ein ausführliches Gespräch über die Grundlagen des 21. Jahrhunderts. Sie stellten die richtigen Fragen, wir mißverstanden uns nicht. Sie sehen vieles ähnlich, ziehen den Karren aber in eine völlig andere Richtung – vor hunderttausenden Lesern.
Manche Fragen waren simpel zu beantworten, etwa die nach dem Wesenskern einer “Neuen Rechten”:
+ Sie ist nicht nostalgisch, begreift den Menschen aber als “historische Existenz” – ob dieser nun eine sein will oder nicht – und leitet daraus Achtung vor den Vorfahren und Verantwortungsbewußtsein für die Nachkommen ab.
(Während ichs so sagte, kams mir wieder so banal vor, so selbstverständlich, so nicht der Rede wert – aber als das Gespräch weiterlief, wurde mir klar, daß es ganz und gar nichts Selbstverständliches ist, sich selbst als Glied einer Kette zu sehen, die unser Volk auf seinem Weg durch die Zeit bildet).
+ Sie nimmt die Lebensmöglichkeiten der Moderne wahr, ohne über diesen Möglichkeiten die Gefährdungen (die Kehrseite der Medaille) zu verkennen.
+ Die Neue Rechte spielt mit offenen Karten, sie vermummt sich nicht, sie denunziert nicht; das, was sie sagt und denkt, muß sie äußern dürfen – ungehindert, nicht kriminalisiert -, und sie hat mit der Schieflage zu leben, daß es kein Leitmedium gibt, das auf ihrer Seite stünde.
(Großer Widerspruch auf Seiten der Besucher: Dies stimme nicht, dies träfe nicht zu, man müsse sich nur einmal die FAZ vornehmen, usf. – so als hätte es jüngst den Fall Lorenz Jägers nicht gegeben. Mir fiel am Ende nichts anderes mehr ein, als das Thema zu wechseln.)
+ Zuletzt die beiden klassisch rechten Überzeugungen: Auch die Neue Rechte begreift den Menschen als “riskiertes Wesen”, traut ihm also viel, aber nicht zuviel zu; auch die Neue Rechte weiß, daß dieser Mensch auf Ordnung angewiesen ist, und daß man Ordnungen leicht aufs Spiel setzt, aber schwer nur wieder aufrichtet.
Dies zog einen Rattenschwanz nach sich. Woher die Defensive komme, woher die Larmoyanz, das Passive, das Gejammere über die schlechten Zeiten und die schlimmen Entwicklungen. Dies ließ nur eine Gegenfrage zu:
+ Wo bitte würde hier gejammert? Geklagt? Ist es nicht vielmehr so, daß der nüchterne, der desillussionierte, der melancholische und trotzige Habitus verwechselt würde mit Passivität? Denn auch das zeichnet die Neue Rechte aus: daß sie in der Lage lebt – und nicht im Elfenbeinturm.
+ Und natürlich: Wer das Leben an sich bejaht (wieder so eine Formel, die selbstverständlich und banal klingt), der bejaht zunächst einmal alle Blüten und Formen, die das Leben hervortreibt, und der verharrt in Anschauung (“Dies alles gibt es also”). Rührt von dorther der passive Ton, den die schlichteren Gemüter etwa einem Ernst Jünger vorwerfen, wenn sie ihn “nur beobachtend” und mit eiskalter Nadel notierend durch das besetzte Paris streifen sehen?
+ Ja, wie schlicht wieder solcher Vorwurf, wie anmaßend und naiv dieser Sophie-Scholl-Ton, der mir entgegenschlug. Kein Gedanke an ein “Leben-Müssen” im Räderwerk der Knochenmühlen, an einen Zwiespalt zwischen Deutsch-Sein auf der einen, ins NS-System eingebunden sein auf der anderen Seite. Und immer der Verdacht, man wolle “aufrechnen”. Will man gar nicht, will ich gar nicht. Daß mir aber unsere Opfer näher sind als die der anderen: Das halte ich weiterhin für das Normalempfinden – die Trauer um die Opfer der ganzen Welt hingegen für eine ebenso infantile wie im Kern unredliche Gemütsregung.
Und so ging das immer weiter, und dann war der Moment nahe, an dem ich mich distanzieren sollte: Von den ganz rechten, von den Nazis, von den Radikalen, letztlich auch von der Simplifizierung komplexer Themen. Schuldig geworden sei ich als Mitautor eines Buches über Deutsche Opfer und fremde Täter, das zum Schema mache, was doch bloß immer wieder ein Einzelfall sei.
+ Gelesen hatte dieses Buch keiner der beiden Besucher (vielleicht liests der eine jetzt gerade).
+ Jede These ist eine Simplifizierung, eine Vereinfachung der Komplexität, der Versuch, in den Griff zu bekommen, was stets ein bißchen glitschig bleibt. Und der Umstand, daß wir die ersten waren, die dieses Thema in seiner ganzen Brutalität und seinem ganzen Ausmaß wo nicht beschrieben, so doch wenigstens aufgebohrt haben, legitimiert diese Arbeit.
+ Indes: Sind unter denen, von denen man Applaus für solche Bücher bekommt, nicht auch manche ein bißchen glitschig, vielleicht sogar ziemlich so, daß man sie nicht verteidigen möchte? Jede Menge Leute also, die im Internet anonym nur von “Kamelfickern” und “Kufnucken” schreiben, wenn sie Moslems, von “Einmann-Zelten”, wenn sie verschleierte Frauen meinen?
Einer (nicht einer der Gesprächspartner vom vergangenen Mittwoch) schrieb: “Was ist das, wofür Du kämpfst? Weißt Du, dieses noch nicht geführte Gespräch ist wie die leere Mitte, um die wir kreisen. Denn wir beide sind ja nun so, daß wir das, wofür wir brennen, über fast alles andere stellen würden. Du bist diesen Weg gegangen und davon, welchen Weg man einschlägt, hängt vieles ab. Möglich, denke ich, wären Dir auch andere Wege gewesen, mir auch. Ich meine, ich glaube, es widerstreiten sich in Dir Politik und Kunst und ich habe noch nicht verstanden, wie Du das in Einklang bringst.”
Zum Glück sind wir bis zu diesem Punkt im Gespräch nicht gekommen, und so suggestiv und schon mit Teil-Antworten behaftet wäre die Frage auch nicht aufgetaucht, hier in meinem Büro am Mittwochabend. Ich habe darauf übrigens keine rechte Antwort, und ich hätte mich wohl mit einer Gegenfrage gewehrt, zunächst: Wie kommt es, daß einer wie Sie, der so sehr zu anderen Schlüssen kommt als ich (obwohl er sieht, was ich sehe und beschreibe) auf die Frage nach seinem bevorzugten modernen deutschen Schriftsteller antwortet: Christian Kracht? Wie wären ein linker Lebenstraum und diese literarische Vorliebe in Einklang miteinander zu bringen?
Oder ist es so, wie ich es schon immer befürchtet habe: Daß dies alles gar nicht mehr links ist, sondern bloß noch post-modern, d.h. verantwortungslos, d.h. spielerisch – mit der Gewißheit, daß man den Spieltisch verlassen kann, wenns sich doch nicht so entwickelt, wie man dachte? Und ist es nicht so, daß ich, daß wir uns dieses Spiel verboten, früh schon, mit Anfang zwanzig – vielleicht, weil man nicht spielt mit Ordnungen und Menschen und vor allem nicht mit den eigenen Leuten?
Nun: Wir lesen voneinander.
Thomas Alva Zapparoni
Motor vs. Seele
Lassen Sie es sich gesagt sein: Es gibt hierzulande viele still leidende, die dem "Maelstrom" (F. G. Jünger) nicht mehr entkommen werden, ja, die mitten drin stecken (und dann möglicherweise in ihrer blinden Verzweiflung jemanden aus der "rechten Ecke" beschuldigen). Denn die tote Zeit und die Schürfung, die die kapitalistische Automatisierung nach sich zieht, macht vor dem Menschen nicht halt. Es handelt sich wahrhaft um eine Abnutzung von Menschenmaterial, nicht nur im Alltag, sondern auch genetisch. Der Zustand, in dem wir uns jetzt befinden, ist mit nichts anderem mehr zu vergleichen als mit einem Krieg, in dem die stillen Verletzten noch im Paradies vegetieren. (Aber das wissen Sie selbst. Warum sollte ein Krieg also immer laut vor sich gehen?) Unter diesem Aspekt sind auch Ernst Jüngers Stahlgewitter heute zu lesen. Um so größer die Schürfung der eigenen inneren Substanz, desto mehr wird gespielt; jedes Spiel wird recht. Und die Verletzten spielen das Spiel der Herrn der Welt mit. Abstammung, Herkunft spielen in diesem Zustand keinerlei Rolle mehr. Den Kindern werden die Legosteine vor die Füße gelegt; die Eltern schweigen; die Kinder bauen ihre Welten, werden sich "hacken" bis auf die Türme von Babel. Und bei temperamentloseren Naturen wird sich ein Idealismus einstellen, der sich rasend breit macht, der die Welt mit Linien durchschneidet. Ich denke, dass in den noch wohlbehüteteren deutschen Heimen, in denen noch Geschichten erzählt werden - anstatt vor Bildschirmen zu erstarren -, gar keine Vorstellung herrscht, welches Leiden der Fortschritt von der Substanz, gepaart mit schweigender Zustimmung, in den Menschen verursacht. Es ist schwer, jemanden anzuklagen, denn viele stecken bis zum Hals in diesem Schlammassel. Was ist - mechanisch gesagt - der wunde Punkt? Er ist vergleichbar mit der Achse der Maschine, die sich bis in unsere Seele dreht, als Verletzung des natürlichen Zustandes. Der Motor und die Seele, das passt auf Dauer nicht zusammen.
Das soll nur ein kleiner, überreizter, polemischer Einblick sein in eine bürgerliche Welt, die noch vor 2 Generationen Substanz und Stolz auf ihre Herkunft besaß, die sie nun blind in die Nacht deligiert hat. Es wird nicht viel bleiben; und vielleicht besteht mit der Hilfe von Engagierten wie Ihnen noch Hoffnung auf die Abwendung des Schlimmsten. Aber ich sehe wenig davon, denn der Raubbau, verbunden mit dem großen Schweigen ist gerade bei den Opfern dieses Systems so subtil, dass ihn schlichtweg kaum jemand wahrnimmt. Wie gesagt: Gerade die Opfer kollaborieren!!
In diesem Sinne wünsche ich mir mehr Darstellungen von Grenzgängern, die den Weg gemacht haben von einer vielleicht larmoyanten, gar dekadenten, "postmodernen", verantwortungslosen, linken Haltung hin zu einer Haltung eines bodenständigen Anstands - und dafür steht für mich die Neue Rechte -; und zu diesem Anstand gehört, dass er sich zu verteidigen weiß. Das beobachte ich querweg durch die Reihen der rechten Autoren, durch die ich mich arbeite. Das gibt Kraft! Die, die diesen Anstand haben, können es sich auch nicht anders vorstellen, dass sie ihn gleichzeitig verteidigen. Zu banal muss Ihnen die Maschine scheinen, die das Leiden verursacht. Ja - wie banal ist sie tatsächlich; aber das Leiden der Seele und ihre Heilung sind es nicht!