sche Über­zeu­gun­gen bil­den wür­den. Die »Neue Poli­ti­sche Theo­lo­gie« gren­ze sich aus­drück­lich von die­ser Vor­stel­lung ab; es han­de­le sich bei ihr im Prin­zip um eine »Neu­schöp­fung« des Begriffs.
Man glaubt das auch sofort, wenn man einen Blick auf die Inhal­te die­ser »Neu­en Poli­ti­schen Theo­lo­gie« wirft. Unter Beru­fung auf die bibli­sche Pro­phe­tie und den »Auf­bruch« von 1968 sol­len vier her­aus­for­dern­de »Kri­sen« bewäl­tigt wer­den: die Moder­ne mit ihrer Ten­denz zur Säku­la­ri­sie­rung sämt­li­cher Lebens­be­rei­che, »Ausch­witz« als Sym­bol für die »Sin­gu­la­ri­tät der Shoa« und deren blei­ben­de Gefahr, der fal­sche »Euro­zen­tris­mus« der Kir­che und die vor allem sozia­len Pro­ble­me der Glo­ba­li­sie­rung. Was das jeweils kon­kret bedeu­tet, erklärt Metz selbst in einem auto­bio­gra­phi­schen Bei­trag für das Jahr­buch: Sei­ne Poli­ti­sche Theo­lo­gie sei vor allem eine Theo­lo­gie »nach Ausch­witz«, also eine Theo­lo­gie, die dazu bei­tra­gen sol­le, die »Wie­der­ho­lung einer Kata­stro­phe wie der von Ausch­witz« für immer zu ver­hin­dern. Dazu sei es nötig, jene ver­brei­te­te Apa­thie und »kul­tu­rel­le Amne­sie« zu bekämp­fen, der das Leid in der Welt gleich­gül­tig sei. Ein Ernst­neh­men der tra­di­tio­nel­len Theo­di­ze­efra­ge kön­ne dage­gen aber nur bedeu­ten, Gerech­tig­keit ange­sichts sozia­len und kul­tu­rel­len Leids ein­zu­for­dern und an der Besei­ti­gung von Unge­rech­tig­kei­ten aktiv mitzuwirken.
So sehr das alles nach links­li­be­ra­lem Main­stream klingt – die »Neue Poli­ti­sche Theo­lo­gie« sieht sich selbst wei­ter­hin in einer Außen­sei­ter­po­si­ti­on. Die Her­aus­ge­ber des Jahr­buchs und Autoren des Haupt­bei­trags, Jür­gen Mane­mann und Bernd Wacker, füh­ren das auf den Ver­dacht »poli­tisch instru­men­ta­li­sier­ter theo­lo­gi­scher Selbst­er­mäch­ti­gung, dies­mal von links«, zurück, der in der Theo­lo­gie wei­ter­hin vor­herr­schend sei. Ange­sichts der poli­ti­schen Prä­fe­ren­zen der mitt­ler­wei­le Ton­an­ge­ben­den in evan­ge­li­scher wie katho­li­scher Kir­che Deutsch­lands ist das aber nur wenig plau­si­bel. Wahr­schein­li­cher ist, daß die man­geln­de Akzep­tanz der »Neu­en Poli­ti­schen Theo­lo­gie« mit dem Eier­tanz zusam­men­hängt, den sie um Carl Schmitt betreibt. Der Bei­trag von Mane­mann und Wacker zur Begriffs­ge­schich­te poli­ti­scher Theo­lo­gie illus­triert das sehr deut­lich: Ihr Durch­gang von der anti­ken theo­lo­gia civi­lis über die poli­tisch-funk­tio­na­le Nut­zung reli­giö­ser Bestän­de im 17. und 18. Jahr­hun­dert bis zu dem Plä­doy­er der Gegen­re­vo­lu­tio­nä­re des 19. Jahr­hun­derts für einen christ­li­chen Staat zeigt ein­drucks­voll, in wel­che Tra­di­ti­on die Poli­ti­sche Theo­lo­gie Carl Schmitts ein­ge­ord­net wer­den kann. Wenn die »Neue Poli­ti­sche Theo­lo­gie« etwas ganz ande­res sein soll, dann wäre es viel­leicht wirk­lich bes­ser gewe­sen, wenn man der Sache einen ande­ren Begriff gege­ben hätte.
Daß man das nicht getan hat, füh­ren Mane­mann und Wacker dar­auf zurück, daß bei aller Unter­schied­lich­keit eben doch zwi­schen »alter« und »neu­er« Poli­ti­scher Theo­lo­gie eine Rei­he struk­tu­rel­ler Gemein­sam­kei­ten bestün­de: ihr Cha­rak­ter als Zeit­dia­gno­se, ihr Wider­wil­le gegen die säku­la­ris­ti­sche Pri­va­ti­sie­rung der Reli­gi­on und die Ver­an­ke­rung der Poli­tik »im Rück­be­zug auf Tran­szen­denz«. Die Autoren ver­su­chen anschlie­ßend, die­se Gemein­sam­kei­ten durch die Beto­nung der inhalt­li­chen Diver­gen­zen wett­zu­ma­chen, aber in der Sache gelingt ihnen das nicht. Ohne es zu wol­len, blei­ben sie letzt­lich Schmitt-Schü­ler, wenn auch in einer inhalt­lich dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setz­ten, fast schon gro­tes­ken Form. Denn was sie und Metz nun ein­mal von Schmitt – und von kei­nem ande­ren – gelernt haben, ist der fun­da­men­ta­le Zusam­men­hang zwi­schen Reli­gi­on und Poli­tik, der sich unter den Bedin­gun­gen der Säku­la­ri­sie­rung eben in poli­ti­schen Reli­gio­nen und poli­ti­schen Theo­lo­gien Gel­tung verschafft.

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