Binnenpluralismus und Sezession

Seit Donnerstag Mittag war ich unterwegs, um Autoren zu besuchen - ohne Internet, ohne Mobiltelefon, und ausgerechnet in...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

die­sen andert­halb Tagen muß­te die “Sezes­si­on im Netz” ihr Gesel­len­stück in der Dis­zi­plin “Bin­nen­plu­ra­lis­mus” ein­rei­chen. Nun denn:

Es sind in Licht­mesz und Weiß­mann zwei grund­sätz­lich unter­schied­li­che For­men der meta­po­li­ti­schen Äuße­rung anein­an­der­ge­ra­ten, die seit Jah­ren in der Sezes­si­on neben­ein­an­der her­lau­fen, ihre Licht­punk­te set­zen und den eigen­tüm­li­chen, unver­wech­sel­ba­ren und in sei­nen bes­ten Momen­ten sug­ges­ti­ven Stil unse­res Pro­jekts hervorbringen.

1. Der Stra­te­gie-Den­ker: Sein Feld ist die meta­po­li­ti­sche Ana­ly­se, und er schreibt in dem Bewußt­sein, daß Ein­fluß vor allem etwas mit Macht zu tun habe: Wer an pro­mi­nen­ter Stel­le ver­öf­fent­li­chen kann, mag weni­ger klug, weni­ger tref­fend, weni­ger durch­drin­gend geschrie­ben haben als jener glän­zen­de Blog­ger, der allen­fall­sein paar tau­send (immer­hin!) Leser erreicht – Macht hat er, Ein­fluß besitzt er, denn er kann hun­dert­tau­sen­den Lesern oder Zuschau­ern sagen, was er für rich­tig hält; Macht hat, wer deutsch­land­wei­te Gedenk­mi­nu­ten anset­zen oder ver­hin­dern kann; kei­ne Macht hat, wer auf einen Anteil an der Macht pochen muß – und ihn sich nicht ein­fach neh­men kann.
Weiß­mann ist ein Stra­te­gie-Den­ker, ich habe viel von ihm gelernt: Er betont nicht ohne Grund die Klug­heit und eine gewis­se Ver­öf­fent­li­chungs­stra­te­gie als Vor­aus­set­zung dafür, jen­seits eines “Milieus” Ein­fluß zu gewin­nen. Er ist in der Sache hart und im Ton lage­ori­en­tiert. Das bedeu­tet: Er läßt sich die­sen Ton nicht von sei­nem Gemüts­zu­stand dik­tie­ren. Wenn nötig, dann legt er einen Text für ein paar Stun­den in den Gefrier­schrank. Sei­ne Feder ist kühl.

2. Der Aus­drucks-Typ, expres­siv, künst­le­risch, im Kern nicht zu ver­ein­nah­men, pen­delnd zwi­schen Pha­sen des Blät­terns im gro­ßen Buch des Lebens und jähem inten­si­vem Aus­bruch. Das for­mal, habi­tu­ell und sti­lis­tisch Mit­rei­ßen­de ist sein Metier, ist das Metier eines Mar­tin Licht­mesz – zor­nig lich­tet er den Nebel und drischt ein paar Ori­en­tie­rungs­pfäh­le in den Boden. Er über­zeugt nicht nur, er über­wäl­tigt. Er liegt mir sehr, das muß ich nicht beto­nen, und sei­ne Wei­se, mit dem zivil­re­li­giö­sen Schwei­ge­ri­tu­al abzu­rech­nen, ist kein Grund für eine Distanzierung.

Sol­che Tex­te näm­lich machen aus der Sezes­si­on einen gespann­ten Bogen: Die Stra­te­gie-Den­ker sind das Holz, die Aus­drucks-Typen sind die Seh­ne (und ich gebe mei­ne inter­ne Bogen-oder Seh­ne-Lis­te nicht her­aus; wer genau liest, kann sel­ber zusor­tie­ren). Muß ich noch sagen, daß ich bei­de – den Stra­te­gie-Den­ker und den Aus­drucks-Typ – für unver­zicht­bar hal­te, und daß der Bogen bloß ein Stock wäre, wenns die Seh­ne nicht gäbe, die Seh­ne bloß eine Schnur ohne das wider­stän­di­ge Holz?

Mit ande­ren Wor­ten: Bin­nen­plu­ra­lis­mus. Wer das jüngs­te Heft der Sezes­si­on liest, weiß, daß ich dies for­cie­re – die Aus­ein­an­der­set­zung, die Debat­te, Töne aus der gesam­ten Band­brei­te der Kla­via­tur. Und: Sel­ten bekam ich mehr Post als auf die­ses Heft.

Dies und der Zuwachs an Abon­nen­ten und Inter­net-Lesern bestä­tigt, daß der Bogen nicht in der Ecke ste­hen darf, son­dern gespannt wer­den muß. Nur dann lese ich (als der stets ers­te und gründ­lichs­te Leser) unse­re Zeit­schrift unter dem Ein­druck, wie­der etwas Unver­zicht­ba­res, Unver­wech­sel­ba­res in der Hand zu halten.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (27)

Georg Mogel

25. Februar 2012 13:17

Sag mal, verehrtes Publikum:
Bist du wirklich so dumm?

So dumm, daß in Zeitungen, früh und spät,
immer weniger zu lesen steht?
Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
könnten mit Abbstellung drohn?
Aus Bangigkeit, es käme am Ende
einer der zahllosen Rechsverbände
und protestierte und denunzierte
und demonstrierte und prozessierte...
Sag mal, verehrtes Publikum:
Bist du wirklich so dumm - ?

Kurt Tucholsky

Volker Faust

25. Februar 2012 14:17

Eintracht ist langweilig und ist uninteressant. Wir müssen zeigen, dass auch bei uns nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Das ist natürlich! Das ist menschlich! Der Mensch entwickelt sich entlang von Kontroversen. Und es zeigt dem Außenstehenden, dass Rechts nicht Rechts ist. Rechts ist eine Verallgemeinerung, die ihre Berechtigung hat, aber nicht alles beschreibt. Rechts oder konservativ sind Sammelbegriffe für eine Mehrzahl unterschiedlicher Meinungen, die zwar eine gemeinsame Basis haben, aber nicht identisch sind.

Mich stört die Kontroverse zwischen Herrn Weißmann und Herrn Lichtmesz nicht. Man könnte spekulieren woran die Übereinstimmung gescheitert ist. Aber warum sollte man dies tun?
Auch ich habe schon mit Ihnen, Herr Kubitschek, über die Frage diskutiert, ob man mehr tun sollte oder eher abwartet. Wir kamen zu keinem gemeinsamen Ergebnis. Wir vertreten hier unterschiedliche Positionen. Allerdings hat mich diese Unterscheidung der Herangehensweise an unsere Sache nicht davon abgehalten, weiterhin die Sezession zu lesen oder die Akademien und Vorträge zu besuchen. Ganz im Gegenteil. Denn diese andere Sichtweise auf die Dinge ist es, die mich immer wieder anzieht; zusammen mit der Tatsache der gemeinsamen Basis.
Selber denken, meine eigene Meinung bilden und mit mir allein im Reinen sein, dass kann ich sehr gut. Aber die Dinge anders sehen, aus einem neuen Blickwinkel betrachten und darüber diskutieren, dafür brauche ich den andern.
Und wie eingangs schon geschrieben, an diesen Kontroversen entlang entwickeln wir uns alle.

Mithin, dies sollte man nicht als Krise betrachten, sondern als eine neue Qualität unseres Zusammenwachsens und finden eines gemeinsamen Weges.

Mithin, weiter so. Es liebe die Vielfalt (nach Lichtmesz’s „Die Verteidigung des Eigenen“)

Martin

25. Februar 2012 15:12

Und wer oder was ist in dieser Metapher dann der Pfeil?

Und wer ist der Schütze?

PB

25. Februar 2012 16:06

Ungeachtet aller nachträglichen Rechtfertigungen und Einordnungen war Lichtmeszs Beitrag jener Stunde unangemessen, und als messerscharfer Analytiker von Befindlichkeiten aller Art dürfte er dies auch längst eingesehen haben.

Über den Vorgang selbst, der die Aufregung verursacht hatte, ist in der SEZESSION bereits in schlichten, unaufgeregten, empathischen und dabei kritischen Worten alles gesagt worden:

"Egal, wie es war: Die Opfer hätten gerne noch weitergelebt, und die Hinterbliebenen vermissen sie. Egal, wer es war: Es gibt keinen Grund für Hunderte Abgeordnete, sich deswegen zu erheben und gedenkend innezuhalten, und es gibt für Deutschland keinen Grund, zu schweigen."

Einen solchen Tonfall sollte man schon einhalten, wenn man mit seinen Publikationen das Ziel verfolgt, gehört und ernst genommen zu werden.

S. W.

25. Februar 2012 19:23

Ich lese sowohl Weißmann als auch Lichtmesz stets mit Gewinn, aber in diesem Fall kann ich im Streit keinen Ausdruck von Binnenpluralismus erkennen, weil nur Lichtmesz seinen Standpunkt begründet hat. Wenn es Gründe gibt, mit den Gedenkveranstaltungen zurückhaltender umzugehen als Lichtmesz es getan hat, wäre es interessant, wenn Weißmann diese näher vorstellen würde.

Man könnte Lichtmesz m.E. allenfalls vorwerfen, daß sich seine rhetorische Schärfe nicht präzise genug zwischen den Opfern der ungeklärten Taten richtete und nicht ausschließlich gegen jene, die diese (noch vor Abschluß der Ermittlungen) für ihre Zwecke instrumentalisieren wollen.

Kaum wahrgenommen wird in diesem Zusammenhang, daß die Ermittler aktuell u.a. auch "Zuwendungen aus dem kriminellen Milieu, mit dem vielleicht Auftragstaten bezahlt wurden" als Hintergrund der Taten für möglich halten.
Als einziges Medium hat ausgerechnet die FR darüber berichtet: https://www.fr-online.de/neonazi-terror/zwickauer-terrorzelle-wie-hat-die-nsu-ihre-taten-finanziert-,1477338,11551692.html

Petrus Urinus Minor

25. Februar 2012 20:48

Das ist KEINE Binnenplualität! Wenn Herr Weißmann sagt, ich zitiere:" Dies ist kein Gesprächsangebot!", so weiß ich nicht, was daran falsch zu verstehen oder positiv im Sinne von Pluralität auszulegen ist.

Ja, glaubt den nur einer, daß die Zukunft nett wird? Daß es selbst im besten Falle ohne (metaphorische?) Guilliotine abgehen kann? Voller Rücksichtnahme, ach so fein abgestimmt in Gesittung und Ton?

In unserer konservativen Szene sprechen wir doch so gern vom "Untergang" vom "Stärkerenrech" und lesen recht gern "Spengler" und Nietzsche" im Ohrensessel.

Nun denn...

Der Edelkonservative weiß also ganz genau, was kommt.

Ich bin geneigt, es ihm zu gönnen.

erwalf

25. Februar 2012 21:12

Ich schätze Weißmann wie auch Lichtmesz. Die Analyse von Lichtmesz ist messerscharf. Der Einwand von Weißmann war an diesem Tag zu dieser Stunde richtig: Es wurden Tote beklagt und getrauert, wenn auch nicht auf dem Friedhof. Dennoch hätte man dazu schweigen können, um dann mit einigem Abstand eine nüchterne Analyse zu liefern, bei der man auf den der Literatur entlehnten Schlußsatz auch hätte verzichten können. Über Lichtmesz' Stil oder Stillosigkeit braucht Weißmann nicht bereit sein zu diskutieren; da reicht die Distanzierung. Seine Meinung zu der nüchternen, weiter ausgeführten Analyse von Lichtmesz würde mich jedoch sehr interessieren.

Toni Roidl

25. Februar 2012 21:45

Ich verstehe diese Debatte nicht. Na klar, Binnenpluralismus ist gut und schön. Aber was ist denn überhaupt die Kontroverse? Wenn Lichtmesz die Opfer verhöhnt oder sich über die trauernden Familien lustig gemacht hätte, das wäre schäbig und unanständig gewesen. Hat er aber nicht! Er hat zu Recht diese obszöne und okkultistische "Gedenkfeier" angegriffen. Was ist daran nicht in Ordnung? Herr Kubitschek hat im Fernsehinterview gesagt, wir leben in einem "geistigen Bürgerkrieg". Stimmt. Und diese Gedenkfeier war eine gegnerische Offensive. Lichtmesz hat zurückgeschossen.

Ulla

25. Februar 2012 22:09

Lieber Herr Kubitschek,

Sie haben die unterschiedlichen Schreiber ausführlich besprochen.

Herr Lichtmesz hat noch einmal seinen Standpunkt erläutert. Herr Weißmann sagt "kein Gesprächsangebot". Nun ist es dann eben Sache des Lesers, sich darauf einen Reim zu machen.

Deckel zu, Thema erledigt - es gibt Dinge, die dringender besprochen werden müssen.
Gruß
Ulla

Aleman

26. Februar 2012 01:08

Toll, Herr Kubischeck, man glaubt es nicht,
Weissmanns Originalton: „Dies ist kein Gesprächsangebot? Dies ist eine Distanzierung?“, „von einem Text?“.
Sind wir soweit, daß wir den Diskurs satzweise erst im „Kühlschrank“ ablagern müssen, damit man –„lageorientiert“ seine Meinung sagen darf? Wenn es offenkundig ist, daß hier die Trauer um Mordopfer einseitig und massiv politisch instrumentalisiert wird, andererseits z.B. die Tötung eines Schülers auf einer Abifete durch einen Messerstich ins Herz - hier am Ort - durch einen Türken, als „Qantite negligeable“ von den Gerichten behandelt wird, zugleich aber wüste Demonstrationen der Kommunen, der Kirchen, der Schulen mit ihren Schülern, den Parteien und Gewerkschaften veranstaltet werden, bei der alle Bürger, die es wagen sollten, eine Kerze oder Blume am Ort des Verbrechens nieder zu stellen, von eben jenen Saubermännern als Neonazis beschimpft werden, dann gestatte ich mir, den „konservativen“ Ton als ziemlich nutzlos zu bezeichnen, wenn es nicht mal zu einer deutlichen Sprache reicht, sondern nur zu gegenseitiger Beweinung. Der designierte Bundespräsident Gauck hat heute abend in Bayern-alpha-TV-Interview die Verhältnisse seiner jungen Jahre in der kommunistischen DDR sehr kenntnisreich geschildert, inzwischen – was die öffentliche Stimmungslage angeht durchaus vergleichbar mit den heutigen linksfaschistischen Verhältnissen hierzulande.

Meinen Gruß und und Dank nochmals an Herrn ML.

Martin Lichtmesz

26. Februar 2012 06:21

Ungeachtet aller nachträglichen Rechtfertigungen und Einordnungen war Lichtmeszs Beitrag jener Stunde unangemessen, und als messerscharfer Analytiker von Befindlichkeiten aller Art dürfte er dies auch längst eingesehen haben.

Leider nein. Ich bin völlig uneinsichtig. Die Liebermann-Henscheidsche Reaktion war für mich die einzig angemesse. Ich fühle mich erst recht bestätigt nach der Lektüre von Merkels Rede: das war sozusagen der Sportpalast-Auftritt "gegen Rechts".

Biobrother

26. Februar 2012 10:15

Neben der "Hardcore"-Fraktion machen sich ein paar sanftere Stimmen vielleicht wirklich ganz gut. So etwa in diesem Sinne:

"Auch in unsrer Mitte fehle
Nicht die kindlich reine Seele
Auch in unserm Chor erschalle
Ihre herrlich lautre Stimme
Sie verdamme alles Schlimme
Und sie spreche für uns alle."

(Bert Brecht, Die heilige Johanna der Schlachthöfe)

enickmar

26. Februar 2012 10:49

Die Intention von Lichtmesz Beitrag „Die Schweigeminute“ scheint mir zunächst völlig richtig.
Es ist bis heute ungeklärt wer der oder die Mörder der Betrauerten wirklich war(en), was unser politisches „Establishment“ nicht daran hindert es zum Anlaß für eine allgemeine „Orwellsche Gehirnwäsche“ zu nehmen. Von den staatlicherseits unbetrauerten deutschen Opfer verschiedener Tätergruppen ganz zu schweigen.
Diese Verhältnisse machen Angst und es kann einem durch die ohnmächtige Wut durchaus schlecht werden, was wiederum zu rebellischen Reaktionen des Magens führen mag.
Ob man nun aber auf einem konservativen Blog einer Zeitschrift eines Instituts, das seine Verbundenheit mit dem Christentum betont, bzgl. einer Trauerfeier, für wen auch immer, die zynische Ausdrucksform wählen muß, die Lichtmesz, wenn auch verständlicher Weise, gewählt hat, kann man durchaus in Frage stellen. Vielleicht ist es manchmal auch nicht verkehrt, seinen Text erst einmal für ein paar Stunden in den Gefrierschrank zu legen und so die „Tinte zu halten“.
Allerdings kann es dann andererseits anscheinend auch mal zu einem kleinen Gefrierbrand kommen ...

Rolf

26. Februar 2012 10:58

Es müsste doch eigentlich auffallen, gerade bei dieser Debatte um den Popanz in Berlin, dass da Staatstrauer mit 5 Jahren Verspätung zelebriert wurde, ohne dass die Täter sich jemals zu ihrem Terrorismus bekannt haben, geschweige denn sie verurteilt wären nach Vorlage der Beweise vor Gericht. Sie sind tot. Praktisch, die Verhandlung fand bei Günther Jauch statt.

Das groteske Element liegt genau in diesem Umstand: Nichts ist bewiesen, der letzte "Dönermord" ist über 5 Jahre her, aber auf einmal musste alles ganz schnell gehen. Das Thema ist damit jetzt auch "durch", zumindest medial gesehen, was Einiges erklärt, vor allem den Zweck: Schuldkult erzeugen/auffrischen, neue Tabus zementieren:

Jede Art von "Rückführungsfantasien", um "Das Eigene zu Verteidigen", ist delegitimiert, und zwar ab sofort. Strafbar wird sie sicher auch bald.

DAS ist das Fatale an dieser Inszenierung in Berlin.
Deshalb hat Martin Lichtmesz jedes Recht, sich über diesen Popanz lustig zu machen.

Der Historiker Wolfgang Eggert hat einen sehr langen und interessanten Artikel über die Hintergründe und die Widersprüche beim Thema "Dönermorde" geschrieben, einen kleinen Ausschnitt füge ich hier an:

Die Morde hörten erst auf, als die Polizei in Richtung der Drogenmafia ermittelte und ein Verfassungsschutzagent verhaftet wurde. Im Oktober 2007 berichtete dann die türkische Zeitung ZAMAN, dass das türkische Landeskriminalamt (KOM) seine Ermittlungsergebnisse über die Döner-Morde an die Behörden in Deutschland weitergegeben hatte. Die Zusammenfassung dieses Berichts an das Bundeskriminalamt unterstrich den Zusammenhang zwischen den "Döner-Morden" sowie dem Drogenmilieu in Europa, nannte konkret einen Familienclan aus Diyarbakir. Der Bericht zählte 8 Opfer der "Döner-Morde" zu Verteilern im Drogenmillieu. Die Opfer, so hiess es, hätten zudem Schutzgelder an die PKK in Europa und den Familienclan in Diyarbakir gezahlt.

Der Link:
https://www.doriangrey.net/index.php?issue=11&page=article&p=2&id=z&c=3

Fast möchte man anmerken: Schietegal, wer es war, Mission erfüllt... Schuldkult gefestigt.

Daher ist jede falsche Zurückhaltung kontraproduktiv.

JeanJean

26. Februar 2012 12:07

@ Martin,

"Und wer oder was ist in dieser Metapher dann der Pfeil?
Und wer ist der Schütze?"

der Leser, und sein freier Wille, dem der vollständige und gut gearbeitete Bogen in die Hand gegeben wird.

zentralwerkstatt

26. Februar 2012 12:41

Leider nein. Ich bin völlig uneinsichtig.

Sie haben auch nichts einzusehen. Ich finde es anmaßend, daß jemand den Stab über Sie bricht. Sie haben nicht mit einem Wort die Toten entehrt. Auch war kein zeitliches Abstandsgebot zu beachten, der letzte Tote der Serie ist seit Jahren unter der Erde, vielmehr scheinen mir die kürzlich verschiedenen(?) Beschuldigten entweiht, denn soviel ich weiß, gibt es keine Beweise für ihre Schuld (und für ihren Tod?) - in dubio pro reo (mortuo) gilt hier dann auf einmal so gar nicht.

Die Deutschen sollten durch diese Veranstaltung entehrt werden (wer sich den Schuh anziehen mag) - und nebenbei wurden die Toten (außer freilich von ihren wahrhaft trauernden Angehörigen) mit dieser Propagandaveranstaltung durch den Kakao gezogen. Doch wer schenkt diesen Kakao ein?

Nur in diesem kleinkarierten Diskssionskontext ist es erwähnenswert: Ich habe bei den türkischen Trauerrednern vermißt, daß nicht einer von denen einen generellen Dank an das gutmütige autochthone Volk der Bundesrepublik von Deutschland ausgesprochen hat.

Doch schaler Trost, es wird zu keiner Islamisierung der BRvD und auch nicht von Europa kommen. Divide et impera, die "Retter" warten aber noch - - - bis es keine europäischen Völker mit den ihnen charakteristischen Nationen mehr gibt.

Ich vermisse an dieser Diskussion die Klarsicht. Wollt Ihr Schlachten schlagen oder den Krieg gewinnen? Bei letzterem, deckt Euch mit Lebensmitteln ein und holt Eure Guthaben von den Banken!

Christoph Nahr

26. Februar 2012 14:28

Herrn Weißmanns moralische und/oder taktische Rücksichtnahme kann ich zwar ein Stück weit verstehen, aber persönlich stehe ich eindeutig auf der Seite von Herrn Lichtmesz und bin wohl genauso "uneinsichtig". Die Gründe hat er in seinen Folgeartikeln schon ausführlich erläutert, deshalb nur noch zwei Anmerkungen:

1. Linke äußern sich öffentlich sehr viel brutaler und geschmackloser als der ursprüngliche Lichtmesz-Artikel. Sie rufen gleich unumwunden zur Ermordung ihrer Gegner auf, etwa "Do it again, Bomber Harris" in Dresden oder Kommentare, die in lupenreiner Nazi-Terminologie die "Ausrottung" von Rechten fordern. Lichtmesz lag dagegen eher auf der Linie von linker Mainstream-Satire oder solcher Sprüche, wie sie etablierte linke Politiker regelmäßig gegen Kollegen rechts von der SPD absondern.

2. Sich jeglicher Provokation zu enthalten und in den Handlungen bekennender Gegner nur das Beste sehen zu wollen, hat im politischen Kampf noch nie funktioniert. Die heutige Linke genießt jedenfalls mit ihrer (nicht nur) rhetorischen Brutalität eine nie dagewesene Machtstellung, während die höflich-zurückhaltenden Konservativen immer weiter zurückweichen.

Die gesellschaftliche Mitte und der ganze Raum des politisch Denkbaren werden von den radikalen Flügeln her definiert, soweit diese überhaupt ans öffentliche Bewußtsein dringen. Wer die radikale Rhetorik nur den Linken überläßt, der bekommt eine entsprechende "Mitte" zwischen SPD und Grünen. Und wenn wir das nicht wollen, dann brauchen wir mehr Lichtmesz!

mcbad

26. Februar 2012 14:30

@ Toni Roidl

„Wenn es Gründe gibt, mit den Gedenkveranstaltungen zurückhaltender umzugehen als Lichtmesz es getan hat, wäre es interessant, wenn Weißmann diese näher vorstellen würde.“

Ja, das wäre interessant. Andererseits, sein äußerst knappes Statement ist ja eine klare Geste. Mit der ist eigentlich alles gesagt. Da ich KH Weißmann beipflichte, kann ich nur vermuten, welche Gründe er für seinen Einspruch hatte.

Was mir an ML’s Beitrag zu denken gab, war der nicht zu überhörende Schellenklang. Das war das falsche Instrument zur falschen Zeit. ML sieht das anders, ich weiß, doch wird er mir in einem Punkt vielleicht nicht widersprechen: Wer sich in das auf 12 Nazi-Jahre geschrumpfte Antifa-Univerum begibt, muß damit rechnen, daß sein Verstand irgendwann nur noch wie ein Flummi in einer Telefonzelle herumhüpft.

Noch einmal: Die Sinngebung der Veranstaltung durch ihre Initiatoren war ätzend. Die Toten konnten sich dagegen nicht wehren. Aber tot sind sie nun mal. Wie Greti und Pleti, wie du und ich es irgendwann auch sein werden. Und da kommt dann etwas ins Spiel, daß ich religiöses Bewußtsein nenne. Dieses Bewußtsein ist mehr als der fromme Affekt, der hier als Pietät durch die Debatte geistert. Es gibt eine Religiösität, die sich nicht an theologischen Dogmen oder an irgendeiner Theodozie abstützt. Ihr erscheinen die Toten in einem anderen Licht, nicht in dem, das von den Schuldpriestern aufgesteck wurde, aber auch nicht unbedingt in dem, mit der ML die Szene beleuchtet. Als die Menschen, um die es bei der Feier nebenbei nämlich auch ging, noch lebten, haben sie wie wir ihre Suppe gelöffelt, ihre Freuden gehabt und ihre Krisen oder was weiß ich. Und dann Bumm – headshot und aus.
Wie ich zu deren Tod stehe, das ist eine Frage der Haltung. Genauso wie es eine Frage der Haltung ist, wie ich in diesem Moment zu denen stehe, die mit dieser Feier auch uns die Messe lesen wollten. Wie diese Haltung aussieht läßt sich u.a. in Jüngers Tagebüchern abmerken: Einen Widerspruch lange aushalten, die Distanz über weite Strecken einhalten können. Sonst kommt man in seltsame Zwangslagen. Da sitzt man dann dort, wo man nie sitzen möchte: Ausgerechnet zwischen denen, die die Toten um die Wette rupfen.

Martin Lichtmesz

26. Februar 2012 15:04

Dies ist die Quelle für den Text aus doriangrey.net:

https://www.turkishpress.de/2011/02/22/sind-graue-woelfe-doener-morde-verstrickt/id3094

Vulture

26. Februar 2012 20:09

Ich bin schockiert. Die besagte Gedenkfeier hatte ich nur am äussersten Rand meines Bewusstseins ganz kurz mitbekommen und wohl auch instinktiv verdraengt. Einige wenige Sekunden waehrend des durchzappens des TV im Hotelzimmer hatten genuegt: das uebliche Theater, im Westen nichts neues. Aus den Kasten.

Und jetzt das hier. Bei Sezession arbeitet man sich tagelang daran ab.

Danke fuer das 2012 Lageheft - hat mir sehr geholfen.

Dema Goge

26. Februar 2012 21:30

@Vulture
'Danke fuer das 2012 Lageheft – hat mir sehr geholfen'

Wobei ?

Deutscher Michel

26. Februar 2012 22:14

Die Sezession ist kein Parteiorgan, Gott sei Dank! Bewegte sie sich erkennbar in diese Richtung, ich kündigte ohne Zögern mein Abonnement, denn ich möchte mich nicht einmal von Konservativen/Neuen Rechten vereinnahmen lassen. Wer braucht schon am laufenden Band die Bestätigung seiner fixen Ansichten?! Ich möchte herausgefordert werden und schätze den dauernden, subversiven wie offenen Angriff auf meine ach so lieben ideologischen Besitzstände. Da war etwa der Brief Siegfried Gerlichs an Kubitschek, der sich glasklar gegen die merkwürdigen, wiewohl bezeichnenden Scheilschen Nolte-Interpretationen richtete, doch sehr wohltuend, zumindest für mich. (Übrigens auch dies dezidiert kein Gesprächsangebot.)
Was immer man von der gewiß keineswegs unproblematischen Gedenkfeier halten mag, mein alles andere als taktischer oder strategischer Instinkt sagte mir: Jetzt einfach mal die Fresse halten. Die schier endlosen Einlassungen Lichtmesz' verfehlten daher bei mir auch jegliche Tiefenwirkung. Der lapidare Einwand von Weißman hingegen nicht. Wohl auch nicht bei Lichtmesz.

Widenmayerstraße 26

27. Februar 2012 00:11

"Ob jemand recht hat oder unrecht, darauf kommt in der Geschichte nicht viel an. Ob er dem Gegner praktisch überlegen ist oder nicht, das entscheidet über den Erfolg." (Spengler)

Nun denn!

Der Lichtmesz'sche Blogeintrag las sich in der Tat etwas unglücklich (shit happens) - die Weißmannsche Replik empfand ich insofern als durch berechtigt, aber im Ton viel zu scharf. Das klang... ebenso befremdlich. Ohne diese Replik wäre wohl das passiert, was man im Radio "versenden" nennt...

Schwamm drüber.

Landser

27. Februar 2012 15:17

1. Zu den sog. Dönermorden und dem ganzen Gedenk-Trara: Vielleicht bin ich ja der einzige, dem die histor. Parallele auffällt, aber ich meine, die "antifaschistische" Bewegung hat für ihre Zwecke ein paar neue "Blutzeugen" vereinnahmt!
2. Zu Merkel: Sie hat in ihrem linksdrehenden Pfaffen-Elternhaus die bigotte Rede und das Heucheln und Lügen von Kindesbeinen an gelernt. Was kann man da schon erwarten?
3. Es ist immer wieder von einem Wirken jenseits des "Milieus" die Rede. Das bedeutet doch aber, daß man bei Sezession und IfS der Meinung ist, daß es noch andere Milieus jenseits des eigenen gibt. Aber welche sollen das eigentlich noch sein? Ich für meinen Teil vermag keine zu erkennen. Ich befürchte, der Zug ist vom Bahnhof Deutschland abgefahren (und zwar schon vor längerer Zeit). Nächster Halt: Bunte Republik Dhimmistan. Und den meisten Reisenden ist's egal. Hauptsache, man wird auch dort schön shoppen können.
4. Zum Binnenpluralsimus:
Lichtmesz is right - and Weißmann is wrong (sorry, Doc)!
Warum? Nun, auf einen groben Klotz, so der Volksmund, gehört ein grober Keil. Und wenn dieser ganze Bewätigungs- und Selbstanklagungsschmu kein grober Klotz ist, na also dann weiß ich wirklich nicht. Und man weiß auch: Spott tötet - wenn auch langsam.

Baal Müller

28. Februar 2012 02:59

Gruß in die Runde! In der Sache ist wohl schon alles gesagt - ich komme zu spät und spare mir lange Ausführungen (die Martin Lichtmesz ja schon in überzeugender Weise vorgelegt hat und die an dieser Stelle nur den einen Nachteil haben, daß sie wie Rechtfertigungen wirken, wo es nichts - aber auch gar nichts - zu rechtfertigen gibt).

Daher nur ein lebhafter Applaus in die eine Richtung und ein verwunderter, um nicht zu sagen: verständnisloser, Blick in die andere. Gegen strategisches Denken, realistische Abschätzung der Möglichkeiten, Portionierung der Häppchen in jeweils mundgerechte Stücke, Anpassung der Sprache an die Umgebung usw. ist nichts zu sagen, aber was daran strategisch sein soll, zu den von der Obrigkeit verordneten, schäbigen Ritualen, bei denen immer dieselben Phrasen von "Gedenken" und "Entschuldigen" abgeleiert werden, zu schweigen, erschließt sich mir nicht.
Womöglich würde dies ja als "betretenes Schweigen" und heimliches Schuldeingeständnis verstanden! Und erst recht verbietet sich jede Beteiligung, jedes "Sicher ist dies schlimm" und "Eigentlich fühlen wir mit den Opfern, wenngleich wir darum bitten, daß auch die deutschen Opfer usw."

Erst wenn NORMALE Verhältnisse hergestellt sind, kann darüber nachgedacht werden, die von der Obrigkeit pervertierten Gefühlsregungen auch in echter Form - jenseits aller hohlen Phrasen und Inszenierungen - zuzulassen.

Solange wir dulden müssen, daß unsere Opfer - seien es die des Krieges oder die des beginnenden Dauer-Bürgerkrieges - hier in Deutschland und vor den kalten Augen und leblosen Automatenmündern unserer Politiker Menschen zweiter, dritter, fünfter, siebenter Klasse sind oder überhaupt nur "deutsche Täter" oder "deutsche Kartoffeln"; solange ich ihrer nicht ganz selbstverständlich an erster Stelle gedenken darf, wie ich ja auch bei Todesfällen im familiären Umfeld zuerst meine eigenen Eltern, Frau oder Kinder und dann die ferneren Toten betrauere oder betrauern würde; solange also noch um einer Ideologie willen die Natur verweigert und verwehrt wird - solange gibt es keinen Grund, sich an irgendwelchen Gedenkritualen der Anderen, also der Politiker, der Behörden, der Obrigkeit, der Massenmedien zu beteiligen.
Für mich finden deren Veranstaltungen nicht statt. Wenn ich sie ignoriere, dann nicht, weil ich zu ihnen "schweige", sondern weil sie mir egal sind bzw. weil ich gerade nicht den Computer an hatte, als das jeweilige Ritual abgefeiert wurde.
Und wenn ich mich doch dazu äußere, dann allenfalls in der Weise, daß ich versuche, Spott und Analyse so zu verbinden, wie ML es immer wieder meisterhaft vorführt. Auf beides kommt es an: Spott ohne Argumentation ist billig, und Argumentation ohne Spott ist kalt. Beides zusammen reizt den Gegner (bzw. den Feind, insofern es ihm um unsere Austilgung geht), weil es ihm an Witz und an Argumenten fehlt.

Insofern kann ich Martin, von dem ich im Übrigen weiß bzw. schon "zu hören bekommen habe", welche ethischen Maßstäbe er bei der Behandlung des Gegners und selbst des Feindes anlegt, nur lebhaft zunicken! Und er war wirklich noch maßvoll.

(Aber eigentlich wollte ich mich ja kurz fassen.)

Carolus

28. Februar 2012 10:00

Bravo zum Binnenpluralismus!
Und lasst Euch bitte bloß nicht auseinander dividieren! Weiter so!
Der Kampf gegen Rechts wird ja mit äußerst subtilen, hinterhältigen und manchmal wenig magenschonenden Mitteln geführt.

Mir kam übrigens auch schon die psychologisch perfekte Inszenierung der Gedenkstunde im Bundestag am 27.1. mit Wulff und MRR sehr theatralisch vor, gekünstelt, unecht, verlogen und die Opfer missbrauchend.

Asenkrieger

28. Februar 2012 21:06

Lichtmesz ist voll zuzustimmen. Möge er auch zukünftig den Mut haben, die selbstgezogenen Grenzen des Konservatismus zu erweitern.

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