der Bundeswehr in der Dresdner Albertstadt ihre Pforten dem interessierten Publikum. „Provokant“ zu sein ist einer der kuratorischen Ansprüche der Museumsleitung, „ehrlich“ will man eine „Kulturgeschichte organisierter Gewaltverhältnisse“ präsentieren und damit das Militärhistorische Museum „neu erfinden“. Man müsse sich nämlich nach neuen „Gesetzmäßigkeiten“ ohne Pathos „kritisch mit dem Thema auseinandersetzen“ meint der Direktor des Museums, Oberst Rogg.
Die militärhistorischen Museen unserer gegenwärtigen Verbündeten dienten dabei ausdrücklich nicht als Vorbild – anders als die martialischen „Waffenschauen“ in Paris oder London erhebt man in Dresden den Anspruch einer „Reflektion über das Thema Gewalt.“ Das augenfälligste Ergebnis dieses Anspruches ist Daniel Libeskinds Stahlkeil an der Fassade des Baus, der bewußt gewaltsam die Symmetrie des alten Arsenalgebäudes unterbricht und symbolhaft „einen Keil in die Tradition treiben“ (NZZ) soll. „Der Keil als Symbol organisierter Gewalt. Er bricht mit alten, autoritären, starren Strukturen und steht in seiner Transparenz für die Offenheit der demokratischen Gesellschaft und die veränderte Rolle des Militärs in Deutschland.“ (MHM)
„Ein Antikriegsmuseum könnte man das Haus nennen“, kommentierte die Deutsche Welle die neue Ausstellung und fragte, was die Bundeswehr eigentlich dazu treibt „sich selbst in großem Stil in Frage zu stellen.“ Die taz hingegen war wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrer Geschichte vorbehaltlos überzeugt von einem Großprojekt der deutschen Streitkräfte und freute sich, dass das Museum „Militaria-Fans“ und „Ballerfans“ nicht begeistern, sondern „heilsam (sic!) enttäuschen“ wird, indem es das „vermeintliche Heldentum“ der Schlachtfelder nicht als solches ausstellt. „Legt man einen historischen Durchschnitt der Armeen zugrunde, kommt die Bundeswehr von heute ihren Kritikern bestimmt außerordentlich weit entgegen“ resümmierte folgerichtig auch die Süddeutsche Zeitung, was zu der Frage führt, was eigentlich heute noch provokant sein soll an diesem „kritischen“, letztlich dekonstruktiven Anspruch des „sich Auseinandersetzens“.
„Kritisch“ setzt sich die Bundeswehr schon seit ihrer Aufstellung mit der deutschen Militärgeschichte „auseinander“: Die in der Folge künstlich durch Verbot und Weisung herbeigeführte Verarmung der Bundeswehr an Traditionsbeständen aller Art muß als in der Geschichte des deutschen Militärs einzigartig gelten. Ganz offiziell hält man sowieso nur drei Bezugspunkte in der nun wirklich nicht kurzen Geschichte deutscher Streitkräfte für traditionswürdig: die Preußischen Reformer, den militärischen Widerstand im Dritten Reich (die Schließung der Graf-Stauffenberg-Kaserne wurde übrigens ebenfalls im vergangenen Herbst bekannt gegeben) und den sehr überschaubaren Fundus an Tradition, den die Bundeswehr selbst bisher anlegen konnte.
Zu behaupten, man wolle nun in dieses vollkommen anorganische und nicht einmal halbherzig gelebte Stückwerk befohlener Identität noch „einen Keil treiben“, grenzt eigentlich an politisch-historische Nekrophilie. Es ist eine peinlich verspätete Szene, den New Yorker Stararchitekten auf dem identitären Trümmerfeld Bundeswehr stolz seine „Dekonstruktion“ verkünden zu lassen, die sich zudem längst zur intellektuellen Retorte entwickelt hat. Ähnlich belächelnswert ist die Vorstellung, die komplett zivilverwaltete Bundeswehr von heute tauge als positives Gegenbild zu „starren Strukturen“.
Der libeskindsche Keil symbolisiert also Gewalt, weil er ganz kritisch das deutsche Arsenal an Militärgeschichte zerhackt. Gleichzeitig steht er „in seiner Transparenz für die Offenheit der demokratischen Gesellschaft“. Durch diesen primitiven Symbolismus postdemokratischer Politästhetik tritt das Militär ein in die schablonenhafte Phraseologie eines Demokratie-Fetischismus, der mit Demokratie leider überhaupt nichts zu tun hat: Das Wahlvolk hat sich nie für diesen wurzellosen und kalkuliert demütigenden Bau entschieden; der Versuch, Asymmetrie zur Chiffre für demokratischen Pluralismus zu erklären bietet auch bei ständiger Wiederholung keinen Bezug zur staatsrechtlichen Verfaßtheit unserer Republik.
Der implizierte Zusammenhang von Demokratie und „Dekonstruktion“ der militärischen Maßstäbe und Traditionen ist hier zwar nicht in seinem Geltungsanspruch, wohl aber in seinen konkreten Bezügen auf die deutschen Streitkräfte beschränkt. Ebenso wie bei der Ablehnung von militärischem Pathos, wie ihn unsere Verbündeten in ihren Museen pflegen, liegt dem die Sichtweise zugrunde, daß die Deutschen aufgrund der „Einzigartigkeit“ ihrer Geschichte „selbstverständlich“ höheren moralischen Ansprüchen zu genügen haben als andere Nationen. Auch durch diese subtile Ausprägung von erinnerungspolitischem Kulturchauvinismus kann man den deutschen Sonderweg beschreiten.
Dazu paßt die Methode der Videoinstallation im Eingangsbereich des Museums: Die Schriftzüge „Love“ und „Hate“ verwirbeln untereinander-miteinander an dem Ort, der in die museale „Welt des Krieges“ hineinführt. Es soll so gezeigt werden, daß es am Ende für den von Gewalt betroffenen Menschen keinen Unterschied mehr macht, „ob er Deutscher ist, oder ob er Pole ist.“ Wunderbar international heben sich diese Begriffe ab vom Heros deutscher Militärgeschichte und entbinden den Krieg damit andeutungsweise seines politischen Ursprungs, contra-emotionalisieren ihn. Das soll “anthropologisch” sein, ist es aber jenseits der Vokabel leider nicht, denn anders als behauptet kann diese hippiesque anmutende Emotionalisierung keine Entheroisierung des Krieges bedeuten, sondern nur deren Umkehrung: An die Stelle des heroischen Ethos tritt das Ethos des Opfers, an die Stelle von Pathos das Mitgefühl. Diese Umkehrung bedeutet nicht den behaupteten Wandel der Maßstäbe, sondern zeigt nur die andere Seite der gleichen Sache und kann daher nur genauso richtig oder falsch sein.
Beides zusammenzuführen (dahingestellt sei, inwiefern das in Dresden der Fall ist) könnte zwar schöner weil vollständiger sein, bedeutet aber gegenüber den technikaffinen Waffenschauen im Ausland keinen normativen Sprung, sondern nur eine wünschenswerte inhaltliche Ergänzung. So bleibt von der unausgesprochenen, aber überdeutlich implizierten Vorstellung eines vollzogenen menschheitsgeschichtlichen Bewußtseinsfortschritts nicht mehr übrig als der Habitus der glücklich Erleuchteten, die endlich „mit der Vergangenheit brechen“.
Was ist daran nicht schon vollkommen en vogue? In der Republik, in der unter dem Motto „Feste feiern, wie sie fallen“ öffentlich über den Kriegstod von deutschen Soldaten jubiliert wird, die populäre Kultur Uniformen sowieso nur noch als Karikatur kennt und jede Grundschule „kritisch“ erziehen will, provoziert eine „demokratisch dekonstruierte“ Fassade niemanden mehr. Die konzeptionellen Ansprüche des neuen Museums sind genauso wie ihre volkspädagogische Grundierung kein bißchen kritisch, sondern die in Gänze vorhersehbare Folge der seit Jahrzehnten bewußt und äußerst konsequent vollzogenen Entmilitarisierung von Militär und Staat.
Das neue Museum sei, so die taz, gemacht für „Antwortsucher“. Die müssen, wäre hinzuzufügen, dann aber eine ausdauernde Passion für das Suchen haben. „Ambivalenz ist ein Schlüsselbegriff für die gesamte Dauerausstellung des Militärhistorischen Museums“ heißt es in der Selbstbeschreibung; Es liegt nicht falsch, wer darin das akademische Äquivalent zum kindergärtnerischen „Ihr habt beide Recht!“ sieht, denn das Museum versteht sich zwar als „Denkort … für den Diskurs über die Rolle von Krieg und Militär in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“, berührt aber mit keinem Atemzug das, was da heute diskutiert gehört.
Dabei bedarf es nicht einmal außergewöhnlicher Expertise um sich der Vielzahl der unbeantworteten Fragen bewußt zu werden, die sich in unseren Tagen um das Verhältnis des Staates zu seinen Streitkräften angesammelt haben. Wie sieht sie denn eigentlich aus, die „veränderte Rolle des Militärs in Deutschland“? Wo steht der Offizier im Staat, wo der kriegsversehrte Veteran in der Gesellschaft? Welche Rolle spielt diese Schutzmacht, die die Bürger nicht in ihren Schulen und nicht auf ihren Straßen haben wollen? Welche Bedeutung hat die Armee des Parlaments, für die sich die Parlamentarier vor allem dann interessieren, wenn der Waffenträger Michel seine Brötchen plötzlich in einem anderen Wahlkreis kauft. Was heißt es, das die Mobilmachung der Bevölkerung im Ernstfall aus dem Verteidigungsgedanken verschwunden ist? Hat die Republik wieder einen Kriegerstand, oder braucht sie einen? Und wenn ja, welchen?
Viele Fragen mehr ließen sich finden und es sind alles Fragen, die nicht an die x‑te überbezahlte PR-Agentur delegierbar sind, sondern nach klaren, substantiellen Antworten verlangen, militärisch eindeutig und ohne die Rumdruckserei des intellektuellen Grabbeltischs. Dieser unseren, deutschen Armee, die auf dem besten Weg dahin ist, über mehr Generäle als Kampfpanzer zu verfügen, fehlt es an konkret lebbaren Erzählungen: Die historische Situation von Volk und Staat bringt einen enormen Bedarf an starken und lebendigen Ideen, Bildern und Symbolen hervor. Kurz: Wer Loyalität verlangt, muß Identität zulassen, geben und nähren. Hier muß doch das Museum der Bundeswehr, das ja auch einen Auftrag im Rahmen der Führerausbildung auszuführen hat, seine erste und zentrale Aufgabe sehen! Kritik, Dekonstruktion, Pseudoprovokation – das mag alles irgendwo seinen Platz haben und die Ausstellung wie das Museum gut und interessant machen, nichts sei gesagt gegen „den Menschen im Mittelpunkt“.
Aber da gehört ein großes Aber angefügt: Wo, wenn nicht im bundeswehreigenen Museum, soll aus der deutschen Militärgeschichte Identität für den tötenden und fallenden Parlamentssoldaten der Gegenwart und Zukunft gewonnen werden, wo sonst soll er einen Begriff von seiner historischen Aufgabe bekommen? Ein diffuser Fortschrittsbegriff aus „Überwindung“ und „mit der Vergangenheit brechen“ plus Grundgesetz und Anderssein leistet das nicht, erst recht nicht, wenn er auch noch häßlich verpackt ist.
Hohenstaufer
In der Novemberausgabe 2011 des deutschnationalen Magazins "Die Aula" erfolgte im Rahmen des Themenschwerpunkts Gedenk- und Erinnerungspolitik auch die ausführliche Beschäftigung mit dem MHM in Dresden.
Ein den Beitrag Springers ergänzendes Zitat aus diesem Heft:
Gleichsam darf diese Fokussierung angesichts der linksliberalen Deutungshoheit über Geschichte, insbesondere Militär- und Kriegsgeschichte eigentlich nicht verwundern, sondern muß offensiv (rhetorisch) kritisiert und angegriffen werden.