Lebenshöhe – Editorial zur 46. Sezession

(Sezession 46 hier einsehen.)

Wer in den letzten fünf Jahren die für Volk und Nation entscheidenden Parameter im Auge...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

behal­ten hat, weiß, daß die Lage ziem­lich hoff­nungs­los ist: Gebur­ten­schwund, Über­frem­dung und Bil­dungs­ver­fall haben unser Land tod­krank gemacht. Im Ver­gleich dazu ist das, was durch den Zusam­men­bruch und die Neu­ord­nung des Finanz- und Wirt­schafts­sys­tems auf uns zukom­men könn­te, eine lös­ba­re Aufgabe.

Wir wer­den Ver­mö­gen ver­lie­ren und aus der Sub­stanz leben, aber im Kern nicht ange­grif­fen sein, wenn das Über­mä­ßi­ge wie­der maß­voll wird. Kin­der­man­gel und Über­frem­dung indes kann man nicht über­win­den wie eine Wirt­schafts­kri­se: Die­se Ent­wick­lun­gen haben die Iden­ti­tät unse­res Vol­kes und vor allem sei­ne Rege­ne­ra­ti­ons­fä­hig­keit schon so sehr ver­än­dert, daß es nicht mehr zu agie­ren, son­dern nur noch zu reagie­ren ver­mag. Selt­sam ist, daß es nicht vie­le Deut­sche gibt, die das mög­li­che Ende einer tau­send Jah­re alten Kon­ti­nui­tät so quält, daß sie Fra­gen stel­len. Wie wol­len wir leben? Wel­che Spiel­räu­me blei­ben uns noch? Was darf kei­nes­falls verlorengehen?

Im Gegen­teil: Das mün­di­ge Volk läßt sich alle paar Wochen durch einen Skan­dal von die­sen exis­ten­ti­el­len Fra­gen sei­ner Zukunfts­fä­hig­keit ablen­ken. Und in ihren intel­li­gen­te­ren Ein­zel­ver­tre­tern sind die Deut­schen von einer sol­chen indi­vi­dua­li­sier­ten Schläue, daß bereits fünf­zehn­jäh­ri­ge Gym­na­si­as­ten ihre jähe Lust an der Ent­lar­vung der gro­ßen Lügen unse­rer Zeit einem Kar­rie­re­kal­kül opfern.

Anfang der acht­zi­ger Jah­re saß ich als klei­ner Klas­sen­spre­cher stau­nend in den Schü­ler­rats­sit­zun­gen vor lang­haa­ri­gen, stri­cken­den Ober­stu­fen­ver­tre­tern, die für Nica­ra­gua Geld sam­mel­ten und das kon­ser­va­ti­ve Kol­le­gi­um einer kon­ser­va­ti­ven Latein­schu­le in einer kon­ser­va­ti­ven ober­schwä­bi­schen Stadt unaus­ge­setzt pro­vo­zier­ten. Vor wel­chen Elfern und Zwöl­fern säße ich heute?

Wohl nicht vor sol­chen, die das gefühls­lin­ke Kol­le­gi­um eines Unesco-Part­ner-Gym­na­si­ums in einer ange­grün­ten, ener­gie­neu­tra­len Stadt unaus­ge­setzt von rechts pro­vo­zier­ten: mit einer ener­gie­ge­la­de­nen Rudel­bil­dung in den Pau­sen, gut prä­pa­riert im Unter­richt, mit kon­ser­va­ti­ven Mei­nungs­hem­den, sehr kur­zen Haa­ren und einem mili­tä­ri­schen »Jawoll« auf jede Zurecht­wei­sung von wei­ter oben – auf­ge­la­den mit dem Furor einer ein­zi­gen gro­ßen Fra­ge: War­um habt Ihr unse­re Zukunft verspielt?

Ellen Kositza sagt immer, daß es kaum etwas gibt, wor­über sie sich stär­ker wun­dert, als über die­ses Feh­len intel­li­gen­ter, rech­ter Pro­vo­ka­teu­re unter den Schü­lern. Ist in die­sem Fall die anthro­po­lo­gi­sche Kon­stan­te der Empö­rungs- und Wider­spruchs­lust an ihr Ende gekom­men? Oder gibt es die­se inne­re Pflicht zur Auf­müp­fig­keit nur dann, wenn noch Dyna­mik in einer Gene­ra­ti­on steckt, wenn es bei­na­he nicht schnell genug gehen kann, die Alten aufs Alten­teil zu schicken?

Von alle­dem ist nichts zu spü­ren. Die bra­ven Mäd­chen und Büb­chen schei­nen mit gepu­der­tem Hin­tern nicht mehr nach dem mög­lichst größ­ten Schock zu suchen, den sie mit einer ein­zi­gen Fra­ge bei ihrem Leh­rer aus­lö­sen könn­ten. Ihre Fra­ge lau­tet viel­mehr: Was tut mir spä­ter gut, wenn ich beden­ke, daß das Inter­net nichts von mei­nen frü­hen Taten und mei­nem Jugend­zorn vergißt?

Wer so fragt, wird im Leben über jedes Stöck­chen sprin­gen, das ihm einer hin­hält. Dabei gibt es einen simp­len, imma­te­ri­el­len Grund, auf das Spä­te­re zu pfei­fen, wenn man nach sich selbst auf der Suche ist. Hen­ry de Mon­t­her­lant nennt ihn in sei­nem »Brief eines Vaters an sei­nen Sohn«. Ich zitie­re: »Das Wesent­li­che ist allein die Lebens­hö­he. Sie wird Dir alles erset­zen. Dar­un­ter ver­ste­he ich das Los­ge­löst­sein, denn wie könn­te man Höhe gewin­nen, ohne sich los­zu­lö­sen? Die­se Lebens­hö­he wäre Dir Hei­mat genug, hät­test Du kei­ne ande­re. Sie wird Dir Dein Vater­land erset­zen, wenn es Dir eines Tages feh­len soll­te. Man muß ein­fach unsin­nig hoch ste­hen; man stürzt dann zwar leich­ter und viel tie­fer hin­ab. Aber was wäre man denn ohne die­se mensch­li­che Höhe!«

Im Club der toten Dich­ter ermun­tert der Leh­rer sei­ne Schü­ler, auf die Pul­te zu stei­gen und neu zu sehen. Die­ses Los­ge­löst­sein, die­se Sezes­si­on ist nicht auf eine Lebens­pha­se beschränkt. Für die »Lage«-Ausgabe der Sezes­si­on schrie­ben Autoren, die ihre im intel­lek­tu­el­len Milieu nicht wohl­ge­lit­te­ne Mei­nung kei­nes­falls auf jugend­li­chen Über­mut zurück­ge­führt sehen möch­ten; sie sehen viel­mehr in eben die­ser Mei­nung den Beweis für den eige­nen, kla­ren Blick inmit­ten einer begriff­li­chen und dis­kur­si­ven Nebel­land­schaft. Viel­leicht ste­hen sie auf ihren Tischen, wäh­rend sie schrei­ben. So genau ken­ne ich unse­re Autoren nicht.

(Heft 46 hier ein­se­hen und bestel­len. Und: Wer abon­niert, bekommt eine Rech­nung erst ab Heft 47. Heft 46 gibts kos­ten­los dazu.)

 

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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