Ein Jahr nach Sarrazin: Besichtigung des Schlachtfeldes

pdf der Druckausgabe aus Sezession 43/ August 2011

von Manfred Kleine-Hartlage

Da sich aber nie­mand fand, der einem sol­chen Auf­stand Stim­me, Ziel und Rich­tung gege­ben hät­te, besann sich das Estab­lish­ment auf sei­ne urei­gens­ten Metho­den. Da man Sar­ra­zin in offe­ner Feld­schlacht nicht hat­te schla­gen kön­nen, wur­de zunächst eine neue Sau durchs Dorf gejagt und mit »Stutt­gart 21« ein The­ma von höchs­tens regio­na­ler Bedeu­tung zur natio­na­len Schick­sals­fra­ge hoch­ge­schrie­ben. Der Dis­kurs mit Sar­ra­zin wur­de abge­bro­chen und durch einen Dis­kurs über Sar­ra­zin, im wesent­li­chen bestehend aus pejo­ra­ti­ven Halb­sät­zen, ersetzt. Sar­ra­zin wird immer noch häu­fig erwähnt, aber nur, um einen in Wahr­heit nicht exis­tie­ren­den Kon­sens zu sug­ge­rie­ren, wonach sei­ne The­sen »ras­sis­tisch«, »unwis­sen­schaft­lich« und so wei­ter sei­en. Da man es ver­säumt hat­te, sein Buch so tot­zu­schwei­gen, wie man es mit ande­ren miß­li­e­bi­gen Titeln tut, und da auch die Stra­te­gie der Skan­da­li­sie­rung und des öffent­li­chen Exor­zis­mus nicht ver­fan­gen hat­te, die bei Ernst Nol­te, Phil­ipp Jen­nin­ger, Mar­tin Hoh­mann und vie­len ande­ren so erfolg­reich prak­ti­ziert wor­den war, ver­leg­te man sich auf Scha­dens­be­gren­zung und hat damit allem Anschein nach Erfolg:

Ein Jahr nach Sar­ra­zin läuft die bun­des­deut­sche Dis­kurs­ma­schi­ne­rie so rund wie eh und je, ist die poli­ti­sche Klas­se fest ent­schlos­sen, dafür zu sor­gen, daß Deutsch­land zum Islam gehört, fah­ren die Grü­nen einen Wahl­sieg nach dem ande­ren ein, wer­den Ver­an­stal­tun­gen von Islam­kri­ti­kern von gewalt­tä­ti­gem Mob ver­hin­dert, treibt der »Anti­ras­sis­mus« so pit­to­res­ke Blü­ten wie den »Lin­gui­zis­mus« (mit wel­chem Begriff der Wunsch, daß Aus­län­der in Deutsch­land deutsch spre­chen mögen, als qua­si-ras­sis­tisch gebrand­markt wird) und ist die dro­hen­de Selb­st­ab­schaf­fung Deutsch­lands kein The­ma für eine Mei­nungs­in­dus­trie, die sonst kei­ne Gele­gen­heit vor­über­ge­hen läßt (»Kli­ma­wan­del«, Fuku­shi­ma), den dro­hen­den Welt­un­ter­gang an die Wand zu malen. Hät­ten nicht die »Bür­ger in Wut« bei der Bre­mer Bür­ger­schafts­wahl einen klei­nen Ach­tungs­er­folg erzielt, und gäbe es nicht den einen oder ande­ren CSU-Poli­ti­ker, der es inzwi­schen wie­der für nötig hält, das Wahl­volk mit mehr oder weni­ger star­ken Sprü­chen bei Lau­ne zu hal­ten, man könn­te mei­nen, es hät­te sich über­haupt nichts getan.

Die­ser Ein­druck aller­dings trügt. Wenn man ver­ste­hen will, wie sehr Sar­ra­zin das Macht­ge­fü­ge der BRD erschüt­tert hat, muß man einen Moment lang von der Ebe­ne der täg­li­chen Auf­ge­regt­hei­ten abs­tra­hie­ren und die Archi­tek­tur die­ses Gefü­ges unter die Lupe nehmen:

Gin­ge es nach dem uns regie­ren­den, des­in­for­mie­ren­den und indok­tri­nie­ren­den Kar­tell aus Poli­tik, Medi­en und Wis­sen­schaft, so müß­te der idea­le Bür­ger der BRD unter ande­rem glau­ben, daß der Islam zu Deutsch­land gehö­re, daß alle Reli­gio­nen das­sel­be woll­ten, daß es gleich­wohl kei­ne into­le­ran­te­re Reli­gi­on gebe als das Chris­ten­tum, daß eth­ni­sche »diver­si­ty« gesell­schaft­li­che Har­mo­nie garan­tie­re (und nicht etwa den Bür­ger­krieg), daß ohne die EU mor­gen ein Krieg aus­brä­che, daß es kei­ne ange­bo­re­nen Unter­schie­de zwi­schen Mann und Frau gebe, daß Kin­der in der Obhut drei­er Trans­se­xu­el­ler min­des­tens so gut auf­ge­ho­ben sei­en wie in der ihrer leib­li­chen Eltern, daß Intel­li­genz nicht erb­lich und die Exis­tenz von Völ­kern ein Hirn­ge­spinst rechts­ra­di­ka­ler Dem­ago­gen sei, und daß es so etwas wie »Wahr­heit« über­haupt nicht gebe.

Obwohl die­ses Kar­tell sich red­lich und erfolg­reich bemüh­te, einen flä­chen­de­cken­den Ver­blen­dungs­zu­sam­men­hang auf­zu­bau­en und so dafür gesorgt hat, daß man eine prin­zi­pi­ell (und nicht nur gra­du­ell) von die­sen Glau­bens­sät­zen abwei­chen­de Posi­ti­on kaum noch mit Anspruch auf gesell­schaft­li­che Wirk­sam­keit ver­tre­ten kann, plagt es sich mit einem Phä­no­men her­um, das sei­ne eige­nen Ideo­lo­gen in unfrei­wil­li­ger Selbst­ent­lar­vung den »Extre­mis­mus der Mit­te« nen­nen: Nicht sie, die Ideo­lo­gen, die sich sol­che Klei­nig­kei­ten wie die Abschaf­fung von Wahr­heit, Reli­gi­on, Volk, Fami­lie und Natio­nal­staat zum Ziel gesetzt haben, sind die Extre­mis­ten, son­dern die Men­schen, die all die­se Din­ge unver­ständ­li­cher­wei­se immer noch für not­wen­dig und segens­reich hal­ten und obi­gen Glau­bens­sät­zen ungläu­big gegenüberstehen.

Daß sie dies tun, hängt zum einen damit zusam­men, daß die Unter­schei­dung von Wir und Sie, Wahr und Unwahr, Mann und Frau, daß die Bevor­zu­gung des Eige­nen gegen­über dem Frem­den eine natür­li­che, wahr­schein­lich gene­tisch ver­an­ker­te mensch­li­che Eigen­schaft ist, zumin­dest aber, daß Gesell­schaf­ten, die sol­che Unter­schei­dun­gen aus ideo­lo­gi­schen Grün­den nicht zulas­sen, kei­ne Über­le­bens­chan­cen haben, unse­re eige­ne also längst ver­schwun­den wäre, wenn unse­re Vor­fah­ren das geglaubt hät­ten, was man uns heu­te zu glau­ben zumutet.

Zum ande­ren wider­spricht die­se Ideo­lo­gie der täg­li­chen Erfah­rung von Mil­lio­nen: Sie ist unge­fähr so glaub­wür­dig wie eine hypo­the­ti­sche Ideo­lo­gie, der zufol­ge der Regen von unten nach oben fällt. Wer eine sol­che ver­brei­ten woll­te, müß­te die Men­schen dazu erzie­hen, ihren eige­nen Augen nicht zu trau­en, und in der Tat ist genau dies die von besag­ten Ideo­lo­gen ver­folg­te Strategie.

Daß ihre Ideo­lo­gie immer noch gesell­schaft­lich domi­nant ist, hat näm­lich weni­ger mit den auf­wen­di­gen pseu­do­wis­sen­schaft­li­chen Ratio­na­li­sie­run­gen zu tun, mit deren Hil­fe zum Bei­spiel begrün­det wird, war­um ein Ter­ror­an­schlag, bei dem der Täter »Alla­hu akbar« ruft, nichts mit dem Islam zu tun habe. Sol­che Ratio­na­li­sie­run­gen wür­den in home­ri­schem Geläch­ter unter­ge­hen, wenn man die Men­schen nicht dazu kon­di­tio­niert hät­te, ihre natür­li­chen Emp­fin­dun­gen und ihre eige­nen Wahr­neh­mun­gen, sofern sie der herr­schen­den Ideo­lo­gie zuwi­der­lau­fen, für etwas »Böses« zu hal­ten. Wer will schon »Ras­sist« sein (weil er das eige­ne Volk für erhal­tens­wert hält), wer zum »Stamm­tisch« (d. h. zum »res­sen­ti­ment-gela­de­nen« Plebs) gerech­net, wer des »Has­ses« oder einer der unge­zähl­ten »-pho­bien« und »-ismen« bezich­tigt wer­den, mit denen die herr­schen­de Ideo­lo­gie den Gebrauch des gesun­den Men­schen­ver­stan­des zum Gedan­ken­ver­bre­chen erklärt? Freu­dia­nisch gespro­chen, hat die Ideo­lo­gie das Über-Ich okku­piert. Indem sie Gefüh­le und Wahr­neh­mun­gen, wel­che die Men­schen gar nicht ver­mei­den kön­nen, als »böse« mar­kiert, hält sie sie im Zustand eines per­ma­nen­ten schlech­ten Gewis­sens, das sie nötigt, Buße zu tun, und bestün­de die Buße in der Ver­leum­dung Andersdenkender.

Da man die­se Gefüh­le und Wahr­neh­mun­gen aber nicht aus der Welt schaf­fen kann, lebt der Bun­des­bür­ger im Zustand der per­ma­nen­ten kogni­ti­ven Dis­so­nanz: Auf der einen Ebe­ne weiß er Din­ge, die er auf einer ande­ren nicht wahr­ha­ben darf, und was die »bösen« Emp­fin­dun­gen angeht, so muß er sich selbst ein­re­den, daß er sie nicht hat – bzw. daß nicht er sie hat, son­dern höchs­tens die bösen Rech­ten. Die Hys­te­rie, mit der der »Kampf gegen Rechts« geführt wird, wäre psy­cho­lo­gisch unmög­lich, wenn der Bun­des­bür­ger nicht im »Rech­ten« das bekämp­fen wür­de, was er im eige­nen Innern fürch­tet, näm­lich die Anfech­tung des ideo­lo­gie­durch­tränk­ten Über-Ichs durch die eige­nen Gefüh­le und die wahr­ge­nom­me­ne Wirklichkeit.

Kogni­ti­ve Dis­so­nanz setzt den Betrof­fe­nen unter Span­nung und zwingt ihn, sie durch Ver­eindeu­ti­gung auf­zu­lö­sen: Eine der bei­den ein­an­der wider-spre­chen­den Wahr­hei­ten muß wei­chen. Aus der Sicht der herr­schen­den Ideo­lo­gie ist die­ser Zustand höchst zwei-schnei­dig: Solan­ge der Betrof­fe­ne wie gewünscht reagiert, die Dis­so­nanz also nach der Sei­te der herr­schen­den Ideo­lo­gie hin auf­löst, läßt sich aus ihr noch zusätz­li­che Ener­gie für die immer schwie­ri­ger wer­den­de Auf­recht­erhal­tung des Ver­blen­dungs­zu­sam­men­hangs zie­hen. Die enor­me Anstren­gung aber, die es jeden ein­zel­nen kos­tet, gegen die eige­nen Wahr­neh­mun­gen und Emp­fin­dun­gen anzu­kämp­fen –, und die in dem Maße grö­ßer wird, in dem die Wirk­lich­keit die Ideo­lo­gie demen­tiert – beinhal­tet die Gefahr der plötz­li­chen Depro­gram­mie­rung: Die Bereit­schaft zur ideo­lo­gi­schen Selbst­zen­sur läßt in dem Maße nach, wie sie bean­sprucht wird – und sie wird stets und stän­dig und immer mehr stra­pa­ziert, nicht zuletzt dadurch, daß der Kata­log der Gedan­ken­ver­bre­chen immer län­ger wird. Dabei ist es wahr­schein­lich, daß die erschöp­fungs­be­ding­te Ableh­nung eines der herr­schen­den Ideo­lo­ge­me in kur­zer Zeit auch zur Ableh­nung aller ande­ren führt. Dies ist übri­gens der Grund, war­um gera­de die islam­kri­ti­sche Sze­ne so schrill ver­teu­felt wird, obwohl sie etli­che Grund­an­nah­men der herr­schen­den links­li­be­ra­len Ideo­lo­gie mehr­heit­lich immer noch teilt. Islam­kri­tik ist so etwas wie eine Einstiegsdroge.

Je stär­ker die Loya­li­tät des Bun­des­bür­gers gegen­über dem herr­schen­den Para­dig­ma unter Druck gerät, des­to wich­ti­ger wird es, die Schwei­ge-spi­ra­le auf­recht­zu­er­hal­ten: Der ein­zel­ne, der den Regen von oben nach unten fal­len zu sehen glaubt, soll dies für eine Sin­nes­täu­schung hal­ten, da alle ande­ren offen­bar den Regen von unten nach oben fal­len sehen. Der ein­zel­ne, der sich im eige­nen Land immer frem­der fühlt, soll glau­ben, nur er emp­fin­de so, zusam­men höchs­tens mit eini­gen Rechts­ra­di­ka­len oder »Extre­mis­ten der Mit­te« oder auch »dem Stamm­tisch«, und sich des­sen gefäl­ligst schä­men. Wie jedes ande­re repres­si­ve Regime lebt auch die­ses davon, jeden Unter­ta­nen über die Mei­nung sei­ner Mit­un­ter­ta­nen im dun­keln tap­pen zu las­sen. Nicht zufäl­lig wer­den bei einem Staats­streich die Rund­funk­sen­der als ers­tes besetzt, nicht zufäl­lig ist gera­de die Ver­samm­lungs­frei­heit jeder Dik­ta­tur ein Dorn im Auge, und nicht zufäl­lig kon­zen­trie­ren sich die gewalt-täti­gen ultra­lin­ken Vor­trupps, die für das Estab­lish­ment die Drecks­ar­beit erle­di­gen, dar­auf, gera­de Ver­samm­lun­gen zu spren­gen oder zu verhindern.

Am wich­tigs­ten frei­lich ist die Kon­trol­le der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung. Die Fik­ti­on eines ideo­lo­gi­schen Kon­sen­ses (zumin­dest »der Anstän­di­gen«) mag durch­sich­tig sein, sie tut ihre Wir­kung, solan­ge es gelingt, wenigs­tens den Schein zu wah­ren. Dringt jedoch die Auf­fas­sung, daß der Regen womög­lich doch von oben nach unten fällt, erst in den öffent­li­chen Dis­kurs ein, droht ein Lawi­nen­ef­fekt. Die Bereit­schaft zur Kon­for­mi­tät mit der gefor­der­ten Mei­nung sinkt in dem Maße, wie die Anzahl der Non­kon­for­mis­ten steigt, und die Sozio­lo­gie hat im Wege der mathe­ma­ti­schen Ana­ly­se star­ke Indi­zi­en dafür gefun­den, daß ein auf Kon­for­mis­mus beru­hen­der »Kon­sens« rapi­de in sich zusam­men­bricht, sobald der Anteil der Non­kon­for­mis­ten erst einen gewis­sen Schwel­len­wert über­schrei­tet. Die wach­sen­den Anstren­gun­gen, die das Estab­lish­ment zur Dis­kurs­kon­trol­le unter­nimmt, reflek­tie­ren sein Wis­sen um die wach­sen­de laten­te Insta­bi­li­tät der Mei­nungs­dik­ta­tur und die galop­pie­ren­de Schwä­chung ihrer Deu­tungs­ho­heit. Sie sind kein Zei­chen von Stär­ke, son­dern von Schwäche.

Bevor es dahin kommt, ist frei­lich von den unter­grün­di­gen Ver­schie­bun­gen wenig zu sehen und scheint das Regime sicher im Sat­tel zu sit­zen. Noch Anfang 1989 konn­te Erich Hon­ecker prah­len, die Mau­er wer­de noch hun­dert Jah­re ste­hen, weil er die vie­len Mene­te­kel über­se­hen hat­te, die den Umsturz ankün­dig­ten. Fast jeder Umwäl­zung geht ein Wet­ter­leuch­ten vor­aus, das für einen Moment die Sze­ne in glei­ßen­des Licht taucht und die Insta­bi­li­tät des Regimes offen­legt – und damit lang­fris­tig ver­grö­ßert. Was etwa Marie-Antoi­net­tes Hals­band­af­fä­re, die geschei­ter­te rus­si­sche Revo­lu­ti­on von 1905 oder die Vor­gän­ge um die Aus­bür­ge­rung von Wolf Bier­mann zu den jeweils eini­ge Jah­re spä­ter fol­gen­den Revo­lu­tio­nen bei­getra­gen haben, wird man kaum über­schät­zen kön­nen. In allen Fäl­len wur­de plötz­lich sicht­bar, daß der von den Herr­schen­den gewünsch­te und sug­ge­rier­te Kon­sens über die Legi­ti­mi­tät ihrer Herr­schaft in Wahr­heit nicht exis­tier­te. Ein kur­zer Moment nur, gefolgt von erneu­ter Dun­kel­heit, und alles ging sei­nen Gang, als wäre nichts gewe­sen; aber nie­mand hat­te ver­ges­sen, was er in jenem Moment gese­hen hatte.

Daß Deutsch­land sich abschafft, ist mitt­ler­wei­le zum Gemein­platz gewor­den. Es gibt lei­der Got­tes nicht weni­ge, die die­sen Sach­ver­halt resi­gniert oder ach­sel­zu­ckend hin­neh­men oder ihn sogar begrü­ßen. Bezwei­felt wird er aber von kaum jeman­dem, jeden­falls nicht an der Basis der Gesell­schaft, und die­je­ni­gen, denen der Nie­der­gang des eige­nen Vol­kes und die dro­hen­de Vers­lu­mung Deutsch­lands Sor­gen macht, sind gegen­über den ande­ren durch­aus in der Mehr­heit. Ein Kon­sens poli­ti­schen Wol­lens ergibt sich dar­aus noch nicht, wohl aber einer über die Exis­tenz eines Sachverhalts.

Den Ver­laut­ba­run­gen der mei­nungs­bil­den­den Klas­sen, die unbe­küm­mert ihre Wunsch­bil­der und Phra­sen zum bes­ten geben; die uns Luft­schlös­ser als kri­sen­fes­te Immo­bi­li­en andre­hen und uns ver­si­chern, man kön­ne mit Sei­fen­bla­sen Fuß­ball spie­len, haf­tet unter die­sen Umstän­den etwas selt­sam Spuk­haf­tes und Wirk­lich­keits­lo­ses an, und dies kei­nes­wegs nur in den Augen kon­ser­va­ti­ver Quer­köp­fe. Es drängt sich der Ver­gleich mit der End­pha­se der DDR auf: Ein Kar­tell von kor­rup­ten Macht­ha­bern und ihnen zuar­bei­ten­den Ideo­lo­gen, unfä­hig, die Wirk­lich­keit adäquat zu beschrei­ben, erst recht unfä­hig, die sich aus ihr erge­ben­den Pro­ble­me zu lösen, über­klebt den Riß zwi­schen Ideo­lo­gie und Rea­li­tät mit Pro­pa­gan­da­pla­ka­ten (die heu­te in Ber­lin so all-gegen­wär­tig sind wie frü­her im Ost­teil der Stadt) und frisch gedruck­tem Geld, kri­mi­na­li­siert sei­ne Kri­ti­ker und spielt sich als Vor­mund des Vol­kes auf, stets unter Beru­fung auf eine hoch­tra­ben­de Geschichts­phi­lo­so­phie, wonach die Ver­wirk­li­chung ihrer Uto­pien – damals des Kom­mu­nis­mus, heu­te des Glo­ba­lis­mus mit sei­nen Neben­ideo­lo­gien – his­to­risch un-ver­meid­lich sei, wes­we­gen weder Ochs noch Esel sie auf­hal­ten könn­ten; selbst­re­dend fällt ihnen nicht auf, daß allein der Auf­wand, den sie selbst ent­fal­ten, um die­se Ent­wick­lun­gen vor­an­zu­trei­ben, die The­se von deren »Unver­meid­bar­keit« ad absur­dum führt.

Die herr­schen­de Kas­te hat berech­tig­ten Anlaß zur Sor­ge: Jeder Tag, der ver­geht, höhlt den ideo­lo­gi­schen Kon­sens wei­ter aus, auf den ihre Poli­tik sich stützt. Oft auf­grund unspek­ta­ku­lä­rer Erleb­nis­se rücken täg­lich Men­schen von links nach rechts, wäh­rend kaum einer den umge­kehr­ten Weg ein­schlägt. Trotz­dem ist die Fra­ge offen, ob die Dele­gi­ti­mie­rung des Regimes kon­kre­te poli­ti­sche Fol­gen haben wird, oder ob sie in der Ver­tie­fung der viel­zi­tier­ten, fol­gen­lo­sen Poli­tik­ver­dros­sen­heit versandet.

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