Die Piraten und das rechte Gespenst

Am Samstag hörte ich während einer Autofahrt Deutschlandradio. In jedem zweiten Beitrag ging es um "Rechtsextremismus".

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Da war etwa die Rede von der “rechts­ra­di­ka­len” Mari­ne Le Pen, und daß Sar­ko­zy mit Ein­wan­de­rungs­the­men “in den Gewäs­sern des Front Natio­nal” fische. Dann folg­te ein Bericht über den Brei­vik-Pro­zeß in Nor­we­gen, der als media­le Hor­ror­show live über­tra­gen wird.

Und schließ­lich kam ein lan­ger Bei­trag über “rechts­extre­me Äuße­run­gen” in der Pira­ten­par­tei. Es scheint also, das die “Rech­te” in ganz Euro­pa bren­nen­des The­ma Nr. 1 wäre, wobei frei­lich nie­mand so recht zu wis­sen scheint, was denn nun genau damit gemeint ist.  Dif­fe­ren­ziert wird dabei kaum (Mari­ne Le Pen etwa wird in den Medi­en abwech­selnd als “rechts­ra­di­kal”, “rechts­extrem” oder “rechts­po­pu­lis­tisch” bezeich­net), und berich­tet wird aus­schließ­lich im Rah­men lin­ker Begriff­lich­kei­ten und Wer­tun­gen. “Rechts­rucks” sind in die­ser Per­spek­ti­ve nie­mals eine Kon­se­quenz aus fehl­ge­lei­te­ter lin­ker Poli­tik, son­dern eine Art psy­cho­pa­tho­lo­gi­scher, dämo­ni­scher Vireninfektion.

Ein Gespenst geht also wie­der ein­mal um in Euro­pa? Min­des­tens in Deutsch­land, wo die die ritu­el­le Invo­ka­ti­on des brau­nen Spuks zu den kon­sti­tu­ti­ven Ele­men­ten gehört. Manch­mal fragt man sich, ob die Deut­schen noch irgend­et­was ande­res im Kopf haben als dies. Wo wären sie ohne die­se trü­be Sti­mu­lanz, ohne ihre täg­li­che Dosis “Hit­le­rin”? Irgend­wo im fins­te­ren Loch der Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit und des Hor­ror vacui vermutlich.

Die Dau­er­prä­senz des “Nazi”-Komplexes, nicht weni­ger als 67 Jah­re nach Kriegs­en­de,  hat inzwi­schen sur­rea­le Dimen­sio­nen erreicht. Auf den Nazi-Skan­dal der Woche kann man schon war­ten wie auf die nächs­te Tat­ort-Fol­ge.  Und wie ein Fern­seh­kri­mi läuft der gespens­ti­sche Zir­kus stets nach immer­glei­chen Strick­mus­tern ab.  Als Kom­men­ta­tor kommt man sich dabei vor wie das täg­lich pfei­fen­de Mur­mel­tier aus der Bill-Murray-Komödie.

Nun sind also aus­ge­rech­net die media­len Hät­schel­kin­der von der Pira­ten­par­tei an der Rei­he, die zur Zeit gleich in einen mul­ti­plen Stru­del von Nazi­kom­ple­xen gera­ten ist. Mun­ter teilt einer dem ande­ren den brau­nen Peter aus, aber kei­ner scheint auf die Idee zu kom­men, das Spiel über­haupt abzu­bre­chen oder auch nur in Fra­ge zu stel­len. Die­se Gro­tes­ke, in der mal wie­der jedes jedes ande­ren “Nazi” wird, ist der­art jen­seits von Gut und Böse (sie­he hier und hier), daß ich die­sen Unfug nicht auch noch kom­men­tie­ren werde.

Die Pira­ten-Par­tei selbst spot­tet jeg­li­cher Beschrei­bung. Was soll man dazu noch sagen? Nichts dar­an war irgend­wie neu, “frech” oder über­haupt gehalt­voll, son­dern ledig­lich eine beson­ders dum­me und juve­ni­le Zuspit­zung gän­gi­ger links­grün­li­be­ra­ler Seich­tig­kei­ten: alle sind genau gleich wie alle ande­ren, alle sol­len alle Rech­te haben, alle sol­len alles haben dür­fen, alle sol­len alles machen dür­fen und alle sol­len alles sagen dür­fen, nur bit­te nichts, was die vor­her­ge­hen­den Aus­sa­gen in Zwei­fel zieht.

Damit wäre der Rah­men der von den Pira­ten so groß­mäu­lig auf die Fah­ne geschrie­be­nen Paro­len wie “Mei­nungs­frei­heit”, “Trans­pa­renz”,  “Demo­kra­tie”, “Selbst­be­stim­mung” usw. in dem übli­chen vor­her­seh­ba­ren Rah­men abge­steckt, in dem das Land vor Lan­ge­wei­le vor sich hin­ster­ben wür­de, wenn man nicht hin und wie­der den brau­nen Buh­mann zum Gru­seln vor­bei­schi­cken wür­de. Die­ser kaschiert aber ledig­lich einen ganz bana­len Umstand, daß sich näm­lich all die links­grün­li­be­ra­len Wünsch­bar­kei­ten zwar ganz gran­di­os und super­nett anhö­ren, mit der Wirk­lich­keit aber nicht in Ein­klang zu brin­gen sind.

All dies funk­tio­niert haar­ge­nau so wie eine opi­ati­sche Reli­gi­on. Und über­all da, wo Löcher im rosa­ro­ten Glau­bens­ge­bäu­de sicht­bar wer­den, da muß natür­lich der Ver­su­cher, der Teu­fel, also der “rech­te” Virus, der “Nazi” schuld und am Werk sein. “Nazi” ist dann alles, was die radi­kal­li­be­ra­le bzw. radi­ka­le­ga­li­tä­re Ideo­lo­gie in Fra­ge stellt, das bedeu­tet letz­ten Endes schlicht alles, was nur irgend­wie dif­fe­ren­ziert oder wer­tet (“dis­kri­mi­niert”). Und wenn sich ein­mal unlieb­sa­me Fak­ten nähern soll­ten, heißt es: wei­che, Satanas!

All dies hat mit wün­schens­wer­ter Deut­lich­keit Pira­ten-Fräu­lein Julia Schramm in einem im “post­struk­tu­ra­lis­ti­schen” Jar­gon abge­faß­ten Arti­kel zum Aus­druck gebracht.  Der “Dis­kurs”, der angeb­lich “den Holo­caust ermög­lich­te und uns auch geprägt hat”, habe etwa fol­gen­de Bestandteile:

  • Dass es eine natür­li­che Ord­nung gibt, die Men­schen befol­gen soll­ten (Hier­ar­chien, etc.)
  • Dass es ein deut­sches Volk gibt, was eine Art Ein­heit darstellt/darstellen soll, wel­che auf der Spra­che und der Kul­tur basiert (Ange­schlos­sen dar­an: die Nati­on ret­ten, erneu­ern, wie­der­be­le­ben; deut­sches Volk als unter­drück­tes Volk, das sich befrei­en muss, etc.)
  • Dass es mensch­li­che Ras­sen gibt und das Men­schen auf Grund ihrer “Ras­sen­zu­ge­hö­rig­keit” gewis­se Eigen­schaf­ten haben und dass es “über­le­ge­ne Ras­sen” gibt
  • Dass es Men­schen gibt, die über­flüs­sig sind, zB Arbeitslose
  • Dass es “gesun­de” und “unge­sun­de” Men­schen gibt, die, im Sin­ne der “Volks­ge­sund­heit” eine gewis­se Behand­lung erfor­dern (Fett­lei­big­keit und psy­chi­sche Abwei­chun­gen vom Norm­zu­stand zB)
  • Dass es einen rich­ti­gen Lebens­ent­wurf gibt, an den sich Men­schen anzu­pas­sen haben
  • Dass Homo­se­xu­el­le “krank”, “komisch”, “unna­tür­lich”, etc. sind
  • Dass Intel­li­genz gene­tisch bedingt ist und über den Sta­tus in der Gesell­schaft ent­schei­den soll
  • Dass Frau­en und Män­ner binär zu tren­nen sind, gewis­se Eigen­schaf­ten auf Grund ihres bio­lo­gi­schen Geschlechts haben und die­se Eigen­schaf­ten ihnen einen defi­nier­ten Platz in der Gesell­schaft geben
  • Dass es “die da oben” gibt – sei­en es nun “Banks­ter”, Juden (meist ja eh das glei­che in den Köp­fen derer -.-), etc. die es zu “besei­ti­gen” gilt
  • Meta­punkt: Gewalt als legi­ti­me Form der Durch­set­zung die­ser Hal­tun­gen bzw. Not­wen­dig­keit

Jeder die­ser Punk­te sei nun “für sich eine hoch­pro­ble­ma­ti­sche Hal­tung” und bedeu­te­te einen “Bau­stein im ‘Nazi-den­ken””, das auch aus den Köp­fen der Pira­ten gründ­lich geputzt wer­den müs­se.  Da gibt es viel zu tun für die Neo­pu­ri­ta­ner, denn es gibt wohl nur sehr weni­ge Men­schen mit allen Tas­sen im Schrank, die nicht min­des­tens einen die­ser Punk­te für rich­tig hal­ten. Man­che der ange­führ­ten Punk­te gar haben mit blo­ßen Mei­nun­gen nichts zu tun; sie beschrei­ben empi­ri­sche Tat­sa­chen und wis­sen­schaft­lich gesi­cher­te Fak­ten. Ande­re wie­der­um wür­den schon ganz anders aus­se­hen, wenn man sie ergänzt und dif­fe­ren­zier­ter und prä­zi­ser for­mu­liert (wer bit­te behaup­tet etwa, daß Män­ner und Frau­en “binär zu tren­nen sind”? Und was soll das eigent­lich bedeu­ten?) . Aber die Dum­men kön­nen sich zum Holz­schnitt, den sie im Kopf tra­gen, eben immer nur einen kom­ple­men­tä­ren Hol­schnitt vor­stel­len, nicht aber eine Federzeichnung.

Wenn es nun nach Julia Schramm gin­ge, dann wäre es ein “Miß­brauch” der Mei­nungs­frei­heit, “auch nur einen die­ser obi­gen Punk­te als vali­den Dis­kus­si­ons­aspekt zu adeln.” Nun, dann bleibt frei­lich nicht mehr vie­les übrig, wor­über man geteil­ter Mei­nung sein kann. Lang­wei­lig muß einem dabei trotz­dem nicht wer­den, denn dann bleibt immer noch das Ver­gnü­gen übrig, die Abweich­ler von der rei­nen Leh­re zu ver­fol­gen und mund­tot zu machen. Man soll­te aber nicht ver­ges­sen, sich selbst in unauf­hör­li­cher Gewis­sens­prü­fung von der Sün­de “dis­kri­mi­nie­ren­der” Gedan­ken zu rei­ni­gen. Im Jar­gon von Julia Schramm könn­te ich nun genau­so sagen, das sei “ein Dis­kurs, der die sta­li­nis­ti­schen Säu­be­run­gen und den Gulag ermög­lich­te” und damit “zu dem größ­ten Ver­bre­chen aller Zei­ten” (GRÖVAZ?) führ­te, und das wäre nicht ein­mal ganz falsch.

Wir kön­nen es aber auch eine Num­mer klei­ner haben. Schramms Punk­te­ka­ta­log spitzt im Grun­de nur das Welt­bild der herr­schen­den gesell­schaft­li­chen Ideo­lo­gie zu, und die Pira­ten sind weit ent­fernt davon, eine ech­te Oppo­si­ti­on oder Gegen­kraft zu sein, ganz im Gegen­teil.  Solan­ge die­se Ideo­lo­gie aber herrscht, wird sie die Wirk­lich­keit als schlech­tes Gewis­sen, als Gespenst und als Schat­ten verfolgen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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