Der Tanz um den wunden Punkt – Andeutungen zu einem Gespräch

Hatte Besuch von zwei Leuten, die auf der anderen Seite des Flusses wohnen. Sie waren für ein Gespräch angemeldet, für...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

ein aus­führ­li­ches Gespräch über die Grund­la­gen des 21. Jahr­hun­derts. Sie stell­ten die rich­ti­gen Fra­gen, wir miß­ver­stan­den uns nicht. Sie sehen vie­les ähn­lich, zie­hen den Kar­ren aber in eine völ­lig ande­re Rich­tung – vor hun­dert­tau­sen­den Lesern.

Man­che Fra­gen waren sim­pel zu beant­wor­ten, etwa die nach dem Wesens­kern einer “Neu­en Rechten”:
+ Sie ist nicht nost­al­gisch, begreift den Men­schen aber als “his­to­ri­sche Exis­tenz” – ob die­ser nun eine sein will oder nicht – und lei­tet dar­aus Ach­tung vor den Vor­fah­ren und Ver­ant­wor­tungs­be­wußt­sein für die Nach­kom­men ab.
(Wäh­rend ichs so sag­te, kams mir wie­der so banal vor, so selbst­ver­ständ­lich, so nicht der Rede wert – aber als das Gespräch wei­ter­lief, wur­de mir klar, daß es ganz und gar nichts Selbst­ver­ständ­li­ches ist, sich selbst als Glied einer Ket­te zu sehen, die unser Volk auf sei­nem Weg durch die Zeit bildet).
+ Sie nimmt die Lebens­mög­lich­kei­ten der Moder­ne wahr, ohne über die­sen Mög­lich­kei­ten die Gefähr­dun­gen (die Kehr­sei­te der Medail­le) zu verkennen.
+ Die Neue Rech­te spielt mit offe­nen Kar­ten, sie ver­mummt sich nicht, sie denun­ziert nicht; das, was sie sagt und denkt, muß sie äußern dür­fen – unge­hin­dert, nicht kri­mi­na­li­siert -, und sie hat mit der Schief­la­ge zu leben, daß es kein Leit­me­di­um gibt, das auf ihrer Sei­te stünde.
(Gro­ßer Wider­spruch auf Sei­ten der Besu­cher: Dies stim­me nicht, dies trä­fe nicht zu, man müs­se sich nur ein­mal die FAZ vor­neh­men, usf. – so als hät­te es jüngst den Fall Lorenz Jägers nicht gege­ben. Mir fiel am Ende nichts ande­res mehr ein, als das The­ma zu wechseln.)
+ Zuletzt die bei­den klas­sisch rech­ten Über­zeu­gun­gen: Auch die Neue Rech­te begreift den Men­schen als “ris­kier­tes Wesen”, traut ihm also viel, aber nicht zuviel zu; auch die Neue Rech­te weiß, daß die­ser Mensch auf Ord­nung ange­wie­sen ist, und daß man Ord­nun­gen leicht aufs Spiel setzt, aber schwer nur wie­der aufrichtet.

Dies zog einen Rat­ten­schwanz nach sich. Woher die Defen­si­ve kom­me, woher die Lar­moy­anz, das Pas­si­ve, das Gejam­me­re über die schlech­ten Zei­ten und die schlim­men Ent­wick­lun­gen. Dies ließ nur eine Gegen­fra­ge zu:
+ Wo bit­te wür­de hier gejam­mert? Geklagt? Ist es nicht viel­mehr so, daß der nüch­ter­ne, der des­il­lussio­nier­te, der melan­cho­li­sche und trot­zi­ge Habi­tus ver­wech­selt wür­de mit Pas­si­vi­tät? Denn auch das zeich­net die Neue Rech­te aus: daß sie in der Lage lebt – und nicht im Elfenbeinturm.
+ Und natür­lich: Wer das Leben an sich bejaht (wie­der so eine For­mel, die selbst­ver­ständ­lich und banal klingt), der bejaht zunächst ein­mal alle Blü­ten und For­men, die das Leben her­vor­treibt, und der ver­harrt in Anschau­ung (“Dies alles gibt es also”). Rührt von dort­her der pas­si­ve Ton, den die schlich­te­ren Gemü­ter etwa einem Ernst Jün­ger vor­wer­fen, wenn sie ihn “nur beob­ach­tend” und mit eis­kal­ter Nadel notie­rend durch das besetz­te Paris strei­fen sehen?
+ Ja, wie schlicht wie­der sol­cher Vor­wurf, wie anma­ßend und naiv die­ser Sophie-Scholl-Ton, der mir ent­ge­gen­schlug. Kein Gedan­ke an ein “Leben-Müs­sen” im Räder­werk der Kno­chen­müh­len, an einen Zwie­spalt zwi­schen Deutsch-Sein auf der einen, ins NS-Sys­tem ein­ge­bun­den sein auf der ande­ren Sei­te. Und immer der Ver­dacht, man wol­le “auf­rech­nen”. Will man gar nicht, will ich gar nicht. Daß mir aber unse­re Opfer näher sind als die der ande­ren: Das hal­te ich wei­ter­hin für das Nor­mal­emp­fin­den – die Trau­er um die Opfer der gan­zen Welt hin­ge­gen für eine eben­so infan­ti­le wie im Kern unred­li­che Gemütsregung.

Und so ging das immer wei­ter, und dann war der Moment nahe, an dem ich mich distan­zie­ren soll­te: Von den ganz rech­ten, von den Nazis, von den Radi­ka­len, letzt­lich auch von der Sim­pli­fi­zie­rung kom­ple­xer The­men. Schul­dig gewor­den sei ich als Mit­au­tor eines Buches über Deut­sche Opfer und frem­de Täter, das zum Sche­ma mache, was doch bloß immer wie­der ein Ein­zel­fall sei.
+ Gele­sen hat­te die­ses Buch kei­ner der bei­den Besu­cher (viel­leicht lies­ts der eine jetzt gerade).
+ Jede The­se ist eine Sim­pli­fi­zie­rung, eine Ver­ein­fa­chung der Kom­ple­xi­tät, der Ver­such, in den Griff zu bekom­men, was stets ein biß­chen glit­schig bleibt. Und der Umstand, daß wir die ers­ten waren, die die­ses The­ma in sei­ner gan­zen Bru­ta­li­tät und sei­nem gan­zen Aus­maß wo nicht beschrie­ben, so doch wenigs­tens auf­ge­bohrt haben, legi­ti­miert die­se Arbeit.
+ Indes: Sind unter denen, von denen man Applaus für sol­che Bücher bekommt, nicht auch man­che ein biß­chen glit­schig, viel­leicht sogar ziem­lich so, daß man sie nicht ver­tei­di­gen möch­te? Jede Men­ge Leu­te also, die im Inter­net anonym nur von “Kamel­fi­ckern” und “Kuf­nu­cken” schrei­ben, wenn sie Mos­lems, von “Ein­mann-Zel­ten”, wenn sie ver­schlei­er­te Frau­en meinen?

Einer (nicht einer der Gesprächs­part­ner vom ver­gan­ge­nen Mitt­woch) schrieb: “Was ist das, wofür Du kämpfst? Weißt Du, die­ses noch nicht geführ­te Gespräch ist wie die lee­re Mit­te, um die wir krei­sen. Denn wir bei­de sind ja nun so, daß wir das, wofür wir bren­nen, über fast alles ande­re stel­len wür­den. Du bist die­sen Weg gegan­gen und davon, wel­chen Weg man ein­schlägt, hängt vie­les ab. Mög­lich, den­ke ich, wären Dir auch ande­re Wege gewe­sen, mir auch. Ich mei­ne, ich glau­be, es wider­strei­ten sich in Dir Poli­tik und Kunst und ich habe noch nicht ver­stan­den, wie Du das in Ein­klang bringst.”

Zum Glück sind wir bis zu die­sem Punkt im Gespräch nicht gekom­men, und so sug­ges­tiv und schon mit Teil-Ant­wor­ten behaf­tet wäre die Fra­ge auch nicht auf­ge­taucht, hier in mei­nem Büro am Mitt­woch­abend. Ich habe dar­auf übri­gens kei­ne rech­te Ant­wort, und ich hät­te mich wohl mit einer Gegen­fra­ge gewehrt, zunächst: Wie kommt es, daß einer wie Sie, der so sehr zu ande­ren Schlüs­sen kommt als ich (obwohl er sieht, was ich sehe und beschrei­be) auf die Fra­ge nach sei­nem bevor­zug­ten moder­nen deut­schen Schrift­stel­ler ant­wor­tet: Chris­ti­an Kracht? Wie wären ein lin­ker Lebens­traum und die­se lite­ra­ri­sche Vor­lie­be in Ein­klang mit­ein­an­der zu bringen?

Oder ist es so, wie ich es schon immer befürch­tet habe: Daß dies alles gar nicht mehr links ist, son­dern bloß noch post-modern, d.h. ver­ant­wor­tungs­los, d.h. spie­le­risch  – mit der Gewiß­heit, daß man den Spiel­tisch ver­las­sen kann, wenns sich doch nicht so ent­wi­ckelt, wie man dach­te? Und ist es nicht so, daß ich, daß wir uns die­ses Spiel ver­bo­ten, früh schon, mit Anfang zwan­zig – viel­leicht, weil man nicht spielt mit Ord­nun­gen und Men­schen und vor allem nicht mit den eige­nen Leuten?

Nun: Wir lesen voneinander.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (15)

Thomas Alva Zapparoni

13. Februar 2012 12:42

Motor vs. Seele

Lassen Sie es sich gesagt sein: Es gibt hierzulande viele still leidende, die dem "Maelstrom" (F. G. Jünger) nicht mehr entkommen werden, ja, die mitten drin stecken (und dann möglicherweise in ihrer blinden Verzweiflung jemanden aus der "rechten Ecke" beschuldigen). Denn die tote Zeit und die Schürfung, die die kapitalistische Automatisierung nach sich zieht, macht vor dem Menschen nicht halt. Es handelt sich wahrhaft um eine Abnutzung von Menschenmaterial, nicht nur im Alltag, sondern auch genetisch. Der Zustand, in dem wir uns jetzt befinden, ist mit nichts anderem mehr zu vergleichen als mit einem Krieg, in dem die stillen Verletzten noch im Paradies vegetieren. (Aber das wissen Sie selbst. Warum sollte ein Krieg also immer laut vor sich gehen?) Unter diesem Aspekt sind auch Ernst Jüngers Stahlgewitter heute zu lesen. Um so größer die Schürfung der eigenen inneren Substanz, desto mehr wird gespielt; jedes Spiel wird recht. Und die Verletzten spielen das Spiel der Herrn der Welt mit. Abstammung, Herkunft spielen in diesem Zustand keinerlei Rolle mehr. Den Kindern werden die Legosteine vor die Füße gelegt; die Eltern schweigen; die Kinder bauen ihre Welten, werden sich "hacken" bis auf die Türme von Babel. Und bei temperamentloseren Naturen wird sich ein Idealismus einstellen, der sich rasend breit macht, der die Welt mit Linien durchschneidet. Ich denke, dass in den noch wohlbehüteteren deutschen Heimen, in denen noch Geschichten erzählt werden - anstatt vor Bildschirmen zu erstarren -, gar keine Vorstellung herrscht, welches Leiden der Fortschritt von der Substanz, gepaart mit schweigender Zustimmung, in den Menschen verursacht. Es ist schwer, jemanden anzuklagen, denn viele stecken bis zum Hals in diesem Schlammassel. Was ist - mechanisch gesagt - der wunde Punkt? Er ist vergleichbar mit der Achse der Maschine, die sich bis in unsere Seele dreht, als Verletzung des natürlichen Zustandes. Der Motor und die Seele, das passt auf Dauer nicht zusammen.

Das soll nur ein kleiner, überreizter, polemischer Einblick sein in eine bürgerliche Welt, die noch vor 2 Generationen Substanz und Stolz auf ihre Herkunft besaß, die sie nun blind in die Nacht deligiert hat. Es wird nicht viel bleiben; und vielleicht besteht mit der Hilfe von Engagierten wie Ihnen noch Hoffnung auf die Abwendung des Schlimmsten. Aber ich sehe wenig davon, denn der Raubbau, verbunden mit dem großen Schweigen ist gerade bei den Opfern dieses Systems so subtil, dass ihn schlichtweg kaum jemand wahrnimmt. Wie gesagt: Gerade die Opfer kollaborieren!!

In diesem Sinne wünsche ich mir mehr Darstellungen von Grenzgängern, die den Weg gemacht haben von einer vielleicht larmoyanten, gar dekadenten, "postmodernen", verantwortungslosen, linken Haltung hin zu einer Haltung eines bodenständigen Anstands - und dafür steht für mich die Neue Rechte -; und zu diesem Anstand gehört, dass er sich zu verteidigen weiß. Das beobachte ich querweg durch die Reihen der rechten Autoren, durch die ich mich arbeite. Das gibt Kraft! Die, die diesen Anstand haben, können es sich auch nicht anders vorstellen, dass sie ihn gleichzeitig verteidigen. Zu banal muss Ihnen die Maschine scheinen, die das Leiden verursacht. Ja - wie banal ist sie tatsächlich; aber das Leiden der Seele und ihre Heilung sind es nicht!

christian schulz

13. Februar 2012 13:50

Wahrheit, Reinheit, Treue, Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber: Das ist die einzig denkbare Ethik.

Otto Weininger

Holger

13. Februar 2012 14:27

Ganz gewiss: Es ist "bloß noch post-modern, d.h. verantwortungslos, d.h. spielerisch  – mit der Gewißheit, daß man den Spieltisch verlassen kann, wenns sich doch nicht so entwickelt, wie man dachte". Linkes Vokabular kommt diesem Postmodernismus nur am meisten entgegen. In jenem ist die Auflösungstendenz angelegt. Mal für das Volk, mal gegen es, mal gegen Amerika und den Westen, mal dafür, mal für den technischen Fortschritt, mal für das einfache Kommuneleben. Hauptsache "Emanzipation" - wovon auch immer. So paradox es klingt: De(kon)struktion ist integraler Bestandteil linker Identität.
Wenn links einmal die Institutionen hochgehalten wurden (die von den Schwachen gebraucht werden) war links rechts, wo rechts einmal Exzess, Schrankenlosigkeit, das wilde Leben (wenn auch nur für wenige Starke) gewollt wurde, war rechts links.
Heute steht "links" nur noch für eine kindische Trotzreaktion im Ton von dem, was man für Politik hält und immer läuft linkes Handeln auf das Schönmalen eines synkretistischen Hedonismus´ heraus. Jede Frage nach Substanz, nach dem was bleibt, wird besten Gewissens als faschistische Zumutung zurück gewiesen.
Ich spreche nicht nur aus eigener Anschauung, sondern aus Erfahrung.
Hier sich zu bemühen, aus dem "Glitschigen" heraus zu kommen und die Substanz aufzusuchen, ist - trotz mich oft verstörender Radikalität - bleibendes Verdienst der "Sezession".

Viele Grüße,

Holger

G. Staats

14. Februar 2012 00:39

Oha, was war denn da los?! Was hat es mit den reichlich vielen Andeutungen auf sich? Werden sich die zwei Leutchen noch äußern? Wie auch immer: „Wer bekennt, muss sich nicht mehr fürchten. Er hat, indem er bekennt, alles, was er fürchten könnte, hinter sich gelassen. Und so ist er der freie Mensch.“ (K. Barth, zit. nach: Losungen 2011, 119, zu 1. Petr 2,15f)

Ira

14. Februar 2012 10:13

Simpel heißt manchmal auch: ehrlich. Und außerdem: Komplexe Themen in ihre einfachen Bestandteile zu zerlegen, das ist doch ein hehres Diskussionsziel. Zu große „Einfachheit“ kann daher kein ernstzunehmender Vorwurf sein, höchstens Unwahrheit oder Unvollständigkeit in der Darstellung.
„Rechts sein“ ist schlicht auch ein - durchaus zulässiges - Geschmacksurteil. Ich würde am liebsten zu denen sagen: wir wollen es so haben und sind euch gar keine Rechenschaft schuldig! Wir haben gute Gründe (auf der pragmatischen Seite), aber wir sind keine reinen Materialisten. Seht lieber her, was wir zu bieten haben, nämlich eine gewisse „Lebensschönheit“!
Ihr Linken wollt ja nur alles kaputt machen, dekonstruieren, emanzipieren, bis nichts mehr übrig ist von Euch. Dann stopft ihr das große Loch mit Drogen und Konsum und ab zum Psychoberater. Man hat euch einen bunten Phrasenbaukasten zurechtgestellt, aus dem ihr euch bedienen könnt, um eure Substanzlosigkeit zu kaschieren. Euren schrankenlosen Egozentrismus formuliert ihr gern als Menschenrecht, damit habt ihr den moralischen Persilschein für alles weitere.
Sehr witzig auch immer die Frage, warum hier gejammert wird.... das könnte man als blanken Hohn nehmen, wenn man nicht ausschließen könnte, dass sie wirklich so unwissend dumm sind.
Egal was die Herren schreiben werden, nicht ärgern lassen!

Theosebeios

14. Februar 2012 12:33

"Schuldig geworden sei ich als Mitautor eines Buches über Deutsche Opfer und fremde Täter, das zum Schema mache, was doch bloß immer wieder ein Einzelfall sei."
Vielleicht hätte man dem Buch den Titel "Deutsche Täter - fremde Opfer" geben sollen. Diesem Schema wird ja - als Kondensat vieler Einzelfälle - eine politische Dimension unterstellt. Woher werden Ihre Gesprächspartner wohl wissen, dass das bejahte Schema kein bloßes Konstrukt ist? Als profunde Kenner werden sie auf zahlreiche eindringliche Befragungen (von Tätern und Opfern) und wissenschaftliche Studien verweisen. Gibt es solche Studien auch unabhängig von einer möglichen deutschen Täterrolle? Nein. Warum nicht? Weil ... äh ... weil es solche Fälle nicht gibt. Und wenn es sie geben sollte (kurzfristig aktiviertes CDU-Stichwort "Deutschenfeindlichkeit"), sind es Einzelfälle. Daher kann es kein Schema geben.
Sicher werden die Herren (vom "Focus"?) solche Gedanken nicht gelten lassen wollen. Aber es ist nie zu spät, sie ihnen nicht nahe bringen zu wollen, solange man die Kommunikation nicht eingestellt hat. Also: Nicht mürbe machen lassen! (Auch nicht durch unerwünschten Beifall.)

Ein Fremder aus Elea

14. Februar 2012 18:34

Mit Menschen zu spielen ist zweideutig. Die eine Bedeutung verurteile ich, die andere bejahe ich. Man muß Unsicherheit ertragen können, das ganze Leben ist voll davon. Das Spiel hier zu gewinnen heißt nicht Macht zu erwerben, sondern sie nicht zu fürchten.

Torsten Hesse

15. Februar 2012 14:39

Ein Teil des Problems besteht wohl darin, daß Begriffe und Fronten ziemlich unklar sind. Rechts ist, zumindest aus linker Perspektive, irgendwo zwischen Auschwitz, Dindl, Richard Wagner und Turbokapitalismus. Links ist, aus rechter Perspektive, irgendwo zwischen Gulag, Pol Pot und kiffenden Multikultichaoten.

Die Dinge sind kompliziert. Es waren nicht die Linken, die massenhaft Türken und andere Südländer als billige Arbeitskräfte ins Land geholt haben, es war die deutsche Wirtschaftswunder-Wirtschaft. Jetzt ruft sie wieder "händeringend" nach Fachkräften, auch gern aus dem Ausland. Und es ist die globalisierte Wirtschaft (die nicht zuletzt Siemens, VW, Deutsche Telekom, Deutsche Bank usw. heißt), die vom Menschen nur die Arbeitskraft braucht und honoriert - alles andere, Familie, Nation, Kultur, Religion, Verwurzelung ist gleichgültig bis störend. Nicht Identität, sondern Flexibilität ist gefragt. Außerdem: Leuten, die keine Identität haben, kann man sie verkaufen - als Marke. Das erhöht den Absatz und schafft Wachstum.

Wer sind die Konservativen in Stuttgart - die, die vergeblich versucht haben, die alten Bäume zu schützen, oder die, die den Superbahnhof durchsetzen, damit alles noch schneller geht?

herbstlicht

15. Februar 2012 17:25

Hat uns da GK wirklich ein ``ausführliches Gespräch über die Grundlagen des 21. Jahrhunderts [bezogen auf Deutschland, Europa, den Westen]'' umrissen?

Die im historischen und globalen Vergleich herausragenden Leistungen des Abendlandes sind doch die Naturwissenschaften und die Technik: die Methode der behutsamen, vernünftigen und pragmatischen Auseinandersetzung mit der Welt --- die Praxis des Landmanns und Handwerkers systematisiert und verfeinert und ergänzt um die Einsicht, daß all unser Wissen über die Außenwelt nur ``bis auf weiteres'' gültig ist; daß jede Theorie nur für einen bestimmten Bereich der Welt und nur mit beschränkter Genauigkeit gültig ist.

Ist nicht die Geschichte der naturwissenschaftlichen Ideen ein Musterbeispiel für Konservatismus, den Erfolg geduldigen Anknüpfens an die Vorgänger unter ständigem Abgleich mit dem Realtext (``Realität'')? Von der naturwissenschaftlichen Methode her, erscheinen da die derzeit üblichen Vertreter von ``Kultur'' und Politik nicht als Schamanen und Phantasten? Ist diese Methode nicht eine stärkere Stütze für die ``Neue Rechte'' als das ``christliche Mittelalter''?

Auf's Große gesehen erwarte ich als wichtigste Entwicklung im 21.Jahrhundert den dritten ``Rammstoß'': der erste erfolgte im 17.Jah. und verstieß den Menschen aus der Mitte des Universums --- Infinitesimalkalkül und Newtonsche Mechanik gaben das Vokabular dazu. Der zweite erfolgte um 1800 und machte die von Gott geschaffene Erdoberfläche samt Lebewesen zu Evolutionsprodukten --- Geologie und Vergleichende Anatomie ermöglichten den Ausdruck. Das 21.Jah. wird auch das Phänomen Geist zum Evolutionsprodukt machen. Die Forschungen über tierische und maschinelle Intelligenz liefern hierfür die Formen des Denkens. Sprengstoff gegen die Menschenbilder der Schamanen.

Wer jetzt ``Materialismus'' meint, der möge sich auf die Reise machen durch die Theoretische Physik, bis sich die ``Materie'' auflöst in mathematische Formen, bis das Leistungsvermögen des eigenen Hirns spürbar wird als Begrenzung der Einsicht in die Welt. Die Grundstimmung des Weltbildes, mit welchem man von dieser Reise zurückkommen wird, stellen etwa Stephen Toulmin und Jane Goodfield (The Discovery of Time) durch ein Zitat aus Lawrence Durrells ``Prospero's Cell'' dar:

``Ich denke gerade'', sagt Zarian, ``daß es für nichts in der Welt jemals eine endgültige Lösung gibt. In jedem Zeitalter, von jedem Standpunkt aus, sehen wir uns den gleichen Naturphänomenen gegenüber: Mondlicht, Tod, Religion, Lachen, Furcht. Wie die Götzendiener versuchen wir sie in Begriffssysteme zu pressen. Und doch verändern sie sich fortwährend unter unseren Augen.''

``Wenn man das zugibt'', sagte der Graf orakelhaft, ``gibt man auch zu, daß es Glück gibt --- oder Seelenfrieden, wie Sie wollen: sich vorzustellen, daß keine unserer Abstraktionen über Gott und die Menschen gültig ist, und sie doch zu lieben, weil sie die Fehlbarkeit unseres Geistes in sich tragen.''

Ein Fremder aus Elea

15. Februar 2012 19:39

herbstlicht,

das Denken ist nur eine Strategie, Verbindungen aufzufinden, weiter nichts.

Was für einen Rammstoß erwarten Sie denn da noch? Das ist doch alles längst bekannt. Zu Gödels Zeiten haben wir uns ernsthaft mit diesen Fragen beschäftigt. Heute, Gott, auch Affen können auf farbige Bilder kucken.

Wie neuronale Netze prinzipiell funktionieren ist bekannt. Schopenhauer hat es doch schon gesagt, als er meinte, daß der Verstand, das Gehirn nichts anderes mache, als verschiedene Reize in eine Beziehung von Ursache und Wirkung zu bringen.

Sie sind doch letztlich wie alle, die glauben, Magnettomographen würden irgendetwas wichtiges beantworten, völlig unbeleckt von allen interessanten Fragen.

Gast

15. Februar 2012 20:30

Es ist nicht allein das schamanische, irrationale präzivilisatorische Denken, welches unsere Vertreter von "Kultur, Medien, Politik und sogenannten Geisteswissenschaften beherrscht, die weitgehend dem sogenannten "linken" Spektrum angehören; es ist nicht allein die Anwesenheit von rationalem, erfahrungsgestütztem Wissen, wie es vorwiegend bei Konservativen vorherrscht, sondern es ist die Unfähigkeit, beide Denkstrukturen zu erkennen. Es ist die Unfähigkeit, beide Einstellungen wie Feuer und Eis nebeneinander bestehen zu lassen und ihre Charakteristiken zu erkennen. Beides kann sehr wohl in einem Menschen nebeneinander existieren. Man muß es aber erkennen können, identifizieren und als miteinander unvereinbare Gegensätze nebeneinander stehen lassen können. Wenn man dies tut, dann erschließen sich Breiche und Räume, die weit über den Rahmen des jetzt Denkbaren hinausgehen.

Asenkrieger

15. Februar 2012 20:42

Das Zeitfenster schließt sich bald. Der Islam steht in unserer Mitte. Wollen wir uns die letzten Jahrzehnte unserer noch relativ vorhandenen Handlungsfreiheit von solchen Typen neutralisieren lassen? Vielleicht spricht Herr Kubitschek mit den falschen Leuten.

herbstlicht

16. Februar 2012 01:38

@Ein Fremder aus Elea Mittwoch, 15. Februar 2012, 19:39

Sind Sie im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften über ein paar populörwissenschaftliche Bücher hinausgekommen?

Torsten Hesse

16. Februar 2012 14:50

Ja, da ist noch ein Problem: Intellektuelle wie Sarrazin oder "fjordman" schreiben und veröffentlichen, worüber sie nachgedacht haben und wovon sie überzeugt sind. Das ist normal und sollte kein Problem sein. Leider gibt es tatendurstige junge Leute mit Sendungsbewusstsein, die einiges missverstehen...

Das ist kein spezifisches Problem der Rechten und Linken. Vor kurzem ist es gelungen, im Labor ein Vogelgrippevirus so zu verändern, dass es von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Man wollte wissen, wie ein solches Virus beschaffen ist, um, falls es in der Natur auftauchen sollte, schnell einen Impfstoff bereitstellen zu können. Jetzt geht eine Diskussion darum. ob die Studie veröffentlicht oder unter Verschluss gehalten werden soll.

Ein Fremder aus Elea

17. Februar 2012 16:02

herbstlicht,

Sie verstehen vielleicht, daß es nicht den geringsten Grund dafür gibt, etwas solches von sich selbst zu behaupten.

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