Existentielle Fragen – ein Interview mit Arne Schimmer (NPD)

Jeder Terrorist hat ein Umfeld, das ihn nährt. Beim Zwickauer Trio soll es die NPD gewesen sein, oder das Vorfeld der NPD...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

oder der NPD-nahe „auto­no­me Natio­na­lis­mus“. NPD jeden­falls, wenns um die Schmud­del­kin­der geht, rei­chen Asso­zia­tio­nen: Über ihr Ver­bot wird nun im Zuge des „Thü­rin­gi­schen Herbs­tes“ erneut dis­ku­tiert – Zeit, einen NPD-Funk­tio­när zu Wort kom­men zu las­sen, den ich sehr gut kenne.

Arne Schim­mer, Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter der NPD in Sach­sen, hat in Schnell­ro­da als Lek­tor ein knap­pes Jahr lang gear­bei­tet, bevor ich ihn nach dem ers­ten Ein­zug der NPD in den säch­si­schen Land­tag 2004 vor die Wahl stell­te, ent­we­der ganz und gar beim Ver­lag, mit­hin völ­lig par­tei­un­ab­hän­gig und über­zeugt von einer inhalt­li­chen Distanz zwi­schen uns und der NPD zu arbei­ten oder aber ein Wech­sel­an­ge­bot nach Dres­den anzu­neh­men. Schim­mer ging.

Ges­tern nun rief ich ihn an und stell­te eini­ge Fra­gen, inter­view­te also jeman­den, der bis­her zu den unge­heu­ren Vor­wür­fen einer Ver­qui­ckung sei­ner Par­tei mit den „Döner-Mor­den“ nicht zu Wort kam – und in den gro­ßen Medi­en unse­res Lan­des auch nicht zu Wort kom­men wird.

SEZESSION: Arne, Du bist einer der Man­dats­trä­ger der NPD. Die medi­en­be­herr­schen­de Dis­kus­si­on über eine “Brau­ne Armee Frak­ti­on” (BAF) wird trotz vie­ler Fra­ge­zei­chen ver­knüpft mit einer erneu­ten For­de­rung nach einem NPD-Ver­bot. Für Dich ist die Ent­lar­vung der BAF als poli­ti­scher Popanz gera­de­zu eine exis­ten­ti­el­le Fra­ge. Oder stellt sich die­se Fra­ge viel­leicht gar nicht?

SCHIMMER: Die­se „Brau­ne Armee Frak­ti­on“, die angeb­lich das geschafft hat, was ihren lin­ken Vor­gän­gern von der „Roten Armee Frak­ti­on“ trotz eines rie­si­gen Unter­stüt­zer­um­felds, trotz eines stän­di­gen Wech­sels der Auf­ent­halts­or­te und trotz damals deut­lich gerin­ge­rer tech­ni­scher Mög­lich­kei­ten der Sicher­heits­be­hör­den immer ver­wehrt blieb – näm­lich über fast andert­halb Jahr­zehn­te hin­weg Dut­zen­de von schwers­ten Straf­ta­ten in der gesam­ten Repu­blik bege­hen, ohne daß die Behör­den auch nur einem die­ser Ter­ro­ris­ten auf die Spur gekom­men wären – , könn­te für die NPD tat­säch­lich zu einer exis­ten­ti­el­len Fra­ge wer­den, denn Kanz­le­rin Mer­kel scheint jetzt auch auf Ver­bots­kurs einzuschwenken.

Unse­re Kanz­le­rin ist ja eine klu­ge Tak­ti­ke­rin, und nach­dem sie erst in der Fra­ge der Ein­füh­rung von Min­dest­löh­nen auf die SPD zuge­gan­gen ist, könn­te nun ein Ein­schwen­ken auf die lang­jäh­ri­ge SPD-For­de­rung nach einem NPD-Ver­bot ein wei­te­rer wich­ti­ger Schritt hin zu einer gro­ßen Koali­ti­on und damit zur Ret­tung ihrer ange­sichts einer schwind­süch­ti­gen FDP und der Euro-Kri­se stark bedroh­ten Kanz­ler­schaft sein.
Inso­fern befin­det sich die NPD jetzt also in einer gefähr­li­chen Situa­ti­on. Des­halb, aber nicht nur des­halb, wünscht die NPD sich die mög­lichst voll­stän­di­ge Auf­klä­rung die­ses Falls. Wir haben hier den Mord an einer jun­gen Poli­zis­tin und an zahl­rei­chen aus­län­di­schen Klein­un­ter­neh­mern, und die Mord­op­fer wur­den auf eine wirk­lich wider­wär­ti­ge Wei­se in einem Video zur Schau gestellt. Für uns – und da spre­che ich für alle mei­ne Kol­le­gen in der NPD-Frak­ti­on und im NPD-Par­tei­vor­stand – gibt es ange­sichts sol­cher Bil­der kei­ne „klamm­heim­li­che Freu­de“ á la „Mes­ca­le­ro“, son­dern nur den Wunsch nach mög­lichst voll­stän­di­ger Auf­klä­rung die­ser Verbrechen.

SEZESSION: Wagst Du eine Ana­ly­se des­sen, was wirk­lich geschah?

SCHIMMER: Nein. Mir fällt nur auf, daß in die­ser gan­zen Geschich­te sehr sel­ten die ganz ent­schei­den­den kri­mi­na­lis­ti­schen Fra­gen gestellt wer­den, von denen es eine gan­ze Men­ge gibt und die Du ges­tern ja auch schon in einem Bei­trag gestellt hast. Wie­so kön­nen aus der sehr gut über­wach­ten natio­na­len Sze­ne drei Per­so­nen für 13 Jah­re in den Unter­grund abtau­chen und dort eine Serie schwers­ter Straf­ta­ten bege­hen, die – was den Aspekt der per­fek­ten Ver­schleie­rung der Taten betrifft – als bei­spiel­los in der Geschich­te des Ter­ro­ris­mus gel­ten dürf­te, die aber gleich­zei­tig Feh­ler bege­hen, die nicht ein­mal einem Mör­der, der im Affekt han­delt, pas­sie­ren – zu den­ken ist hier nur an das Auf­be­wah­ren der Tatwaffen?

War­um haben sich zwei angeb­lich so kalt­blü­ti­ge Kil­ler wie Böhn­hardt und Mund­los nach einem erfolg­rei­chen Bank­über­fall Selbst­mord began­gen und war­um wei­sen ihre Lei­chen meh­re­re Ein­schüs­se und einen Schuß in die Brust auf, was bei einem Selbst­mord sehr unge­wöhn­lich ist? War­um wird die Pis­to­le, mit der die Poli­zis­tin Miche­le Kie­se­wet­ter ermor­det wur­de, erst vier Tage nach dem angeb­li­chen Selbst­mord von Böhn­hardt und Mund­los in dem aus­ge­brann­ten Wohn­mo­bil bei Eisen­ach gefun­den – also an dem Tag, als sich Bea­te Zsch­ä­pe in Zwi­ckau der Poli­zei stellt.

War­um ist in den Trüm­mern des Zwi­ckau­er Hau­ses alles bis zur Unkennt­lich­keit ver­brannt, ein­schließ­lich der zer­schmol­ze­nen Waf­fen, nur gan­ze Kis­ten mit Beken­ner-DVDs und eine Ter­ror­lis­te mit 88 Poli­ti­ker­na­men nicht, die völ­lig unver­sehrt aus dem Haus gebor­gen wer­den? War­um wur­den die im Jahr 2007 pro­du­zier­ten DVD‘s sozu­sa­gen auf Hal­de vor­ge­hal­ten und erst nach dem Auf­flie­gen der Grup­pe ver­sen­det? War­um ist bei dem letz­ten Mord der soge­nann­ten „Dönermord“-Serie in Kas­sel ein Mit­ar­bei­ter des hes­si­schen Lan­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz zur Tat­zeit am Tat­ort? War­um endet die „Dönermord“-Serie nach der Ver­neh­mung die­ses Man­nes? War­um wird Ziel­fahn­dern des thü­rin­gi­schen LKA im Jahr 2001 in Chem­nitz der Zugriff auf Böhn­hardt und Mund­los nicht erlaubt, obwohl ihre Straf­ta­ten aus der Zeit vor ihrem Unter­tau­chen damals noch nicht ver­jährt waren? Wie­so tau­chen ganz schnell nach dem Auf­fin­den der Lei­chen von Böhn­hardt und Mund­los gan­ze 22 Akten­ord­ner mit Erkennt­nis­sen zu den mut­maß­li­chen Tätern auf, die sich angeb­lich vor­her so per­fekt im Unter­grund getarnt haben – eine Fra­ge, die auch André Schulz vom „Bund Deut­scher Kri­mi­nal­be­am­ter“ stellt? Außer­dem ist es zumin­dest auf­fäl­lig, daß sich fast alle Bank­über­fäl­le im enge­ren west­säch­si­schen regio­na­len Umfeld der Grup­pe ereig­nen, wäh­rend sich die Fäl­le der soge­nann­te „Döner-Mord“-Serie und der Mord an der Poli­zis­tin Kie­se­wet­ter fast aus­chließ­lich in West­deutsch­land, immer aber weit ent­fernt von Zwi­ckau zutragen.

SEZESSION: Also doch eine gro­ße Verschwörung …

SCHIMMER: Wenn nun mitt­ler­wei­le selbst eine Per­son wie der Grün­der der Aus­stei­ger­initia­ti­ve „Exit“, Bernd Wag­ner, der nun wirk­lich nicht im Ver­dacht steht, Sym­pa­thien für die rech­te Sze­ne zu hegen, davon spricht, daß ihm die gan­ze Geschich­te als Kon­struk­ti­on und nicht mehr glaub­wür­dig vor­kommt, dann wird man den­je­ni­gen, der die­se Fra­gen stellt, sicher­lich nicht mehr als „Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker“ bezeich­nen können.

SEZESSION: Hast Du als Par­la­men­ta­ri­er ande­re, wei­ter­rei­chen­de Mög­lich­kei­ten der Recher­che oder der Akten­ein­sicht als wir Ottonormal-Fragesteller?

SCHIMMER: Als Abge­ord­ne­ter hat man die Mög­lich­keit, Anfra­gen zu stel­len. Mein Kol­le­ge Andre­as Storr und ich wer­den schon in der nächs­ten Ple­nar­sit­zung Innen­mi­nis­ter Ulb­ig in der öffent­li­chen Fra­ge­stun­de fra­gen, was die Staats­re­gie­rung über das angeb­li­che Auf­tau­chen soge­nann­ter „legal-ille­ga­ler“ Papie­re in der Rui­ne des Zwi­ckau­er Hau­ses in der Früh­lings­stra­ße weiß, wann und wo die Dienst­waf­fe der ermor­de­ten Poli­zis­tin Kie­se­wet­ter auf­ge­fun­den wur­de, wann und wo die Tat­waf­fe, mit der der Mord began­gen wur­de, auf­ge­fun­den wur­de – zu die­ser Fra­ge gibt es in den Medi­en wider­sprüch­li­che Aus­sa­gen – und ob die Bekenntnis-DVD‘s und die Ter­ror­zi­el­lis­te mit den 88 Poli­ti­ker­na­men, die eben­falls in dem abge­brann­ten Zwi­ckau­er Haus gefun­den sein sol­len, Brand- oder Hit­ze­schä­den auf­wei­sen; immer­hin sind nach Medi­en­an­ga­ben bei dem Brand ja selbst Schuß­waf­fen aus Metall zu Klump zerschmolzen.
Ich fürch­te aber, die Staats­re­gie­rung wird sich bei der Beant­wor­tung der Fra­ge auf lau­fen­de Ermitt­lun­gen zurück­zie­hen, die eine schnel­le Beant­wor­tung die­ser Fra­gen lei­der ver­un­mög­li­chen. In der nächs­ten Ple­nar­sit­zung wer­den wir außer­dem einen Antrag ein­brin­gen, in dem wir den Innen­mi­nis­ter auf­for­dern, über mög­li­che Geheim­dienst­ver­stri­ckun­gen in die Zwi­ckau­er Zel­le zu berich­ten. Ein Unter­su­chungs­aus­schuß zu dem Vor­gang kann nur ein­ge­setzt wer­den, wenn ein Fünf­tel der Mit­glie­der des Säch­si­schen Land­ta­ges dies ver­langt. Die NPD-Frak­ti­on erreicht die­ses Quo­rum allein mit ihren eige­nen Stim­men nicht, aber mög­li­cher­wei­se stellt ja die eben­falls geheim­dienst­kri­ti­sche Links­frak­ti­on einen sol­chen Antrag. Man soll­te aller­dings kei­ne zu hohen Erwar­tungs­hal­tun­gen an einen par­la­men­ta­ri­schen Unter­su­chungs­aus­schuß her­an­tra­gen, auch dort kön­nen berei­nig­te Akten prä­sen­tiert werden.

SEZESSION: Befürch­test Du, daß einem Eurer Man­dats­trä­ger doch noch enger Kon­takt oder Mit­wis­ser­schaft zum Zwi­ckau­er Trio nach­ge­wie­sen wer­den kann?

SCHIMMER: Nein, eigent­lich nicht. Ich habe die Ereig­nis­se der letz­ten Tage mit gro­ßer inne­rer Ruhe ver­folgt, weil die gan­ze Geschich­te mehr und mehr in den Bereich der rei­nen Phan­tas­tik dreht und ich mich stel­len­wei­se an den „Fall Man­nichl“ erin­nert füh­le. Zu den Begleit­erschei­nun­gen die­ses Falls, die fast schon irre­al anmu­ten, gehört ja die tota­le Abge­schot­tet­heit des mut­maß­li­chen Ter­ror-Tri­os und tat­säch­lich kennt auch in den Par­tei­krei­sen, in denen ich mich bewe­ge, nie­mand die drei Per­so­nen. Müß­te die­se „Brau­ne Armee Frak­ti­on“ aber nicht gera­de in den natio­na­len Krei­sen Sach­sens nach­prüf­ba­re Spu­ren hin­ter­las­sen haben? Gera­de die NPD hat in Sach­sen ihren, neben Bay­ern, größ­ten Lan­des­ver­band, sitzt hier seit 2004 im Land­tag und hat 120 kom­mu­na­le Man­da­te inne.

Auch fast zwei Wochen nach dem angeb­li­chen Selbst­mord von Böhn­hardt und Mund­los kön­nen in einer immer noch sehr über­schau­ba­ren Sze­ne nicht mal punk­tu­el­le Kon­tak­te der Zwi­ckau­er Ban­de zu NPD-Funk­tio­nä­ren belegt wer­den, obwohl – so lese ich es zumin­dest in der Zei­tung – die NPD doch angeb­lich der Pate des brau­nen Ter­rors ist. Behaup­tet wird eine sol­che Ver­bin­dung nur von einem selbst­ver­ständ­lich nicht nament­lich genann­ten Aus­stei­ger in der „Bild“-Zeitung, der berich­tet, daß Bea­te Zsch­ä­pe ein hei­ßer Feger war, Sex mit unzäh­li­gen NPD­lern hat­te und NPD-Funk­tio­nä­ren selbst­ver­ständ­lich die Plä­ne für den Köl­ner Nagel­bom­ben­an­schlag auf die Nase band. Nach der Lek­tü­re die­ses Arti­kel muß­te ich an den von Armin Moh­ler in sei­nem Buch „Der Nasen­ring“ so tref­fend geschil­der­ten Fall der Ilse Koch und ihrer media­len Insze­nie­rung zur „Hexe von Buchen­wald“ den­ken, zu der Moh­ler anmerkt, daß wohl wenig das mas­sen­me­dia­le Publi­kum so erregt, wie die Ver­men­gung der The­men Gewalt, Sex und Natio­nal­so­zia­lis­mus. Das scheint sich auch nach mehr als 60 Jah­ren nicht geän­dert zu haben.

SEZESSION: Was sagst Du zu der The­se, daß die NPD eine Art Reso­zia­li­sie­rungs- und Mäßi­gungs­be­cken für gewalt­be­rei­te Kräf­te sei? Dies wird Euch ja aus den “har­ten” Kame­rad­schafts­krei­sen vor­ge­wor­fen. Stehst Du hin­ter einem sol­chen Lega­li­sie­rungs­kurs, der ja auch als der “säch­si­sche Weg” beschrie­ben wird?

SCHIMMER: Die NPD befin­det sich seit ihrer Grün­dung im Jahr 1964 auf Lega­li­täts­kurs. Es gibt und gab kei­ne klan­des­ti­nen Zir­kel in der Par­tei, die als eine Art heim­li­cher Par­tei­vor­stand rechts­ter­ro­ris­ti­sche Akti­vi­tä­ten steu­ern. In der Fra­ge des „säch­si­schen Weges“ ging es nicht um die Lega­li­täts­fra­ge, son­dern eher um die Fra­ge der Gewich­tung gegen­warts- und ver­gan­gen­heits­po­li­ti­scher Themen.
Auch wenn in den Medi­en immer das Gegen­teil behaup­tet wird: Die NPD ist sehr wohl bestrebt, poli­ti­sche Pro­ble­me auf eine poli­ti­sche Ebe­ne zu heben und in ihrer Jugend­ar­beit deut­lich zu machen, daß poli­tisch moti­vier­te Gewalt für uns kei­ne Opti­on ist. Kon­kret her­un­ter­ge­bro­chen auf die Zuwan­de­rungs­fra­ge bedeu­tet dies, daß wir jun­gen Leu­ten deut­lich machen, daß der Döner-Ver­käu­fer um die Ecke weder unser Feind noch unser poli­ti­scher Geg­ner ist, son­dern daß wir uns gegen die völ­lig ver­fehl­te Aus­län­der­po­li­tik der poli­ti­schen Eli­ten poli­tisch weh­ren müssen.
Die NPD wird in Kür­ze einen Leit­fa­den zur Zusam­men­ar­beit mit frei­en Kräf­ten erstel­len, der als Ver­hal­tens­ko­dex gel­ten und Mög­lich­kei­ten der Koope­ra­ti­on – aber auch ihre Gren­zen – defi­nie­ren wird. Dies ist übri­gens kei­ne Panik­re­ak­ti­on der NPD auf die Zwi­ckau­er Ereig­nis­se, son­dern schon seit län­ge­rem geplant.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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