Wagners Schatten in Leipzig

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pdf der Druckfassung aus Sezession 47 / April 2012

von Jakob Altenburg

In der BBC Produktion Why Beauty Matters aus dem Jahr 2009 erzählt der schottische Bildhauer Alexander Stoddart dem englischen Philosophen Roger Scruton eine kurze, fiktional zugespitzte Episode über Kunststudenten. Heimlich besuchten sie ihn, den erklärten Neoklassizisten, in seinem Atelier, um das traditionelle Handwerk zu lernen und ihm ihr Leid über die zeitgenössische akademische Ausbildung zu klagen.

Einer von ihnen, so berich­tet Stodd­art, hat­te sich in an einer Ton­skulp­tur ver­sucht, dabei wohl dem natür­li­chen Impuls fol­gend, den Stoff nach der Natur zu for­men, ein Vor­bild plas­tisch nach­zu­ah­men. Dar­auf­hin habe des­sen Leh­rer kor­ri­gie­rend ein­ge­grif­fen und vor­ge­schla­gen, er sol­le die Skulp­tur doch in zwei Hälf­ten schnei­den und Exkre­men­te dar­auf ver­tei­len – „and that will make it interesting“.

Wie „inter­es­sant“ das ist, was heut­zu­ta­ge neben der Bild­haue­rei auch die ande­ren Dis­zi­pli­nen der bil­den­den Küns­te pro­du­zie­ren, weiß jeder, der schon ein­mal eine Gale­rie für zeit­ge­nös­si­sche Kunst oder eine Semes­ter- und Diplom­aus­stel­lung an einer Kunst­hoch­schu­le besucht hat. Sol­che Schau­en illus­trie­ren ex nega­tivo in aller Deut­lich­keit eine ein­fa­che, gleich­wohl all­ge­mei­ne Wahr­heit, die wir auch der oben geschil­der­ten Anek­do­te ent­neh­men dür­fen: Nichts ist, trotz allen rühm­li­chen Aus­nah­men, der Kunst und ihrem Betrieb heu­te so fremd und bis­wei­len so sehr zuwi­der wie gewach­se­ne Kon­ven­tio­nen in Form und Gehalt, wie die Ernst­haf­tig­keit und Mühen des Hand­werks sowie Sinn und Emp­fäng­lich­keit für jenen viel­ge­stal­ti­gen Bezirk des Mythos und der Reli­gi­on, in dem jede ernst­haf­te Kunst bis heu­te wurzelt.

Die Sehn­sucht nach der schö­nen Form, einst trei­ben­de Kraft hin­ter den Wer­ken der Kunst, scheint allent­hal­ben erlo­schen. Das Elend der zeit­ge­nös­si­schen Kunst offen­bart sich aber nicht nur in den zwar ewig kla­gen­den, tat­säch­lich aber kom­for­ta­bel aus­ge­stat­te­ten Hoch­schu­len und Aka­de­mien, deren Ver­ständ­nis von Frei­heit mit den Wor­ten Belie­big­keit und Nar­ziß­mus nahe­zu erschöp­fend beschrie­ben ist, son­dern auch und vor­zugs­wei­se im öffent­li­chen Raum, ins­be­son­de­re an Mahn­ma­len und Denk­mä­lern aus den letz­ten sechs Jahr­zehn­ten. Bli­cken wir nach Leip­zig, wo sich bei­spiel­haft zwei Sym­pto­me der Deka­denz in einer mus­ter­gül­ti­gen Kom­bi­na­ti­on beob­ach­ten las­sen: hier eine halt­lo­se, talent­freie Kunst ohne Belang, dort die spe­zi­fisch deut­sche Unfä­hig­keit, ein Vor­bild zu feiern.

Nach­dem im ver­gan­ge­nen Jahr die Klin­ger-Trep­pe rekon­stru­iert und der von Max Klin­ger geschaf­fe­ne Mar­mor­so­ckel auf­ge­stellt wor­den war, lob­te der Wag­ner-Denk­mal e.V. einen Wett­be­werb für ein neu­es Stand­bild aus. Es war dies, nach der Bron­ze­skulp­tur, die Klin­ger vor sei­nem Tod im Jahr 1920 nicht mehr voll­enden konn­te und dem „Richard Wag­ner-Natio­nal­denk­mal des deut­schen Vol­kes“ des Stutt­gar­ter Bild­hau­ers Emil Hipp, das gleich­falls unvoll­endet blieb – Hipp hat­te 1932 den inter­na­tio­na­len Wett­be­werb gewon­nen und von 1933 bis 1940 am Denk­mal gear­bei­tet –, der drit­te Anlauf in Leip­zig, dem Andenken Wag­ners einen gro­ßen plas­ti­schen Aus­druck zu verleihen.

Im Juni 2011 fiel die Ent­schei­dung: Mit einem zwei­ge­teil­ten Denk­mal, zusam­men­ge­setzt aus einer lebens­gro­ßen, ent­fernt an Wag­ner erin­nern­den Figur und einem über­gro­ßen Schat­ten, konn­te der Karls­ru­her Pro­fes­sor für Bild­haue­rei Ste­phan Bal­ken­hol das Preis­ge­richt über­zeu­gen. Die­ser wur­de einer brei­te­ren Öffent­lich­keit unlängst durch sei­ne Groß­plas­tik „Der Knien­de“ bekannt. Mit ihr schaff­te er es bis in die zwei­te Run­de des Wett­be­werbs um das Ber­li­ner Ein­heits­denk­mal, wo er schließ­lich dem Bei­trag „Bür­ger in Bewe­gung“ unterlag.

Ende Juli ver­gan­ge­nen Jah­res wur­den die drei Ent­wür­fe für das Denk­mal der Öffent­lich­keit prä­sen­tiert: Neben Bal­ken­hols Ent­wurf ein schwar­zer Qua­der von Cars­ten Nico­lai und eine Skulp­tur aus Alu­mi­ni­um von Otto Berndt Stef­fen. Kei­ner die­ser Ent­wür­fe kam dem, was man sich für Leip­zig und den Klin­ger-Sockel gewünscht hat­te, auch nur ansatz­wei­se ent­ge­gen. Die bei­den letzt­ge­nann­ten Ent­wür­fe muß­ten zwangs­läu­fig an der öffent­li­chen Erwar­tungs­hal­tung schei­tern, dem Wunsch nach nach­ah­men­der Dar­stel­lung und Wie­der­erkenn­bar­keit, den zumin­dest die „kon­ser­va­ti­ven“ Mit­glie­der der Jury mit der Mehr­heits­mei­nung in der Leip­zi­ger Bevöl­ke­rung geteilt haben dürften.

Der Gewin­ner tat den Preis­rich­tern den Gefal­len und prä­sen­tier­te einen Wag­ner, der, immer­hin, irgend­wie an Wag­ner erin­nert. In der für den Bild­hau­er typi­schen gro­ben Bear­bei­tung und Bema­lung steht der Musi­ker schüch­tern und her­un­ter­ge­kom­men auf einer schwar­zen Fuß­plat­te. Sei­ne Erschei­nung ist „etwas ver­wil­dert“, ganz so, wie es im Expo­sé des Denk­mal­ver­eins tat­säch­lich gefor­dert wor­den war: Den Men­schen wol­le man zei­gen, den jun­gen Mann, der Werk und Erfolg noch vor sich hat, nicht das Genie, nicht den Mythos. Hin­ter der Figur steigt, mehr als dop­pelt so hoch, eine schwar­ze Sil­hou­et­te aus der Plin­the empor, ein Schat­ten, so müht sich Bal­ken­hol im Leip­zig Fern­se­hen zu erläu­tern, der die Kon­tur des Klinger’schen Ent­wurfs auf­nimmt. Auch über die schlich­te Sym­bo­lik die­ser Zwie­späl­tig­keit klärt er uns auf: Das Werk über­ragt und über­steigt den Künst­ler und Menschen.

Gegen die Auf­fas­sung von der Grö­ße des Werks und der Beschei­den­heit und Ver­gäng­lich­keit des Künst­lers ist im Prin­zip nichts ein­zu­wen­den. Tat­säch­lich kön­nen wir Wag­ners Musik­dra­men lie­ben und ver­eh­ren, ohne zugleich ihrem Schöp­fer zu hul­di­gen, wir müs­sen uns noch nicht ein­mal für die Per­son Wag­ners inter­es­sie­ren, denn sei­ne Wer­ke wir­ken auch los­ge­löst von Lebens­lauf und künst­le­ri­scher Absicht fort. Sie sind das, was bleibt. Das ist eine simp­le, aber gewiß kei­ne bana­le Ein­sicht, aus der her­aus dem schöp­fe­ri­schen Geis­te vie­les mög­lich gewe­sen wäre. Bal­ken­hol aber begnügt sich mit einem figür­li­chen Bild der tri­vi­als­ten Art, mit einer erschre­ckend plum­pen Über­set­zung der Mensch-wirft-Schat­ten-Idee, die man einem Schü­ler oder Lai­en ver­zei­hen wür­de, dem renom­mier­ten Pro­fes­sor für Bild­haue­rei, dem Denk­mal­ver­ein und ins­be­son­de­re den Preis­rich­tern zum Vor­wurf machen muß.

Ein ande­rer Vor­wurf, näm­lich die Kri­tik an der „Aller­welts­fi­gur“, am „Zwer­gen“, den Leip­zig nicht ver­dient habe, war nach der Jury­ent­schei­dung umge­hend von Musi­kern und Schau­spie­lern geäu­ßert wor­den. Leip­zi­ger Bür­ger arti­ku­lier­ten über meh­re­re Mona­te hin­weg in zahl­rei­chen Leser­brie­fen ihr Unbe­ha­gen am „alber­nen Ein­fall“, am „Witz-Wag­ner“, der „star­ke Sin­nes­schmer­zen“ ver­ur­sa­che – selbst­ver­ständ­lich ohne Aus­sicht auf Erfolg. So rich­tig die­se Ein­wän­de auch sind, sie ver­feh­len den ideo­lo­gi­schen Kern des zukünf­ti­gen Denk­mals. Die­sen aber muß frei­le­gen, wer im Streit um das Eige­ne, der nicht zuletzt auf dem Feld der Kunst und der Erin­ne­rungs­po­li­tik zu füh­ren ist, grund­sätz­li­ches zur Spra­che brin­gen will.

Unse­rem Blick, der alles ande­re als wur­zel- und inter­es­se­los ist, erscheint die unge­schlach­te Figur des „jun­gen Wag­ner“ als Abbild einer Men­ta­li­tät, die glei­cher­ma­ßen Aus­druck und Ursa­che der Deka­denz unse­rer Zeit ist. Die Rede ist von einem Bewußt­sein, das erfüllt ist von der Furcht vor der Ver­eh­rung und beses­sen von der Gleich­ma­che­rei – in den Wor­ten des Denk­mal­ver­eins: „Der (sic) feh­len­de Pathos ver­leiht dem jugend­li­chen Kom­po­nis­ten Mensch­lich­keit. Es macht ihn zu einer Per­son wie du und ich“ –, eine Gleich­ma­che­rei, die sich in den heu­ti­gen Kunst- und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten als rela­ti­vis­ti­sche Äqui­di­stanz zu jed­we­den Wer­ken und Kul­tu­ren arti­ku­liert. In die­sen Wis­sen­schaf­ten ist eine Intel­li­genz wirk­sam, die getrie­ben ist vom Ver­dacht, hin­ter deut­scher Kunst laue­re wenn nicht die Schuld selbst, so doch ihre ursäch­li­che Vor­ge­schich­te. Es ist anzu­neh­men, daß die­se Intel­li­genz mit ihren impli­zi­ten, in Fleisch und Blut über­ge­gan­ge­nen Denk­fi­gu­ren auch Bal­ken­hol die Hand führte.

Wie sonst ist es mög­lich, daß ein Bild­hau­er so hilf­los vor der Ent­fal­tungs­fä­hig­keit sei­nes Stof­fes steht, so wenig emp­fäng­lich ist für die „tiefs­ten Rei­ze“, die „alle­zeit auf Kunst und Erkennt­nis“ aus­ge­hen wer­den, wie Tho­mas Mann 1933 in Lei­den und Grö­ße Richard Wag­ners schrieb und hoff­te? Der die offen­kun­di­ge Ein­la­dung des Sockels mit sei­nen Rhein­töch­tern, mit Sieg­fried und Mime, Kundry und Par­si­fal schul­ter­zu­ckend aus­schlägt? Der schließ­lich auch kei­ne Mühe dar­auf ver­wen­det, sich in die bio­gra­phi­sche Situa­ti­on des Zwan­zig­jäh­ri­gen zu ver­sen­ken, um von dort aus die Ideen und Maß­stä­be für ein ange­mes­se­nes Bild­nis zu gewin­nen? „Die Zukunfts­gläu­big­keit einer Epo­che, aber auch ihre Unter­gangs­stim­mun­gen, ihr Reak­tio­närs­we­sen und die Nei­gung zur revo­lu­tio­när beflü­gel­ten Welt­zer­trüm­me­rung, bür­ger­li­ches Ethos und bour­geoi­se Gewöhn­lich­keit, alt­meis­ter­li­cher Ernst und wil­de Pro­jek­ten­ma­che­rei, Res­sen­ti­ments und gro­ße Frei­heit des Urteils: es war alles in ihm“ (Joa­chim C. Fest, Über Richard Wag­ner) – und nichts davon in Bal­ken­hols Entwurf.

Es scheint not­wen­dig, sich bei der Beur­tei­lung die­ses Umstands von den Kate­go­rien Ver­lust und Ver­fall lei­ten zu las­sen, denn ein unver­stell­ter Blick auf die Wag­ner-Denk­mä­ler des spä­ten 19. und frü­hen 20. Jahr­hun­dert zeigt unmiß­ver­ständ­lich, wie groß der Abstand zum Idi­om der tra­di­tio­nel­len Bild­hau­er­kunst gewor­den ist, das neben der Fein­heit im mimisch-ges­ti­schen Aus­druck über einen rei­chen Schatz an alle­go­ri­schen und erzäh­len­den Ele­men­ten ver­füg­te. Der Vor­zug die­ser Bild­spra­che steht in jeder Hin­sicht außer Fra­ge und jede vari­ie­ren­de Wie­der­ho­lung, jede Nach­ah­mung im bes­ten Sin­ne, wäre geist­rei­cher, bered­ter, ja schö­ner ausgefallen.

Frei­lich: Zur Her­vor­brin­gung einer schö­nen Gestalt feh­len Bal­ken­hol die Mit­tel, die Mit­tel der Spra­che, die Mit­tel des plas­ti­schen Wir­kens. Daß bei­de, Ent­wurf und Erläu­te­rung, so unge­stalt und sorg­los, ja so gestam­melt wir­ken, kann kein Zufall sein, son­dern ist die Fol­ge ein und der­sel­ben Sprach­lo­sig­keit, die in der Denk­mal­kunst längst zum Stil gewor­den ist. („Dann gibt es eben noch des ein­fach skulp­tu­ral, die­ses Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen die­ser klei­nen Skulp­tur im Vor­der­grund, also eben die Dar­stel­lung von Wag­ner, der eigent­lich auch als Per­son eher klein­wüch­sig war, aber eben die­sen gro­ßen Schat­ten wirft, also des ist find ich hat mich gereizt, und die Par­al­le­le eben weil zu dem ursprüng­li­chen Ent­wurf von Max Klin­ger weil der Schat­ten eben die­se Form hat wie der ursprüng­li­che Klin­ger-Ent­wurf“, erläu­tert Pro­fes­sor Bal­ken­hol im Leip­zig Fernsehen).

Kom­men wir end­lich zum ideo­lo­gi­schen Kern, der, möge die inten­tio auc­to­ris, die sub­jek­ti­ve Absicht des Bild­hau­ers auch naiv und unschul­dig sein, den Sinn­ge­halt des Denk­mals aus­macht. Der Schat­ten im Rücken des Klein­wüch­si­gen sei eine Remi­nis­zenz an Klin­gers Skiz­ze, heißt es, die für Werk und Wir­kung ste­he (Zwi­schen­fra­ge: Wie­so hat Wag­ner sei­nen gro­ßen Schat­ten hin­ter sich? Kehr­te er etwa schon in jun­gen Jah­ren der Zukunft den Rücken zu? Ein Gest­ri­ger von Anbe­ginn?). Aber an wel­ches Werk, an wel­che Wir­kung gemahnt er?

Kein Werk, nir­gend­wo: Im schwar­zen Loch des Schat­ten­ris­ses ist nahe­zu alles ver­schwun­den. Es blie­be, wären da nicht die Reli­efs des Sockels, nicht die lei­ses­te Ahnung vom Reich­tum der Musik, kein Rin­gen und Wäh­nen, kein Zau­ber, kei­ne Lei­den­schaft, von den für das Werk Wag­ners so essen­ti­el­len mytho­lo­gi­schen Bezü­gen und reli­giö­sen Ideen ganz zu schwei­gen. All das erlischt in der schwar­zen Scha­blo­ne, die, so die abschlie­ßen­de Deu­tung, nur einen Zweck erfüllt: das „kri­ti­sche“ und „ver­ant­wor­tungs­vol­le“ Her­auf­be­schwö­ren all jener gedank­li­chen und gefühls­mä­ßi­gen Ver­knüp­fun­gen, jener vor­ge­stanz­ten Bil­der und Behaup­tun­gen, die nicht nur im deut­schen Geis­te einer zwang­haf­ten Mecha­nik gehor­chen. Denn was soll uns das sagen: Wag­ner und sein gro­ßer, düs­te­rer Schatten?

Die bestür­zend ein­fäl­ti­ge Ant­wort liegt auf der Hand, denn sie ist immer die­sel­be, und wer nicht selbst dar­auf kommt, dem wer­den Info­blatt und Per­so­nal zukünf­ti­ger Stadt­füh­run­gen auf die Sprün­ge hel­fen: Der Schat­ten, wird es dann hei­ßen, das sei der Abgrund in Wag­ner selbst. Das sei sein häß­li­cher Anti­se­mi­tis­mus, der aus dem ein­schlä­gi­gen Schrift­werk, dem Judent­hum in der Musik spre­che, beson­ders emp­find­sa­men (oder gie­ri­gen) Hörern aber auch in den Ton­dich­tun­gen entgegenschlage.

Damit ist das gro­ße Aber! im „Fall Wag­ner“ deut­lich for­mu­liert, die bös­ar­ti­ge Ver­bin­dung auf­ge­zeigt, das Urteil gespro­chen: Es steckt viel ›Hit­ler‹ in Wag­ner (Tho­mas Mann), dem „Lieb­lings­kom­po­nis­ten der Nazis“. Wir kom­men nicht umhin, eine sol­che Denk­mal­kunst der „Kul­tur des Denun­zia­to­ri­schen“ zuzu­rech­nen, eine Kul­tur, deren Macht Bern­hard Schlink in sei­nem gleich­na­mi­gen Auf­satz ein­drück­lich dar­leg­te: „(Sie) unter­wirft Per­so­nen einen Maß­stab, der ihnen nicht gemäß ist, und über­ant­wor­tet sie einem Gericht, das ihnen nicht gerecht wird. Das Gericht ist fest eta­bliert, und der Maß­stab wird ver­läss­lich exe­ku­tiert. Aber das schließt Denun­zia­ti­on nicht aus, es ist deren Vor­aus­set­zung“. Wer aber, der um die eher­nen Fes­seln des bun­des­deut­schen Den­kens und Füh­lens weiß, hät­te ande­res erwartet?

Ein völ­lig ande­rer Bild­hau­er jeden­falls, ein deut­scher Stodd­art etwa, bewan­dert und klug über Wag­ner den­kend, ergrif­fen und beseelt von einem leben­di­gen Sinn für deut­sche Kunst und Geschich­te, hät­te einen Ent­wurf prä­sen­tiert, der, glei­cher­ma­ßen frei von Ido­la­trie und wohl­fei­ler Ankla­ge, in bered­ter Form die blei­ben­de Gül­tig­keit, die Grö­ße oder den inne­ren Wider­streit jenes Wer­kes zur Anschau­ung bringt, das auf einen dunk­len Schat­ten zu redu­zie­ren nur ver­mag, wer von der Sache nichts ver­steht. Die Stadt Leip­zig wird in zwei Jah­ren zum 200. Geburts­tag eines ihrer größ­ten Söh­ne ein Denk­mal ent­hül­len, das alles über die geis­ti­ge Situa­ti­on der heu­ti­gen Kunst und unser prin­zi­pi­el­les Ver­hält­nis zu Tra­di­ti­on und Vor­bild ver­ra­ten wird, nichts jedoch über Richard Wag­ner. Irgend­wann wird man zurück­bli­cken und das Aus­maß der ver­ta­nen Mög­lich­kei­ten über­bli­cken. Klin­gers Sockel wird blei­ben, der Schat­ten­wag­ner – so viel Hoff­nung sei erlaubt – wie­der verschwinden.

Daß dies kein Ein­zel­fall ist, der Unsinn im Gegen­teil Metho­de hat, soll abschlie­ßend ein Schwenk auf eine ande­re Erin­ne­rungs­bau­stel­le in Leip­zig ver­deut­li­chen, die in weni­gen Jah­ren eine ungleich grö­ße­re poli­ti­sche und tou­ris­ti­sche Auf­merk­sam­keit auf sich zie­hen wird. Die Rede ist vom Leip­zi­ger Frei­heits- und Ein­heits­denk­mal. Nach­dem Ber­lin sich bereits für das offen­kun­dig schlech­tes­te aller Ein­heits­denk­mä­ler ent­schie­den hat, könn­te man mei­nen, Leip­zig mache es zwangs­läu­fig bes­ser. Ein Blick in die Aus­schrei­bung läßt jedoch ernst­haft dar­an zwei­feln: „Das Denk­mal soll sich in dif­fe­ren­zier­ter und sen­si­bler Art und Wei­se der Her­aus­for­de­rung stel­len, die Fried­li­che Revo­lu­ti­on als ein Kern­stück des zustim­mungs­fä­hi­gen Stran­ges der deut­schen Geschich­te zu the­ma­ti­sie­ren und den tra­dier­ten und affir­ma­ti­ven For­men der Denk­mal­kunst frü­he­rer Epo­chen eine neue For­men­spra­che entgegensetzen“.

Um ein Deba­kel wie in Ber­lin zu ver­hin­dern, wo es zwei­er Wett­be­wer­be mit über 500 Bei­trä­gen bedurft hat­te, sei der Stadt Leip­zig schon jetzt eine Vari­an­te des Balkenhol’schen Ent­wurfs zur Aus­füh­rung emp­foh­len. Man stel­le sich vor: Eine klei­ne Grup­pe zivil­cou­ra­gier­ter, kri­ti­scher Leip­zi­ger Bür­ger, hin­ter denen sich ein gro­ßer Schat­ten empor­schwingt, düs­ter mah­nend: Deut­sche, seid gewarnt! Hütet euch vor dem natio­na­len Über­schwang! Hin­ter euch das ewi­ge Dun­kel eurer nicht­zu­stim­mungs­fä­hi­gen Ver­gan­gen­heit, vor euch die zukünf­ti­gen Fähr­nis­se des Stol­zes, des Eigen­sinns – der Affir­ma­ti­on des Deut­schen in Spra­che, Kunst und Politik!

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