der an unseren Kindern verübt wird und darum, wie man die Kleinen der akuten Gefahrenzone entreißt. Nun wird das Klagelied der armen, reichen Kinder seit Jahrzehnten gespielt, und kaum ein auch nur mittelmäßig verstandesbegabter Erwachsener würde behaupten, daß der materielle Wohlstand in Kinderzimmern wesentlich zum Glück der Söhne und Töchter beiträgt. Also: offene Türen, die von der Autorin eingerannt werden? Mitnichten. Auch erfahrene und selbstbewußte Eltern mit präzisen erzieherischen Vorstellung finden hier Anregung, Rückhalt und argumentatives Rüstzeug.
Es scheine, schreibt Gaschke mit Blick auf einen konkreten, aber recht durchschnittlichen Mehrfamilienhof, als hätten die Sachen die Kinder vertrieben. Das kreative, improvisierte Spiel (Räuber&Gendarm, Indianer oder Zirkus) ist den stationären Spielstationen (von den grellen Spielhäusern für die Kleinsten bis zur elektronischen „Spiel“konsole) gewichen. 20 Milliarden Euro jährlich stehen den 6–19jährigen hierzulande zur Verfügung, überdies seien die Eltern heute extrem anfällig für gutgemeinte Kompensationskäufe: Wer sein Kind schon mit einem zerrütteten Elternhaus oder mit berufsbedingter Abwesenheit konfrontieren muß, möchte solche Mankos wenigstens durch materielle Schmankerl abmildern.
Es sind fragwürdige „Ablaßgelder“, die sie zahlen. Zudem steht diffus die Dauerdrohung im Raum: Zum Außenseiter, der nicht mitreden kann, zum Mobbingopfer aufgrund rückständiger Ausstattung soll das eigene Kind keinesfalls werden! Gaschke hat beachtlichen Rechercheaufwand betrieben, an brancheninternen Kongresse (mitstenografierter Insider-Tip: „Mach einfach was, was richtigrichtig supergeil ist!“) teilgenommen und die Chefetagen besucht: Von Lego, von Super RTL, Toys´R´us und Egmont Ehapa, jenem Verlag, der beispielsweise das monatliche Hannah-Montana-Fanmagazin (90.000 Auflage) und das Power-Rangers-Magazin (120.000) herausbringt. Sympathische Leute, die gar einstimmen in Gaschkes Klage über den nicht nur unsinnigen, sondern anti-pädagigischen Verflachungstrend.
Aber, so heißt es unisono: Die Kinder wollen das, die Eltern kaufen es – also machen wir alles richtig. Die Rede von „Kindern“ ist allerdings rar, marketingtechnisch korrekt wird von Kids, Pre-Teens und Tweens gesprochen; sie bilden nach Aussage der Marktkenner die „kompetenteste, schnellste, fortschrittlichste Generation aller Zeiten.“ Gaschke bezweifelt, ob man die Fähigkeit, Knöpfe zu drücken, unter Kompetenzmerkmalen rubrifizieren sollte und fragt, wie Neugier und Begeisterung geweckt werden sollen, wo allenthalben „Coolness“ als übermächtiges Leitbild propagiert wird. Marktfähig sind, Originalton eines Brachenkenners, „crazy Sachen, die Teens klasse finden, Mütter aber verstörend“.
Coolness im Kinderzimmer, das belegt die 44jährige an zahlreichen Beispielen bedeutet, sich überlegen zufühlen, weil man auf dem neuesten Stand ausgestatte ist, sich älter zu benehmen als man ist, Erwachsene zu hassen, rebellieren und Tabus zu brechen. Es sei kein Wunder, daß Kinder sich wie Halbstarke benähmen, wenn sie Eltern haben, die selbst halbstark sind. „Die Vorstellung von der menschlichen Weiterentwicklung als Höherentwicklung schwindet“, beklagt Gaschke, und wie in jedem ihrer hervorragenden Bücher schwingt die Angst mit, verwechselt zu werden – den „Killervorwurf“ des Kulturpessimismus weist sie zum wiederholten Male weit von sich .
Nein, aller urkonservativer Gediegenheit ihrer Argumentation zum Trotze ist die Frau keine Reaktionärin. Daher sieht sie die Schuld an der Spielzimmermisere auch zu großen Teilen bei den Arbeitgebern, die jungen Eltern „keine vernünftigen Arbeitszeitmodelle“ anbieten. Im übrigen beklagt sie wie zahlreiche andere Publizistinnen (an prominenter Stelle Bascha Mika und Natasha Walter) die Rosa-/Pinkschwemme, die derzeit in Mädchenzimmer flutet, meist in Gestalt einer gewissen Lilifee, deren „Dinge-Imperium“ (von Bettwäsche über Tapeten bis zum Schminktischchen) dem Coppenrath-Verlag Millionenerträge eingebracht hat.
Das Grauen vor der rosa vernebelten Mädchenwelt mag man teilen, Gaschkes Folgerungen aber nur zum Teil. Die „pinke Krankheit“ erziehe die kleinen Damen zu Niedlichkeit und Harmlosigkeit und habe damit womöglich einen Anteil an der karrieremäßigen Zurückhaltung von Frauen. Derart rosig vorgeprägt (Gaschke müßte ahnen, daß sich jeder weibliche Wildfang bereits aus Neigung solcher Glitzerwelt entzieht!) „schlucken sie auch die Zuschreibungen des erwachsenen weiblichen Rollenbildes.“ Die Autorin bevorzugt andere Rollenvorbilder, nämlich Astronautinnen, Forscherinnen und Regisseurinnen. Was im Grunde in Ordnung geht – nur, werden diejenigen dann zu jenen Mütter, die das leisten, was Gaschke wieder und wieder fordert: nämlich Zeit für ihre Kinder zu haben?
Eingeschränkt zweckmäßig ist die (neun aktuelle Titel beinhaltende) Buchempfehlungsliste. Ein wirklich „junger Leser“ (ihr Buch befaßt sich ja weitgehend mit der Lebenswelt von Grundschulkindern) wird mit Büchern wie Janne Tellers Nichts oder Lauren Olivers Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei gnadenlos überfordert.
Nichtsdestotrotz: Ein hervorragendes Buch, nicht zuletzt eine Verschenkempfehlung.
(Susanne Gaschke: Die verkaufte Kindheit. Wie Kinderwünsche vermarktet werden und was Eltern dagegen tun können. Pantheon 2011, 270 S., 14.99 €)