Die verkaufte Kindheit

Titel wie Titelbild (Rosapüppchen und Plastemonster) sind sprechend: Der Zeit-Redakteurin Susanne Gaschke geht es um den Konsumterror,...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

der an unse­ren Kin­dern ver­übt wird und dar­um, wie man die Klei­nen der aku­ten Gefah­ren­zo­ne ent­reißt. Nun wird das Kla­ge­lied der armen, rei­chen Kin­der seit Jahr­zehn­ten gespielt, und kaum ein auch nur mit­tel­mä­ßig ver­stan­des­be­gab­ter Erwach­se­ner wür­de behaup­ten, daß der mate­ri­el­le Wohl­stand in Kin­der­zim­mern wesent­lich zum Glück der Söh­ne und Töch­ter bei­trägt. Also: offe­ne Türen, die von der Autorin ein­ge­rannt wer­den? Mit­nich­ten. Auch erfah­re­ne und selbst­be­wuß­te Eltern mit prä­zi­sen erzie­he­ri­schen Vor­stel­lung fin­den hier Anre­gung, Rück­halt und argu­men­ta­ti­ves Rüstzeug.

Es schei­ne, schreibt Gasch­ke mit Blick auf einen kon­kre­ten, aber recht durch­schnitt­li­chen Mehr­fa­mi­li­en­hof, als hät­ten die Sachen die Kin­der ver­trie­ben. Das krea­ti­ve, impro­vi­sier­te Spiel (Räuber&Gendarm, India­ner oder Zir­kus) ist den sta­tio­nä­ren Spiel­sta­tio­nen (von den grel­len Spiel­häu­sern für die Kleins­ten bis zur elek­tro­ni­schen „Spiel“konsole) gewi­chen. 20 Mil­li­ar­den Euro jähr­lich ste­hen den 6–19jährigen hier­zu­lan­de zur Ver­fü­gung, über­dies sei­en die Eltern heu­te extrem anfäl­lig für gut­ge­mein­te Kom­pen­sa­ti­ons­käu­fe: Wer sein Kind schon mit einem zer­rüt­te­ten Eltern­haus oder mit berufs­be­ding­ter Abwe­sen­heit kon­fron­tie­ren muß, möch­te sol­che Man­kos wenigs­tens durch mate­ri­el­le Schman­kerl abmildern.

Es sind frag­wür­di­ge „Ablaß­gel­der“, die sie zah­len. Zudem steht dif­fus die Dau­er­dro­hung im Raum: Zum Außen­sei­ter, der nicht mit­re­den kann, zum Mob­bing­op­fer auf­grund rück­stän­di­ger Aus­stat­tung soll das eige­ne Kind kei­nes­falls wer­den! Gasch­ke hat beacht­li­chen Recher­che­auf­wand betrie­ben, an bran­chen­in­ter­nen Kon­gres­se (mit­ste­no­gra­fier­ter Insi­der-Tip: „Mach ein­fach was, was rich­tig­rich­tig super­geil ist!“) teil­ge­nom­men und die Chef­eta­gen besucht: Von Lego, von Super RTL, Toys´R´us und Egmont Eha­pa, jenem Ver­lag, der bei­spiels­wei­se das monat­li­che Han­nah-Mon­ta­na-Fan­ma­ga­zin (90.000 Auf­la­ge) und das Power-Ran­gers-Maga­zin (120.000) her­aus­bringt. Sym­pa­thi­sche Leu­te, die gar ein­stim­men in Gasch­kes Kla­ge über den nicht nur unsin­ni­gen, son­dern anti-päd­a­gigi­schen Verflachungstrend.

Aber, so heißt es uni­so­no: Die Kin­der wol­len das, die Eltern kau­fen es – also machen wir alles rich­tig. Die Rede von „Kin­dern“ ist aller­dings rar, mar­ke­ting­tech­nisch kor­rekt wird von Kids, Pre-Teens und Tweens gespro­chen; sie bil­den nach Aus­sa­ge der Markt­ken­ner die „kom­pe­ten­tes­te, schnells­te, fort­schritt­lichs­te Gene­ra­ti­on aller Zei­ten.“ Gasch­ke bezwei­felt, ob man die Fähig­keit, Knöp­fe zu drü­cken, unter Kom­pe­tenz­merk­ma­len rubri­fi­zie­ren soll­te und fragt, wie Neu­gier und Begeis­te­rung geweckt wer­den sol­len, wo allent­hal­ben „Cool­ness“ als über­mäch­ti­ges Leit­bild pro­pa­giert wird. Markt­fä­hig sind, Ori­gi­nal­ton eines Bra­chen­ken­ners, „cra­zy Sachen, die Teens klas­se fin­den, Müt­ter aber verstörend“.

Cool­ness im Kin­der­zim­mer, das belegt die 44jährige an zahl­rei­chen Bei­spie­len bedeu­tet, sich über­le­gen zufüh­len, weil man auf dem neu­es­ten Stand aus­ge­stat­te ist, sich älter zu beneh­men als man ist, Erwach­se­ne zu has­sen, rebel­lie­ren und Tabus zu bre­chen. Es sei kein Wun­der, daß Kin­der sich wie Halb­star­ke benäh­men, wenn sie Eltern haben, die selbst halb­stark sind. „Die Vor­stel­lung von der mensch­li­chen Wei­ter­ent­wick­lung als Höher­ent­wick­lung schwin­det“, beklagt Gasch­ke, und wie in jedem ihrer her­vor­ra­gen­den Bücher schwingt die Angst mit, ver­wech­selt zu wer­den – den „Kil­ler­vor­wurf“ des Kul­tur­pes­si­mis­mus weist sie zum wie­der­hol­ten Male weit von sich .

Nein, aller urkon­ser­va­ti­ver Gedie­gen­heit ihrer Argu­men­ta­ti­on zum Trot­ze ist die Frau kei­ne Reak­tio­nä­rin. Daher sieht sie die Schuld an der Spiel­zim­mer­mi­se­re auch zu gro­ßen Tei­len bei den Arbeit­ge­bern, die jun­gen Eltern „kei­ne ver­nünf­ti­gen Arbeits­zeit­mo­del­le“ anbie­ten. Im übri­gen beklagt sie wie zahl­rei­che ande­re Publi­zis­tin­nen (an pro­mi­nen­ter Stel­le Bascha Mika und Nata­sha Wal­ter) die Rosa-/Pink­schwem­me, die der­zeit in Mäd­chen­zim­mer flu­tet, meist in Gestalt einer gewis­sen Lili­fee, deren „Din­ge-Impe­ri­um“ (von Bett­wä­sche über Tape­ten bis zum Schmink­tisch­chen) dem Cop­pen­rath-Ver­lag Mil­lio­nen­er­trä­ge ein­ge­bracht hat.

Das Grau­en vor der rosa ver­ne­bel­ten Mäd­chen­welt mag man tei­len, Gasch­kes Fol­ge­run­gen aber nur zum Teil. Die „pin­ke Krank­heit“ erzie­he die klei­nen Damen zu Nied­lich­keit und Harm­lo­sig­keit und habe damit womög­lich einen Anteil an der kar­rie­re­mä­ßi­gen Zurück­hal­tung von Frau­en. Der­art rosig vor­ge­prägt (Gasch­ke müß­te ahnen, daß sich jeder weib­li­che Wild­fang bereits aus Nei­gung sol­cher Glit­zer­welt ent­zieht!) „schlu­cken sie auch die Zuschrei­bun­gen des erwach­se­nen weib­li­chen Rol­len­bil­des.“ Die Autorin bevor­zugt ande­re Rol­len­vor­bil­der, näm­lich Astro­nau­tin­nen, For­sche­rin­nen und Regis­seu­rin­nen. Was im Grun­de in Ord­nung geht – nur, wer­den die­je­ni­gen dann zu jenen Müt­ter, die das leis­ten, was Gasch­ke wie­der und wie­der for­dert: näm­lich Zeit für ihre Kin­der zu haben?

Ein­ge­schränkt zweck­mä­ßig ist die (neun aktu­el­le Titel beinhal­ten­de) Buch­emp­feh­lungs­lis­te. Ein wirk­lich „jun­ger Leser“ (ihr Buch befaßt sich ja weit­ge­hend mit der Lebens­welt von Grund­schul­kin­dern) wird mit Büchern wie Jan­ne Tel­lers Nichts oder Lau­ren Oli­vers Wenn du stirbst, zieht dein gan­zes Leben an dir vor­bei gna­den­los überfordert.

Nichts­des­to­trotz: Ein her­vor­ra­gen­des Buch, nicht zuletzt eine Verschenkempfehlung.

(Susan­ne Gasch­ke: Die ver­kauf­te Kind­heit. Wie Kin­der­wün­sche ver­mark­tet wer­den und was Eltern dage­gen tun kön­nen. Pan­the­on 2011, 270 S., 14.99 €)

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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