in einem Kranz ausbildet. Im Stall sechs Hühnerküken aus zehn Eiern, so früh im Jahr wie noch nie. Auflösen mußten wir indes das Doppelgelege zweier Enten, die gemeinsam in einer Maurerwanne auf zwei Dutzend Eiern saßen. Was zunächst harmonisch wirkte, entwickelte sich zu einem Platzgerangel, unter dem die Eier litten. Nun sitzt die zuverlässigere und die andere watschelt um den Stall und sucht verzweifelt nach irgendeinem Eingang – keine Bilderserie für die “Landlust”.
Mit Verspätung in die Kneipe, es liegen ein paar Kopien mit dem Gedicht von Günter Grass aus. Die Bestandsaufnahme ist in vollem Gange, die Verse haben dem Autor immerhin ein Einreiseverbot nach Israel und dem Feuilleton eine eifrige Debatte über die Wirkmächtigkeit der Kunst eingetragen (die deswegen so willkommen war, weil sich ein Bauingenieur nie, ein Literaturkritiker ununterbrochen für sein Tagwerk rechtfertigen muß, und nun einmal sagen konnte: “Seht her, was Gedichte alles vermögen!”).
Der Stammtisch greift nach Kaffee und Gebäck und stellt diese Selbstrechtfertigung gleich in Frage: Wars wirklich die Wucht der Lyrik, die Grass ein Reiseziel nahm? Oder wars doch bloß die Kombination aus neuralgischem Thema und “moralischer Instanz”? Nach drei Minuten ist man sich einig: Dies sei kein Gedicht, dies tarne sich nur hinter Strophen und Versen und damit hinter der Rede- und Narrenfreiheit der Kunst.
Aber dies, sagt endlich ein an der ICE-Trasse tätiger Monteur, der wie alle anderen am Tisch noch in der DDR erzogen wurde, aber dies sei doch völlig belanglos. Von Belang sei ausschließlich, daß Grass bereits vor seinem Einwurf von den Mechanismen der Meinungsunterdrückung und ‑skandalisierung gewußt habe und daß er dieses Wissen bereits in den Inhalt und die Form seiner Äußerung habe einfließen lassen. Ob das die andern auch so sähen?
Aber natürlich – es sekundiert ein Hochspannungselektriker in Rente – aber natürlich, und wer etwas anderes behaupte, der müsse blind sein. Immer wieder zeige sich doch, daß Israelkritik nicht möglich sei ohne Konsequenzen für den, der sie äußere. Er persönlich habe nichts gegen Israel und gegen die Juden schon gar nicht – aber er habe sehr viel gegen den Freifahrtschein, der diesem Land und diesem Volk von der Geschichte ausgestellt worden sei.
Er sehe das auch so, sagt nun ein pensionierter Lehrer. Aber er sehe auch, daß das, was Grass geäußert habe, gefährlich werden könnte, wenn es durch die falschen Ohren in die falschen Gehirne gelange. Er habe nicht die geringste Lust, sich einem neuen Antisemitismus entgegenzuwerfen. – Wo er sich denn einem alten Antisemitismus entgegengeworfen habe? – In der DDR. Denn die sei offen antiisraelisch und propalästinensisch, wenn nicht sogar proarabisch gewesen, und der Sechs-Tage-Krieg sei als Krieg des Aggressors Israel dargestellt worden, in allen Zeitungen.
Er müsse zugeben, sagt nun der Monteur, daß er in der Einseitigkeit der Berichterstattung der DDR-Presse im Nachhinein natürlich eine staatlicherseits vollzogene Entmündigung des Bürgers sehe, daß er andererseits aber in der heutigen Presselandschaft der Bundesrepublik eine Ausdifferenzierung und eine Multiperspektivität wahrzunehmen nicht recht in der Lage sei. Selbst wenn man aus den Nischenblättern und freien Blogs doch einiges an sekundierender Aufklärung zusammentragen könne: Es hänge dieser Neben-Öffentlichkeit doch immer der Geruch des Nicht-Anerkannten an.
In der Tat, in der Tat, sagt nun der Harzer: Er, der erzwungenermaßen viel Zeit habe und sich im Netz gut auskenne, könne über die behauptete Hierarchiefreiheit des Angebots bloß lachen. Auch ihn ziehe es wie an Fäden auf die Seiten von Spiegel-online, und zwar nicht, weil dort irgendetwas ausgewogen werde, sondern weil das Image, eine demokratische Instanz par excellence zu sein, diesem Magazin bis heute anhafte. Der Jungen Freiheit hingegen hänge – mit Verlaub – bis heute der Ruf an, etwas zu emsig und zu hartnäckig nur die eigene Perspektive zu artikulieren.
Aber es habe aufgeholt, das Blatt, aufgeholt, das müsse man konstatieren, sagt der Lehrer, und keiner widerspricht. – Dann jedoch werden Pommesteller aufgefahren und Bier, und das Licht geht aus. Auf der Leinwand inszeniert die UEFA den Einmarsch der Truppen. Die beiden Söldner-Heere liefern sich eine heiße Schlacht. Spiegel-online behauptet später, Bayern habe 2:1 gewonnen. Beim Harzer brennt noch Licht. Er sucht nach einer zweiten Meinung.