ausgelöst hat, die NSDAP sei eine sozialistische Partei gewesen. Offenbar ohne das geringste Gespür für die unfreiwillige Komik einer solchen Überreaktion marschierte eine Armee von Intellektuellen bzw. Menschen, die das gerne sein möchten auf, um eine maximal 140 Zeichen lange Twittermeldung zurückzuweisen:
Es berichtete der SPIEGEL, es meldeten sich Politiker wie Volker Beck und Historiker wie Heinrich August Winkler oder Herfried Münkler zu Wort. Alle bescheinigten Steinbach unisono, im Unrecht zu sein. NSDAP? Nicht Links, sondern Rechts!
Es ist schon belustigend, daß der angestaubte rhetorische Gag, die Linke mit dem Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen, immer noch funktioniert und vorhersagbare Pawlowsche Reaktionen hervorbringt, deren Logik Stefan Scheil zutreffend zusammenfasst:
Im Rahmen der bundesdeutschen Alltagspolitik beantwortet diese Frage ein ganz einfacher Syllogismus: Nationalsozialismus = substantiell Verbrecherisch; Links = substantiell Gut; Also: Nationalsozialismus substantiell nicht Links.
Dies entspricht exakt der Primitivität des herrschenden linken Diskurses. Man sollte sich aber als Rechter oder Konservativer oder überhaupt als Mensch von Geschmack und gesunder intellektueller Eitelkeit nicht auf das Niveau dieses BRD-typischen Spiels “Schwarzer Adolf” begeben, in dem Hitler als Schwarzer Peter fungiert, den jedes politische Lager dem jeweiligen Gegner zuspielt. Nicht nur, weil man dem armen Hitler Unrecht tut, wenn man ihn und seinen Nationalsozialismus mit dem Marxismus in einen Topf wirft, dessen Anhänger selbst bei vorsichtigster Schätzung mindestens zehnmal mehr Menschen ermordet haben als er selbst und es mithin eine Verunglimpfung nicht etwa der Linken, sondern des Nationalsozialismus bedeutet, ihn mit der politischen Linken in Verbindung zu bringen; sondern einfach, weil es nicht stimmt.
Dabei ist es gar nicht schwer und nicht einmal originell, die “linken” Züge der NS-Herrschaft zu benennen: Hitler war, in den Worten Sebastian Haffners, zwar kein Demokrat, aber ein Populist: ein Mann, der seine Macht auf Massen, nicht auf Eliten stützte; der sich der traditionellen Eliten zwar bediente, sie aber zugleich mit Konkurrenz in ihren ureigensten Domänen, etwa dem Militär konfrontierte; der gezielt das Niederreißen von Klassenschranken propagierte; der den Sozialstaat ausbaute und dessen Wirtschaftspolitik, die Krise mit deficit spending, Beschäftigungsprogrammen und Staatskonsum zu bekämpfen, eher linken als rechten Ökonomen zusagen dürfte.
Die Nationalsozialisten verstanden sich als Revolutionäre, die einen ausgeprägt antibourgeoisen und antiaristokratischen Affekt pflegten, bekamen starken Zulauf aus den Reihen des kommunistischen Roten Frontkämpferbundes, standen der traditionellen Religion, dem Christentum, reserviert bis feindlich gegenüber, “sozialisierten die Menschen” (diese Formulierung stammt von Rauschning, der sie Hitler bloß in den Mund legte, ist aber trotzdem treffend), unterhielten, nicht anders als die sowjetischen Kommunisten, Konzentrationslager und unterminierten den überkommenen Verwaltungsstaat durch den Maßnahmenstaat.
Hinter der monolithischen Fassade ihres Regimes tobte der Bellum omnia contra omnes, eine Rivalität von Teilfürsten und Vizekönigen, die um Mittel und Kompetenzen für ihre immer neuen Projekte rangen, mit denen sie die eher allgemein formulierten Ziele Hitlers zu verwirklichen glaubten. Es würde wahrscheinlich zu weit gehen, den NS-Staat als einen Staat der “permanenten Revolution” zu bezeichnen, aber einen Staat der “permanenten Improvisation” wird man ihn nennen dürfen; einen Staat, der bei seinen Improvisationen obendrein dazu tendierte, dem Neuen und Unerprobten Vorrang vor dem Bewährten und Erprobten einzuräumen. “Rechts” im Sinne von konservativ, traditionalistisch oder gar reaktionär war diese Art von Herrschaft nicht; sie war alles andere als dies.
Und doch liegen die Linken ausnahmsweise völlig richtig, wenn sie die Behauptung als absurd zurückweisen, zwischen ihnen und den Nationalsozialisten gebe es eine politische Verwandtschaft. Betrachtet man den Nationalsozialismus sinnvollerweise im Kontext des spätestens seit 1789 tobenden europäischen Bürgerkrieges zwischen den Kräften der Revolution und denen der Gegenrevolution, so gehört Hitler eindeutig auf die letztere Seite. Einem Rechten mag das so peinlich sein, wie den Linken ihre Verwandtschaft mit Stalin und Mao peinlich wäre, wenn sie so etwas wie Schamgefühl besäßen, es ändert aber nichts am Befund.
Es ist abwegig, den Antiliberalismus, Antikommunismus und Antisemitismus der Nationalsozialisten nicht als Fortsetzung der tradierten rechten Gegnerschaft gegen die politischen Hauptdoktrinen der Aufklärung und die mit diesen Doktrinen angeblich besonders verbundene und von ihnen besonders profitierende ethnisch-religiöse Gruppe anzusehen. Der Nationalsozialismus war zwar nicht rechts im Sinne von konservativ, sehr wohl aber rechts im Sinne von anti-universalistisch und militant anti-links. Es handelte sich nicht um die Konkurrenz zweier Firmen, die ähnliche Produkte anbieten, sondern um den Antagonismus zweier Todfeinde.
Der Nationalsozialismus wäre ohne die ihm seit 1914 vorausgehende fast zwanzigjährige existenzielle Gesellschaftskrise nicht möglich gewesen. Die Deutschen, die vor dem Ersten Weltkrieg in einem “Zeitalter der Sicherheit” (Stefan Zweig) gelebt hatten, wurden nacheinander von den Katastrophen des Ersten Weltkriegs, der Niederlage, der Revolution, der Hungersnot, des Bürgerkrieges, französischer Invasionen, der Inflation und der Weltwirtschaftskrise heimgesucht, und selbst in den relativ ruhigen Jahren der Ära Stresemann war der Bürgerkrieg, für jedermann fühlbar, bloß suspendiert. Die Existenz einer starken kommunistischen Partei, die sich ganz offen als deutsche Statthalterin eines Regimes gerierte, das in Rußland für Barbareien beispiellosen Ausmaßes verantwortlich war und sich ihrer noch rühmte, dabei selbst in den zwanziger Jahren über die stärkste Militärmacht der Welt gebot, machte den Alptraum einer Bolschewisierung Deutschlands und Europas zu einer jederzeit drohenden Gefahr. Ohne diese existenzielle Gefahr, ohne einen sie verkörpernden inneren Feind, und ohne das verbreitete Gefühl, dass die Weimarer Republik, oder überhaupt ein liberaler Rechtsstaat, dieses Feindes nicht würde Herr werden können, wäre der Vertrauensverlust des Bürgertums, ablesbar am Niedergang der liberalen Parteien und an der Popularität autoritärer Strömungen, nicht erklärbar.
Abstrakt gesprochen, scheiterte die Weimarer Demokratie daran, dass die gesellschaftlichen Erschütterungen der Jahre seit 1914 den Grundkonsens erschüttert hatten, ohne den eine Gesellschaft, auch und gerade eine moderne Gesellschaft und insbesondere eine liberale Demokratie nicht auskommt. Das betrifft die Frage, wer das “Wir” ist, dem politische Solidarität zu gelten hat: das deutsche Volk, Europa, die Arbeiterklasse, die Menschheit? Oder die Frage, wodurch politische Legitimität sich ausweist: durch Tradition, den demokratischen Volkswillen, historische Sendung, charismatische Führungsfähigkeit? Konnten bürgerliche Tugenden nach Krieg und Inflation noch etwas wert sein, oder war nicht der Ehrliche, der “Spießer”, der Dumme? Den Deutschen der Weimarer Zeit war der Boden unter den Füßen zerbröselt, und die Jungen waren zwar wild entschlossen, einen neuen zu zimmern; unglücklicherweise waren sie sich nicht einig, welcher es sein sollte.
Wenn der Konsens, auf dem Gesellschaft beruht, erst einmal an so vielen entscheidenden Punkten zerbrochen ist, kann er mit diskursiven, demokratischen Mitteln nicht wiederhergestellt werden, einfach deshalb, weil Wert- und Solidaritätsentscheidungen nur begrenzt auf rationalem Wege ermittelt werden können. Die Zersplitterung der Gesellschaft und die Auflösung des sie tragenden Konsenses, verwandelt sie in ein Haifischbecken aus einander bekämpfenden Teilgemeinschaften. Daß Demokratie auf dieser Basis nicht möglich ist, versteht sich von selbst; insofern verwundert die Konjunktur autoritärer Ideen am Ende der Weimarer Republik nicht. Was aber war die Alternative?
Wenn gerade das Fehlen des Konsenses Ursache und Ausdruck der Gesellschaftskrise war, wie ich behaupte, dann konnte ein bloß autoritärer Staat, etwa eine restaurierte Monarchie, ihrer nicht Herr werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Konsens in den Köpfen existieren muss. Ein autoritärer Staat kann Gesetzesloyalität erzwingen, aber keine Zustimmung zu den ihn tragenden Prinzipien. Er kann die Kritik an diesen Prinzipien, aus der die gesellschaftliche Fragmentierung resultiert, nicht aus der Welt schaffen. Er kann seine Bürger zwingen, zu tun, was sie sollen, aber nicht dazu, zu wollen, was sie sollen. Das Zerbrechen des Konsenses ist ein Problem, das gegebenenfalls vermutlich nur von einem Staat lösbar ist, der all dies kann: der die Bürger erzieht, zu wollen, was sie sollen, und die Kritik an seinen Prinzipien aus der Welt schafft, womöglich mitsamt den Kritikern. Wenn eine liberale Demokratie an einer Gesellschaft scheitert, die von ihren Zentrifugalkräften zerrissen wird, dann erheischt die Rekonstituierung der Gesellschaft den totalitären, nicht nur autoritären Staat.
Die eigentümlich “linken” Züge des NS-Regimes resultierten daraus, dass es einen neuen Konsens stiften musste. Sein Basiskonzept der “Volksgemeinschaft” erforderte, wenn sie nicht bloß theoretisches Postulat bleiben, sondern real erfahrbar sein und damit Umerziehungspotenzial haben sollte, das Niederreißen von Klassenschranken, den Ausbau des Sozialstaates, die Staatseingriffe in die Wirtschaft und vieles mehr, und da es sich um ein Projekt handelte, für das es keine bewährten Konzepte gab, gehörte auch das ständige Experimentieren mit immer neuen Strukturen, die permanente Improvisation notwendig dazu. Rechts war das Ziel, das deutsche Volk als Solidargemeinschaft wiederherzustellen (allerdings unter Ausschluß der zum Feindvolk erklärten Juden), rechts, der Logik des Kampfes für das Partikulare folgend, war die Frontstellung gegen die universalistischen Ideologien des Marxismus und Liberalismus. Rechts waren also die Ziele; die Mittel waren links.
Von einem gewissen Grade der Gesellschaftszersetzung an scheint eine bloß konservative Politik, also eine, die nur rechts und nicht auch ein bißchen links ist, nicht mehr möglich zu sein; eine paradoxe Wortschöpfung wie die “konservative Revolution” weist darauf hin. Konservatismus ist der Versuch, den Tiger der gesellschaftlichen Zersetzung und Umwälzung am Schwanz festzuhalten. Der Nationalsozialismus war der Versuch, ihn zu reiten.
Eine solche Erklärung des Nationalsozialismus muss in einem Land wie der real existierenden BRD freilich schon deshalb Ketzerei sein, weil das Schicksal der Weimarer Republik erstklassiges Anschauungsmaterial enthält, wohin es führen muß, wenn bestehende Konsense zerstört, Regeln und Normen abgeschafft, existierende Homogenität verteufelt und beseitigt und die Gesellschaft systematisch in (heute ethnische) Gruppen zersplittert wird. Die Führungsschichten der BRD haben ohne Not einen vormals unhinterfragten Konsens, der heute nur noch von der politischen Rechten aufrechterhalten wird, aufgekündigt, und stehen nun vor dem Problem, einen neuen zu stiften, dem gegenüber die Rechten freilich Dissidenten sind.
Der Kampf gegen Rechts, mitsamt seinen begleitenden Sprachregelungen, Hexenjagden, Geßlerhüten und Blockwarten, seiner Gesinnungsjustiz, seinen Meinungsparagraphen und den SA-Methoden seiner Protagonisten, erweckt nicht zufällig Assoziationen zum Dritten Reich, und es zeigen sich nicht zufällig in ihm die bereits deutlichen Umrisse eines Umerziehungsstaates, der seine Kritiker mundtot macht (wenn sie Glück haben), sondern weil beide Regime mit demselben objektiven Problem konfrontiert sind, das dann mit totalitären Mitteln gelöst werden soll, nämlich dem Zerbrechen des Gesellschaftskonsenses; der Unterschied ist nur, dass das Dritte Reich das Problem vorfand, während die BRD es selbst herbeiführt.
Rainer
Danke vielmals - unübertroffen gut beschrieben. Herausragende Arbeit!