Das Denken vom Ernstfall her und entlang der existentiellen Bedingtheiten des Gemeinwesens wie des Menschen ist demnach das prägende Kennzeichen des konkreten Denkens in Abgrenzung zu dem, was von links modellhaft gedacht und entlang einer Projektion des Guten und Gerechten auf eine Utopie hin entworfen wird.
Aus diesem Selbstverständnis leitet die Rechte für sich traditionell eine besondere Kompetenz auf den Sachgebieten ab, die sich als »harte Themen« bezeichnen lassen. An erster Stelle stehen dabei alle Fragen der inneren und äußeren Sicherheit – deren Aufgabe zugespitzt die Abwehr des Ordnungsverlustes im Ausnahmezustand ist. Dies zwingt zum konsequenten Durchdenken des Ernstfalls und zum nüchternen, illusionslosen Blick.
Außenpolitik also: Die den öffentlichen Diskurs konstituierende Tages- und Wochenpresse des deutschsprachigen Raums behandelt sie eher stiefmütterlich. Sicher: Jede große Zeitung von taz bis FAZ unterhält ein eigenes Ressort, das für Auslandsberichterstattung zuständig ist, meist sogar ein Netz von Auslandskontakten oder ‑korrespondenten, das die heimischen Redaktionsstuben mit Informationen aus erster Hand versorgen kann. Als vor etwas mehr als einem Jahr im nordafrikanisch-arabischen Raum die Unruhen und Revolutionen auszubrechen begannen, für die die Journalisten mittlerweile den frisch und sauber klingenden Namen »arabischer Frühling« gefunden haben, dauerte es nicht lange, bis in eben jenen Ressorts die ersten Reportagen über die angebliche »Generation Facebook« und die neue Rolle der Frau in der Revolution erschienen. Auch über den Verlauf des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs berichtet die deutsche Presse detailliert, und anläßlich der kürzlich abgehaltenen Wahlen im Iran und in Rußland informierte uns die Auslandsberichterstattung eingehend darüber, was an dem Prozedere den Maßstäben unserer Demokratie nicht genüge. An allgemeinen Informationen aus dem Ausland mangelt es also nicht.
Doch Außenpolitik – nicht als Handwerk der politisch Handelnden, sondern als Ziel und Methode der politisch Denkenden – ist mehr als das Wissen um Weltgeschehnisse und weit mehr als fremde Innenpolitik und auswärtige Sozialkunde. Der politische Raum ist erst dort eröffnet, wo das Gegeneinander von Interessen und Macht ausgekämpft wird und die Politik ihr im Kern regelloses »großes Spiel« inszeniert. Politik ist das alles erst, wenn die Mittel des einen gegen die Mittel des anderen stehen und sich jede Partei wie auf einem multidimensionalen Schachbrett Zug um Zug Optionen zum eigenen Vorteil zu erspielen sucht; jede politische Auseinandersetzung ist ein Abstraktum des Krieges und kann auf ihn zurückgeführt werden.
In diesem Sinne politische Deutungen des Weltgeschehens finden in unserem massenmedial-öffentlichen Raum gegenwärtig so gut wie nicht statt, was – anders als in den problematischen Fragen der Einwanderungs- oder Geschichtspolitik – weniger in Selbstzensur und geistigem Hygienestreben der Verantwortlichen begründet liegt als vielmehr in der außenpolitisch unbrauchbaren politischen Konditionierung vieler Medienschaffender. Diese haben längst zu einem Begriff des Politischen gefunden, der vom Sinngehalt des vielzitierten Bismarckschen Diktums, wonach Politik die Kunst des Möglichen sei, weitgehend entbunden ist und statt dessen die tugendethische Perspektive einnimmt, die auch in allen anderen Politikbereichen Geltung beansprucht. Dem komplexen, längst den ganzen Planeten und selbst den erdnahen Weltraum umspannenden Geflecht von Interessen- und Einflußkonkurrenzen ist diese Perspektive nicht gewachsen, es bedarf eines viel pragmatischeren Blicks auf die Natur der Macht und die Situation der Welt.
Die Aufgabe einer zeitgemäßen Rechten ist es, der Öffentlichkeit diesen alternativen Blick anzubieten, der über den einfachen Widerspruch (»gegen Amerika«, »gegen den Islam«) hinausgeht und grundsätzlich anderen Denkmustern folgt. Was man in einigen »weichen« Politikbereichen wie der Überfremdungsproblematik bereits auf hohem Niveau leisten kann, bleibt bei außenpolitischen Fragestellungen bislang zurückgestellt: der Verzicht auf ethisch-normative Aufladung, die Frage nach den eigenen Interessen und Opportunitäten sowie der Hinweis auf die Bedeutung andernorts vernachlässigter Größen wie Ethnie, Religion und Kultur.
Längst lassen sich Dutzende Beispiele finden, an denen sich das gut erläutern ließe. Das vielleicht offensichtlichste ist der unter deutscher Beteiligung seit 2001 durchgeführte Einsatz westlich-internationaler Truppen in Afghanistan, der den Fragen von Souveränität und Verteidigung eine in der bundesdeutschen Öffentlichkeit lange unbekannte diskursive Virulenz zugewiesen hat. Und obwohl damit zwei Kernbegriffe der nationalen Perspektive berührt sind, konnte die Rechte nicht einmal im Rahmen ihres begrenzten Zugangs zur Öffentlichkeit eine ergänzende oder gar konkurrierende Sicht auf die Lage anbieten, weil sie entweder ratlos schwieg oder sich in vordergründig imperialismuskritischen, antiwestlichen, jedenfalls letztlich nicht primär politischen, sondern ideologischen Begriffen einrichtete. Für eine geistige Strömung, die das Erbe Carl Schmitts für sich beansprucht, liegt die Meßlatte bedeutend höher – zumal es kein Debattenfeld gibt, auf dem die politische Rechte die Legitimität und Notwendigkeit ihres Menschen- und Staatsbildes weniger verschnörkelt unter Beweis stellen kann. Der immer wiederkehrenden Verbindung von Humanitätsrhetorik und Weltstaatsutopie mit Strategiemangel im Denken und Handeln läßt sich nur die Zielsetzung eines konsequent anti-utopischen, anti-universalistischen Machtdenkens entgegensetzen und die Methode dazu heißt Geopolitik.
Geopolitik ist die Art politischen Denkens, die immer mit dem Blick auf die Weltkarte beginnt. Der geneigte Leser nehme sie nun zur Hand: Ein geopolitischer Blick auf Afghanistan zeigt uns, um bei diesem Beispiel zu bleiben, eine von einer nahezu unüberschaubaren Anzahl von Ethnien, Stämmen und Clans ohne gemeinsame Identität besiedelte Region in Zentralasien, gelegen in strategischer Nachbarschaft zur instabilen Atommacht Pakistan, dem zum Feindstaat des Westens erklärten Iran sowie den drei ehemaligen Sowjetrepubliken Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan, alle drei gekennzeichnet von inneren Konflikten unterschiedlicher Aktualität, fragiler Staatlichkeit und einem wechselhaften Verhältnis sowohl zu Rußland als auch zum Westen. Die hier gelegenen Erdgasvorkommen sind in der Region die einzigen ausbeutbaren Rohstoffe von strategischer Bedeutung. Die, militärisch und politisch, amerikanisch dominierte Golfregion ist vom Süden Afghanistans nur wenige Flugstunden entfernt, genauso wie das russische Staatsgebiet vom Norden des Landes – die russische, amerikanische und zunehmend sogar chinesische Interessenssphäre treffen hier aufeinander. Vor allem Rußland und die USA ringen um Einfluß in den Ländern des Mittleren und Nahen Ostens, an umfassender Instabilität in der Region und insbesondere einem weiteren Zerfall Pakistans hat jedoch niemand ein Interesse.
Das ist, komprimiert, die Grund-Lage, auf der nun nach Umfang, Form und Durchsetzungsmittel deutscher Interessen gefragt werden muß, also nach den Zielen und Möglichkeiten. Am wichtigsten ist dabei, was nicht drinsteht: Mädchenschulen, Rechtsstaatlichkeit und »Generation Facebook«. Diese Dinge sind nicht ohne Bedeutung, aber sie sind nicht politisch im eigentlichen Sinne, genausowenig wie die hochmoralische »Entlarvung« von Hegemonialstreben oder, auf der anderen Seite, die kategorische Behauptung interessenunabhängiger »politischer Freundschaft«.
Mediale Repräsentation findet dieser, auf die Machtfrage reduzierte Blick nicht, doch die Rechte sollte ihn sich zur Gewohnheit machen. Deutschland spielt mit auf der Weltkarte: Das kann man leugnen oder gestalten, ändern kann man es nicht. Wer von der Souveränität Deutschlands und von deutschen Interessen spricht, hat sich für das gedankliche Gestalten entschieden und muß ab sofort nüchtern, und das heißt geopolitisch, denken.
Zadok Allen
Ein wunderbarer Artikel, Herr Springer! Eines jedoch sei - jenseits aller Moralisierung und Ideologisierung angemerkt: Sie schreiben:
"Deutschland spielt mit auf der Weltkarte: Das kann man leugnen oder gestalten, ändern kann man es nicht."
Hier haben wir nicht die Wahl zwischen Leugnen und Gestalten, sondern es gilt nüchtern anzuerkennen, daß "Deutschland" (genauer: die BRD) schon seit 1945/49 nicht mehr spielt, sondern gespielt wird, als Spielball der anderen nämlich. Insofern mutet es auch ein wenig elfenbeintürmern an, heutzutage "deutsche" geopolitische Interessen zu formulieren. (Man kann das natürlich tun, aber es bleibt ein rein akademisches Unterfangen.)
Die BRD muß froh sein, wenn sie an der Interessendurchsetzung ihres Hegemons mitwirken "darf" und für sie vielleicht einige Brosamen von der Beute abfallen. Keine BRD-Regierung, auch eine "rechte" nicht, könnte an dieser Sachlage in absehbarer Zeit etwas ändern. Das gehört auch zur Realität.