Politische Hypersensibilität

Es ist nun schon ein paar Tage her, daß die Meldungen über den als skandalös empfundenen Kalender der Polizei-Gewerkschaft,...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Lan­des­grup­pe Bay­ern, die Run­de mach­ten. Vor­ges­tern dann wur­de rund­um berich­tet, ein wei­te­rer Kalen­der mit noch ras­sis­ti­sche­ren Zeich­nun­gen sei auf­ge­taucht. Eine Ente, die ent­spre­chen­den Arti­kel wur­den flugs aus dem Netz ent­fernt oder berichtigt.

Auf welt.de kann man sich sämt­li­che Bil­der des Kalen­ders anschau­en, gezeich­net hat sie eine 33jährige Poli­zei­haupt­meis­te­rin. Allen­falls mit­tel­wit­zig erschei­nen mir die Kari­ka­tu­ren; aus­ge­rech­net das inkri­mi­nier­te März-Bild erscheint mir noch von einem (mode­rat) hin­ter­sin­ni­gen Humor zu zeu­gen. Ein stark pig­men­tier­ter Mann ist dort gezeich­net, sehr mus­ku­lös, der sich mit empör­ter Dyna­mik gegen den Zugriff eines Poli­zis­ten sträubt. “Was heiß’ hie’ Ve’­dunk­lungs­ge­fah’.…?!” fährt er eine Poli­zis­tin an, die ein­ge­schüch­tert hin­ter der Amts­stu­ben­the­ke den Kopf senkt.

Die Poin­te ist gar nicht so tief­grün­dig, daß man sie leicht miß­ver­ste­hen könn­te: Aufs Korn genom­men wird offen­kun­dig nicht die Haut­far­be des Fest­ge­nom­me­nen, son­dern der Modus der Poli­ti­schen Kor­rekt­heit. Objekt des Wit­zes ist nicht der mut­maß­li­che Staf­tä­ter als Dun­kel­häu­ti­ger, son­dern des­sen Reak­ti­on im Sin­ne eines Paw­low­schen Refle­xes: Die Rede von der Ver­dun­ke­lungs­ge­fahr sieht er vor­schnell (und womög­lich in Unkennt­nis des Ter­mi­nus, was ihn nicht per se her­ab­setzt, er ver­fügt – ver­mut­lich unver­schul­det ‑über restrin­gier­te Sprach­kennt­nis­se) als Angriff auf sei­ne eth­ni­sche Inte­gri­tät. Nicht mehr, nicht weni­ger. Der Vor­wurf, daß er (dicke Lip­pe) „über­zeich­net“ dar­ge­stellt wer­de, greift ins Lee­re, wenn man sich ande­re Bil­der des Kalen­ders anschaut. Dort wird etwa ein (ver­mut­lich deut­scher) Vor­ge­setz­ter mit einem gro­tesk geöff­ne­ten Mund dar­ge­stellt, ande­re Beam­te (wei­ßer Haut­far­be) wer­den extrem naiv, faul oder dus­se­lig dargestellt.

Wie beein­dru­ckend ein Über­maß an moder­ner Volks­er­zie­hung wir­ken kann, zeig­te sich an den Reak­tio­nen auf den Kalen­der, der mitt­ler­wei­le aus den Amts­stu­ben ver­bannt wur­de. Nach Mei­nung von Alex­an­der Bosch, „Poli­zei­ex­per­te“ der Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on amnes­ty international 

ist die­ses Bild ganz ein­deu­tig ras­sis­tisch. Offen­sicht­lich fehlt es der deut­schen Poli­zei­ge­werk­schaft in Bay­ern an Sen­si­bi­li­tät, wenn es um Ras­sis­mus und All­tags­dis­kri­mi­nie­rung geht. Auf die­se Wei­se wird sich der Vor­wurf, die deut­sche Poli­zei sei auf dem rech­ten Auge blind, nie­mals aus­räu­men las­sen. Dass die­se Kari­ka­tur gera­de jetzt an die Öffent­lich­keit kommt, wo wir gera­de die Trau­er­fei­er für die Mord­op­fer des Rechts­extre­mis­mus abge­hal­ten haben, ist schlimm.

Das online­por­tal turkishpress.de unkt:

 War­um haben die Ermitt­ler bei der ras­sis­ti­schen Mord­se­rie die Opfer ver­däch­tigt, in Dro­gen­kri­mi­na­li­tät ver­wi­ckelt gewe­sen zu sein? Eine Ant­wort könn­te ein Kalen­der der Gewerk­schaft der Poli­zei geben, der in Bay­ern an Beam­te ver­teilt wurde.

Wohl­ge­merkt, für ein Zeug­nis von begna­de­tem Humor muß man die­sen Bild­witz nicht hal­ten. Viel pro­ble­ma­ti­scher als das sati­ri­sche Niveau erschei­nen mir die hys­te­ri­schen Reak­tio­nen dar­auf, die wie­der­um nur exem­pla­risch ver­deut­li­chen, wie hyper­sen­si­bel hier­zu­lan­de mit sol­chen The­men­la­gen umge­gan­gen wird. Der (von man­chen Stel­len durch­aus beab­sich­tig­te) Zustand der Hyper­sen­si­bi­li­tät, der stets nur eine Teil­men­ge der Gesell­schaft erfaßt, ist nicht unpro­ble­ma­tisch. Auf wiki­pe­dia lese ich:

Hyper­sen­si­ble Per­so­nen (HSP) neh­men in ihrer Umwelt Zusam­men­hän­ge und Ereig­nis­se wahr, die bei durch­schnitt­li­chen Men­schen aus dem Bewusst­sein “her­aus­ge­fil­tert” wer­den, und somit nicht zur Ver­fü­gung ste­hen. Dadurch erge­ben sich zwangs­läu­fig Miss­ver­ständ­nis­se bei der Kom­mu­ni­ka­ti­on mit ande­ren Men­schen, die gewöhn­lich zu Las­ten der Nicht-Hoch­sen­si­ti­ven fal­len, da die HSP bei Unkennt­nis ihrer spe­zi­el­len geis­ti­gen Kon­sti­tu­ti­on zu leicht von sich auf ande­re schlie­ßen und damit ihre Gesprächs­part­ner über­for­dern. HSP fal­len in der Gesell­schaft zusätz­lich dadurch auf, dass sie selbst schein­bar unbe­deu­ten­den Sachen gro­ße Bedeu­tung beimessen.

Was den Sach­be­stand der Hyper­sen­si­bi­li­sie­rung angeht, fühl­te ich mich an einen Vor­gang aus mei­nem per­sön­li­chen Umfeld erin­nert: Es geht um W., der in jun­gen Jah­ren eines Ver­ge­hens nach § 86 bezich­tigt wur­de. Kurz gesagt: W. war ein Haken­kreuz­schmie­rer. Leider.

Die Sache wur­de zum Glück nicht all­zu hoch gehängt und nicht in juris­ti­schem Sin­ne ange­zeigt. Ein infor­mel­les Gespräch zwi­schen den Ver­ant­wort­li­chen der Ein­rich­tung, in dem die Schmie­re­rei­en zuta­ge tra­ten und den Erzie­hungs­be­rech­tig­ten von W. reich­te aus, um die „Sache aus der Welt zu schaf­fen“. Hoff­te man zumin­dest! In Wahr­heit wirkt jene „Affä­re Haken­kreuz“ bis heu­te in dem – nach wie vor sehr jun­gen – W. nach.

Um den Tat­be­stand kurz zu schil­dern: W. war zum betref­fen­den Zeit­punkt vier­ein­halb Jah­re alt und besuch­te den Kin­der­gar­ten. Im Rah­men des päd­ago­gisch assis­tier­ten „Frei­en Spiels“ pfle­gen die Kin­der man­chen Tages zahl­rei­che Blät­ter (soge­nann­tes Schmier­pa­pier, ein­sei­tig bedruckt, eine Spen­de aus diver­sen Büros) voll­zu­ma­len. Kein The­ma ist vor­ge­ge­ben, sie „pro­bie­ren sich aus“; Kopf­füß­ler, Farb­ex­pe­ri­men­te, Son­nen, pro­be­wei­se ein­zel­ne Buchstaben.

W. zeich­ne­te an jenem Tag – kei­nes­falls manisch, son­dern auf geschätzt einem Hun­derts­tel der in sei­ner Kin­der­gar­ten­lauf­bahn ver­zier­ten Blät­ter – Haken­kreu­ze. Links­her­um, rechts­her­um, teils auch mit inte­grier­tem Gesicht. Die staat­lich bestall­ten Erzie­he­rin­nen reagier­ten kei­nes­falls panisch, aber doch alar­miert. W. s Eltern wur­den ange­ru­fen, zeit­nah, das heißt: unmit­tel­bar. Man bat zum Gespräch, drin­gend. Dies fand prompt statt und wur­de, pas­send zum Zei­chen, von bei­den Sei­ten in aller Beson­nen­heit geführt. Nein, man unter­stel­le nichts. Fra­ge aber doch, wie…?

Ws Vater ahn­te sogleich, „wie“, denn er, Inha­ber eines Buch­ver­lags, hat­te eini­ge Zeit zuvor ein reich bebil­der­tes Buch mit dem Titel Das Haken­kreuz her­aus­ge­ge­ben. Kei­nes­wegs Pro­pa­gan­da­zeugs (war den Kin­der­gar­ten­tan­ten frei­lich klar!), son­dern wis­sen­schaft­li­che Lite­ra­tur. Das Buch hat­te in Sta­peln in den Büro­räu­men gestan­den. Im Büro wie­der­um hat­te sich täg­lich um halb fünf der jun­ge W. ein­zu­fin­den, dort unter­rich­te­te ihn sein Vater nach Fei­er­abend im Cel­lo­spiel. Oft hat­te der Vater noch eine Wei­le zu tun, dann schmö­ker­te der Jun­ge gern in Büchern, zumal in bebil­der­ten. „Ich kann mich noch gut erin­nern, wie genau W. den Haken­kreuz-Band betrach­te­te“, erin­ner­te sich der Erzie­hungs­be­rech­tig­te, „der war völ­lig fas­zi­niert!“ Klar: man hät­te reden müs­sen. Bei­zei­ten. Nun war das „Kind in den Brun­nen gefal­len“, via Ver­ge­hen nach §86 StGB, gott­lob schon auf­grund des Alters des Delin­quen­ten nicht justiziabel.

Aber, wie sagt man: Etwas bleibt immer hän­gen? Zumin­dest an W., zumin­dest tief in sei­nem Innern. Man hat­te ihm – kind­ge­rech­te, doch nach­drück­li­che – Vor­trä­ge über das von ihm arg­los gekrit­zel­te Zei­chen gehal­ten. Auch dar­über, daß man sich straf­bar machen kön­ne, wenn man ein Haken­kreuz „malt“. Die Lek­ti­on saß. Bis heu­te. W. ent­deckt über­all Haken­kreu­ze. Dann erschrickt er. Auf Man­tel­knöp­fen, in Flie­sen­mus­tern, auf Klo­pa­pier­per­fo­ra­tio­nen; sie sind über­all. Und wo nicht, dann ahnt er die Poten­tia­li­tät ihrer Prä­senz. Die­sen Win­ter wan­der­te er mit sei­nen Eltern über ein ver­schnei­tes Feld. „mal nur theo­re­tisch: Wenn jetzt einer exakt so über das Feld stap­fen wür­de, daß ein Haken­kreuz ent­stün­de, ein rie­si­ges, das man ja nur von einem Flug­zeug, einem Hub­schrau­ber oder einem Fes­sel­bal­lon sehen wür­de – wür­de der­je­ni­ge dann ver­haf­tet wer­den?“ Gegen­fra­ge der Mut­ter: „Hm, wie­so? Hast du das vor?“ Schar­fer Blick des Jun­gen: „Glaubst du, ich bin bescheuert?“

Just in die­sen Tagen stürm­te der Kna­be nach der Schu­le die Trep­pe hoch, riß sich in der Küche den Ran­zen vom Rücken und zog sein Haus­auf­ga­ben­heft (mit dem Titel Future­Plan 2011, vom Land­kreis kos­ten­los und also ver­mut­lich zu Pro­pa­gan­da­zw­cken her­aus­ge­ge­ben) vor, ganz atem­los, stak­ka­to: „Mama, hol mal schnell den Papa, das müßt ihr sehen!!! Da, ganz unten:

 

Ja, siehst du das nicht?! Das hat doch einer heim­lich gemacht! Und nur so halb ver­deckt! Das ist bestimmt noch nicht her­aus­ge­kom­men! Und was, wenn-?“
Test

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.