Ein Irrer? Ein Islamkritiker? Ein irrer Islamkritiker? Ein islamkritischer Irrer?

pdf der Druckausgabe aus Sezession 43/ August 2011

von Manfred Kleine-Hartlage

Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Artikels (25. Juli 2011) hat die deutsche Meinungsindustrie anscheinend noch nicht entschieden, ob sie das Massaker von Oslo dazu benutzen will, das gesamte islamkritische Spektrum als eine Ansammlung von haßerfüllten Irren und den Psychopathen Breivik als deren typischen Repräsentanten darzustellen.

Eine sol­che Stra­te­gie wäre aus ihrer Sicht zwei­schnei­dig. Zwar beruft sich Brei­vik unter ande­rem auf Gedan­ken­gut, das in der Coun­ter­ji­had-Sze­ne weit ver­brei­tet ist und spe­zi­ell über die Blogs »Gates of Vien­na« (www.gatesofvi-enna.blogspot.com) und »The Brussels Jour­nal« (www.brusselsjournal.com) kom­mu­ni­ziert wird. Ins­be­son­de­re den bril­lan­ten nor­we­gi­schen Essay­is­ten Fjord­man zitiert er mit beson­de­rer Aus­führ­lich­keit, und es gibt ers­te Ver­su­che, Fjord­man als geis­ti­gen Vater der Anschlä­ge von Oslo zu dif­fa­mie­ren (»Der Atten­tä­ter im Inter­net. Im blin­den Haß gegen Haß«, faz.net, 25. Juli 2011 oder auch »Anders Brei­vik. Der Atten­tä­ter und die Haß­blog­ger«, spiegel.de, 24. Juli 2011).Solche Zusam­men­hän­ge her­aus­zu­strei­chen hie­ße jedoch zugleich, die Auf­merk­sam­keit des Publi­kums auf Autoren wie eben Fjord­man zu len­ken, deren Ana­ly­sen bei wei­tem tref­fen­der und fun­dier­ter sind als das, was dem deut­schen Medi­en­kon­su­men­ten sonst zuge­mu­tet wird. Es hie­ße, die Stra­te­gie des Tot­schwei­gens auf­zu­ge­ben, mit der bis­her jede Grund­satz­kri­tik an eta­blier­ter Ideo­lo­gie und Poli­tik wirk­sam aus­ge­bremst wor­den ist. Es hie­ße, die Deu­tungs­ho­heit zu riskieren.

 

Die Zusam­men­hän­ge, die man ken­nen muß, um das Mas­sa­ker von Oslo sinn­voll ein­zu­ord­nen, sind kom­plex. Sie sind kom­ple­xer als das dümm­li­che Kli­schee von der »Haß-Ideo­lo­gie«, die zwangs­läu­fig ein Mons­ter wie Brei­vik habe her­vor­brin­gen müs­sen. Sie sind aber zugleich kom­ple­xer als die The­se vom ver­rück­ten Ein­zel­nen, der sich bloß zufäl­lig in die Coun­ter­ji­had-Sze­ne ver­irrt habe. Ja, Brei­vik ist ein Irrer. Wer sei­ne Selbst­dar­stel­lun­gen liest, in der er sich zum Ret­ter der euro­päi­schen Kul­tur sti­li­siert, zum edlen Rit­ter, zum Hel­den, des­sen Taten die Nach­welt fei­ern wer­de, erkennt, daß er nicht zufäl­lig gera­de zum Mit­tel des Amok­laufs gegrif­fen hat. Etli­che Amok­läu­fer haben sich, wie er, vor ihrer Tat in solch bizar­re Grö­ßen­phan­ta­sien hin­ein­ge­stei­gert, in eine nur ihnen zugäng­li­che Traum­welt, in der ihnen der schrei­en­de Wider­spruch zwi­schen ihrem heroi­schen Selbst­bild und der Ermor­dung wehr­lo­ser Kin­der nicht mehr auf­fal­len konn­te. Es spricht Bän­de, daß das Phä­no­men des Amok­laufs, aus­ge­hend von den USA, gera­de seit der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on der sech­zi­ger und sieb­zi­ger Jah­re mit wach­sen­der Häu­fig­keit die west­li­chen Gesell­schaf­ten heim­sucht. Eine Gesell­schaft, die Iden­ti­tä­ten, ja sogar das Kon­zept »Iden­ti­tät« selbst, zum Gegen­stand ihrer dekon­struk­ti­vis­ti­schen Jo-Jos macht, nimmt in Kauf, daß der Ein­zel­ne, allein gelas­sen in sei­ner Suche nach dem Selbst, sich Selbst­bil­der zusam­men­phan­ta­siert. Eine Gesell­schaft, die das Nor­ma­le patho­lo­gi­siert und bereits im Begriff der »Nor­ma­li­tät« nur die »Into­le­ranz« gegen­über dem Abwei­chen­den wit­tern kann, nimmt Abwei­chun­gen bis hin zur Mons­tro­si­tät in Kauf. Eine Gesell­schaft, die kei­ne Gren­zen zu set­zen wagt, erzeugt Men­schen, die auf der Suche nach Gren­zen jede Gren­ze hin­ter sich las­sen. Die Figur des Amok­läu­fers ist Pro­dukt und Spie­gel­bild eines amok-lau­fen­den Libe­ra­lis­mus (sehr emp­feh­lens­wert: Götz Eisen­berg, Rei­mer Gro­ne­mey­er: Amok – Kin­der der Käl­te. Über die Wur­zeln von Wut und Haß, Rein­bek 2000).Wer einer Tat wie der von Brei­vik irgend­ein poli­ti­sches Kal­kül unter­zu­schie­ben ver­sucht, ist von vorn­her­ein auf dem Holz­weg; allen­falls hat der Täter sei­nen Drang zur Gewalt­tat zu ratio­na­li­sie­ren ver­sucht. Ande­rer­seits aber ist es auch kein Zufall, daß er sich zu die­ser Ratio­na­li­sie­rung gera­de beim Gedan­ken­gut der Coun­ter­ji­had-Sze­ne bedien­te. Die­ses Gedan­ken­gut ist alles ande­re als irrational.

Es ist nicht irra­tio­nal, fest­zu­stel­len, daß die poli­ti­schen, media­len und »wis­sen­schaft­li­chen« Eli­ten prak­tisch aller west­li­chen Län­der sich einer Uto­pie ver­schrie­ben haben, näm­lich der »One World«-Utopie, die uns von ihren Ideo­lo­gen als ein Para­dies der Har­mo­nie, des Frie­dens, der Gerech­tig­keit und Tole­ranz ver­kauft wird. Die Wahr­heit ist frei­lich häß­li­cher: Es geht um die Abschaf­fung von Völ­kern, von gewach­se­nen Kul­tu­ren, von Natio­nal­staa­ten, von Demo­kra­tie, von indi­vi­du­el­ler Frei­heit. Dies ist kei­ne Ver­schwö­rungs­theo­rie, es ist offi­zi­el­le Poli­tik. Wer den Nebel aus ideo­lo­gi­schen Phra­sen bei­sei­te pus­tet, in den die­se Poli­tik sich hüllt, und sie auf ihren ratio­na­len Kern zurück­führt, erkennt, wohin die Rei­se geht.

Selbst­re­dend geschieht all dies nur im Namen des »Guten«. Und da der, der sich dem »Guten« wider­setzt, zwangs­läu­fig ein »Böser« sein muß, kennt die­se Ideo­lo­gie und ken­nen ihre Ver­fech­ter kei­ne Tole­ranz gegen­über Anders­den­ken­den. Da die Men­schen, wel­che die Aus­wir­kun­gen etwa des Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus am eige­nen Lei­be zu spü­ren bekom­men, der Ver­wirk­li­chung die­ser Ideo­lo­gie Wider­stand leis­ten – weil sie wis­sen, daß sie in einen Alp­traum aus Cha­os, Gewalt und Ver­fall mün­den wird –, wird ihr Wider­stand gebro­chen: durch Rede- und Denk­ver­bo­te, durch all­ge­gen­wär­ti­ge Pro­pa­gan­da, durch Zen­sur, durch Ent­mach­tung der demo­kra­ti­schen Natio­nal­staa­ten, und immer wie­der: durch Gewalt.

 

Wer behaup­tet, Ter­ro­ris­mus sei schon des­halb ver­werf­lich, weil man in einer Demo­kra­tie doch die Frei­heit habe, mit fried­li­chen Mit­teln für sei­ne Auf­fas­sun­gen zu wer­ben, lebt nicht auf die­sem Pla­ne­ten. Er lebt in einer von den Medi­en erzeug­ten Traum­welt, in der die tat­säch­lich prak­ti­zier­te sys­te­ma­ti­sche Aus­gren­zung und Ent­rech­tung des Anders­den­ken­den ent­we­der nicht vor­kommt oder als mora­li­scher Tri­umph im »Kampf gegen Rechts«, die Orgie anti­de­mo­kra­ti­scher Into­le­ranz in Orwell­scher Manier als Kampf für die Demo­kra­tie ver­kauft wird.

 

Jede grund­sätz­li­che Oppo­si­ti­on gegen die Poli­tik der Mas­sen­ein­wan­de­rung und Isla­mi­sie­rung, gegen die Aus­plün­de­rung des Steu­er­zah­lers, gegen Ent­de­mo­kra­ti­sie­rung und Supra­na­tio­na­li­sie­rung wird in einem Kata­rakt aus Lügen, Ver­däch­ti­gun­gen und Ver­leum­dun­gen ersäuft, und dies nicht obwohl, son­dern weil all­ge­mein bekannt ist, daß die­se Oppo­si­ti­on in allen euro­päi­schen Län­dern die Mei­nung der Volks­mehr­heit wie­der­gibt. Die­se Mehr­heit soll kei­nen poli­ti­schen Kris­tal­li­sa­ti­ons­kern fin­den, sie soll poli­tisch nicht ver­tre­ten sein. Dar­um geht es beim »Kampf gegen Rechts«, und dies ist die Agen­da der gesam­ten eta­blier­ten Medi­en, der eta­blier­ten Par­tei­en, aller gesell­schaft­li­chen Groß­or­ga­ni­sa­tio­nen und einer fälsch­lich »Wis­sen­schaft« genann­ten Ideologiefabrik.

 

Der Zorn, der sich in der kon­ser­va­ti­ven, anti-glo­ba­lis­ti­schen, islam­kri­ti­schen Sze­ne auf­ge­baut hat, rich­tet sich nicht gegen den Islam. Daß hier »Ras­sis­ten« aus »Haß« gegen Frem­de oder auch gegen den Islam han­deln wür­den, ist eine kal­ku­lier­te Pro­pa­gan­da­lü­ge. Der Zorn, mei­net­we­gen auch der Haß, rich­tet sich gegen ein Kar­tell von Macht­ha­bern, die unter Miß­ach­tung aller demo­kra­ti­schen Spiel­re­geln und unter Ver­rat an ihren Völ­kern in einem kal­ten Staats­streich die Zukunft unse­rer Kin­der und Enkel ihrer ver­bla­se­nen Ideo­lo­gie und ihren nich­ti­gen, selbst­süch­ti­gen Eigen­in­ter­es­sen opfern!

 

Ja, es stimmt, der Zorn in der oppo­si­tio­nel­len Sze­ne, spe­zi­ell bei den Coun­ter­ji­ha­dis­ten, ist enorm. Er ist so enorm, daß es, rück­bli­ckend gese­hen, nur eine Fra­ge der Zeit war, wann der Ers­te die Ner­ven ver­lie­ren und zur Gewalt grei­fen wür­de, und es ist kei­ne gro­ße Über­ra­schung, daß die­ser Ers­te ein Psy­cho­path ist. Eine zorn-gela­de­ne Sze­ne zieht zwangs­läu­fig auch Psy­cho­pa­then an.

 

Die­ser Zorn ist aber, wenn wir vom Atten­tä­ter selbst abse­hen (der ver­mut­lich nur ein Ven­til und ein Vehi­kel such­te) und statt des­sen die gesam­te Sze­ne betrach­ten, nicht der Zorn von Men­schen, die einer »Haß-Ideo­lo­gie« anhän­gen wür­den, son­dern von sol­chen, die in nor­ma­len Zei­ten die Stüt­zen der Gesell­schaft wären, aber fest­stel­len müs­sen, daß die­se Gesell­schaft von ihren eige­nen Eli­ten ver­ra­ten und ver­nich­tet wird.

 

Die­se Eli­ten ste­hen jetzt vor der Wahl, ob sie die kata­stro­pha­len Ergeb­nis­se ihrer eige­nen Poli­tik ana­ly­sie­ren, die immer ver­zwei­fel­te­ren kon­ser­va­ti­ven War­nun­gen vor dem dro­hen­den Bür­ger­krieg end­lich zur Kennt­nis neh­men, sich mit den Argu­men­ten ihrer Kri­ti­ker aus­ein­an­der­set­zen und ihre Poli­tik gege­be­nen­falls kor­ri­gie­ren wol­len; oder ob sie fort­fah­ren, den Über­brin­ger der schlech­ten Nach­richt für deren Inhalt, mit­hin den Kri­ti­ker des Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus für des­sen Kon­se­quen­zen ver­ant­wort­lich zu machen und im »Kampf gegen Rechts« noch das letz­te biß­chen demo­kra­ti­scher Sub­stanz zu opfern, das den schon längst nicht mehr »offe­nen Gesell­schaf­ten« Euro­pas ver­blie­ben ist. Soll­ten sie sich für letz­te­res ent­schei­den, so läßt sich mit mathe­ma­ti­scher Sicher­heit vor­her­sa­gen, daß Brei­vik nicht der letz­te Ter­ro­rist war, den die oppo­si­tio­nel­le Sze­ne her­vor­ge­bracht hat. Der nächs­te wird dann, wie übri­gens die meis­ten Ter­ro­ris­ten, kein Psy­cho­path mehr sein.

 

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