Das April-Gedicht: Die Wallfahrt nach Kevlaar

Am Mittwoch ist Liedertafel in Schnellroda. Wir sitzen zu zehnt, zwölft und trinken Bier und singen Volkslieder und...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Bün­di­sches – kei­ne Chor­sät­ze, allen­falls zwei­stim­mig. Da ist auch einer dabei, der bringt manch­mal sei­ne Gitar­re mit und eine Mund­har­mo­ni­ka mit einem Gestell dran, das er sich um den Hals legt. Dann hat er die Hän­de frei und er bläst und klampft gleich­zei­tig, meist was Rockiges.

Heu­te prob­ten wir ein biß­chen frü­her, weil um 20.45 Uhr Anpfiff war, Wales gegen Deutsch­land. Aber wir über­zo­gen doch, und der Wirt schal­te­te spä­ter zu, und wir setz­ten uns um, damit wir den Bild­schirm sehen konn­ten. Neben mir saß der Mund­har­mo­ni­ka-Git­ta­rist, und plötz­lich sag­te er: “Kennst du eigent­lich was von Heine?”

Die Fra­ge kam mir gar nicht selt­sam vor, ich bejah­te, und da war er nicht zu brem­sen und schwärm­te vom “Tann­häu­ser”, von den “Nacht­ge­dan­ken” und vor allem von einem Gedicht: von der “Wall­fahrt nach Kev­la­ar”. Ob ich es hören wol­le? Ja, klar. Und er hat es mir auf­ge­sagt, ohne Feh­ler, und strich dabei mit der Hand­flä­che über die Tisch­plat­te, je Vers ein Strich, mit der Hand ver­har­rend, wenn er kurz über­le­gen muß­te. Danach schau­ten wir das Spiel zuende.

Die Wall­fahrt nach Kevlaar
von Hein­rich Heine

1
Am Fens­ter stand die Mutter,
Im Bet­te lag der Sohn.
“Willst du nicht auf­stehn, Wilhelm,
Zu schaun die Prozession?”

“Ich bin so krank, o Mutter,
Daß ich nicht hör und seh;
Ich denk an das tote Gretchen,
Da tut das Herz mir weh.” -

“Steh auf, wir wol­len nach Kevlaar,
Nimm Buch und Rosenkranz;
Die Mut­ter Got­tes heilt dir
Dein kran­kes Her­ze ganz.”

Es flat­tern die Kirchenfahnen,
Es singt im Kirchenton;
Das ist zu Köl­len am Rheine,
Da geht die Prozession.

Die Mut­ter folgt der Menge,
Den Sohn, den füh­ret sie,
Sie sin­gen bei­de im Chore:
Gelobt seist du Marie!

2
Die Mut­ter Got­tes zu Kevlaar
Trägt heut ihr bes­tes Kleid;
Heut hat sie viel zu schaffen,
Es kom­men viel kran­ke Leut.

Die kran­ken Leu­te bringen
Ihr dar, als Opferspend,
Aus Wachs gebil­de­te Glieder,
Viel wäch­ser­ne Füß und Händ.

Und wer eine Wachs­hand opfert,
Dem heilt an der Hand die Wund;
Und wer einen Wachs­fuß opfert,
Dem wird der Fuß gesund.

Nach Kev­la­ar ging man­cher auf Krücken,
Der jet­zo tanzt auf dem Seil,
Gar man­cher spielt jetzt die Bratsche,
Dem dort kein Fin­ger war heil.

Die Mut­ter nahm ein Wachslicht,
Und bil­de­te draus ein Herz.
“Bring das der Mut­ter Gottes,
Dann heilt sie dei­nen Schmerz.”

Der Sohn nahm seuf­zend das Wachsherz,
Ging seuf­zend zum Heilgenbild;
Die Trä­ne quillt aus dem Auge,
Das Wort aus dem Her­zen quillt:

“Du hoch­ge­be­ne­dei­te,
Du rei­ne Gottesmagd,
Du Köni­gin des Himmels,
Dir sei mein Leid geklagt!

Ich wohn­te mit mei­ner Mutter
Zu Köl­len in der Stadt,
Der Stadt, die vie­le hundert
Kapel­len und Kir­chen hat.

Und neben uns wohn­te Gretchen,
Doch die ist tot jetzund -
Marie, dir bring ich ein Wachsherz,
Heil du mei­ne Herzenswund.

Heil du mein kran­kes Herze -
Ich will auch spät und früh
Inbrüns­tig­lich beten und singen:
Gelobt seist du, Marie!”

3
Der kran­ke Sohn und die Mutter,
Die schlie­fen im Kämmerlein;
Da kam die Mut­ter Gottes
Ganz lei­se geschli­chen herein.

Sie beug­te sich über den Kranken,
Und leg­te ihre Hand
Ganz lei­se auf sein Herze,
Und lächel­te mild und schwand.

Die Mut­ter schaut alles im Traume,
Und hat noch mehr geschaut;
Sie erwach­te aus dem Schlummer,
Die Hun­de bell­ten so laut.

Da lag dahingestrecket
Ihr Sohn, und der war tot;
Es spielt auf den blei­chen Wangen
Das lich­te Morgenrot.

Die Mut­ter fal­tet die Hände,
Ihr war, sie wuß­te nicht wie;
Andäch­tig sang sie leise:
“Gelobt seist du, Marie!”

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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